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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Gen'ibaldi.

1861 bekannt, lind sein Wesen einfach genug, um dasselbe auch ohne phrcno-
logische Studien oder Phantasien beurteilen zu können. Daß die Urteile über
ihn dennoch so verschiedenartig lauten, erklärt sich teils ans der Leidenschaft
und Voreingenommenheit des Partcistandpunl'tes, teils ans der bereits nnge-
dcutelen außerordentlichen Einfachheit seines von der großen Menge der Menschen
so ganz Uerschiednen Wesens selbst. Jene Harmonie aller Organe, die Dr. Ni-
bvtti in ihm gefunden haben will, tritt uns allerdings auch in seinem Thun
und Lebe" insoweit entgegen, als er ein Mann ans einem Gusse war, der sich
selbst stets treu blieb, dessen Reden und Handeln, dessen Tugenden und Fehler
alle derselben einheitlichen Quelle entsprangen, keineswegs aber, wie sie jener
verstanden haben will, in einer gleichmäßigen Entwicklung aller intellektuellen
und moralischen Eigenschaften. Gefühl und Phantasie waren die herrschenden
Faktoren seines Wesens, denen gegenüber der denkende, die realen Verhältnisse
berücksichtigende und berechnende Verstand weit zurücktrat. Es war uicht ohne
Grund, wenn ihn Massimv d'Azeglio als den Manu mit dem Herzen voll Gold
und dein Kops eines Büffels bezeichnete. In der idealen Welt seines Phan¬
tasie- und Gemütslebens befangen, existirte er gleichsam in einem eignen Dunst¬
kreise, dnrch den ihm Personen und Dinge in wunderbar veränderter Beleuch¬
tung erschienen. Durch und durch Idealist, naiv bis zur Kindlichkeit, die Welt
durchschreitend, ohne sie zu kennen, hielt er die Verwirklichung aller seiner
Meuschheitsideale für möglich und war zugleich durch seine selbstlose, von keinem
Bedenken, Zweifel und Zagen berührte Begeisterung imstande, die Jngend seines
Volkes zu entflammen und zu kühnen Thaten mit sich fortzureißen wie kein andrer.
Wie Hütte sie nicht mit ihm schwärmen sollen für die hohen Ideale, denen er
sein Leben geweiht hatte: für die allgemeine Freiheit und Gleichheit aller Erden¬
bürger, für die große Meuschheitsrepnblik, für eine Religion ohne Priester, einen
Staat ohne besoldete Beamten, el" freiwilliges Volksheer ohne Berufssoldaten?
Die Bevölkerungen der Mitte und des Südens der Halbinsel bedurften, um sich
für die Natioualsache nicht nur zu begeistern, sondern auch thatkräftig dafür
einzutreten, vor allem eines Vorbildes uneigennütziger Vaterlandsliebe und un¬
erschütterlichen Mutes, Eigenschaften, die das Volk fast nur noch vom Hören¬
sagen kannte. Ein Manu, der im dichtesten Kugelregen, im blutigsten Hand¬
gemenge kaltblütig mit ruhiger, weittvnender Stimme seine Befehle erteilte, der
trotz der weithin sichtbaren auffallenden Gewänder hieb-, stich- und kugelfest
schien, dessen hellblitzenden Ange leine tapfere That wie kein feiges Zurückweichen
entging, schuf selbst Memmen zu Helden nur und vermochte uubärtige Knaben,
Stand zu halten und dem Tode Trotz zu bieten gleich alten erprobten Veteranen.
Und wenn nun dieser Mann immer von neneiu sein Leben für einen idealen
Zweck aufs Spiel setzte, weder uach Reichtum noch nach Ehrenstellen, auch nicht
ans erlaubtem Wege, strebend; wenn er im schreiendsten Kontraste zu den Re¬
gierenden und Befehlenden, welche das Volk des Südens bisher gekannt, anch


Giuseppe Gen'ibaldi.

