Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

es einen so heftigen Schrei ausgestoßen, daß ihre ohne Wissen der Juden in
demselben Wirtshnnse dienende Schwester Anna auf den Schrei die Thüre einstieß
und mit den jüdische" Männern mutig den Kampf aufnahm. Während dieses
Kampfes entkam ihre Schwester Barbara völlig nackt ans die Straße; es kamen
Leute herbei, welche alsbald über die drei Juden herfielen und sie halbtot
Prügelten, worauf sie dann dem Mädchen die Kleider nebst einem Geldgeschenke
zurückgaben. Ausnahmsweise wurde dies von den für das Wohl des Volkes
Israel angelegentlich interessirten Zeitungen nicht als eine "Judenhetze" in die
Welt posaunt; bei einer Anzeige bei dem königlichen Bezirksgericht in Aranyos-
Maroth aber wurden die drei Juden freigesprochen, da dieselben übereinstimmend
den Eid ablegten, sie hätten die Leibesvisitation bei dem Mädchen bloß deshalb
vorgenommen, weil dieselbe ihrem Herrn die Geldtasche gestohlen hätte, die sie
auch in den Kleidern des Mädchens vorgefunden hätten.

Es scheint geradezu eine konventionelle Ausrede zu sein, wenn die Ver¬
brecher ertappt werden, das Opfer ihres fanatischen Aberglaubens des Dieb¬
stahls zu beschuldigen. Da sie mehrere sind und unbedenklich den Eid leisten,
so ist es fast noch nie gelungen, deu Nachweis zu führen, welches Motiv sie
bei ihrem Verbrechen leitete. Kaum in Zweifel bleiben kann man aber darüber
nach dein Ereignisse, welches Julius von Orezy, Reichstagsabgeordneter ans
dem Borsoder Komitate, zu amtlicher Kenntnis brachte.

Im Jahre 1880 vor Beginn des jüdischen Osterfestes erhielt der Stuhl-
richter von Sankt Peter die Anzeige, die sechzehn Jahre alte christliche Magd
einer dortigen Jndenwitwe sei in der Küche ermordet vorgefunden worden. Er
ließ den Pandurenkommissar zu sich bitten und nahm mit demselben die Lokal-
besichtigung vor; das Mädchen lag mit dem Rücken auf dem Estrich. Der
Hals und die 5lebte war ihm vollkommen durchschnitten; auffällig aber war es,
daß sich neben der Leiche nicht die geringste Blutspur vorfand, und doch war
es undenkbar, daß aus einer so weitklaffenden Wunde kein Blut sollte heraus-
üeflvssen sein. Der herbeigerufene Arzt konstatirte, daß die Leiche absolut keinen
Vlntgehalt hatte. Neben der Leiche lag eine kurze, verrostete, stumpfe Sichel;
>nan sollte jedenfalls denken, daß das Mädchen mit dieser Sichel sich selbst das
^eben genommen habe. Allein die Beschaffenheit dieses stumpfen Werkzeuges
und der Mangel jeder Blutspur und jedes Blutgehaltes in der Leiche schloß
eine solche Annahme absolut aus. Als nun das königliche Bezirksgericht die
Untersuchung einleitete, wälzten die Jüdin, bei welcher das Mädchen in Diensten
gestanden hatte und ermordet worden war, lind der in demselben Hanse wohn¬
hafte Schächter der jüdischen Gemeide den Verdacht anfangs ans wallachische
Zigeuner, welche sich in jener Gegend herumtrieben. Als dieser Verdacht sich
als unbegründet erwies, schoben beide den Verdacht auf den Liebhaber des Mädchens.
