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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Neue Dichtungen.

hinaus. Denn im Grunde bewegen sich die amerikanischen Gedichte Bodenstedts
in Variationen über die Worte des Prologs:


Da schlagen alle Pulse schneller
In wilder Jagd nach Gold und Glück,
Da blicken alle Augen Heller
Nach vorwärts, aber keins zurück,
Da heißt es "Sterben oder Siegen!"
Und immer vorwärts geht's im Sturm,
Der Schwache bleibt am Wege liegen
Und wird getreten wie ein Wurm.
Hier treibt in rasender Geschwindheit
Das Leben seinem Ende zu,
Hier hat die Jugend keine Kindheit
Und hat das Alter keine Ruh'!

Mit dieser Erkenntnis und Empfindung ist es natürlich sehr wohl vereinbar,
daß dem Dichter die ungeheuern Verhältnisse und das rastlose Treiben im
amerikanischen Westen imponirt, daß ihm andrerseits der Empfang, den er bei
seinen amerikanischen Gastfreunden, bei den Deutschen Amerikas, gefunden, wohl¬
gethan hat. Nur läßt sich nicht sagen, daß diese Empfindungen seiner Poesie
zu Gute gekommen wären. Solche Trvmpeterstückchen wie "Das schöne Mil-
wciukee am Michigcmsee" oder "Minnehccha" sollte man bei einem Dichter seiner
Qualität niemals finden; wenn dergleichen in schwacher Stunde "gedichtet" wird,
braucht es wenigstens nicht in Bücher gebunden zu werden. Auch Gedichte wie
der "Festgruß zum großen Maisest der Deutschen Unterstützuugsgesellschaft in
San Francisco," obschon durch eine größere sprachliche Würde und einzelne
treffliche Wendungen ausgezeichnet, sind doch nur rhetorische Produkte, der Kern
echter Mitempfindung, persönlichsten Anteils, den wir bei Bodenstedt nie missen
möchten, fehlt ihnen.

Sein innerstes Empfinden auf amerikanischer Erde verrät der Dichter in
dem schönen "Veilchen am Mississippi":


Du liebste Blume deutscher Flur,
Dort blühend im Verborgnen nur,
Die Herzen zu erfreuen:
Sag', Veilchen, wer vom heim'schen Feld
Dich riß und aus der alten Welt
So weit geführt zur neuen?
Hier, Veilchen, ist sür dich kein Platz,
Bent für die Heimat nichts Ersatz,
Daraus sie dich verscheuchten;
Hier liebt man Veilcheutugend nicht:
Wer hier gedeih'n will, läßt sein Licht
Nicht im Verborgnen leuchten.

Neue Dichtungen.

hinaus. Denn im Grunde bewegen sich die amerikanischen Gedichte Bodenstedts
in Variationen über die Worte des Prologs:


Da schlagen alle Pulse schneller
In wilder Jagd nach Gold und Glück,
Da blicken alle Augen Heller
Nach vorwärts, aber keins zurück,
Da heißt es „Sterben oder Siegen!"
Und immer vorwärts geht's im Sturm,
Der Schwache bleibt am Wege liegen
Und wird getreten wie ein Wurm.
Hier treibt in rasender Geschwindheit
Das Leben seinem Ende zu,
Hier hat die Jugend keine Kindheit
Und hat das Alter keine Ruh'!

