Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.Neue Dichtungen.
Wem wirklich so zu Mute ist, der ist wenig zum Tendenzdichter für die ameri¬ Mit Vorliebe wendet sich Bodenstedt zum heimatlichen Lande, und wir
Neue Dichtungen.
Wem wirklich so zu Mute ist, der ist wenig zum Tendenzdichter für die ameri¬ Mit Vorliebe wendet sich Bodenstedt zum heimatlichen Lande, und wir
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194277"/> <fw type="header" place="top"> Neue Dichtungen.</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_13" type="poem"> <l> Hier kommt keine junge Schäferin<lb/> Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,<lb/> Dich an ihr Herz zu drücken;<lb/> Doch da ich fremd hier bin wie du,<lb/> O Veilchen, neige mir dich zu,<lb/> Mein Lied mit dir zu schmücken!</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1064" prev="#ID_1063"> Wem wirklich so zu Mute ist, der ist wenig zum Tendenzdichter für die ameri¬<lb/> kanische Herrlichkeit geeignet, wenn er dabei auch völlig gerecht gegen die Vor¬<lb/> züge der Union und völlig durchdrungen von gewissen mächtigen Erscheinungen<lb/> sein kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"> Mit Vorliebe wendet sich Bodenstedt zum heimatlichen Lande, und wir<lb/> wenden uns mit ihm dahin, oder auch nach dem ferne» Osten, in welchem er<lb/> durch sein besondres Geschick einmal heimisch geworden. Als die vorzüglichsten<lb/> Gedichte, die diesem Boden entsprungen, nennen wir die: „An eine Kerze,"<lb/> ..Verschiedne Ansichten," „Pappel und Rebe," „Eine Rheinsahrt im Herbst 1878,"<lb/> ferner aus den „Vorläufern des Mirza Schaffy" das schöne Gedicht „Die<lb/> Pilger" (nach Dschami), „Die Zeit" (nach Enweri) und „Unterschied" (nach<lb/> Dschami). Unter den erzählenden Gedichten findet sich das Prachtstück „Der<lb/> brave Gouverneur" nach dem Russischen, eine feine Satire.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_14" type="poem"> <l> Er war ein Mensch, wie man ihn wünschen mochte,<lb/> Ein Gouverneur vom guten, nlteu Schlag;<lb/> Er wußte stets, wo mau am beseelt kochte<lb/> Und wo der beste Wein im Keller lag.<lb/> Dort gerne selbst in niedrigster Gesellung<lb/> Vergaß er seine amtlich hohe Stellung.<lb/> Wie sehr er sonst auf Rang und Würde pochte:<lb/> Er warf sie weg bei üppigem Gelag;<lb/> Er war ein Mensch, wie man ihn wünschen mochte,<lb/> Ein Gouverneur vom guten, alten Schlag.</l> <l> Mit Allgen im Gesicht wie eine Ratte,<lb/> Auf breiten Schultern trug er stolz das Haupt;<lb/> Zu Haus erschien er stets als biedrer Gatte,<lb/> Doch da die Menge nicht an Tugend glaubt,<lb/> So gingen über ihn der Reden viele,<lb/> Daß manche Huldin besser ihm gefiele<lb/> Als die er angetraut im Hause hatte,<lb/> Und daß er heimlich mallcheu Kuß geraubt.<lb/> Mit Augen im Gesicht wie eine Ratte,<lb/> Auf breiten Schultern trug er stolz das Haupt.</l> <l> Sein Haus stand jeder gute» Gabe offen,<lb/> Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand,<lb/> Nur was ihm wertlos schien, macht' ihn betroffen,<lb/> Daß er leicht Worte der Entrüstung faud,<lb/> Zu zeigen, daß die Gnade unzugänglich<lb/> Für Opfer sei, so sichtbar unzulänglich.</l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Neue Dichtungen.
Hier kommt keine junge Schäferin
Mit leichtem Schritt und munterm Sinn,
Dich an ihr Herz zu drücken;
Doch da ich fremd hier bin wie du,
O Veilchen, neige mir dich zu,
Mein Lied mit dir zu schmücken!
Wem wirklich so zu Mute ist, der ist wenig zum Tendenzdichter für die ameri¬
kanische Herrlichkeit geeignet, wenn er dabei auch völlig gerecht gegen die Vor¬
züge der Union und völlig durchdrungen von gewissen mächtigen Erscheinungen
sein kann.
Mit Vorliebe wendet sich Bodenstedt zum heimatlichen Lande, und wir
wenden uns mit ihm dahin, oder auch nach dem ferne» Osten, in welchem er
durch sein besondres Geschick einmal heimisch geworden. Als die vorzüglichsten
Gedichte, die diesem Boden entsprungen, nennen wir die: „An eine Kerze,"
..Verschiedne Ansichten," „Pappel und Rebe," „Eine Rheinsahrt im Herbst 1878,"
ferner aus den „Vorläufern des Mirza Schaffy" das schöne Gedicht „Die
Pilger" (nach Dschami), „Die Zeit" (nach Enweri) und „Unterschied" (nach
Dschami). Unter den erzählenden Gedichten findet sich das Prachtstück „Der
brave Gouverneur" nach dem Russischen, eine feine Satire.
Er war ein Mensch, wie man ihn wünschen mochte,
Ein Gouverneur vom guten, nlteu Schlag;
Er wußte stets, wo mau am beseelt kochte
Und wo der beste Wein im Keller lag.
Dort gerne selbst in niedrigster Gesellung
Vergaß er seine amtlich hohe Stellung.
Wie sehr er sonst auf Rang und Würde pochte:
Er warf sie weg bei üppigem Gelag;
Er war ein Mensch, wie man ihn wünschen mochte,
Ein Gouverneur vom guten, alten Schlag. Mit Allgen im Gesicht wie eine Ratte,
Auf breiten Schultern trug er stolz das Haupt;
Zu Haus erschien er stets als biedrer Gatte,
Doch da die Menge nicht an Tugend glaubt,
So gingen über ihn der Reden viele,
Daß manche Huldin besser ihm gefiele
Als die er angetraut im Hause hatte,
Und daß er heimlich mallcheu Kuß geraubt.
Mit Augen im Gesicht wie eine Ratte,
Auf breiten Schultern trug er stolz das Haupt. Sein Haus stand jeder gute» Gabe offen,
Die ohne Aufsehn spurlos bald verschwand,
Nur was ihm wertlos schien, macht' ihn betroffen,
Daß er leicht Worte der Entrüstung faud,
Zu zeigen, daß die Gnade unzugänglich
Für Opfer sei, so sichtbar unzulänglich.
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