Das Gericht verhaftete deu jungen Mann, hielt ihn ein volles Jahr in Unter¬
suchungshaft und unterwarf ihn dem peinlichsten Verhöre. Trotz alledem ver-


es einen so heftigen Schrei ausgestoßen, daß ihre ohne Wissen der Juden in
demselben Wirtshnnse dienende Schwester Anna auf den Schrei die Thüre einstieß
und mit den jüdische» Männern mutig den Kampf aufnahm. Während dieses
Kampfes entkam ihre Schwester Barbara völlig nackt ans die Straße; es kamen
Leute herbei, welche alsbald über die drei Juden herfielen und sie halbtot
Prügelten, worauf sie dann dem Mädchen die Kleider nebst einem Geldgeschenke
zurückgaben. Ausnahmsweise wurde dies von den für das Wohl des Volkes
Israel angelegentlich interessirten Zeitungen nicht als eine „Judenhetze" in die
Welt posaunt; bei einer Anzeige bei dem königlichen Bezirksgericht in Aranyos-
Maroth aber wurden die drei Juden freigesprochen, da dieselben übereinstimmend
den Eid ablegten, sie hätten die Leibesvisitation bei dem Mädchen bloß deshalb
vorgenommen, weil dieselbe ihrem Herrn die Geldtasche gestohlen hätte, die sie
auch in den Kleidern des Mädchens vorgefunden hätten.

Es scheint geradezu eine konventionelle Ausrede zu sein, wenn die Ver¬
brecher ertappt werden, das Opfer ihres fanatischen Aberglaubens des Dieb¬
stahls zu beschuldigen. Da sie mehrere sind und unbedenklich den Eid leisten,
so ist es fast noch nie gelungen, deu Nachweis zu führen, welches Motiv sie
bei ihrem Verbrechen leitete. Kaum in Zweifel bleiben kann man aber darüber
nach dein Ereignisse, welches Julius von Orezy, Reichstagsabgeordneter ans
dem Borsoder Komitate, zu amtlicher Kenntnis brachte.

Im Jahre 1880 vor Beginn des jüdischen Osterfestes erhielt der Stuhl-
richter von Sankt Peter die Anzeige, die sechzehn Jahre alte christliche Magd
einer dortigen Jndenwitwe sei in der Küche ermordet vorgefunden worden. Er
ließ den Pandurenkommissar zu sich bitten und nahm mit demselben die Lokal-
besichtigung vor; das Mädchen lag mit dem Rücken auf dem Estrich. Der
Hals und die 5lebte war ihm vollkommen durchschnitten; auffällig aber war es,
daß sich neben der Leiche nicht die geringste Blutspur vorfand, und doch war
es undenkbar, daß aus einer so weitklaffenden Wunde kein Blut sollte heraus-
üeflvssen sein. Der herbeigerufene Arzt konstatirte, daß die Leiche absolut keinen
Vlntgehalt hatte. Neben der Leiche lag eine kurze, verrostete, stumpfe Sichel;
>nan sollte jedenfalls denken, daß das Mädchen mit dieser Sichel sich selbst das
^eben genommen habe. Allein die Beschaffenheit dieses stumpfen Werkzeuges
und der Mangel jeder Blutspur und jedes Blutgehaltes in der Leiche schloß
eine solche Annahme absolut aus. Als nun das königliche Bezirksgericht die
Untersuchung einleitete, wälzten die Jüdin, bei welcher das Mädchen in Diensten
gestanden hatte und ermordet worden war, lind der in demselben Hanse wohn¬
hafte Schächter der jüdischen Gemeide den Verdacht anfangs ans wallachische
Zigeuner, welche sich in jener Gegend herumtrieben. Als dieser Verdacht sich
als unbegründet erwies, schoben beide den Verdacht auf den Liebhaber des Mädchens.
