Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Dichtungen.

Er jagte Schrecken ein und nährte Hoffen
Nach Maß des Wertes in der Opferhand.
Sein Hans stand jeder guten Gabe offen,
Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand.

Auch "Der bekehrte Töpfer," in morgenlünoisches Gewand gehüllt, ist vor¬
trefflich.

Die Sprüche sind nicht alle von gleichem feste" Kern und gleich glänzender
Gewandtheit des Ausdrucks; solche wie die folgenden aber sind gewiß zu Bvden-
stedts besten zu rechnen:


Der Frühling löst des Winters Starrheit
In jedem Jahr,
Und nur der Menschheit eisige Narrheit
Bleibt wie sie war.

Ja Freund, es geht wnnoerlich zu auf Erden,
Erst im Tode finden wir Und auf Erden;
Längst weiß das jeder, doch macht sich keiner
So wichtig damit wie du auf Erden!

Der Schlußsprnch, den alle Dichter der Gegenwart sich können zugerufen sein
lassen, lautet:


Gedanken schön und anmutreich,
sind holden, klugen Mädchen gleich:
Man kann sie kleiden mannichfalt,
Zu heben ihre Wohlgestalt,
Doch daß der Schmuck den Zweck erfülle,
Muß reizvoll sei" Entfalten sein,
Und der Gedanken neue Hülle
Noch schöner als die alten sein!

Mit ähnlichen zwiespältigen Empfindungen wie dieser neuesten Gabe von
Bvdenstedts Muse steht man einem romantischen Gedicht von Johann von
Wildenradt gegenüber: Der letzte Wendenkönig (Leipzig, Liebeskind,
1882). Der Verfasser hat seiner Dichtung folgende Sätze aus einer Abhandlung
R. Gösches als Einleitung vorausgeschickt: "Die wendischen Könige nahmen in
ihren Stämmen niemals eine durch große Machtfülle oder glänzende Pracht
ausgezeichnete Stelle ein: wo sie überhaupt bestanden, waren sie der natürliche
Kopf zu einem Organismus, der Fleisch und Blut war ganz wie dieser und
um nichts schlechter. Sie verschwinden für das Auge der Geschichtschreiber und
in dem Gemeindeleben der verschiedenen Stämme so vollständig, daß man frei¬
staatliche Verfassungen vor sich zu haben meint. Als die christlichen Deutschen
Sieger blieben, war es für die unterjochten Wenden leicht möglich, unter einer
nur etwas verhüllten Form das nationale Königtum in das neue, ländliche Ge¬
meindeleben mit hinüberzunehmen. . . . Einmal erscheint vor dem Erlöschen des
wendischen Fürstentums einer seiner Träger halbkenntlich: in den bewegten Zeiten


Neue Dichtungen.

Er jagte Schrecken ein und nährte Hoffen
Nach Maß des Wertes in der Opferhand.
Sein Hans stand jeder guten Gabe offen,
Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand.

Auch „Der bekehrte Töpfer," in morgenlünoisches Gewand gehüllt, ist vor¬
trefflich.

Die Sprüche sind nicht alle von gleichem feste» Kern und gleich glänzender
Gewandtheit des Ausdrucks; solche wie die folgenden aber sind gewiß zu Bvden-
stedts besten zu rechnen:


Der Frühling löst des Winters Starrheit
In jedem Jahr,
Und nur der Menschheit eisige Narrheit
Bleibt wie sie war.

Ja Freund, es geht wnnoerlich zu auf Erden,
Erst im Tode finden wir Und auf Erden;
Längst weiß das jeder, doch macht sich keiner
So wichtig damit wie du auf Erden!

Der Schlußsprnch, den alle Dichter der Gegenwart sich können zugerufen sein
lassen, lautet:


Gedanken schön und anmutreich,
sind holden, klugen Mädchen gleich:
Man kann sie kleiden mannichfalt,
Zu heben ihre Wohlgestalt,
Doch daß der Schmuck den Zweck erfülle,
Muß reizvoll sei« Entfalten sein,
Und der Gedanken neue Hülle
Noch schöner als die alten sein!

