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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Giuseppe Garibaldi.

IN 2. Juni 1882 starb in einem einsamen Häuschen auf dem
kleinen Felseneilande Caprerci bei Sardinien ein Mann, der sich
in die Stenerliste seines Bezirks als "Giuseppe Garibaldi. Acker¬
bauer" eingetragen hatte. Aber die Kunde von dem Tode dieses
Bauern verbreitete sich blitzschnell über die Inseln und das ganze
Festland von Italien, und wohin sie drang, da erscholl ein Klageruf aus
Hütten und Palästen, vom Gebirge bis zum Meer, der Klageruf eines Volkes,
das lange Jahre hindurch nicht nnr mit Verehrung und Dankbarkeit zu diesem
Manne aufgeblickt, sondern anch an ihm gehangen hatte mit schwärmerischer
Liebe, weil es in ihm gewissermaßen den idealen Typus seiner eignen Wesen¬
heit erblickte. Alle Fahnen hüllten sich in Trauerflor; alle Feste wurden unter¬
brochen und verschoben; die Werkstätte des Handwerkers und der Laden des
Krämers schlössen sich wie die Sitzungssäle des Parlamentes. Nicht um Ca-
willo Cnvour, kaum um Viktor Emnuuel, den König-Befreier, war die Volks¬
trauer eine so allgemeine, so tiefe, so spontane gewesen, waren so viele Thränen,
selbst aus Männeraugen, geflossen. Das Volk hatte seinen Nationalheros ver¬
loren. Mit ihm wurde zugleich die letzte große Gestalt aus den Tagen der
Unabhüngigkeitskämpfe und der Gründung des Nationalstaates zu Grabe ge¬
tragen.

Keine der hervorragenden Persönlichkeiten, die in den Ereignissen der letzten
Jahrzehnte eine hervorragende Rolle gespielt, ist so oft verkannt, so vielfach schief
beurteilt worden wie Garibaldi, trotz und vielleicht auch wegen der unendlichen
Einfachheit seines Wesens. Wir wollen versuchen, auf den folgenden Seiten
ein Bild des einzigen Mannes zu zeichnen, von dem wir wenigstens versichern
dürfe", daß es ohne alle Voreingenommenheit -- sine ira, et 8wäio -- und
"ach gewissenhafter Prüfung des vorliegenden Materials entworfen ist.


Greuzbon-u IV. 1882, 40


Giuseppe Garibaldi.

IN 2. Juni 1882 starb in einem einsamen Häuschen auf dem
kleinen Felseneilande Caprerci bei Sardinien ein Mann, der sich
in die Stenerliste seines Bezirks als „Giuseppe Garibaldi. Acker¬
bauer" eingetragen hatte. Aber die Kunde von dem Tode dieses
Bauern verbreitete sich blitzschnell über die Inseln und das ganze
Festland von Italien, und wohin sie drang, da erscholl ein Klageruf aus
Hütten und Palästen, vom Gebirge bis zum Meer, der Klageruf eines Volkes,
das lange Jahre hindurch nicht nnr mit Verehrung und Dankbarkeit zu diesem
Manne aufgeblickt, sondern anch an ihm gehangen hatte mit schwärmerischer
Liebe, weil es in ihm gewissermaßen den idealen Typus seiner eignen Wesen¬
heit erblickte. Alle Fahnen hüllten sich in Trauerflor; alle Feste wurden unter¬
brochen und verschoben; die Werkstätte des Handwerkers und der Laden des
Krämers schlössen sich wie die Sitzungssäle des Parlamentes. Nicht um Ca-
willo Cnvour, kaum um Viktor Emnuuel, den König-Befreier, war die Volks¬
trauer eine so allgemeine, so tiefe, so spontane gewesen, waren so viele Thränen,
selbst aus Männeraugen, geflossen. Das Volk hatte seinen Nationalheros ver¬
loren. Mit ihm wurde zugleich die letzte große Gestalt aus den Tagen der
Unabhüngigkeitskämpfe und der Gründung des Nationalstaates zu Grabe ge¬
tragen.

Keine der hervorragenden Persönlichkeiten, die in den Ereignissen der letzten
Jahrzehnte eine hervorragende Rolle gespielt, ist so oft verkannt, so vielfach schief
beurteilt worden wie Garibaldi, trotz und vielleicht auch wegen der unendlichen
Einfachheit seines Wesens. Wir wollen versuchen, auf den folgenden Seiten
ein Bild des einzigen Mannes zu zeichnen, von dem wir wenigstens versichern
dürfe», daß es ohne alle Voreingenommenheit — sine ira, et 8wäio — und
"ach gewissenhafter Prüfung des vorliegenden Materials entworfen ist.


Greuzbon-u IV. 1882, 40
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[0317] [Abbildung] Giuseppe Garibaldi. IN 2. Juni 1882 starb in einem einsamen Häuschen auf dem kleinen Felseneilande Caprerci bei Sardinien ein Mann, der sich in die Stenerliste seines Bezirks als „Giuseppe Garibaldi. Acker¬ bauer" eingetragen hatte. Aber die Kunde von dem Tode dieses Bauern verbreitete sich blitzschnell über die Inseln und das ganze Festland von Italien, und wohin sie drang, da erscholl ein Klageruf aus Hütten und Palästen, vom Gebirge bis zum Meer, der Klageruf eines Volkes, das lange Jahre hindurch nicht nnr mit Verehrung und Dankbarkeit zu diesem Manne aufgeblickt, sondern anch an ihm gehangen hatte mit schwärmerischer Liebe, weil es in ihm gewissermaßen den idealen Typus seiner eignen Wesen¬ heit erblickte. Alle Fahnen hüllten sich in Trauerflor; alle Feste wurden unter¬ brochen und verschoben; die Werkstätte des Handwerkers und der Laden des Krämers schlössen sich wie die Sitzungssäle des Parlamentes. Nicht um Ca- willo Cnvour, kaum um Viktor Emnuuel, den König-Befreier, war die Volks¬ trauer eine so allgemeine, so tiefe, so spontane gewesen, waren so viele Thränen, selbst aus Männeraugen, geflossen. Das Volk hatte seinen Nationalheros ver¬ loren. Mit ihm wurde zugleich die letzte große Gestalt aus den Tagen der Unabhüngigkeitskämpfe und der Gründung des Nationalstaates zu Grabe ge¬ tragen. Keine der hervorragenden Persönlichkeiten, die in den Ereignissen der letzten Jahrzehnte eine hervorragende Rolle gespielt, ist so oft verkannt, so vielfach schief beurteilt worden wie Garibaldi, trotz und vielleicht auch wegen der unendlichen Einfachheit seines Wesens. Wir wollen versuchen, auf den folgenden Seiten ein Bild des einzigen Mannes zu zeichnen, von dem wir wenigstens versichern dürfe», daß es ohne alle Voreingenommenheit — sine ira, et 8wäio — und "ach gewissenhafter Prüfung des vorliegenden Materials entworfen ist. Greuzbon-u IV. 1882, 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/317>, abgerufen am 26.06.2024.