Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Glossen eines Deutschen im Auslande.

Im Auslande verfolgt man diesen Entwicklungsgang mit großem Interesse,
so wenig klar auch den meisten das Verhältnis zwischen preußischem Landtage
und deutschem Reichstage ist. Wer billig sein will, kann übrigens auch kaum
verlangen, daß Ausländer sich so in die verwickelten staatsrechtlichen Fragen
Deutschlands hineinarbeiten, wie in die gewöhnlich einfacheren der Heimat, und
die deutsche Presse hätte mehr als einen Grund, den wohlfeilen Spott über
Schnitzer, die sich ihre fremden Kollegen zu Schulden kommen lassen, zu unter¬
drücken. Lase man auswärts so viel deutsche Zeitungen wie in Deutschland
fremde, so würde dort ebenfalls oft genug mit kuriosen Proben deutscher Ge¬
lehrsamkeit in politischen, historischen und geographischen Dingen aufgewartet
werden können. Vor allem aber begegnet man bei Politikern im Auslande
häufig einer viel gesunderen, vorurteilsfreieren Auffassung der innern Politik
Bismnrcks in ihrem Zusammenhange mit der auswärtigen, als bei nur zu vielen
Deutschen. Das Wort quorvlbz ä'^llviriimä lebt wieder ans, nur daß die Herren,
die es zu neuen Ehren bringen, nicht in Regensburg beisammensitzen und keine
Stnntsperrücken tragen. Und endlich besitzt leine Nation in dem Grade wie
die deutsche die Leidenschaft, die häuslichen Zerwürfnisse außer dem Hause breit
z" treten. Eine uumünuliche Neigung, denn Frauen pflegen, wenn sie sich ver¬
nachlässigt glnubeu, ihr Leid einer Freundin -- oder einem Freunde anzuver¬
trauen, während der Mann verschwiegen trägt, was ihn drückt. Erst vor kurzem
war ich Zeuge, wie ein Süddeutscher vor einem Kreise von Ausländern fein
Pensum aus irgendeiner "Volkszeitung" hersagte; sie seien ein andrer Stamm
als die Norddeutschen, bei einem Angriff von außen würden sie stets zusammen¬
suchen, aber in allem übrigen wollten sie nichts mit einander gemein haben.
Das Lächeln, welches seine Rede auf den meisten Gesichtern hervorrief, schien
er nicht zu verstehen, vielleicht weil es in zu verschiedenen Nüancen auftrat,
von dem verächtlichen und mitleidigen bis zu dem triumphirenden und gierigen
des inknrnirten Deutschenfeindes, der immer bereit sein würde, die Rolle des
"teilnehmenden" Freundes und Liebhabers zu übernehmen. Es hat etwas
fnrchtbnr beschämendes, daß wir uns sagen müssen, ein Italiener, welcher Partei
^' much angehören möge, werde schwerlich sich und sein Vaterland vor andern
so erniedrigen, lind die Italiener dürfen doch zunächst zum Vergleiche heran¬
gezogen werden, da sie ebenfalls uoch innerhalb des Zusammenschmelzungspro-
Sesses stehen, und ihre den unsern entsprechenden Oppositionsparteien etwas mehr
Grund zur Unzufriedenheit haben.

Die Vorgänge in Preußen interessiren aber namentlich darum außerhalb
so, weil eine energische Regierung und ein sich wieder ans sich selbst besinnendes
Volk das Land vor Zustände!, bewahren, aus welchem verschiedene Völker
einen Ausweg vergeblich suchen. In Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn ist
Man mit dem Parlamentarismus in einen Hohlweg geraten und sitzt gründlich
fest; bald werdeu die Pferde vorn, bald Hütten angespannt, aber der Wagen


Glossen eines Deutschen im Auslande.