Das Gericht verhaftete deu jungen Mann, hielt ihn ein volles Jahr in Unter¬
suchungshaft und unterwarf ihn dem peinlichsten Verhöre. Trotz alledem ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0291" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194269"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1038" prev="#ID_1037"> es einen so heftigen Schrei ausgestoßen, daß ihre ohne Wissen der Juden in<lb/>
demselben Wirtshnnse dienende Schwester Anna auf den Schrei die Thüre einstieß<lb/>
und mit den jüdische» Männern mutig den Kampf aufnahm. Während dieses<lb/>
Kampfes entkam ihre Schwester Barbara völlig nackt ans die Straße; es kamen<lb/>
Leute herbei, welche alsbald über die drei Juden herfielen und sie halbtot<lb/>
Prügelten, worauf sie dann dem Mädchen die Kleider nebst einem Geldgeschenke<lb/>
zurückgaben. Ausnahmsweise wurde dies von den für das Wohl des Volkes<lb/>
Israel angelegentlich interessirten Zeitungen nicht als eine &#x201E;Judenhetze" in die<lb/>
Welt posaunt; bei einer Anzeige bei dem königlichen Bezirksgericht in Aranyos-<lb/>
Maroth aber wurden die drei Juden freigesprochen, da dieselben übereinstimmend<lb/>
den Eid ablegten, sie hätten die Leibesvisitation bei dem Mädchen bloß deshalb<lb/>
vorgenommen, weil dieselbe ihrem Herrn die Geldtasche gestohlen hätte, die sie<lb/>
auch in den Kleidern des Mädchens vorgefunden hätten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1039"> Es scheint geradezu eine konventionelle Ausrede zu sein, wenn die Ver¬<lb/>
brecher ertappt werden, das Opfer ihres fanatischen Aberglaubens des Dieb¬<lb/>
stahls zu beschuldigen. Da sie mehrere sind und unbedenklich den Eid leisten,<lb/>
so ist es fast noch nie gelungen, deu Nachweis zu führen, welches Motiv sie<lb/>
bei ihrem Verbrechen leitete. Kaum in Zweifel bleiben kann man aber darüber<lb/>
nach dein Ereignisse, welches Julius von Orezy, Reichstagsabgeordneter ans<lb/>
dem Borsoder Komitate, zu amtlicher Kenntnis brachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> Im Jahre 1880 vor Beginn des jüdischen Osterfestes erhielt der Stuhl-<lb/>
richter von Sankt Peter die Anzeige, die sechzehn Jahre alte christliche Magd<lb/>
einer dortigen Jndenwitwe sei in der Küche ermordet vorgefunden worden. Er<lb/>
ließ den Pandurenkommissar zu sich bitten und nahm mit demselben die Lokal-<lb/>
besichtigung vor; das Mädchen lag mit dem Rücken auf dem Estrich. Der<lb/>
Hals und die 5lebte war ihm vollkommen durchschnitten; auffällig aber war es,<lb/>
daß sich neben der Leiche nicht die geringste Blutspur vorfand, und doch war<lb/>
es undenkbar, daß aus einer so weitklaffenden Wunde kein Blut sollte heraus-<lb/>
üeflvssen sein. Der herbeigerufene Arzt konstatirte, daß die Leiche absolut keinen<lb/>
Vlntgehalt hatte. Neben der Leiche lag eine kurze, verrostete, stumpfe Sichel;<lb/>
&gt;nan sollte jedenfalls denken, daß das Mädchen mit dieser Sichel sich selbst das<lb/>
^eben genommen habe. Allein die Beschaffenheit dieses stumpfen Werkzeuges<lb/>
und der Mangel jeder Blutspur und jedes Blutgehaltes in der Leiche schloß<lb/>
eine solche Annahme absolut aus. Als nun das königliche Bezirksgericht die<lb/>
Untersuchung einleitete, wälzten die Jüdin, bei welcher das Mädchen in Diensten<lb/>
gestanden hatte und ermordet worden war, lind der in demselben Hanse wohn¬<lb/>
hafte Schächter der jüdischen Gemeide den Verdacht anfangs ans wallachische<lb/>
Zigeuner, welche sich in jener Gegend herumtrieben. Als dieser Verdacht sich<lb/>
