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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

UM zum ewigen Frieden zu gelangen. Sind diese Feinde der Menschheit hin¬
weggeräumt, und die stehenden Heere, das größte Übel Europas, durch freiwillige
Volkswehren ersetzt, so steht der Gründung der großen europäischen Union
nichts mehr im Wege. Das Grundgesetz dieser Union wird sein: Der Krieg
ist abgeschafft, jede Zwistigkeit zwischen den einzelnen Nationen entscheidet ein
Kongreß von Repräsentanten der Union. Aus dieser Vereinigung soll dann
allmählich die wirkliche Einheit entsprießen, die Mannigfaltigkeit der Sprachen
zugleich in einer Weltsprache aufgehen.

Daß man von diesem letzten Ziele noch weit entfernt sei, konnte selbst ihm
nicht zweifelhaft erscheinen. Inzwischen galt es, die nach Freiheit und Unab¬
hängigkeit ringenden Völker in ihrem Streben zu unterstützen und zu fördern,
für das natürliche Menschenrecht gegen Gewalt, Willkür und von geistlichen und
weltlichen Machthabern zu eignem Vorteil erfundene Satzungen einzutreten.
Daß eine Bevölkerung, die sich gegen einheimische oder auswärtige "Tyrannen"
erhob, so ipso in ihrem Rechte sei, galt ihm als selbstverständlich. Nach diesem
Grundsatze hat er für die aufstäudische Provinz Rio Grande do Sri gegen die
brasilianische Regierung, für Montevideo gegen den Diktator Rosas, für die Un¬
abhängigkeit Italiens gegen Österreicher und Franzosen, für seine Freiheit und
Einheit als Jüngling 1833 gegen den eignen Landesherrn sich verschworen und
1860 den König von Neapel mit Krieg überzogen, hat Polen, Ungarn, Serben,
Rumänen, Südslaven, Griechen angefeuert und mit Waffen, Geld, Ratschlägen,
Aufmunterungen und Tröstungen nach Kräften und über seine Kräfte hinaus
unterstützt. Und wenn auch seine sich nie, selbst wo er, wie 1849 und 1867,
die Franzosen zu bekämpfen genötigt war, verleugnende Sympathie für die
Stamm- und Sprachverwandte Nachbarnation hinzukam, so war es doch in erster
Linie dasselbe Motiv, daß ihn 1870 dazu trieb, dem gegen den übermächtigen
Feind kämpfenden französischen Volke zu Hilfe zu eilen. Ist dieser Entschluß
nicht nur im Auslande, zumal in Deutschland, sondern anch von der Mehrzahl
seiner eignen Landsleute, zum Teil sogar seiner Gesinnungsgenossen, mit Recht
als thöricht, ja als unpatriotisch, insofern er die Interessen Italiens gefährdete,
und als eine Donquixoterie in den härtesten Ausdrücken verdammt worden, so war
doch für alle, die den General kannten, wenigstens kein Grund zu Staunen und
Verwunderung. Er hatte, so sehr sein Herz bei dem Leiden Frankreichs bluten
"wehte, die Siege der Deutschen bei Sedan mit Freude begrüßt; trafen sie doch
Zunächst den Mann, den er als Despoten, als Heuchler, als den Schirmherrn der
komischen Kurie haßte und verabscheute. Als aber Napoleon gefallen und die
Republik proklamirt war, da hätten nach seiner Auffassung die siegreichen Deutschen
Frieden und Freundschaft mit den besiegten Franzosen schließen und höchstens
den Ersatz der Kriegskosten verlangen dürfen. Die Forderung der Abtretung
zweier Provinzen und die Fortsetzung des Krieges, um ihre Gewährung zu er¬
zwingen, erschienen ihm als eine ungeheuerliche Zumutung und ein Mißbrauch


Giuseppe Garibaldi.

UM zum ewigen Frieden zu gelangen. Sind diese Feinde der Menschheit hin¬
weggeräumt, und die stehenden Heere, das größte Übel Europas, durch freiwillige
Volkswehren ersetzt, so steht der Gründung der großen europäischen Union
nichts mehr im Wege. Das Grundgesetz dieser Union wird sein: Der Krieg
ist abgeschafft, jede Zwistigkeit zwischen den einzelnen Nationen entscheidet ein
Kongreß von Repräsentanten der Union. Aus dieser Vereinigung soll dann
allmählich die wirkliche Einheit entsprießen, die Mannigfaltigkeit der Sprachen
zugleich in einer Weltsprache aufgehen.