Im Auslande verfolgt man diesen Entwicklungsgang mit großem Interesse,
so wenig klar auch den meisten das Verhältnis zwischen preußischem Landtage
und deutschem Reichstage ist. Wer billig sein will, kann übrigens auch kaum
verlangen, daß Ausländer sich so in die verwickelten staatsrechtlichen Fragen
Deutschlands hineinarbeiten, wie in die gewöhnlich einfacheren der Heimat, und
die deutsche Presse hätte mehr als einen Grund, den wohlfeilen Spott über
Schnitzer, die sich ihre fremden Kollegen zu Schulden kommen lassen, zu unter¬
drücken. Lase man auswärts so viel deutsche Zeitungen wie in Deutschland
fremde, so würde dort ebenfalls oft genug mit kuriosen Proben deutscher Ge¬
lehrsamkeit in politischen, historischen und geographischen Dingen aufgewartet
werden können. Vor allem aber begegnet man bei Politikern im Auslande
häufig einer viel gesunderen, vorurteilsfreieren Auffassung der innern Politik
Bismnrcks in ihrem Zusammenhange mit der auswärtigen, als bei nur zu vielen
Deutschen. Das Wort quorvlbz ä'^llviriimä lebt wieder ans, nur daß die Herren,
die es zu neuen Ehren bringen, nicht in Regensburg beisammensitzen und keine
Stnntsperrücken tragen. Und endlich besitzt leine Nation in dem Grade wie
die deutsche die Leidenschaft, die häuslichen Zerwürfnisse außer dem Hause breit
z» treten. Eine uumünuliche Neigung, denn Frauen pflegen, wenn sie sich ver¬
nachlässigt glnubeu, ihr Leid einer Freundin — oder einem Freunde anzuver¬
trauen, während der Mann verschwiegen trägt, was ihn drückt. Erst vor kurzem
war ich Zeuge, wie ein Süddeutscher vor einem Kreise von Ausländern fein
Pensum aus irgendeiner „Volkszeitung" hersagte; sie seien ein andrer Stamm
als die Norddeutschen, bei einem Angriff von außen würden sie stets zusammen¬
suchen, aber in allem übrigen wollten sie nichts mit einander gemein haben.
Das Lächeln, welches seine Rede auf den meisten Gesichtern hervorrief, schien
er nicht zu verstehen, vielleicht weil es in zu verschiedenen Nüancen auftrat,
von dem verächtlichen und mitleidigen bis zu dem triumphirenden und gierigen
des inknrnirten Deutschenfeindes, der immer bereit sein würde, die Rolle des
"teilnehmenden" Freundes und Liebhabers zu übernehmen. Es hat etwas
fnrchtbnr beschämendes, daß wir uns sagen müssen, ein Italiener, welcher Partei
^' much angehören möge, werde schwerlich sich und sein Vaterland vor andern
so erniedrigen, lind die Italiener dürfen doch zunächst zum Vergleiche heran¬
gezogen werden, da sie ebenfalls uoch innerhalb des Zusammenschmelzungspro-
Sesses stehen, und ihre den unsern entsprechenden Oppositionsparteien etwas mehr
Grund zur Unzufriedenheit haben.

