Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Giuseppe Garibaldi.

Daß Garibaldi nicht nur ein Held, sondern mich ein Guerillaführer gewesen
ist, dem nur wenige an die Seite gestellt werden können und vielleicht keiner
ganz ebenbürtig war, darüber sind Freund und Feind einig. Reichtum an Aus-
kunftsmitteln, unerschöpfliche Jügerlist, blitzartige Raschheit des Entschlusses und
der Ausführung, mit der er den Feind, der ihn fern geglaubt, plötzlich überfiel
und mit ungestümem Anprall über den Haufen warf, noch ehe er recht zur Be¬
sinnung gekommen war, und, wenn eine allzu große Übermacht gegen ihn heran¬
rückte, ebenso plötzlich wieder verschwand, als ob ihn die Erde eingeschluckt habe,
Benutzung jeder kleinsten Gunst der Umstände, jedes geringsten Terrainvorteils,
die Kunst, stärker zu erscheinen als er war, scharfer Ortssinn und wunderbare
Gabe der Orientirung auch aus unbekanntem Gebiet, alle diese Eigenschaften
eines Führers im kleinen, im Gebirgs- und Steppenkriege, wozu er in Süd¬
amerika treffliche Vorstudien gemacht hatte, hat ihm nie jemand zu bestreiten
versucht. Aber damit ist die vielumstrittene Frage uicht entschieden: War er
auch ein hervorragender Stratege, ein großer Feldherr? Wenn sie vielmehr
lautete: Besaß Garibaldi nicht große natürliche Feldherrngaben? so dürfte es
wohl nicht viele geben, die sie verneinen möchten. Denn, was die Gegner seiner
Feldherrngröße vor allem betonen, der Mangel aller militärwissenschaftlichen
Bildung, aller technischen Schulung ans dem Exerzierplatze und dem Manöver¬
felde, endlich, daß er nie größere Truppenmassen kommandirt, nie umfassende
Feldzugs- und Schlachtplnne entworfen habe, fällt dann nicht länger ins Ge¬
wicht.

Der Krieg ist eine Kunst, nicht eine Wissenschaft. Daß eine theoretische,
wissenschaftlich-technische Vorbildung unter allen Umständen höchst wünschens¬
wert, ja daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen die natürliche Vorbedingung
für bedeutende und fehlerfreie Leistungen ans diesem Gebiete ist, wird kein Ver¬
ständiger leugnen. Daß sie unter allen Umständen unbedingt notwendig sei,
darf man billig bezweifeln; dürfte sie doch auch für manchen berühmten Strategen
des klassischen Altertums schwer nachzuweisen sein. Sollte nicht eine praktische
Schule, wie sie Garibaldi in den elf Jahren seines Nomadenlebens in Amerika
zu Lande und zu Wasser durchgemacht hatte, von den kleinsten Anfängen aus¬
gehend, allmählich größere Abteilungen befestigend, weiter reichende Ziele er¬
strebend, die theoretische Vorbildung zum größten Teile ersetzen können? Im
Jahre 1848 in den lombardischen Bergen, 1849 in Rom, 1859 abermals in
der Lombardei, 1360 in Sizilien und Neapel, 1866 in Südtirol kommnndirte
Garibaldi als ganz oder fast ganz unabhängiger Führer stets an Zahl wie an
Mannichfaltigkeit der Waffen wachsende Heerhaufen, bis er sich in dem letzt¬
genannten Jahre an der Spitze eines Armeekorps von 35 000 Mann befand.
Vermochte er weder in diesem noch in einem der andern großen Kriege, an
denen er teilgenommen, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale zu werfen,
hat man auch seinem merkwürdigen Siegeszuge dnrch Sizilien und Neapel 1860


Giuseppe Garibaldi.

Daß Garibaldi nicht nur ein Held, sondern mich ein Guerillaführer gewesen
ist, dem nur wenige an die Seite gestellt werden können und vielleicht keiner
ganz ebenbürtig war, darüber sind Freund und Feind einig. Reichtum an Aus-
kunftsmitteln, unerschöpfliche Jügerlist, blitzartige Raschheit des Entschlusses und
der Ausführung, mit der er den Feind, der ihn fern geglaubt, plötzlich überfiel
und mit ungestümem Anprall über den Haufen warf, noch ehe er recht zur Be¬
sinnung gekommen war, und, wenn eine allzu große Übermacht gegen ihn heran¬
rückte, ebenso plötzlich wieder verschwand, als ob ihn die Erde eingeschluckt habe,
Benutzung jeder kleinsten Gunst der Umstände, jedes geringsten Terrainvorteils,
die Kunst, stärker zu erscheinen als er war, scharfer Ortssinn und wunderbare
Gabe der Orientirung auch aus unbekanntem Gebiet, alle diese Eigenschaften
eines Führers im kleinen, im Gebirgs- und Steppenkriege, wozu er in Süd¬
amerika treffliche Vorstudien gemacht hatte, hat ihm nie jemand zu bestreiten
versucht. Aber damit ist die vielumstrittene Frage uicht entschieden: War er
auch ein hervorragender Stratege, ein großer Feldherr? Wenn sie vielmehr
lautete: Besaß Garibaldi nicht große natürliche Feldherrngaben? so dürfte es
wohl nicht viele geben, die sie verneinen möchten. Denn, was die Gegner seiner
Feldherrngröße vor allem betonen, der Mangel aller militärwissenschaftlichen
Bildung, aller technischen Schulung ans dem Exerzierplatze und dem Manöver¬
felde, endlich, daß er nie größere Truppenmassen kommandirt, nie umfassende
Feldzugs- und Schlachtplnne entworfen habe, fällt dann nicht länger ins Ge¬
wicht.