Mit dieser Erkenntnis und Empfindung ist es natürlich sehr wohl vereinbar,
daß dem Dichter die ungeheuern Verhältnisse und das rastlose Treiben im
amerikanischen Westen imponirt, daß ihm andrerseits der Empfang, den er bei
seinen amerikanischen Gastfreunden, bei den Deutschen Amerikas, gefunden, wohl¬
gethan hat. Nur läßt sich nicht sagen, daß diese Empfindungen seiner Poesie
zu Gute gekommen wären. Solche Trvmpeterstückchen wie „Das schöne Mil-
wciukee am Michigcmsee" oder „Minnehccha" sollte man bei einem Dichter seiner
Qualität niemals finden; wenn dergleichen in schwacher Stunde „gedichtet" wird,
braucht es wenigstens nicht in Bücher gebunden zu werden. Auch Gedichte wie
der „Festgruß zum großen Maisest der Deutschen Unterstützuugsgesellschaft in
San Francisco," obschon durch eine größere sprachliche Würde und einzelne
treffliche Wendungen ausgezeichnet, sind doch nur rhetorische Produkte, der Kern
echter Mitempfindung, persönlichsten Anteils, den wir bei Bodenstedt nie missen
möchten, fehlt ihnen.

Sein innerstes Empfinden auf amerikanischer Erde verrät der Dichter in
dem schönen „Veilchen am Mississippi":


Du liebste Blume deutscher Flur,
Dort blühend im Verborgnen nur,
Die Herzen zu erfreuen:
Sag', Veilchen, wer vom heim'schen Feld
Dich riß und aus der alten Welt
So weit geführt zur neuen?
Hier, Veilchen, ist sür dich kein Platz,
Bent für die Heimat nichts Ersatz,
Daraus sie dich verscheuchten;
Hier liebt man Veilcheutugend nicht:
Wer hier gedeih'n will, läßt sein Licht
Nicht im Verborgnen leuchten.

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[0298] Neue Dichtungen. hinaus. Denn im Grunde bewegen sich die amerikanischen Gedichte Bodenstedts in Variationen über die Worte des Prologs: Da schlagen alle Pulse schneller In wilder Jagd nach Gold und Glück, Da blicken alle Augen Heller Nach vorwärts, aber keins zurück, Da heißt es „Sterben oder Siegen!" Und immer vorwärts geht's im Sturm, Der Schwache bleibt am Wege liegen Und wird getreten wie ein Wurm. Hier treibt in rasender Geschwindheit Das Leben seinem Ende zu, Hier hat die Jugend keine Kindheit Und hat das Alter keine Ruh'! Mit dieser Erkenntnis und Empfindung ist es natürlich sehr wohl vereinbar, daß dem Dichter die ungeheuern Verhältnisse und das rastlose Treiben im amerikanischen Westen imponirt, daß ihm andrerseits der Empfang, den er bei seinen amerikanischen Gastfreunden, bei den Deutschen Amerikas, gefunden, wohl¬ gethan hat. Nur läßt sich nicht sagen, daß diese Empfindungen seiner Poesie zu Gute gekommen wären. Solche Trvmpeterstückchen wie „Das schöne Mil- wciukee am Michigcmsee" oder „Minnehccha" sollte man bei einem Dichter seiner Qualität niemals finden; wenn dergleichen in schwacher Stunde „gedichtet" wird, braucht es wenigstens nicht in Bücher gebunden zu werden. Auch Gedichte wie der „Festgruß zum großen Maisest der Deutschen Unterstützuugsgesellschaft in San Francisco," obschon durch eine größere sprachliche Würde und einzelne treffliche Wendungen ausgezeichnet, sind doch nur rhetorische Produkte, der Kern echter Mitempfindung, persönlichsten Anteils, den wir bei Bodenstedt nie missen möchten, fehlt ihnen. Sein innerstes Empfinden auf amerikanischer Erde verrät der Dichter in dem schönen „Veilchen am Mississippi": Du liebste Blume deutscher Flur, Dort blühend im Verborgnen nur, Die Herzen zu erfreuen: Sag', Veilchen, wer vom heim'schen Feld Dich riß und aus der alten Welt So weit geführt zur neuen? Hier, Veilchen, ist sür dich kein Platz, Bent für die Heimat nichts Ersatz, Daraus sie dich verscheuchten; Hier liebt man Veilcheutugend nicht: Wer hier gedeih'n will, läßt sein Licht Nicht im Verborgnen leuchten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/298>, abgerufen am 29.06.2024.