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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Das Mädchen von Tisza-Lszlar.

War der vierte; der fünfte endlich sprach sich dahin aus, nach ihm früher vor¬
gelegenen Fällen (!) sei er zwar persönlich überzeugt, daß die Sekte der ortho¬
doxen Juden dem Kultus des Blutopferrituales huldige, halte aber im vor¬
liegenden Falle das Faktum des Verbrechens uicht für vollkommen erwiesen.
Die zum Tode verurteilten Juden wurden vom Reichsgerichte zu je 100 Knnten-
hieben und dreißigjähriger Deportation nach Sibirien begnadigt.

Endlich mag noch folgender Fall hier Erwähnung finden, als der einzige,
in welchem die Angeklagten gestanden, daß ihr Motiv mit dem Kultus zusammen¬
hänge. Am 19. Juni 1764 verschwand zu Orkut im Sarosfer Komitat das
zehnjährige Töchterchen des christlichen Einwohners Johann Balla, als es früh¬
morgens auf dem Felde Blumen pflückte. Nach sechs Tagen fand man seine
Leiche im benachbarten Walde, mit durchschnittenem Halse und ohne Blutgehalt.
An Brust und Lenden waren mit Messerstichen folgende Worte mit hebräischen
Schriftzeichen und in hebräischer Sprache eingegraben: "Es ist nnr ein Gott;
einer muß zu Grnnde gehen." An dem Tage, wo das Mädchen verschwand,
waren viele polnische Juden im Dorfe gesehen worden, von denen drei, weil
sie sich nach Auffindung der Leiche sehr auffällig benahmen, verhaftet wurden.
Es wurde nun durch glaubwürdige Zeugen erhärtet, daß am Abend vor dem
Morde zwei polnische Juden mit dem Mädchen gesprochen und dasselbe ver¬
anlaßt hatten, für eine jüdische Hochzeit am nächsten Tage Kornblumen herbei¬
zuschaffen. Die drei Juden gestanden den Mord als einen zu rituellen Zwecke
vorgenommenen ein und wurden im März 176S zu Eperjes mit dein Schwerte
hingerichtet. Als Grund hatten sie angegeben, daß nach altjndischer Neligions-
überlieferung das Blut christlicher Mädchen, im Notfalle auch christlicher Knaben,
sehr nützlich zu verwenden sei bei der Zeremonie des Beschneidens und bei
Frauenkrankheiten, und nach einem uralten Gebot der Großrabbincr hätten die
Juden eines bestimmten Sprengels jährlich eine christliche Jungfrnn rituell zu
Schächten und deren Blut Jehova zu opfern, der daran Wohlgefallen habe.

Die von Marezianyi angeführten Fälle sind in neuester Zeit durch eine
ganze Reihe aus der allgemeinen Geschichte vermehrt worden, die sich unter
Angabe der geschichtlichen Quellen in der in Dresden erscheinenden "Deutschen
Reform" finden (Oktober 1882). Sie liefern den Beweis, daß zu allen Zeiten
ähnliche Fülle wie der Tisza-Eszlarer vorgekommen und durchaus nicht uner-
Wiesene Ammenmärchen sind, wofür sie gewisse Zeitungen gern ausgeben möchten.
Es würde sich der Mühe lohnen, dieses ganze Material unter sorgfältigster Be¬
arbeitung der Quellen übersichtlich zusammenzustellen; jedenfalls würde dies eines
der dankenswertesten und erfolgreichsten Bücher werden.

Um zu dem Tisza-Eszlarer Falle zurückzukehren, so fällt es anf, welche
Sympathie für die Verbrecher in weiten Kreisen der Judenschaft und der jüdischen
Presse herrscht und welche Mühe man sich giebt, die Sache zu vertuschen, das


Grenzboten IV, 1382, 37
Das Mädchen von Tisza-Lszlar.

War der vierte; der fünfte endlich sprach sich dahin aus, nach ihm früher vor¬
gelegenen Fällen (!) sei er zwar persönlich überzeugt, daß die Sekte der ortho¬
doxen Juden dem Kultus des Blutopferrituales huldige, halte aber im vor¬
liegenden Falle das Faktum des Verbrechens uicht für vollkommen erwiesen.
Die zum Tode verurteilten Juden wurden vom Reichsgerichte zu je 100 Knnten-
hieben und dreißigjähriger Deportation nach Sibirien begnadigt.

Endlich mag noch folgender Fall hier Erwähnung finden, als der einzige,
in welchem die Angeklagten gestanden, daß ihr Motiv mit dem Kultus zusammen¬
hänge. Am 19. Juni 1764 verschwand zu Orkut im Sarosfer Komitat das
zehnjährige Töchterchen des christlichen Einwohners Johann Balla, als es früh¬
morgens auf dem Felde Blumen pflückte. Nach sechs Tagen fand man seine
Leiche im benachbarten Walde, mit durchschnittenem Halse und ohne Blutgehalt.
An Brust und Lenden waren mit Messerstichen folgende Worte mit hebräischen
Schriftzeichen und in hebräischer Sprache eingegraben: „Es ist nnr ein Gott;
einer muß zu Grnnde gehen." An dem Tage, wo das Mädchen verschwand,
waren viele polnische Juden im Dorfe gesehen worden, von denen drei, weil
sie sich nach Auffindung der Leiche sehr auffällig benahmen, verhaftet wurden.
Es wurde nun durch glaubwürdige Zeugen erhärtet, daß am Abend vor dem
Morde zwei polnische Juden mit dem Mädchen gesprochen und dasselbe ver¬
anlaßt hatten, für eine jüdische Hochzeit am nächsten Tage Kornblumen herbei¬
zuschaffen. Die drei Juden gestanden den Mord als einen zu rituellen Zwecke
vorgenommenen ein und wurden im März 176S zu Eperjes mit dein Schwerte
hingerichtet. Als Grund hatten sie angegeben, daß nach altjndischer Neligions-
überlieferung das Blut christlicher Mädchen, im Notfalle auch christlicher Knaben,
sehr nützlich zu verwenden sei bei der Zeremonie des Beschneidens und bei
Frauenkrankheiten, und nach einem uralten Gebot der Großrabbincr hätten die
Juden eines bestimmten Sprengels jährlich eine christliche Jungfrnn rituell zu
Schächten und deren Blut Jehova zu opfern, der daran Wohlgefallen habe.