Daß man von diesem letzten Ziele noch weit entfernt sei, konnte selbst ihm
nicht zweifelhaft erscheinen. Inzwischen galt es, die nach Freiheit und Unab¬
hängigkeit ringenden Völker in ihrem Streben zu unterstützen und zu fördern,
für das natürliche Menschenrecht gegen Gewalt, Willkür und von geistlichen und
weltlichen Machthabern zu eignem Vorteil erfundene Satzungen einzutreten.
Daß eine Bevölkerung, die sich gegen einheimische oder auswärtige „Tyrannen"
erhob, so ipso in ihrem Rechte sei, galt ihm als selbstverständlich. Nach diesem
Grundsatze hat er für die aufstäudische Provinz Rio Grande do Sri gegen die
brasilianische Regierung, für Montevideo gegen den Diktator Rosas, für die Un¬
abhängigkeit Italiens gegen Österreicher und Franzosen, für seine Freiheit und
Einheit als Jüngling 1833 gegen den eignen Landesherrn sich verschworen und
1860 den König von Neapel mit Krieg überzogen, hat Polen, Ungarn, Serben,
Rumänen, Südslaven, Griechen angefeuert und mit Waffen, Geld, Ratschlägen,
Aufmunterungen und Tröstungen nach Kräften und über seine Kräfte hinaus
unterstützt. Und wenn auch seine sich nie, selbst wo er, wie 1849 und 1867,
die Franzosen zu bekämpfen genötigt war, verleugnende Sympathie für die
Stamm- und Sprachverwandte Nachbarnation hinzukam, so war es doch in erster
Linie dasselbe Motiv, daß ihn 1870 dazu trieb, dem gegen den übermächtigen
Feind kämpfenden französischen Volke zu Hilfe zu eilen. Ist dieser Entschluß
nicht nur im Auslande, zumal in Deutschland, sondern anch von der Mehrzahl
seiner eignen Landsleute, zum Teil sogar seiner Gesinnungsgenossen, mit Recht
als thöricht, ja als unpatriotisch, insofern er die Interessen Italiens gefährdete,
und als eine Donquixoterie in den härtesten Ausdrücken verdammt worden, so war
doch für alle, die den General kannten, wenigstens kein Grund zu Staunen und
Verwunderung. Er hatte, so sehr sein Herz bei dem Leiden Frankreichs bluten
"wehte, die Siege der Deutschen bei Sedan mit Freude begrüßt; trafen sie doch
Zunächst den Mann, den er als Despoten, als Heuchler, als den Schirmherrn der
komischen Kurie haßte und verabscheute. Als aber Napoleon gefallen und die
Republik proklamirt war, da hätten nach seiner Auffassung die siegreichen Deutschen
Frieden und Freundschaft mit den besiegten Franzosen schließen und höchstens
den Ersatz der Kriegskosten verlangen dürfen. Die Forderung der Abtretung
zweier Provinzen und die Fortsetzung des Krieges, um ihre Gewährung zu er¬
zwingen, erschienen ihm als eine ungeheuerliche Zumutung und ein Mißbrauch


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[0327] Giuseppe Garibaldi. UM zum ewigen Frieden zu gelangen. Sind diese Feinde der Menschheit hin¬ weggeräumt, und die stehenden Heere, das größte Übel Europas, durch freiwillige Volkswehren ersetzt, so steht der Gründung der großen europäischen Union nichts mehr im Wege. Das Grundgesetz dieser Union wird sein: Der Krieg ist abgeschafft, jede Zwistigkeit zwischen den einzelnen Nationen entscheidet ein Kongreß von Repräsentanten der Union. Aus dieser Vereinigung soll dann allmählich die wirkliche Einheit entsprießen, die Mannigfaltigkeit der Sprachen zugleich in einer Weltsprache aufgehen. Daß man von diesem letzten Ziele noch weit entfernt sei, konnte selbst ihm nicht zweifelhaft erscheinen. Inzwischen galt es, die nach Freiheit und Unab¬ hängigkeit ringenden Völker in ihrem Streben zu unterstützen und zu fördern, für das natürliche Menschenrecht gegen Gewalt, Willkür und von geistlichen und weltlichen Machthabern zu eignem Vorteil erfundene Satzungen einzutreten. Daß eine Bevölkerung, die sich gegen einheimische oder auswärtige „Tyrannen" erhob, so ipso in ihrem Rechte sei, galt ihm als selbstverständlich. Nach diesem Grundsatze hat er für die aufstäudische Provinz Rio Grande do Sri gegen die brasilianische Regierung, für Montevideo gegen den Diktator Rosas, für die Un¬ abhängigkeit Italiens gegen Österreicher und Franzosen, für seine Freiheit und Einheit als Jüngling 1833 gegen den eignen Landesherrn sich verschworen und 1860 den König von Neapel mit Krieg überzogen, hat Polen, Ungarn, Serben, Rumänen, Südslaven, Griechen angefeuert und mit Waffen, Geld, Ratschlägen, Aufmunterungen und Tröstungen nach Kräften und über seine Kräfte hinaus unterstützt. Und wenn auch seine sich nie, selbst wo er, wie 1849 und 1867, die Franzosen zu bekämpfen genötigt war, verleugnende Sympathie für die Stamm- und Sprachverwandte Nachbarnation hinzukam, so war es doch in erster Linie dasselbe Motiv, daß ihn 1870 dazu trieb, dem gegen den übermächtigen Feind kämpfenden französischen Volke zu Hilfe zu eilen. Ist dieser Entschluß nicht nur im Auslande, zumal in Deutschland, sondern anch von der Mehrzahl seiner eignen Landsleute, zum Teil sogar seiner Gesinnungsgenossen, mit Recht als thöricht, ja als unpatriotisch, insofern er die Interessen Italiens gefährdete, und als eine Donquixoterie in den härtesten Ausdrücken verdammt worden, so war doch für alle, die den General kannten, wenigstens kein Grund zu Staunen und Verwunderung. Er hatte, so sehr sein Herz bei dem Leiden Frankreichs bluten "wehte, die Siege der Deutschen bei Sedan mit Freude begrüßt; trafen sie doch Zunächst den Mann, den er als Despoten, als Heuchler, als den Schirmherrn der komischen Kurie haßte und verabscheute. Als aber Napoleon gefallen und die Republik proklamirt war, da hätten nach seiner Auffassung die siegreichen Deutschen Frieden und Freundschaft mit den besiegten Franzosen schließen und höchstens den Ersatz der Kriegskosten verlangen dürfen. Die Forderung der Abtretung zweier Provinzen und die Fortsetzung des Krieges, um ihre Gewährung zu er¬ zwingen, erschienen ihm als eine ungeheuerliche Zumutung und ein Mißbrauch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/327>, abgerufen am 26.06.2024.