Die Vorgänge in Preußen interessiren aber namentlich darum außerhalb
so, weil eine energische Regierung und ein sich wieder ans sich selbst besinnendes
Volk das Land vor Zustände!, bewahren, aus welchem verschiedene Völker
einen Ausweg vergeblich suchen. In Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn ist
Man mit dem Parlamentarismus in einen Hohlweg geraten und sitzt gründlich
fest; bald werdeu die Pferde vorn, bald Hütten angespannt, aber der Wagen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194285"/>
          <fw type="header" place="top"> Glossen eines Deutschen im Auslande.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1089"> Im Auslande verfolgt man diesen Entwicklungsgang mit großem Interesse,<lb/>
so wenig klar auch den meisten das Verhältnis zwischen preußischem Landtage<lb/>
und deutschem Reichstage ist.  Wer billig sein will, kann übrigens auch kaum<lb/>
verlangen, daß Ausländer sich so in die verwickelten staatsrechtlichen Fragen<lb/>
Deutschlands hineinarbeiten, wie in die gewöhnlich einfacheren der Heimat, und<lb/>
die deutsche Presse hätte mehr als einen Grund, den wohlfeilen Spott über<lb/>
Schnitzer, die sich ihre fremden Kollegen zu Schulden kommen lassen, zu unter¬<lb/>
drücken.  Lase man auswärts so viel deutsche Zeitungen wie in Deutschland<lb/>
fremde, so würde dort ebenfalls oft genug mit kuriosen Proben deutscher Ge¬<lb/>
lehrsamkeit in politischen, historischen und geographischen Dingen aufgewartet<lb/>
werden können.  Vor allem aber begegnet man bei Politikern im Auslande<lb/>
häufig einer viel gesunderen, vorurteilsfreieren Auffassung der innern Politik<lb/>
Bismnrcks in ihrem Zusammenhange mit der auswärtigen, als bei nur zu vielen<lb/>
Deutschen. Das Wort quorvlbz ä'^llviriimä lebt wieder ans, nur daß die Herren,<lb/>
die es zu neuen Ehren bringen, nicht in Regensburg beisammensitzen und keine<lb/>
Stnntsperrücken tragen.  Und endlich besitzt leine Nation in dem Grade wie<lb/>
die deutsche die Leidenschaft, die häuslichen Zerwürfnisse außer dem Hause breit<lb/>
z» treten. Eine uumünuliche Neigung, denn Frauen pflegen, wenn sie sich ver¬<lb/>
nachlässigt glnubeu, ihr Leid einer Freundin &#x2014; oder einem Freunde anzuver¬<lb/>
trauen, während der Mann verschwiegen trägt, was ihn drückt. Erst vor kurzem<lb/>
war ich Zeuge, wie ein Süddeutscher vor einem Kreise von Ausländern fein<lb/>
Pensum aus irgendeiner &#x201E;Volkszeitung" hersagte; sie seien ein andrer Stamm<lb/>
als die Norddeutschen, bei einem Angriff von außen würden sie stets zusammen¬<lb/>
suchen, aber in allem übrigen wollten sie nichts mit einander gemein haben.<lb/>
Das Lächeln, welches seine Rede auf den meisten Gesichtern hervorrief, schien<lb/>
er nicht zu verstehen, vielleicht weil es in zu verschiedenen Nüancen auftrat,<lb/>
von dem verächtlichen und mitleidigen bis zu dem triumphirenden und gierigen<lb/>
des inknrnirten Deutschenfeindes, der immer bereit sein würde, die Rolle des<lb/>
"teilnehmenden" Freundes und Liebhabers zu übernehmen.  Es hat etwas<lb/>
fnrchtbnr beschämendes, daß wir uns sagen müssen, ein Italiener, welcher Partei<lb/>
^' much angehören möge, werde schwerlich sich und sein Vaterland vor andern<lb/>
so erniedrigen, lind die Italiener dürfen doch zunächst zum Vergleiche heran¬<lb/>
gezogen werden, da sie ebenfalls uoch innerhalb des Zusammenschmelzungspro-<lb/>
Sesses stehen, und ihre den unsern entsprechenden Oppositionsparteien etwas mehr<lb/>
Grund zur Unzufriedenheit haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1090" next="#ID_1091"> Die Vorgänge in Preußen interessiren aber namentlich darum außerhalb<lb/>
so, weil eine energische Regierung und ein sich wieder ans sich selbst besinnendes<lb/>
Volk das Land vor Zustände!, bewahren, aus welchem verschiedene Völker<lb/>
einen Ausweg vergeblich suchen. In Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn ist<lb/>
Man mit dem Parlamentarismus in einen Hohlweg geraten und sitzt gründlich<lb/>
fest; bald werdeu die Pferde vorn, bald Hütten angespannt, aber der Wagen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Glossen eines Deutschen im Auslande. Im Auslande verfolgt man diesen Entwicklungsgang mit großem Interesse, so wenig klar auch den meisten das Verhältnis zwischen preußischem Landtage und deutschem Reichstage ist. Wer billig sein will, kann übrigens auch kaum verlangen, daß Ausländer sich so in die verwickelten staatsrechtlichen Fragen Deutschlands hineinarbeiten, wie in die gewöhnlich einfacheren der Heimat, und die deutsche Presse hätte mehr als einen Grund, den wohlfeilen Spott über Schnitzer, die sich ihre fremden Kollegen zu Schulden kommen lassen, zu unter¬ drücken. Lase man auswärts so viel deutsche Zeitungen wie in Deutschland fremde, so würde dort ebenfalls oft genug mit kuriosen Proben deutscher Ge¬ lehrsamkeit in politischen, historischen und geographischen Dingen aufgewartet werden können. Vor allem aber begegnet man bei Politikern im Auslande häufig einer viel gesunderen, vorurteilsfreieren Auffassung der innern Politik Bismnrcks in ihrem Zusammenhange mit der auswärtigen, als bei nur zu vielen Deutschen. Das Wort quorvlbz ä'^llviriimä lebt wieder ans, nur daß die Herren, die es zu neuen Ehren bringen, nicht in Regensburg beisammensitzen und keine Stnntsperrücken tragen. Und endlich besitzt leine Nation in dem Grade wie die deutsche die Leidenschaft, die häuslichen Zerwürfnisse außer dem Hause breit z» treten. Eine uumünuliche Neigung, denn Frauen pflegen, wenn sie sich ver¬ nachlässigt glnubeu, ihr Leid einer Freundin — oder einem Freunde anzuver¬ trauen, während der Mann verschwiegen trägt, was ihn drückt. Erst vor kurzem war ich Zeuge, wie ein Süddeutscher vor einem Kreise von Ausländern fein Pensum aus irgendeiner „Volkszeitung" hersagte; sie seien ein andrer Stamm als die Norddeutschen, bei einem Angriff von außen würden sie stets zusammen¬ suchen, aber in allem übrigen wollten sie nichts mit einander gemein haben. Das Lächeln, welches seine Rede auf den meisten Gesichtern hervorrief, schien er nicht zu verstehen, vielleicht weil es in zu verschiedenen Nüancen auftrat, von dem verächtlichen und mitleidigen bis zu dem triumphirenden und gierigen des inknrnirten Deutschenfeindes, der immer bereit sein würde, die Rolle des "teilnehmenden" Freundes und Liebhabers zu übernehmen. Es hat etwas fnrchtbnr beschämendes, daß wir uns sagen müssen, ein Italiener, welcher Partei ^' much angehören möge, werde schwerlich sich und sein Vaterland vor andern so erniedrigen, lind die Italiener dürfen doch zunächst zum Vergleiche heran¬ gezogen werden, da sie ebenfalls uoch innerhalb des Zusammenschmelzungspro- Sesses stehen, und ihre den unsern entsprechenden Oppositionsparteien etwas mehr Grund zur Unzufriedenheit haben. Die Vorgänge in Preußen interessiren aber namentlich darum außerhalb so, weil eine energische Regierung und ein sich wieder ans sich selbst besinnendes Volk das Land vor Zustände!, bewahren, aus welchem verschiedene Völker einen Ausweg vergeblich suchen. In Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn ist Man mit dem Parlamentarismus in einen Hohlweg geraten und sitzt gründlich fest; bald werdeu die Pferde vorn, bald Hütten angespannt, aber der Wagen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/307>, abgerufen am 26.06.2024.