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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi,

der Gewalt. Von nun an war ihn: König Wilhelm der Despot, die deutschen
Generale und Krieger seine Schergen.

Später ist anch er selbst zum Bewußtsein seines schweren Irrtums ge¬
kommen; das Verhalten Frankreichs zumal Italien gegenüber in der tunesischen An¬
gelegenheit bewies ihm, daß französische Herrschsucht und Anmaßung, französischer
Egoismus unter der neuen Staatsform die alten geblieben seien. "Es ist zu
Ende," schrieb er nu Leo Taxil in Paris. "Eure Republik mit der Priester¬
mütze wird niemanden mehr täuschen. Die Liebe uudVerehruug, die wir für sie
hegten, haben sich in Haß und Verachtung verwandelt. Euer tuuesischer Krieg
ist schmachvoll." Und einem Deutschen,^) den er kurz vor seinem Tode bei der
Jubelfeier des sechsten Centenariums der sizilianischen Vesper in Palermo sprach,
sagte er: "Deutschland hat der Menschheit einen großen Dienst geleistet, indem
es dies Volk demütigte; das ist hente meine Meinung."

Man hat Garibaldi zum prinzipiellen Kommunisten und Socialdemokraten
stempeln wollen. Nichts kann falscher sein. Als sein Sohn Menotti 1871
große Lust zeigte, einer Einladung der bedrängten Pariser Kommune zu folgen,
verbot er es ihm unter entschiedener Verdammung jener Bewegung. Er hielt
fest an dem Prinzip des persönlichen Eigentums, der Heiligkeit der Ehe, der
Notwendigkeit eines geordneten Staatslebens. Er glaubte sein Ideal von der
Gleichheit und Freiheit aller Menschen so wohl vereinbar mit diesen Grund¬
lagen der modernen Gesellschaftsordnung, wie die faktische Republik mit dem
Königtum Viktor Emanuels. Die Widersprüche übersah er; ein klar durchdachtes,
logisch entwickeltes System darf man überhaupt bei ihm uicht suchen; seine so¬
zialen wie seine politischen Theorien beruhten ans Gefühlseindrücken und Herzens¬
bedürfnissen, sie quollen gleichsam instinktiv aus der ganzen Eigenart seines Wesens
hervor. Seine Halbbildung, feine geringe Kenntnis von dem eigentlichen Wesen der
Menschennatur, seine Unfähigkeit, Menschen und Zustände objektiv anzuschauen
und zu beurteilen, trugen dazu bei, ihm die wirklichen Bedingungen und Ver¬
hältnisse der Gesellschaft in trügerischem Lichte erscheinen zu lassen. Die so¬
zialen Ungleichheiten und Gegensätze waren ihm nicht die Wirkung einer histo¬
rischen, auf unwiderruflichen Naturgesetzen beruhenden Entwicklung, sondern wie
die politischen das Produkt der egoistischen Handlungsweise einzelner oder doch
weniger bevorrechteter Kasten: der Priester, der Fürsten, der Mächtigen und
Reichen. Wie er selbst ein Plebejer, ein Enterbter des Volkes war, wie er
selbst unter den Verfolgungen der Machthaber hatte leiden, im Schweiße seines
Angesichts sein Brot erwerben, die schwersten Entbehrungen erdulden müssen,
so erschien ihm die gesellschaftliche Ordnung der Gegenwart der Masse des
Volkes gegenüber wie eine böse Stiefmutter. Der Bauer und Tagelöhner
seines Vaterlandes war ihm ein unschuldig gequältes Opfer des eidlichen Grund-



) Dem Reichstagsabgeordneten Lipke.
Giuseppe Garibaldi,

der Gewalt. Von nun an war ihn: König Wilhelm der Despot, die deutschen
Generale und Krieger seine Schergen.

Später ist anch er selbst zum Bewußtsein seines schweren Irrtums ge¬
kommen; das Verhalten Frankreichs zumal Italien gegenüber in der tunesischen An¬
gelegenheit bewies ihm, daß französische Herrschsucht und Anmaßung, französischer
Egoismus unter der neuen Staatsform die alten geblieben seien. „Es ist zu
Ende," schrieb er nu Leo Taxil in Paris. „Eure Republik mit der Priester¬
mütze wird niemanden mehr täuschen. Die Liebe uudVerehruug, die wir für sie
hegten, haben sich in Haß und Verachtung verwandelt. Euer tuuesischer Krieg
ist schmachvoll." Und einem Deutschen,^) den er kurz vor seinem Tode bei der
Jubelfeier des sechsten Centenariums der sizilianischen Vesper in Palermo sprach,
sagte er: „Deutschland hat der Menschheit einen großen Dienst geleistet, indem
es dies Volk demütigte; das ist hente meine Meinung."

