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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

trauliche Gespräche mit den Semen, besuchenden Freunden oder auch wohl den
zahlreich zusirömeuden, neugierigen Fremden. Seine Rede, gewöhnlich schlicht
und einfach, in treffend gewählten Worten, erhob sich in der Begeisterung zu
hohem Schwunge und gewaltigem Pathos. Dann geschah es ihm freilich wohl,
daß er, ganz vou einem Gefühle beherrscht und hingerissen, die Grenzen der
Klugheit und Mäßigung übersprang und Worte sprach oder schrieb, die von den
Häuptern des Radikalismus, die sich seine Freunde nannten, wie von seinen
Gegnern ausgebeutet, seine wahren Freunde und Verehrer bekümmerten und der
Sache, der er dienen wollte, bittern Schaden zufügten.

In seinen einsamen Stunden beschäftigte er sich eifrig mit dem Studium
agronomischer Schriften oder mit Werken aus dein Gebiete der Physik und
Mathematik, seinen Lieblingswissenschaften, auf denen er sich, mehr noch durch
Erfahrung und Beobachtung als durch geregelte Studien, nicht unbedeutende
Kenntnisse erworben und über manche Fragen selbständige Ansichten gebildet
hatte, wie verschiedene von ihm hinterlassene Arbeiten bezeugen. Freilich empfand
er dabei schmerzlich die Lücken, welche eine mangelhafte intellektuelle Erziehung
in seinem Geiste gelassen hatte. Sein Wissen war nicht unbedeutend, aber
sporadisch, zusammenhangslos; es fehlte ihm vor allem an der festen elemen¬
taren Basis. Allerdings hatten die Eltern, welche den Sohn zu einem höhern
Berufe als dem Stande des Vaters, eines einfachen Küstenschiffers, heranzu¬
bilden wünschten, ihm außerhalb der gewöhnlichen Volksschule mannichfachen
Privatunterricht erteilen lassen; aber dein lebhaften, thatenbegicrigen und phan-
tasiereichen Knaben fehlte es an jeder Neigung zu gelehrten Studien und sitzender
Beschäftigung überhaupt. Entschlossen, Seemann zu werden, "der Schule und
vorgeschriebenen Lebensweise überdrüssig,"*) nötigte er die widerwilligen Eltern
endlich, seinem Wunsche nachzugeben. Sein späteres Leben gewährte ihm nur
selten Muße zur Erweiterung seiner Kenntnisse, obwohl er zweimal, in Kon¬
stantinopel und Montevideo, sogar in der Lage war, seinen Lebensunterhalt durch
Unterricht in Mathematik, Französisch, Geschichte u. s. w. zu erwerben. Außer
den mathematisch-physikalischen Studien, deren der Seemann nicht entraten konnte,
war es besonders die Geschichte der Alten, die ihn immer aufs neue anzog und
beschäftigte. Durch ein vortreffliches Gedächtnis unterstützt, vermochte er ans
seinem Lieblingsbuche, Alto Vannueeis "Geschichte des alten Italiens," ganze
Selten wörtlich zu zitiren. Die Poesie liebte er schwärmerisch: Ugv Foscvlo,
dessen Lepolori man noch geöffnet neben seinem Sterbebette fand, unter den
Italienern, Voltaire lind Andrö Chonier unter den Franzosen waren seine Lieb¬
lingsdichter; später gesellten sich zu ihnen -- charakteristisch für die immer ein¬
seitiger exaltirte und phantastische Richtung des alternden Mannes - Gnerrazzi



*) Eigne Worte Gnribaldis. S. Garibnldis Denkwürdigkeiten, herausgegeben voll
Elpis Melena, Hamburg, Hoff-nanu und Campe, 1861. Bd. I, S. 8.
Giuseppe Garibaldi.

trauliche Gespräche mit den Semen, besuchenden Freunden oder auch wohl den
zahlreich zusirömeuden, neugierigen Fremden. Seine Rede, gewöhnlich schlicht
und einfach, in treffend gewählten Worten, erhob sich in der Begeisterung zu
hohem Schwunge und gewaltigem Pathos. Dann geschah es ihm freilich wohl,
daß er, ganz vou einem Gefühle beherrscht und hingerissen, die Grenzen der
Klugheit und Mäßigung übersprang und Worte sprach oder schrieb, die von den
Häuptern des Radikalismus, die sich seine Freunde nannten, wie von seinen
Gegnern ausgebeutet, seine wahren Freunde und Verehrer bekümmerten und der
Sache, der er dienen wollte, bittern Schaden zufügten.

