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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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und Victor Hugo. Die glühende Lebhaftigkeit seiner Empfindungen, die schwärme¬
rische Begeisterung für seine Ideale ließen ihn auch selbst zum Dichter werden.
Die meisten seiner poetischen Produkte sind Manuskript geblieben; die wenigen,
welche uns gedruckt vorliegen, politische Reflexionen, patriotische Hymnen und
Kriegslieder, zum Teil schwungvoll und nicht ohne Fvrmgewandtheit, zum Teil
allerdings auch nur gereimte Prosa, meist allznbvmbnstisch im Ausdrucke, können
auf höher" poetischen Wert so wenig Anspruch erheben wie die drei Romane,*)
die er verfaßte, als ihm die Welt , Thaten verschlossen war, nicht nur, um
einem seelischen Bedürfnisse zu geniigen, sondern auch, um mit dem Erlöse der¬
selben die materiellen Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen. Von künstlerischer
Komposition, von organischem Aufbau ist darin keine Rede. Er feiert seine
Ideale in schwungvollen Dithyramben und malt die Verhältnisse der wirklichen
Welt in den düstersten Farben. Die Schicksale unglücklicher Idealisten beider
Geschlechter, die im Kampfe mit dem eisernen Zeitalter ein tragisches Ende finden,
bilden das stets wiederkehrende Grundthema. Dieselbe glühende Vaterlandsliebe,
dieselbe Freiheits- und Gleichheitsschwärmerei, dieselbe vollständige Verkennung
oder doch durchaus einseitige Auffassung nicht nur der thatsächlichen Verhältnisse,
sondern der Grundbedingungen des gesellschaftlichen und Staatslebens überhaupt
tritt uns hier ebenso entgegen wie in dem ganzen Leben des Mannes. Selbst¬
erlebtes und Erfahrenes, wie die Freischaarcnkämpse, die er mitgemacht und ge¬
leitet, schildert er in frischen, lebenswahren Zügen, nicht minder die Natur, deren
Schönheit und Gabenfülle er mit leuchtenden Farben malt. Der Ausdruck ist
ungleich; wie in seinen Gedichten entartet die schwungvolle Diktion nicht selten
zu bombastischem Schwulst, während sie um andern Stellen zu platter Prosa
herabsinkt. Die Liternturgeschichte wird ihn nicht zu ihren Klassikern zählen,
aber für die Charakteristik des Verfassers, der in ihnen die Aspirationen, die
Anschauungen und Ideale seines Innern niederlegte, sind sie von hoher Be¬
deutung.

Ein italienischer Phrenologe hat, wie uus Francesco Crispi erzählt,**) Gari-
bnldi 1861 auf Caprera "physisch studirt" und gefunden, daß seine Schädel-
bildung eine höchst seltne, ja einzige Erscheinung darbiete: die vollkommene Har¬
monie aller Organe, die mathematische Resultante des ganzen, welche vor allem
Selbstverleugnung anzeige, daneben überall Klugheit, Kaltblütigkeit, natürliche
Sittenstrenge, fast beständige Meditation, ernste und klare Beredsamkeit, domi-
nirende Loyalität. Wir wissen nicht, mit welchem Rechte der italienische Ge¬
lehrte die seelischen Eigenschaften, die er an Garibaldi kannte oder zu kennen
glaubte, aus seinen Messungen herauskonstrnirt hat. Jedenfalls war Garibnldi




(AoUiz,, ovvsro it ^ovorno <de>1 liionaoo; Ls,ntoni, II volonwrio (beide 1870 erschienen);
I Nikko (die Tausend von Marsala, 1874).
*) Crispi, Giuseppe Garibaldi. In Ur. 171 seines Organs, der Nifvrmn, v"n 1832;
ursprünglich veröffentlicht in der Nuovu. ^ntalogi".

und Victor Hugo. Die glühende Lebhaftigkeit seiner Empfindungen, die schwärme¬
rische Begeisterung für seine Ideale ließen ihn auch selbst zum Dichter werden.
Die meisten seiner poetischen Produkte sind Manuskript geblieben; die wenigen,
welche uns gedruckt vorliegen, politische Reflexionen, patriotische Hymnen und
Kriegslieder, zum Teil schwungvoll und nicht ohne Fvrmgewandtheit, zum Teil
allerdings auch nur gereimte Prosa, meist allznbvmbnstisch im Ausdrucke, können
auf höher» poetischen Wert so wenig Anspruch erheben wie die drei Romane,*)
die er verfaßte, als ihm die Welt , Thaten verschlossen war, nicht nur, um
einem seelischen Bedürfnisse zu geniigen, sondern auch, um mit dem Erlöse der¬
selben die materiellen Bedürfnisse des Lebens zu befriedigen. Von künstlerischer
Komposition, von organischem Aufbau ist darin keine Rede. Er feiert seine
Ideale in schwungvollen Dithyramben und malt die Verhältnisse der wirklichen
Welt in den düstersten Farben. Die Schicksale unglücklicher Idealisten beider
Geschlechter, die im Kampfe mit dem eisernen Zeitalter ein tragisches Ende finden,
bilden das stets wiederkehrende Grundthema. Dieselbe glühende Vaterlandsliebe,
dieselbe Freiheits- und Gleichheitsschwärmerei, dieselbe vollständige Verkennung
oder doch durchaus einseitige Auffassung nicht nur der thatsächlichen Verhältnisse,
sondern der Grundbedingungen des gesellschaftlichen und Staatslebens überhaupt
tritt uns hier ebenso entgegen wie in dem ganzen Leben des Mannes. Selbst¬
erlebtes und Erfahrenes, wie die Freischaarcnkämpse, die er mitgemacht und ge¬
leitet, schildert er in frischen, lebenswahren Zügen, nicht minder die Natur, deren
Schönheit und Gabenfülle er mit leuchtenden Farben malt. Der Ausdruck ist
ungleich; wie in seinen Gedichten entartet die schwungvolle Diktion nicht selten
zu bombastischem Schwulst, während sie um andern Stellen zu platter Prosa
herabsinkt. Die Liternturgeschichte wird ihn nicht zu ihren Klassikern zählen,
aber für die Charakteristik des Verfassers, der in ihnen die Aspirationen, die
Anschauungen und Ideale seines Innern niederlegte, sind sie von hoher Be¬
deutung.

Ein italienischer Phrenologe hat, wie uus Francesco Crispi erzählt,**) Gari-
bnldi 1861 auf Caprera „physisch studirt" und gefunden, daß seine Schädel-
bildung eine höchst seltne, ja einzige Erscheinung darbiete: die vollkommene Har¬
monie aller Organe, die mathematische Resultante des ganzen, welche vor allem
Selbstverleugnung anzeige, daneben überall Klugheit, Kaltblütigkeit, natürliche
Sittenstrenge, fast beständige Meditation, ernste und klare Beredsamkeit, domi-
nirende Loyalität. Wir wissen nicht, mit welchem Rechte der italienische Ge¬
lehrte die seelischen Eigenschaften, die er an Garibaldi kannte oder zu kennen
glaubte, aus seinen Messungen herauskonstrnirt hat. Jedenfalls war Garibnldi




(AoUiz,, ovvsro it ^ovorno <de>1 liionaoo; Ls,ntoni, II volonwrio (beide 1870 erschienen);
I Nikko (die Tausend von Marsala, 1874).
*) Crispi, Giuseppe Garibaldi. In Ur. 171 seines Organs, der Nifvrmn, v»n 1832;
ursprünglich veröffentlicht in der Nuovu. ^ntalogi».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/321>, abgerufen am 26.06.2024.