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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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oder Johlen des alten Gassenhauers der Lagewersammlungen übergegangen,
dessen Refrain ist:'

Er und Julia zögerten noch ein wenig, aber Fran Abigail, die sich voll
ihrer letzten Verzückung erholt hatte und schon einige Zeit ans der Suche nach
Julien gewesen war, warf sich jetzt auf sie und zog sie, bevor sie noch recht
wußte, wie ihr geschah, "ach der Stelle, wo die Aufregung am heißesten war.




Dreiundvierzigstes Kapitel.
Der Schrecken an Mitternacht.

Zuletzt kam allmählich die Mitternacht heran, die Stunde, ans welche alle
Erwartung sich konzentrirt hatte. Denn sprach nicht das Gleichnis von den
zehn Jungfrauen von dein Kommen des Bräutigams um Mitternacht?

Meine Freunde und Brüder, sagte Eider Häutens mit einer vor innerer
Bewegtheit bebenden Stimme, indem er seine Uhr ins Mondlicht emporhielt,
meine Freunde und Brüder, wenn das Wort Gottes wahr ist, so haben wir
mir noch fünf Minuten zu warten, und die neue Einrichtung der Welt nimmt
ihren Anfang. Laßt uns die letzten Angenblicke der Zeit in stiller Andacht
verbringen.

Möchte wissen, ob der denkt, die Welt läuft nach seiner Patenteylindernhr
ab, bemerkte Jonas, der selbst jetzt, wo die Erwartung eines unmittelbar be¬
vorstehenden Beginns des jüngsten Gerichts sein Gemüt erfüllte, dem Antrieb,
eine charakteristische Äußerung vom Stapel zu lassen, nicht widerstehen konnte.

Und ich möchte wissen, nach welcher geographischen Länge er die Prophe¬
zeiung berechnet, versetzte Andrew. Denn eS kaun doch nicht um die ganze
Welt herum in demselben Augenblicke Mitternacht sein.

Aber die Heerde des Elters Hankins zog keine solche Schwierigkeit in Be¬
tracht. Und kein Zuschauer konnte ans sie Hirschauer, wie sie sich schweigend im
Gebete beugten, erschüttert und feierlich gestimmt von der Erwartung des plötz¬
lichen Heranlvmmens des Herrn, ohne von dem Gefühl ergriffen zu werden,
daß ihre Aufregung, wie sehr die Erwartung auch eine irrtümliche sein möchte,
eine unbedingt ergreifende Thatsache sei. Ereignisse sind nur erhaben, wenn sie
die menschliche Seele bewegen, und das rasch herannahende Ende des Zeitliche"
war subjektiv eine große Wirklichkeit für diese Leute. Selbst Andrew war wie
durch eine Art Sympathie feierlich gestimmt, wie Coleridge, als er bei dem
Kinde KebleS Gevatter stand, von dem Gefühle der Bedeutung des Sakraments
nach Kebles Standpunkt überwältigt wurde. Was Cynthh Ann angeht, so
zitterte sie vor Furcht, während sie sich fest an Jonas' Arm anklammerte.
Und Jonns war so ernst, als es ihm nnr möglich war, bis er die Stimme Norman
Andersons horte, der vor Schrecken und Aufregung schrie, und bis er fühlte,
wie Chnthh um seinem Arm schauderte.

Für meinen ^eil, sagte Jonns, sich zu Andrew wendend, kommt mirs ge¬
rade nicht wahrscheinlich vor, als ob es viel nütze" würde, wenn eins über ein
Maisfeld jammernd Zeter schriee, wenn der Oktober schon gekommen ist


oder Johlen des alten Gassenhauers der Lagewersammlungen übergegangen,
dessen Refrain ist:'

Er und Julia zögerten noch ein wenig, aber Fran Abigail, die sich voll
ihrer letzten Verzückung erholt hatte und schon einige Zeit ans der Suche nach
Julien gewesen war, warf sich jetzt auf sie und zog sie, bevor sie noch recht
wußte, wie ihr geschah, »ach der Stelle, wo die Aufregung am heißesten war.




Dreiundvierzigstes Kapitel.
Der Schrecken an Mitternacht.

Zuletzt kam allmählich die Mitternacht heran, die Stunde, ans welche alle
Erwartung sich konzentrirt hatte. Denn sprach nicht das Gleichnis von den
zehn Jungfrauen von dein Kommen des Bräutigams um Mitternacht?

Meine Freunde und Brüder, sagte Eider Häutens mit einer vor innerer
Bewegtheit bebenden Stimme, indem er seine Uhr ins Mondlicht emporhielt,
meine Freunde und Brüder, wenn das Wort Gottes wahr ist, so haben wir
mir noch fünf Minuten zu warten, und die neue Einrichtung der Welt nimmt
ihren Anfang. Laßt uns die letzten Angenblicke der Zeit in stiller Andacht
verbringen.

Möchte wissen, ob der denkt, die Welt läuft nach seiner Patenteylindernhr
ab, bemerkte Jonas, der selbst jetzt, wo die Erwartung eines unmittelbar be¬
vorstehenden Beginns des jüngsten Gerichts sein Gemüt erfüllte, dem Antrieb,
eine charakteristische Äußerung vom Stapel zu lassen, nicht widerstehen konnte.