Die von Marezianyi angeführten Fälle sind in neuester Zeit durch eine
ganze Reihe aus der allgemeinen Geschichte vermehrt worden, die sich unter
Angabe der geschichtlichen Quellen in der in Dresden erscheinenden „Deutschen
Reform" finden (Oktober 1882). Sie liefern den Beweis, daß zu allen Zeiten
ähnliche Fülle wie der Tisza-Eszlarer vorgekommen und durchaus nicht uner-
Wiesene Ammenmärchen sind, wofür sie gewisse Zeitungen gern ausgeben möchten.
Es würde sich der Mühe lohnen, dieses ganze Material unter sorgfältigster Be¬
arbeitung der Quellen übersichtlich zusammenzustellen; jedenfalls würde dies eines
der dankenswertesten und erfolgreichsten Bücher werden.

Um zu dem Tisza-Eszlarer Falle zurückzukehren, so fällt es anf, welche
Sympathie für die Verbrecher in weiten Kreisen der Judenschaft und der jüdischen
Presse herrscht und welche Mühe man sich giebt, die Sache zu vertuschen, das


Grenzboten IV, 1382, 37
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[0293] Das Mädchen von Tisza-Lszlar. War der vierte; der fünfte endlich sprach sich dahin aus, nach ihm früher vor¬ gelegenen Fällen (!) sei er zwar persönlich überzeugt, daß die Sekte der ortho¬ doxen Juden dem Kultus des Blutopferrituales huldige, halte aber im vor¬ liegenden Falle das Faktum des Verbrechens uicht für vollkommen erwiesen. Die zum Tode verurteilten Juden wurden vom Reichsgerichte zu je 100 Knnten- hieben und dreißigjähriger Deportation nach Sibirien begnadigt. Endlich mag noch folgender Fall hier Erwähnung finden, als der einzige, in welchem die Angeklagten gestanden, daß ihr Motiv mit dem Kultus zusammen¬ hänge. Am 19. Juni 1764 verschwand zu Orkut im Sarosfer Komitat das zehnjährige Töchterchen des christlichen Einwohners Johann Balla, als es früh¬ morgens auf dem Felde Blumen pflückte. Nach sechs Tagen fand man seine Leiche im benachbarten Walde, mit durchschnittenem Halse und ohne Blutgehalt. An Brust und Lenden waren mit Messerstichen folgende Worte mit hebräischen Schriftzeichen und in hebräischer Sprache eingegraben: „Es ist nnr ein Gott; einer muß zu Grnnde gehen." An dem Tage, wo das Mädchen verschwand, waren viele polnische Juden im Dorfe gesehen worden, von denen drei, weil sie sich nach Auffindung der Leiche sehr auffällig benahmen, verhaftet wurden. Es wurde nun durch glaubwürdige Zeugen erhärtet, daß am Abend vor dem Morde zwei polnische Juden mit dem Mädchen gesprochen und dasselbe ver¬ anlaßt hatten, für eine jüdische Hochzeit am nächsten Tage Kornblumen herbei¬ zuschaffen. Die drei Juden gestanden den Mord als einen zu rituellen Zwecke vorgenommenen ein und wurden im März 176S zu Eperjes mit dein Schwerte hingerichtet. Als Grund hatten sie angegeben, daß nach altjndischer Neligions- überlieferung das Blut christlicher Mädchen, im Notfalle auch christlicher Knaben, sehr nützlich zu verwenden sei bei der Zeremonie des Beschneidens und bei Frauenkrankheiten, und nach einem uralten Gebot der Großrabbincr hätten die Juden eines bestimmten Sprengels jährlich eine christliche Jungfrnn rituell zu Schächten und deren Blut Jehova zu opfern, der daran Wohlgefallen habe. Die von Marezianyi angeführten Fälle sind in neuester Zeit durch eine ganze Reihe aus der allgemeinen Geschichte vermehrt worden, die sich unter Angabe der geschichtlichen Quellen in der in Dresden erscheinenden „Deutschen Reform" finden (Oktober 1882). Sie liefern den Beweis, daß zu allen Zeiten ähnliche Fülle wie der Tisza-Eszlarer vorgekommen und durchaus nicht uner- Wiesene Ammenmärchen sind, wofür sie gewisse Zeitungen gern ausgeben möchten. Es würde sich der Mühe lohnen, dieses ganze Material unter sorgfältigster Be¬ arbeitung der Quellen übersichtlich zusammenzustellen; jedenfalls würde dies eines der dankenswertesten und erfolgreichsten Bücher werden. Um zu dem Tisza-Eszlarer Falle zurückzukehren, so fällt es anf, welche Sympathie für die Verbrecher in weiten Kreisen der Judenschaft und der jüdischen Presse herrscht und welche Mühe man sich giebt, die Sache zu vertuschen, das Grenzboten IV, 1382, 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/293>, abgerufen am 28.09.2024.