Der Krieg ist eine Kunst, nicht eine Wissenschaft. Daß eine theoretische,
wissenschaftlich-technische Vorbildung unter allen Umständen höchst wünschens¬
wert, ja daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen die natürliche Vorbedingung
für bedeutende und fehlerfreie Leistungen ans diesem Gebiete ist, wird kein Ver¬
ständiger leugnen. Daß sie unter allen Umständen unbedingt notwendig sei,
darf man billig bezweifeln; dürfte sie doch auch für manchen berühmten Strategen
des klassischen Altertums schwer nachzuweisen sein. Sollte nicht eine praktische
Schule, wie sie Garibaldi in den elf Jahren seines Nomadenlebens in Amerika
zu Lande und zu Wasser durchgemacht hatte, von den kleinsten Anfängen aus¬
gehend, allmählich größere Abteilungen befestigend, weiter reichende Ziele er¬
strebend, die theoretische Vorbildung zum größten Teile ersetzen können? Im
Jahre 1848 in den lombardischen Bergen, 1849 in Rom, 1859 abermals in
der Lombardei, 1360 in Sizilien und Neapel, 1866 in Südtirol kommnndirte
Garibaldi als ganz oder fast ganz unabhängiger Führer stets an Zahl wie an
Mannichfaltigkeit der Waffen wachsende Heerhaufen, bis er sich in dem letzt¬
genannten Jahre an der Spitze eines Armeekorps von 35 000 Mann befand.
Vermochte er weder in diesem noch in einem der andern großen Kriege, an
denen er teilgenommen, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale zu werfen,
hat man auch seinem merkwürdigen Siegeszuge dnrch Sizilien und Neapel 1860