als unbegründet erwies, schoben beide den Verdacht auf den Liebhaber des Mädchens.<lb/>
Das Gericht verhaftete deu jungen Mann, hielt ihn ein volles Jahr in Unter¬<lb/>
suchungshaft und unterwarf ihn dem peinlichsten Verhöre.  Trotz alledem ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0291] es einen so heftigen Schrei ausgestoßen, daß ihre ohne Wissen der Juden in demselben Wirtshnnse dienende Schwester Anna auf den Schrei die Thüre einstieß und mit den jüdische» Männern mutig den Kampf aufnahm. Während dieses Kampfes entkam ihre Schwester Barbara völlig nackt ans die Straße; es kamen Leute herbei, welche alsbald über die drei Juden herfielen und sie halbtot Prügelten, worauf sie dann dem Mädchen die Kleider nebst einem Geldgeschenke zurückgaben. Ausnahmsweise wurde dies von den für das Wohl des Volkes Israel angelegentlich interessirten Zeitungen nicht als eine „Judenhetze" in die Welt posaunt; bei einer Anzeige bei dem königlichen Bezirksgericht in Aranyos- Maroth aber wurden die drei Juden freigesprochen, da dieselben übereinstimmend den Eid ablegten, sie hätten die Leibesvisitation bei dem Mädchen bloß deshalb vorgenommen, weil dieselbe ihrem Herrn die Geldtasche gestohlen hätte, die sie auch in den Kleidern des Mädchens vorgefunden hätten. Es scheint geradezu eine konventionelle Ausrede zu sein, wenn die Ver¬ brecher ertappt werden, das Opfer ihres fanatischen Aberglaubens des Dieb¬ stahls zu beschuldigen. Da sie mehrere sind und unbedenklich den Eid leisten, so ist es fast noch nie gelungen, deu Nachweis zu führen, welches Motiv sie bei ihrem Verbrechen leitete. Kaum in Zweifel bleiben kann man aber darüber nach dein Ereignisse, welches Julius von Orezy, Reichstagsabgeordneter ans dem Borsoder Komitate, zu amtlicher Kenntnis brachte. Im Jahre 1880 vor Beginn des jüdischen Osterfestes erhielt der Stuhl- richter von Sankt Peter die Anzeige, die sechzehn Jahre alte christliche Magd einer dortigen Jndenwitwe sei in der Küche ermordet vorgefunden worden. Er ließ den Pandurenkommissar zu sich bitten und nahm mit demselben die Lokal- besichtigung vor; das Mädchen lag mit dem Rücken auf dem Estrich. Der Hals und die 5lebte war ihm vollkommen durchschnitten; auffällig aber war es, daß sich neben der Leiche nicht die geringste Blutspur vorfand, und doch war es undenkbar, daß aus einer so weitklaffenden Wunde kein Blut sollte heraus- üeflvssen sein. Der herbeigerufene Arzt konstatirte, daß die Leiche absolut keinen Vlntgehalt hatte. Neben der Leiche lag eine kurze, verrostete, stumpfe Sichel; >nan sollte jedenfalls denken, daß das Mädchen mit dieser Sichel sich selbst das ^eben genommen habe. Allein die Beschaffenheit dieses stumpfen Werkzeuges und der Mangel jeder Blutspur und jedes Blutgehaltes in der Leiche schloß eine solche Annahme absolut aus. Als nun das königliche Bezirksgericht die Untersuchung einleitete, wälzten die Jüdin, bei welcher das Mädchen in Diensten gestanden hatte und ermordet worden war, lind der in demselben Hanse wohn¬ hafte Schächter der jüdischen Gemeide den Verdacht anfangs ans wallachische Zigeuner, welche sich in jener Gegend herumtrieben. Als dieser Verdacht sich als unbegründet erwies, schoben beide den Verdacht auf den Liebhaber des Mädchens. Das Gericht verhaftete deu jungen Mann, hielt ihn ein volles Jahr in Unter¬ suchungshaft und unterwarf ihn dem peinlichsten Verhöre. Trotz alledem ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/291
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/291>, abgerufen am 28.09.2024.