1861 bekannt, lind sein Wesen einfach genug, um dasselbe auch ohne phrcno-
logische Studien oder Phantasien beurteilen zu können. Daß die Urteile über
ihn dennoch so verschiedenartig lauten, erklärt sich teils ans der Leidenschaft
und Voreingenommenheit des Partcistandpunl'tes, teils ans der bereits nnge-
dcutelen außerordentlichen Einfachheit seines von der großen Menge der Menschen
so ganz Uerschiednen Wesens selbst. Jene Harmonie aller Organe, die Dr. Ni-
bvtti in ihm gefunden haben will, tritt uns allerdings auch in seinem Thun
und Lebe» insoweit entgegen, als er ein Mann ans einem Gusse war, der sich
selbst stets treu blieb, dessen Reden und Handeln, dessen Tugenden und Fehler
alle derselben einheitlichen Quelle entsprangen, keineswegs aber, wie sie jener
verstanden haben will, in einer gleichmäßigen Entwicklung aller intellektuellen
und moralischen Eigenschaften. Gefühl und Phantasie waren die herrschenden
Faktoren seines Wesens, denen gegenüber der denkende, die realen Verhältnisse
berücksichtigende und berechnende Verstand weit zurücktrat. Es war uicht ohne
Grund, wenn ihn Massimv d'Azeglio als den Manu mit dem Herzen voll Gold
und dein Kops eines Büffels bezeichnete. In der idealen Welt seines Phan¬
tasie- und Gemütslebens befangen, existirte er gleichsam in einem eignen Dunst¬
kreise, dnrch den ihm Personen und Dinge in wunderbar veränderter Beleuch¬
tung erschienen. Durch und durch Idealist, naiv bis zur Kindlichkeit, die Welt
durchschreitend, ohne sie zu kennen, hielt er die Verwirklichung aller seiner
Meuschheitsideale für möglich und war zugleich durch seine selbstlose, von keinem
Bedenken, Zweifel und Zagen berührte Begeisterung imstande, die Jngend seines
Volkes zu entflammen und zu kühnen Thaten mit sich fortzureißen wie kein andrer.
Wie Hütte sie nicht mit ihm schwärmen sollen für die hohen Ideale, denen er
sein Leben geweiht hatte: für die allgemeine Freiheit und Gleichheit aller Erden¬
bürger, für die große Meuschheitsrepnblik, für eine Religion ohne Priester, einen
Staat ohne besoldete Beamten, el» freiwilliges Volksheer ohne Berufssoldaten?
Die Bevölkerungen der Mitte und des Südens der Halbinsel bedurften, um sich
für die Natioualsache nicht nur zu begeistern, sondern auch thatkräftig dafür
einzutreten, vor allem eines Vorbildes uneigennütziger Vaterlandsliebe und un¬
erschütterlichen Mutes, Eigenschaften, die das Volk fast nur noch vom Hören¬
sagen kannte. Ein Manu, der im dichtesten Kugelregen, im blutigsten Hand¬
gemenge kaltblütig mit ruhiger, weittvnender Stimme seine Befehle erteilte, der
trotz der weithin sichtbaren auffallenden Gewänder hieb-, stich- und kugelfest
schien, dessen hellblitzenden Ange leine tapfere That wie kein feiges Zurückweichen
entging, schuf selbst Memmen zu Helden nur und vermochte uubärtige Knaben,
Stand zu halten und dem Tode Trotz zu bieten gleich alten erprobten Veteranen.
Und wenn nun dieser Mann immer von neneiu sein Leben für einen idealen
Zweck aufs Spiel setzte, weder uach Reichtum noch nach Ehrenstellen, auch nicht
ans erlaubtem Wege, strebend; wenn er im schreiendsten Kontraste zu den Re¬
gierenden und Befehlenden, welche das Volk des Südens bisher gekannt, anch


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[0322] Giuseppe Gen'ibaldi. 1861 bekannt, lind sein Wesen einfach genug, um dasselbe auch ohne phrcno- logische Studien oder Phantasien beurteilen zu können. Daß die Urteile über ihn dennoch so verschiedenartig lauten, erklärt sich teils ans der Leidenschaft und Voreingenommenheit des Partcistandpunl'tes, teils ans der bereits nnge- dcutelen außerordentlichen Einfachheit seines von der großen Menge der Menschen so ganz Uerschiednen Wesens selbst. Jene Harmonie aller Organe, die Dr. Ni- bvtti in ihm gefunden haben will, tritt uns allerdings auch in seinem Thun und Lebe» insoweit entgegen, als er ein Mann ans einem Gusse war, der sich selbst stets treu blieb, dessen Reden und Handeln, dessen Tugenden und Fehler alle derselben einheitlichen Quelle entsprangen, keineswegs aber, wie sie jener verstanden haben will, in einer gleichmäßigen Entwicklung aller intellektuellen und moralischen Eigenschaften. Gefühl und Phantasie waren die herrschenden Faktoren seines Wesens, denen gegenüber der denkende, die realen Verhältnisse berücksichtigende und berechnende Verstand weit zurücktrat. Es war uicht ohne Grund, wenn ihn Massimv d'Azeglio als den Manu mit dem Herzen voll Gold und dein Kops eines Büffels bezeichnete. In der idealen Welt seines Phan¬ tasie- und Gemütslebens befangen, existirte er gleichsam in einem eignen Dunst¬ kreise, dnrch den ihm Personen und Dinge in wunderbar veränderter Beleuch¬ tung erschienen. Durch und durch Idealist, naiv bis zur Kindlichkeit, die Welt durchschreitend, ohne sie zu kennen, hielt er die Verwirklichung aller seiner Meuschheitsideale für möglich und war zugleich durch seine selbstlose, von keinem Bedenken, Zweifel und Zagen berührte Begeisterung imstande, die Jngend seines Volkes zu entflammen und zu kühnen Thaten mit sich fortzureißen wie kein andrer. Wie Hütte sie nicht mit ihm schwärmen sollen für die hohen Ideale, denen er sein Leben geweiht hatte: für die allgemeine Freiheit und Gleichheit aller Erden¬ bürger, für die große Meuschheitsrepnblik, für eine Religion ohne Priester, einen Staat ohne besoldete Beamten, el» freiwilliges Volksheer ohne Berufssoldaten? Die Bevölkerungen der Mitte und des Südens der Halbinsel bedurften, um sich für die Natioualsache nicht nur zu begeistern, sondern auch thatkräftig dafür einzutreten, vor allem eines Vorbildes uneigennütziger Vaterlandsliebe und un¬ erschütterlichen Mutes, Eigenschaften, die das Volk fast nur noch vom Hören¬ sagen kannte. Ein Manu, der im dichtesten Kugelregen, im blutigsten Hand¬ gemenge kaltblütig mit ruhiger, weittvnender Stimme seine Befehle erteilte, der trotz der weithin sichtbaren auffallenden Gewänder hieb-, stich- und kugelfest schien, dessen hellblitzenden Ange leine tapfere That wie kein feiges Zurückweichen entging, schuf selbst Memmen zu Helden nur und vermochte uubärtige Knaben, Stand zu halten und dem Tode Trotz zu bieten gleich alten erprobten Veteranen. Und wenn nun dieser Mann immer von neneiu sein Leben für einen idealen Zweck aufs Spiel setzte, weder uach Reichtum noch nach Ehrenstellen, auch nicht ans erlaubtem Wege, strebend; wenn er im schreiendsten Kontraste zu den Re¬ gierenden und Befehlenden, welche das Volk des Südens bisher gekannt, anch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/322>, abgerufen am 26.06.2024.