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194302"/>
          <fw type="header" place="top"> Giuseppe Garibaldi.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1172"> Daß Garibaldi nicht nur ein Held, sondern mich ein Guerillaführer gewesen<lb/>
ist, dem nur wenige an die Seite gestellt werden können und vielleicht keiner<lb/>
ganz ebenbürtig war, darüber sind Freund und Feind einig. Reichtum an Aus-<lb/>
kunftsmitteln, unerschöpfliche Jügerlist, blitzartige Raschheit des Entschlusses und<lb/>
der Ausführung, mit der er den Feind, der ihn fern geglaubt, plötzlich überfiel<lb/>
und mit ungestümem Anprall über den Haufen warf, noch ehe er recht zur Be¬<lb/>
sinnung gekommen war, und, wenn eine allzu große Übermacht gegen ihn heran¬<lb/>
rückte, ebenso plötzlich wieder verschwand, als ob ihn die Erde eingeschluckt habe,<lb/>
Benutzung jeder kleinsten Gunst der Umstände, jedes geringsten Terrainvorteils,<lb/>
die Kunst, stärker zu erscheinen als er war, scharfer Ortssinn und wunderbare<lb/>
Gabe der Orientirung auch aus unbekanntem Gebiet, alle diese Eigenschaften<lb/>
eines Führers im kleinen, im Gebirgs- und Steppenkriege, wozu er in Süd¬<lb/>
amerika treffliche Vorstudien gemacht hatte, hat ihm nie jemand zu bestreiten<lb/>
versucht. Aber damit ist die vielumstrittene Frage uicht entschieden: War er<lb/>
auch ein hervorragender Stratege, ein großer Feldherr? Wenn sie vielmehr<lb/>
lautete: Besaß Garibaldi nicht große natürliche Feldherrngaben? so dürfte es<lb/>
wohl nicht viele geben, die sie verneinen möchten. Denn, was die Gegner seiner<lb/>
Feldherrngröße vor allem betonen, der Mangel aller militärwissenschaftlichen<lb/>
Bildung, aller technischen Schulung ans dem Exerzierplatze und dem Manöver¬<lb/>
felde, endlich, daß er nie größere Truppenmassen kommandirt, nie umfassende<lb/>
Feldzugs- und Schlachtplnne entworfen habe, fällt dann nicht länger ins Ge¬<lb/>
wicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Der Krieg ist eine Kunst, nicht eine Wissenschaft. Daß eine theoretische,<lb/>
wissenschaftlich-technische Vorbildung unter allen Umständen höchst wünschens¬<lb/>
wert, ja daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen die natürliche Vorbedingung<lb/>
für bedeutende und fehlerfreie Leistungen ans diesem Gebiete ist, wird kein Ver¬<lb/>
ständiger leugnen. Daß sie unter allen Umständen unbedingt notwendig sei,<lb/>
darf man billig bezweifeln; dürfte sie doch auch für manchen berühmten Strategen<lb/>
des klassischen Altertums schwer nachzuweisen sein. Sollte nicht eine praktische<lb/>
Schule, wie sie Garibaldi in den elf Jahren seines Nomadenlebens in Amerika<lb/>
zu Lande und zu Wasser durchgemacht hatte, von den kleinsten Anfängen aus¬<lb/>
gehend, allmählich größere Abteilungen befestigend, weiter reichende Ziele er¬<lb/>
strebend, die theoretische Vorbildung zum größten Teile ersetzen können? Im<lb/>
Jahre 1848 in den lombardischen Bergen, 1849 in Rom, 1859 abermals in<lb/>
der Lombardei, 1360 in Sizilien und Neapel, 1866 in Südtirol kommnndirte<lb/>
Garibaldi als ganz oder fast ganz unabhängiger Führer stets an Zahl wie an<lb/>
Mannichfaltigkeit der Waffen wachsende Heerhaufen, bis er sich in dem letzt¬<lb/>
genannten Jahre an der Spitze eines Armeekorps von 35 000 Mann befand.<lb/>
Vermochte er weder in diesem noch in einem der andern großen Kriege, an<lb/>
denen er teilgenommen, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale zu werfen,<lb/>
hat man auch seinem merkwürdigen Siegeszuge dnrch Sizilien und Neapel 1860</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] Giuseppe Garibaldi. Daß Garibaldi nicht nur ein Held, sondern mich ein Guerillaführer gewesen ist, dem nur wenige an die Seite gestellt werden können und vielleicht keiner ganz ebenbürtig war, darüber sind Freund und Feind einig. Reichtum an Aus- kunftsmitteln, unerschöpfliche Jügerlist, blitzartige Raschheit des Entschlusses und der Ausführung, mit der er den Feind, der ihn fern geglaubt, plötzlich überfiel und mit ungestümem Anprall über den Haufen warf, noch ehe er recht zur Be¬ sinnung gekommen war, und, wenn eine allzu große Übermacht gegen ihn heran¬ rückte, ebenso plötzlich wieder verschwand, als ob ihn die Erde eingeschluckt habe, Benutzung jeder kleinsten Gunst der Umstände, jedes geringsten Terrainvorteils, die Kunst, stärker zu erscheinen als er war, scharfer Ortssinn und wunderbare Gabe der Orientirung auch aus unbekanntem Gebiet, alle diese Eigenschaften eines Führers im kleinen, im Gebirgs- und Steppenkriege, wozu er in Süd¬ amerika treffliche Vorstudien gemacht hatte, hat ihm nie jemand zu bestreiten versucht. Aber damit ist die vielumstrittene Frage uicht entschieden: War er auch ein hervorragender Stratege, ein großer Feldherr? Wenn sie vielmehr lautete: Besaß Garibaldi nicht große natürliche Feldherrngaben? so dürfte es wohl nicht viele geben, die sie verneinen möchten. Denn, was die Gegner seiner Feldherrngröße vor allem betonen, der Mangel aller militärwissenschaftlichen Bildung, aller technischen Schulung ans dem Exerzierplatze und dem Manöver¬ felde, endlich, daß er nie größere Truppenmassen kommandirt, nie umfassende Feldzugs- und Schlachtplnne entworfen habe, fällt dann nicht länger ins Ge¬ wicht. Der Krieg ist eine Kunst, nicht eine Wissenschaft. Daß eine theoretische, wissenschaftlich-technische Vorbildung unter allen Umständen höchst wünschens¬ wert, ja daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen die natürliche Vorbedingung für bedeutende und fehlerfreie Leistungen ans diesem Gebiete ist, wird kein Ver¬ ständiger leugnen. Daß sie unter allen Umständen unbedingt notwendig sei, darf man billig bezweifeln; dürfte sie doch auch für manchen berühmten Strategen des klassischen Altertums schwer nachzuweisen sein. Sollte nicht eine praktische Schule, wie sie Garibaldi in den elf Jahren seines Nomadenlebens in Amerika zu Lande und zu Wasser durchgemacht hatte, von den kleinsten Anfängen aus¬ gehend, allmählich größere Abteilungen befestigend, weiter reichende Ziele er¬ strebend, die theoretische Vorbildung zum größten Teile ersetzen können? Im Jahre 1848 in den lombardischen Bergen, 1849 in Rom, 1859 abermals in der Lombardei, 1360 in Sizilien und Neapel, 1866 in Südtirol kommnndirte Garibaldi als ganz oder fast ganz unabhängiger Führer stets an Zahl wie an Mannichfaltigkeit der Waffen wachsende Heerhaufen, bis er sich in dem letzt¬ genannten Jahre an der Spitze eines Armeekorps von 35 000 Mann befand. Vermochte er weder in diesem noch in einem der andern großen Kriege, an denen er teilgenommen, ein entscheidendes Gewicht in die Wagschale zu werfen, hat man auch seinem merkwürdigen Siegeszuge dnrch Sizilien und Neapel 1860

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/324>, abgerufen am 26.06.2024.