Man hat Garibaldi zum prinzipiellen Kommunisten und Socialdemokraten
stempeln wollen. Nichts kann falscher sein. Als sein Sohn Menotti 1871
große Lust zeigte, einer Einladung der bedrängten Pariser Kommune zu folgen,
verbot er es ihm unter entschiedener Verdammung jener Bewegung. Er hielt
fest an dem Prinzip des persönlichen Eigentums, der Heiligkeit der Ehe, der
Notwendigkeit eines geordneten Staatslebens. Er glaubte sein Ideal von der
Gleichheit und Freiheit aller Menschen so wohl vereinbar mit diesen Grund¬
lagen der modernen Gesellschaftsordnung, wie die faktische Republik mit dem
Königtum Viktor Emanuels. Die Widersprüche übersah er; ein klar durchdachtes,
logisch entwickeltes System darf man überhaupt bei ihm uicht suchen; seine so¬
zialen wie seine politischen Theorien beruhten ans Gefühlseindrücken und Herzens¬
bedürfnissen, sie quollen gleichsam instinktiv aus der ganzen Eigenart seines Wesens
hervor. Seine Halbbildung, feine geringe Kenntnis von dem eigentlichen Wesen der
Menschennatur, seine Unfähigkeit, Menschen und Zustände objektiv anzuschauen
und zu beurteilen, trugen dazu bei, ihm die wirklichen Bedingungen und Ver¬
hältnisse der Gesellschaft in trügerischem Lichte erscheinen zu lassen. Die so¬
zialen Ungleichheiten und Gegensätze waren ihm nicht die Wirkung einer histo¬
rischen, auf unwiderruflichen Naturgesetzen beruhenden Entwicklung, sondern wie
die politischen das Produkt der egoistischen Handlungsweise einzelner oder doch
weniger bevorrechteter Kasten: der Priester, der Fürsten, der Mächtigen und
Reichen. Wie er selbst ein Plebejer, ein Enterbter des Volkes war, wie er
selbst unter den Verfolgungen der Machthaber hatte leiden, im Schweiße seines
Angesichts sein Brot erwerben, die schwersten Entbehrungen erdulden müssen,
so erschien ihm die gesellschaftliche Ordnung der Gegenwart der Masse des
Volkes gegenüber wie eine böse Stiefmutter. Der Bauer und Tagelöhner
seines Vaterlandes war ihm ein unschuldig gequältes Opfer des eidlichen Grund-



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[0328] Giuseppe Garibaldi, der Gewalt. Von nun an war ihn: König Wilhelm der Despot, die deutschen Generale und Krieger seine Schergen. Später ist anch er selbst zum Bewußtsein seines schweren Irrtums ge¬ kommen; das Verhalten Frankreichs zumal Italien gegenüber in der tunesischen An¬ gelegenheit bewies ihm, daß französische Herrschsucht und Anmaßung, französischer Egoismus unter der neuen Staatsform die alten geblieben seien. „Es ist zu Ende," schrieb er nu Leo Taxil in Paris. „Eure Republik mit der Priester¬ mütze wird niemanden mehr täuschen. Die Liebe uudVerehruug, die wir für sie hegten, haben sich in Haß und Verachtung verwandelt. Euer tuuesischer Krieg ist schmachvoll." Und einem Deutschen,^) den er kurz vor seinem Tode bei der Jubelfeier des sechsten Centenariums der sizilianischen Vesper in Palermo sprach, sagte er: „Deutschland hat der Menschheit einen großen Dienst geleistet, indem es dies Volk demütigte; das ist hente meine Meinung." Man hat Garibaldi zum prinzipiellen Kommunisten und Socialdemokraten stempeln wollen. Nichts kann falscher sein. Als sein Sohn Menotti 1871 große Lust zeigte, einer Einladung der bedrängten Pariser Kommune zu folgen, verbot er es ihm unter entschiedener Verdammung jener Bewegung. Er hielt fest an dem Prinzip des persönlichen Eigentums, der Heiligkeit der Ehe, der Notwendigkeit eines geordneten Staatslebens. Er glaubte sein Ideal von der Gleichheit und Freiheit aller Menschen so wohl vereinbar mit diesen Grund¬ lagen der modernen Gesellschaftsordnung, wie die faktische Republik mit dem Königtum Viktor Emanuels. Die Widersprüche übersah er; ein klar durchdachtes, logisch entwickeltes System darf man überhaupt bei ihm uicht suchen; seine so¬ zialen wie seine politischen Theorien beruhten ans Gefühlseindrücken und Herzens¬ bedürfnissen, sie quollen gleichsam instinktiv aus der ganzen Eigenart seines Wesens hervor. Seine Halbbildung, feine geringe Kenntnis von dem eigentlichen Wesen der Menschennatur, seine Unfähigkeit, Menschen und Zustände objektiv anzuschauen und zu beurteilen, trugen dazu bei, ihm die wirklichen Bedingungen und Ver¬ hältnisse der Gesellschaft in trügerischem Lichte erscheinen zu lassen. Die so¬ zialen Ungleichheiten und Gegensätze waren ihm nicht die Wirkung einer histo¬ rischen, auf unwiderruflichen Naturgesetzen beruhenden Entwicklung, sondern wie die politischen das Produkt der egoistischen Handlungsweise einzelner oder doch weniger bevorrechteter Kasten: der Priester, der Fürsten, der Mächtigen und Reichen. Wie er selbst ein Plebejer, ein Enterbter des Volkes war, wie er selbst unter den Verfolgungen der Machthaber hatte leiden, im Schweiße seines Angesichts sein Brot erwerben, die schwersten Entbehrungen erdulden müssen, so erschien ihm die gesellschaftliche Ordnung der Gegenwart der Masse des Volkes gegenüber wie eine böse Stiefmutter. Der Bauer und Tagelöhner seines Vaterlandes war ihm ein unschuldig gequältes Opfer des eidlichen Grund- ) Dem Reichstagsabgeordneten Lipke.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/328>, abgerufen am 26.06.2024.