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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das Mädchen von Tisza-Gszlar.

Gericht irrezuleiten und den Fortschritt der Untersuchung zu hemmen. Am
gravirendsten ist die Thätigkeit der jüdischen Witwe Klein und der in unserm
ersten Aufsatz erzählte Leichenschwindel. Wenn die Juden unschuldig waren,
wozu bedürfte es da solcher Mittel, um die Unschuld darzuthun? Warum be¬
mühte mau sich, eine Leiche herbeizuschaffen, wenn man das Mädchen uicht er¬
mordet hatte? Warum verwischte mau mit der raffinirtesten Schlauheit alle
Spuren, die zur Auffindung der rechten Leiche führen konnten, wenn nicht um
zu verhüten, daß aus der Todeswunde das Motiv zu dem Verbrechen und die
Verbrecher selbst eruirt werden könnten? Da die untergeschobene Leiche die
Kleider der Esther anhatte, so ist der Zusammenhang beider Verbrechen erwiese".
Ein so scheußliches Verbrechen, wie ein Leichenrnub und eine Leichenschändung
ist, begeht nur, wer ein noch grauenhafteres damit verhüllen will. So schnüffeln
denn auch die Verteidiger mit einer auffülligen Sorgfalt um dem Gutachten der
Ärzte herum, welche die mißbrauchte Leiche als die eines 13--24jährigen Frauen¬
zimmers bezeichnen; wenn es ihnen gelänge, die Richtigkeit dieser ärztlichen Gut¬
achten umzustürzen, dann hätten sie schon gewonnen. Dieser Leichenschwindcl
ist so raffinirt in Szene gesetzt, daß das auserwählte Volk seiner Schlauheit alle
Ehre damit macht. Aber die Wahrheit wird trotzdem aus Licht kommen.

Sehr bezeichnend ist es, daß das Schlüsselloch an der Synagoge, durch
welches Moritz Scharf nach seiner Aussage die Schächtung mit angesehen hatte,
und durch welches allerdings, wie gerichtlich konstatirt ist, die Vorhalle der Sy¬
nagoge übersehen werden konnte, neuerdings verändert ist, sodaß man nicht
mehr viel durch dasselbe sehen kann. Wozu das?

Die Aussagen der beiden Knaben sucht man dadurch zu entkräften, daß
man ihr Alter herabsetzt, das des jüngern auf vier, das des ältern auf vierzehn
Jahre; auch behauptet man alberner Weise, der letztere sei schwachsinnig. Um
das Alter des ältern, Moritz Scharf, zu konstatiren, hat man die Geburtsregister
eingefordert; da sind sie - verschwunden. Wir zweifeln nicht, daß nun einige
redliche Freunde sich finden werden, die durch übereinstimmende Zeugenaussagen
das Alter des Moritz Scharf auf vierzehn Jahre feststellen.

Einen fast komischen Eindruck macht es, daß die Freunde der Mörder plötz¬
lich gefunden haben, der ihnen sehr unbequeme, weil für "Aufmerksamkeiten"
völlig unzugängliche und sehr energische Untersuchungsrichter von Barry sei
viel zu jung für diese Untersuchung; sie geben sein Alter auf 22 Jahre an,
während derselbe 28 Jahre alt und bereits seit sechs Jahren als Gerichtsbe¬
amter thätig ist. Auch ist es seltsam, daß, nachdem der jüdische Verteidiger der
Angeklagten, Dr. Heymann Lewy, sich als solcher unmöglich gemacht hatte,
die jüdische Landeskanzlei zu Budapest, welche ans die Auffindung der Leiche
der Esther Svlymosi einen Preis von 5000 Gulden ausgesetzt hatte, deu für
die Verteidigung nunmehr gewonnenen drei berühmtesten Kriminalisten Ungarns,
Dr. Eötvös, Dr. Funtak und Dr. Horanßky, wie Marczicmyi erzählt, "vor-


Das Mädchen von Tisza-Gszlar.