Mit ähnlichen zwiespältigen Empfindungen wie dieser neuesten Gabe von
Bvdenstedts Muse steht man einem romantischen Gedicht von Johann von
Wildenradt gegenüber: Der letzte Wendenkönig (Leipzig, Liebeskind,
1882). Der Verfasser hat seiner Dichtung folgende Sätze aus einer Abhandlung
R. Gösches als Einleitung vorausgeschickt: „Die wendischen Könige nahmen in
ihren Stämmen niemals eine durch große Machtfülle oder glänzende Pracht
ausgezeichnete Stelle ein: wo sie überhaupt bestanden, waren sie der natürliche
Kopf zu einem Organismus, der Fleisch und Blut war ganz wie dieser und
um nichts schlechter. Sie verschwinden für das Auge der Geschichtschreiber und
in dem Gemeindeleben der verschiedenen Stämme so vollständig, daß man frei¬
staatliche Verfassungen vor sich zu haben meint. Als die christlichen Deutschen
Sieger blieben, war es für die unterjochten Wenden leicht möglich, unter einer
nur etwas verhüllten Form das nationale Königtum in das neue, ländliche Ge¬
meindeleben mit hinüberzunehmen. . . . Einmal erscheint vor dem Erlöschen des
wendischen Fürstentums einer seiner Träger halbkenntlich: in den bewegten Zeiten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194278"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Dichtungen.</fw><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_15" type="poem">
              <l> Er jagte Schrecken ein und nährte Hoffen<lb/>
Nach Maß des Wertes in der Opferhand.<lb/>
Sein Hans stand jeder guten Gabe offen,<lb/>
Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1066" prev="#ID_1065"> Auch &#x201E;Der bekehrte Töpfer," in morgenlünoisches Gewand gehüllt, ist vor¬<lb/>
trefflich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1067" next="#ID_1068"> Die Sprüche sind nicht alle von gleichem feste» Kern und gleich glänzender<lb/>
Gewandtheit des Ausdrucks; solche wie die folgenden aber sind gewiß zu Bvden-<lb/>
stedts besten zu rechnen:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_16" type="poem">
              <l> Der Frühling löst des Winters Starrheit<lb/>
In jedem Jahr,<lb/>
Und nur der Menschheit eisige Narrheit<lb/>
Bleibt wie sie war.</l>
            </lg>
          </quote>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <l> Ja Freund, es geht wnnoerlich zu auf Erden,<lb/>
Erst im Tode finden wir Und auf Erden;<lb/>
Längst weiß das jeder, doch macht sich keiner<lb/>
So wichtig damit wie du auf Erden!</l><lb/>
          <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> Der Schlußsprnch, den alle Dichter der Gegenwart sich können zugerufen sein<lb/>
lassen, lautet:</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_17" type="poem">
              <l> Gedanken schön und anmutreich,<lb/>
sind holden, klugen Mädchen gleich:<lb/>
Man kann sie kleiden mannichfalt,<lb/>
Zu heben ihre Wohlgestalt,<lb/>
Doch daß der Schmuck den Zweck erfülle,<lb/>
Muß reizvoll sei« Entfalten sein,<lb/>
Und der Gedanken neue Hülle<lb/>
Noch schöner als die alten sein!</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1069" next="#ID_1070"> Mit ähnlichen zwiespältigen Empfindungen wie dieser neuesten Gabe von<lb/>
Bvdenstedts Muse steht man einem romantischen Gedicht von Johann von<lb/>
Wildenradt gegenüber: Der letzte Wendenkönig (Leipzig, Liebeskind,<lb/>
1882). Der Verfasser hat seiner Dichtung folgende Sätze aus einer Abhandlung<lb/>
R. Gösches als Einleitung vorausgeschickt: &#x201E;Die wendischen Könige nahmen in<lb/>
ihren Stämmen niemals eine durch große Machtfülle oder glänzende Pracht<lb/>
ausgezeichnete Stelle ein: wo sie überhaupt bestanden, waren sie der natürliche<lb/>
Kopf zu einem Organismus, der Fleisch und Blut war ganz wie dieser und<lb/>
um nichts schlechter. Sie verschwinden für das Auge der Geschichtschreiber und<lb/>
in dem Gemeindeleben der verschiedenen Stämme so vollständig, daß man frei¬<lb/>
staatliche Verfassungen vor sich zu haben meint. Als die christlichen Deutschen<lb/>
Sieger blieben, war es für die unterjochten Wenden leicht möglich, unter einer<lb/>
nur etwas verhüllten Form das nationale Königtum in das neue, ländliche Ge¬<lb/>
meindeleben mit hinüberzunehmen. . . . Einmal erscheint vor dem Erlöschen des<lb/>
wendischen Fürstentums einer seiner Träger halbkenntlich: in den bewegten Zeiten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] Neue Dichtungen. Er jagte Schrecken ein und nährte Hoffen Nach Maß des Wertes in der Opferhand. Sein Hans stand jeder guten Gabe offen, Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand. Auch „Der bekehrte Töpfer," in morgenlünoisches Gewand gehüllt, ist vor¬ trefflich. Die Sprüche sind nicht alle von gleichem feste» Kern und gleich glänzender Gewandtheit des Ausdrucks; solche wie die folgenden aber sind gewiß zu Bvden- stedts besten zu rechnen: Der Frühling löst des Winters Starrheit In jedem Jahr, Und nur der Menschheit eisige Narrheit Bleibt wie sie war. Ja Freund, es geht wnnoerlich zu auf Erden, Erst im Tode finden wir Und auf Erden; Längst weiß das jeder, doch macht sich keiner So wichtig damit wie du auf Erden! Der Schlußsprnch, den alle Dichter der Gegenwart sich können zugerufen sein lassen, lautet: Gedanken schön und anmutreich, sind holden, klugen Mädchen gleich: Man kann sie kleiden mannichfalt, Zu heben ihre Wohlgestalt, Doch daß der Schmuck den Zweck erfülle, Muß reizvoll sei« Entfalten sein, Und der Gedanken neue Hülle Noch schöner als die alten sein! Mit ähnlichen zwiespältigen Empfindungen wie dieser neuesten Gabe von Bvdenstedts Muse steht man einem romantischen Gedicht von Johann von Wildenradt gegenüber: Der letzte Wendenkönig (Leipzig, Liebeskind, 1882). Der Verfasser hat seiner Dichtung folgende Sätze aus einer Abhandlung R. Gösches als Einleitung vorausgeschickt: „Die wendischen Könige nahmen in ihren Stämmen niemals eine durch große Machtfülle oder glänzende Pracht ausgezeichnete Stelle ein: wo sie überhaupt bestanden, waren sie der natürliche Kopf zu einem Organismus, der Fleisch und Blut war ganz wie dieser und um nichts schlechter. Sie verschwinden für das Auge der Geschichtschreiber und in dem Gemeindeleben der verschiedenen Stämme so vollständig, daß man frei¬ staatliche Verfassungen vor sich zu haben meint. Als die christlichen Deutschen Sieger blieben, war es für die unterjochten Wenden leicht möglich, unter einer nur etwas verhüllten Form das nationale Königtum in das neue, ländliche Ge¬ meindeleben mit hinüberzunehmen. . . . Einmal erscheint vor dem Erlöschen des wendischen Fürstentums einer seiner Träger halbkenntlich: in den bewegten Zeiten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/300>, abgerufen am 29.06.2024.