Und ich möchte wissen, nach welcher geographischen Länge er die Prophe¬
zeiung berechnet, versetzte Andrew. Denn eS kaun doch nicht um die ganze
Welt herum in demselben Augenblicke Mitternacht sein.

Aber die Heerde des Elters Hankins zog keine solche Schwierigkeit in Be¬
tracht. Und kein Zuschauer konnte ans sie Hirschauer, wie sie sich schweigend im
Gebete beugten, erschüttert und feierlich gestimmt von der Erwartung des plötz¬
lichen Heranlvmmens des Herrn, ohne von dem Gefühl ergriffen zu werden,
daß ihre Aufregung, wie sehr die Erwartung auch eine irrtümliche sein möchte,
eine unbedingt ergreifende Thatsache sei. Ereignisse sind nur erhaben, wenn sie
die menschliche Seele bewegen, und das rasch herannahende Ende des Zeitliche»
war subjektiv eine große Wirklichkeit für diese Leute. Selbst Andrew war wie
durch eine Art Sympathie feierlich gestimmt, wie Coleridge, als er bei dem
Kinde KebleS Gevatter stand, von dem Gefühle der Bedeutung des Sakraments
nach Kebles Standpunkt überwältigt wurde. Was Cynthh Ann angeht, so
zitterte sie vor Furcht, während sie sich fest an Jonas' Arm anklammerte.
Und Jonns war so ernst, als es ihm nnr möglich war, bis er die Stimme Norman
Andersons horte, der vor Schrecken und Aufregung schrie, und bis er fühlte,
wie Chnthh um seinem Arm schauderte.

Für meinen ^eil, sagte Jonns, sich zu Andrew wendend, kommt mirs ge¬
rade nicht wahrscheinlich vor, als ob es viel nütze» würde, wenn eins über ein
Maisfeld jammernd Zeter schriee, wenn der Oktober schon gekommen ist


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[0313] oder Johlen des alten Gassenhauers der Lagewersammlungen übergegangen, dessen Refrain ist:' Er und Julia zögerten noch ein wenig, aber Fran Abigail, die sich voll ihrer letzten Verzückung erholt hatte und schon einige Zeit ans der Suche nach Julien gewesen war, warf sich jetzt auf sie und zog sie, bevor sie noch recht wußte, wie ihr geschah, »ach der Stelle, wo die Aufregung am heißesten war. Dreiundvierzigstes Kapitel. Der Schrecken an Mitternacht. Zuletzt kam allmählich die Mitternacht heran, die Stunde, ans welche alle Erwartung sich konzentrirt hatte. Denn sprach nicht das Gleichnis von den zehn Jungfrauen von dein Kommen des Bräutigams um Mitternacht? Meine Freunde und Brüder, sagte Eider Häutens mit einer vor innerer Bewegtheit bebenden Stimme, indem er seine Uhr ins Mondlicht emporhielt, meine Freunde und Brüder, wenn das Wort Gottes wahr ist, so haben wir mir noch fünf Minuten zu warten, und die neue Einrichtung der Welt nimmt ihren Anfang. Laßt uns die letzten Angenblicke der Zeit in stiller Andacht verbringen. Möchte wissen, ob der denkt, die Welt läuft nach seiner Patenteylindernhr ab, bemerkte Jonas, der selbst jetzt, wo die Erwartung eines unmittelbar be¬ vorstehenden Beginns des jüngsten Gerichts sein Gemüt erfüllte, dem Antrieb, eine charakteristische Äußerung vom Stapel zu lassen, nicht widerstehen konnte. Und ich möchte wissen, nach welcher geographischen Länge er die Prophe¬ zeiung berechnet, versetzte Andrew. Denn eS kaun doch nicht um die ganze Welt herum in demselben Augenblicke Mitternacht sein. Aber die Heerde des Elters Hankins zog keine solche Schwierigkeit in Be¬ tracht. Und kein Zuschauer konnte ans sie Hirschauer, wie sie sich schweigend im Gebete beugten, erschüttert und feierlich gestimmt von der Erwartung des plötz¬ lichen Heranlvmmens des Herrn, ohne von dem Gefühl ergriffen zu werden, daß ihre Aufregung, wie sehr die Erwartung auch eine irrtümliche sein möchte, eine unbedingt ergreifende Thatsache sei. Ereignisse sind nur erhaben, wenn sie die menschliche Seele bewegen, und das rasch herannahende Ende des Zeitliche» war subjektiv eine große Wirklichkeit für diese Leute. Selbst Andrew war wie durch eine Art Sympathie feierlich gestimmt, wie Coleridge, als er bei dem Kinde KebleS Gevatter stand, von dem Gefühle der Bedeutung des Sakraments nach Kebles Standpunkt überwältigt wurde. Was Cynthh Ann angeht, so zitterte sie vor Furcht, während sie sich fest an Jonas' Arm anklammerte. Und Jonns war so ernst, als es ihm nnr möglich war, bis er die Stimme Norman Andersons horte, der vor Schrecken und Aufregung schrie, und bis er fühlte, wie Chnthh um seinem Arm schauderte. Für meinen ^eil, sagte Jonns, sich zu Andrew wendend, kommt mirs ge¬ rade nicht wahrscheinlich vor, als ob es viel nütze» würde, wenn eins über ein Maisfeld jammernd Zeter schriee, wenn der Oktober schon gekommen ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/313>, abgerufen am 26.06.2024.