Gericht irrezuleiten und den Fortschritt der Untersuchung zu hemmen. Am
gravirendsten ist die Thätigkeit der jüdischen Witwe Klein und der in unserm
ersten Aufsatz erzählte Leichenschwindel. Wenn die Juden unschuldig waren,
wozu bedürfte es da solcher Mittel, um die Unschuld darzuthun? Warum be¬
mühte mau sich, eine Leiche herbeizuschaffen, wenn man das Mädchen uicht er¬
mordet hatte? Warum verwischte mau mit der raffinirtesten Schlauheit alle
Spuren, die zur Auffindung der rechten Leiche führen konnten, wenn nicht um
zu verhüten, daß aus der Todeswunde das Motiv zu dem Verbrechen und die
Verbrecher selbst eruirt werden könnten? Da die untergeschobene Leiche die
Kleider der Esther anhatte, so ist der Zusammenhang beider Verbrechen erwiese«.
Ein so scheußliches Verbrechen, wie ein Leichenrnub und eine Leichenschändung
ist, begeht nur, wer ein noch grauenhafteres damit verhüllen will. So schnüffeln
denn auch die Verteidiger mit einer auffülligen Sorgfalt um dem Gutachten der
Ärzte herum, welche die mißbrauchte Leiche als die eines 13—24jährigen Frauen¬
zimmers bezeichnen; wenn es ihnen gelänge, die Richtigkeit dieser ärztlichen Gut¬
achten umzustürzen, dann hätten sie schon gewonnen. Dieser Leichenschwindcl
ist so raffinirt in Szene gesetzt, daß das auserwählte Volk seiner Schlauheit alle
Ehre damit macht. Aber die Wahrheit wird trotzdem aus Licht kommen.

Sehr bezeichnend ist es, daß das Schlüsselloch an der Synagoge, durch
welches Moritz Scharf nach seiner Aussage die Schächtung mit angesehen hatte,
und durch welches allerdings, wie gerichtlich konstatirt ist, die Vorhalle der Sy¬
nagoge übersehen werden konnte, neuerdings verändert ist, sodaß man nicht
mehr viel durch dasselbe sehen kann. Wozu das?

Die Aussagen der beiden Knaben sucht man dadurch zu entkräften, daß
man ihr Alter herabsetzt, das des jüngern auf vier, das des ältern auf vierzehn
Jahre; auch behauptet man alberner Weise, der letztere sei schwachsinnig. Um
das Alter des ältern, Moritz Scharf, zu konstatiren, hat man die Geburtsregister
eingefordert; da sind sie - verschwunden. Wir zweifeln nicht, daß nun einige
redliche Freunde sich finden werden, die durch übereinstimmende Zeugenaussagen
das Alter des Moritz Scharf auf vierzehn Jahre feststellen.

Einen fast komischen Eindruck macht es, daß die Freunde der Mörder plötz¬
lich gefunden haben, der ihnen sehr unbequeme, weil für „Aufmerksamkeiten"
völlig unzugängliche und sehr energische Untersuchungsrichter von Barry sei
viel zu jung für diese Untersuchung; sie geben sein Alter auf 22 Jahre an,
während derselbe 28 Jahre alt und bereits seit sechs Jahren als Gerichtsbe¬
amter thätig ist. Auch ist es seltsam, daß, nachdem der jüdische Verteidiger der
Angeklagten, Dr. Heymann Lewy, sich als solcher unmöglich gemacht hatte,
die jüdische Landeskanzlei zu Budapest, welche ans die Auffindung der Leiche
der Esther Svlymosi einen Preis von 5000 Gulden ausgesetzt hatte, deu für
die Verteidigung nunmehr gewonnenen drei berühmtesten Kriminalisten Ungarns,
Dr. Eötvös, Dr. Funtak und Dr. Horanßky, wie Marczicmyi erzählt, „vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/294>, abgerufen am 29.06.2024.