In seinen einsamen Stunden beschäftigte er sich eifrig mit dem Studium
agronomischer Schriften oder mit Werken aus dein Gebiete der Physik und
Mathematik, seinen Lieblingswissenschaften, auf denen er sich, mehr noch durch
Erfahrung und Beobachtung als durch geregelte Studien, nicht unbedeutende
Kenntnisse erworben und über manche Fragen selbständige Ansichten gebildet
hatte, wie verschiedene von ihm hinterlassene Arbeiten bezeugen. Freilich empfand
er dabei schmerzlich die Lücken, welche eine mangelhafte intellektuelle Erziehung
in seinem Geiste gelassen hatte. Sein Wissen war nicht unbedeutend, aber
sporadisch, zusammenhangslos; es fehlte ihm vor allem an der festen elemen¬
taren Basis. Allerdings hatten die Eltern, welche den Sohn zu einem höhern
Berufe als dem Stande des Vaters, eines einfachen Küstenschiffers, heranzu¬
bilden wünschten, ihm außerhalb der gewöhnlichen Volksschule mannichfachen
Privatunterricht erteilen lassen; aber dein lebhaften, thatenbegicrigen und phan-
tasiereichen Knaben fehlte es an jeder Neigung zu gelehrten Studien und sitzender
Beschäftigung überhaupt. Entschlossen, Seemann zu werden, „der Schule und
vorgeschriebenen Lebensweise überdrüssig,"*) nötigte er die widerwilligen Eltern
endlich, seinem Wunsche nachzugeben. Sein späteres Leben gewährte ihm nur
selten Muße zur Erweiterung seiner Kenntnisse, obwohl er zweimal, in Kon¬
stantinopel und Montevideo, sogar in der Lage war, seinen Lebensunterhalt durch
Unterricht in Mathematik, Französisch, Geschichte u. s. w. zu erwerben. Außer
den mathematisch-physikalischen Studien, deren der Seemann nicht entraten konnte,
war es besonders die Geschichte der Alten, die ihn immer aufs neue anzog und
beschäftigte. Durch ein vortreffliches Gedächtnis unterstützt, vermochte er ans
seinem Lieblingsbuche, Alto Vannueeis „Geschichte des alten Italiens," ganze
Selten wörtlich zu zitiren. Die Poesie liebte er schwärmerisch: Ugv Foscvlo,
dessen Lepolori man noch geöffnet neben seinem Sterbebette fand, unter den
Italienern, Voltaire lind Andrö Chonier unter den Franzosen waren seine Lieb¬
lingsdichter; später gesellten sich zu ihnen — charakteristisch für die immer ein¬
seitiger exaltirte und phantastische Richtung des alternden Mannes - Gnerrazzi



*) Eigne Worte Gnribaldis. S. Garibnldis Denkwürdigkeiten, herausgegeben voll
Elpis Melena, Hamburg, Hoff-nanu und Campe, 1861. Bd. I, S. 8.
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[0320] Giuseppe Garibaldi. trauliche Gespräche mit den Semen, besuchenden Freunden oder auch wohl den zahlreich zusirömeuden, neugierigen Fremden. Seine Rede, gewöhnlich schlicht und einfach, in treffend gewählten Worten, erhob sich in der Begeisterung zu hohem Schwunge und gewaltigem Pathos. Dann geschah es ihm freilich wohl, daß er, ganz vou einem Gefühle beherrscht und hingerissen, die Grenzen der Klugheit und Mäßigung übersprang und Worte sprach oder schrieb, die von den Häuptern des Radikalismus, die sich seine Freunde nannten, wie von seinen Gegnern ausgebeutet, seine wahren Freunde und Verehrer bekümmerten und der Sache, der er dienen wollte, bittern Schaden zufügten. In seinen einsamen Stunden beschäftigte er sich eifrig mit dem Studium agronomischer Schriften oder mit Werken aus dein Gebiete der Physik und Mathematik, seinen Lieblingswissenschaften, auf denen er sich, mehr noch durch Erfahrung und Beobachtung als durch geregelte Studien, nicht unbedeutende Kenntnisse erworben und über manche Fragen selbständige Ansichten gebildet hatte, wie verschiedene von ihm hinterlassene Arbeiten bezeugen. Freilich empfand er dabei schmerzlich die Lücken, welche eine mangelhafte intellektuelle Erziehung in seinem Geiste gelassen hatte. Sein Wissen war nicht unbedeutend, aber sporadisch, zusammenhangslos; es fehlte ihm vor allem an der festen elemen¬ taren Basis. Allerdings hatten die Eltern, welche den Sohn zu einem höhern Berufe als dem Stande des Vaters, eines einfachen Küstenschiffers, heranzu¬ bilden wünschten, ihm außerhalb der gewöhnlichen Volksschule mannichfachen Privatunterricht erteilen lassen; aber dein lebhaften, thatenbegicrigen und phan- tasiereichen Knaben fehlte es an jeder Neigung zu gelehrten Studien und sitzender Beschäftigung überhaupt. Entschlossen, Seemann zu werden, „der Schule und vorgeschriebenen Lebensweise überdrüssig,"*) nötigte er die widerwilligen Eltern endlich, seinem Wunsche nachzugeben. Sein späteres Leben gewährte ihm nur selten Muße zur Erweiterung seiner Kenntnisse, obwohl er zweimal, in Kon¬ stantinopel und Montevideo, sogar in der Lage war, seinen Lebensunterhalt durch Unterricht in Mathematik, Französisch, Geschichte u. s. w. zu erwerben. Außer den mathematisch-physikalischen Studien, deren der Seemann nicht entraten konnte, war es besonders die Geschichte der Alten, die ihn immer aufs neue anzog und beschäftigte. Durch ein vortreffliches Gedächtnis unterstützt, vermochte er ans seinem Lieblingsbuche, Alto Vannueeis „Geschichte des alten Italiens," ganze Selten wörtlich zu zitiren. Die Poesie liebte er schwärmerisch: Ugv Foscvlo, dessen Lepolori man noch geöffnet neben seinem Sterbebette fand, unter den Italienern, Voltaire lind Andrö Chonier unter den Franzosen waren seine Lieb¬ lingsdichter; später gesellten sich zu ihnen — charakteristisch für die immer ein¬ seitiger exaltirte und phantastische Richtung des alternden Mannes - Gnerrazzi *) Eigne Worte Gnribaldis. S. Garibnldis Denkwürdigkeiten, herausgegeben voll Elpis Melena, Hamburg, Hoff-nanu und Campe, 1861. Bd. I, S. 8.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/320>, abgerufen am 26.06.2024.