Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußen nach dein Basler Frieden.

bedrohten Neutralität zu verbunden. Sachsen lehnte ab, Kurköln zeigte sich mi߬
trauisch, Hannover wurde nach einigem Widerstreben gewonnen, einige kleinere
Staaten schlössen sich an, und Preußen zog bei Minden Truppen zusammen.
Diese entschlossene Haltung Preußens verfehlte ihre Wirkung umsoweniger, als
man in Paris von der Agitation für den Wiedereintritt Preußens in die Koa¬
lition unterrichtet war und Caillard wiederholt empfohlen hatte, auf die preu¬
ßischen Wünsche einzugehen. Die französische Regierung entschloß sich dazu,
gedachte aber damit ein festeres Heranziehen Preußens an ihr eignes System
zu verbinden: sie schlug zwei Verträge vor, deren erster die Anerkennung der
Neutralität Norddeutschlands und deren zweiter die Abtretung des linken Rhein-
ufers gegen Entschädigung sür Preußen festsetzen sollte. Der letztere begegnete
in Berlin anfänglich lebhaftem Widerspruch, aber im Hinblick ans die Siege
Frankreichs in Italien, wo Sardinien einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte
und Österreich diesem Beispiele folgen konnte, und auf die Gefahr, daß der
Kampf daun Norddentschlnnd allein ergreifen würde, kam man sich allmählich
näher, und um 16. Juli 1796 wurden beide Verträge abgeschlossen. Frankreich
erkannte die Neutralität Norddeutschlands an, Preuße" verzichtete auf alleu
Widerstand gegen die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und
empfing dafür das Versprechen, mit Münster und Recklinghanscn dafür entschädigt
zu werden. Diese Verträge bezeichnen den höchsten Grad von Einverständnis,
zu dem beide Staaten seit den Tagen vor dem siebenjährigen Kriege je gelangt
sind. Preußen hatte, über den Basler Frieden hinausgehend, die Abtretung des
linksrheinischen Deutschlands genehmigt, aber entschieden an der Unverletzlichkeit
der Neutralität Norddeutschlands festgehalten, weil diese ein preußisches Interesse
einschloß. Preußen, so schien es, blieb Preußen, auch wenn Deutschland links
vom Rheine mit der französischen Republik vereinigt wurde, aber seine staatliche
Existenz wurde in Frage gestellt, wenn die von seinem Gebiete umschlossenen
deutscheu Staaten von den Franzosen besetzt oder auch uur seinem Einflüsse
politisch entzogen wurden. Hielten beide Teile an den in den Verträgen vom
Juli 1796 niedergelegten Anschauungen ehrlich fest, so war ein friedliches Neben¬
einanderbestehen derselben uicht unmöglich. Preußen hätte an dem Abkommen,
das ihm reichliche Entschädigung nud eine Hegemonie über Norddeutschland ver¬
sprach, gewiß nicht sobald gerüttelt, und so hing alles davon ab, wie Frankreich
sich in die seiner Eroberungslust durch deu Vertrag gezognen Grenzen fand.

Tendenz der französischen Politik bei der Neugestaltung der deutschen Ver¬
hältnisse war es, Preußen und Osterreich soweit wie möglich von der franzö¬
sischen Grenze fernzuhalten. Bei den Verhandlungen über die erwähnten Ver¬
trüge hatte man von feiten Frankreichs vorausgesetzt, Preußen werde Münster
einst gegen Mecklenburg eintauschen, und wenn eine dcchinzielende Bestimmung
in den betreffenden Vertrag nicht aufgenommen wurde, weil sie dessen Abschluß
verzögert Hütte, so kam man uach demselben darauf zurück, und Caillard de-


Preußen nach dein Basler Frieden.

bedrohten Neutralität zu verbunden. Sachsen lehnte ab, Kurköln zeigte sich mi߬
trauisch, Hannover wurde nach einigem Widerstreben gewonnen, einige kleinere
Staaten schlössen sich an, und Preußen zog bei Minden Truppen zusammen.
Diese entschlossene Haltung Preußens verfehlte ihre Wirkung umsoweniger, als
man in Paris von der Agitation für den Wiedereintritt Preußens in die Koa¬
lition unterrichtet war und Caillard wiederholt empfohlen hatte, auf die preu¬
ßischen Wünsche einzugehen. Die französische Regierung entschloß sich dazu,
gedachte aber damit ein festeres Heranziehen Preußens an ihr eignes System
zu verbinden: sie schlug zwei Verträge vor, deren erster die Anerkennung der
Neutralität Norddeutschlands und deren zweiter die Abtretung des linken Rhein-
ufers gegen Entschädigung sür Preußen festsetzen sollte. Der letztere begegnete
in Berlin anfänglich lebhaftem Widerspruch, aber im Hinblick ans die Siege
Frankreichs in Italien, wo Sardinien einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte
und Österreich diesem Beispiele folgen konnte, und auf die Gefahr, daß der
Kampf daun Norddentschlnnd allein ergreifen würde, kam man sich allmählich
näher, und um 16. Juli 1796 wurden beide Verträge abgeschlossen. Frankreich
erkannte die Neutralität Norddeutschlands an, Preuße« verzichtete auf alleu
Widerstand gegen die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und
empfing dafür das Versprechen, mit Münster und Recklinghanscn dafür entschädigt
zu werden. Diese Verträge bezeichnen den höchsten Grad von Einverständnis,
zu dem beide Staaten seit den Tagen vor dem siebenjährigen Kriege je gelangt
sind. Preußen hatte, über den Basler Frieden hinausgehend, die Abtretung des
linksrheinischen Deutschlands genehmigt, aber entschieden an der Unverletzlichkeit
der Neutralität Norddeutschlands festgehalten, weil diese ein preußisches Interesse
einschloß. Preußen, so schien es, blieb Preußen, auch wenn Deutschland links
vom Rheine mit der französischen Republik vereinigt wurde, aber seine staatliche
Existenz wurde in Frage gestellt, wenn die von seinem Gebiete umschlossenen
deutscheu Staaten von den Franzosen besetzt oder auch uur seinem Einflüsse
politisch entzogen wurden. Hielten beide Teile an den in den Verträgen vom
Juli 1796 niedergelegten Anschauungen ehrlich fest, so war ein friedliches Neben¬
einanderbestehen derselben uicht unmöglich. Preußen hätte an dem Abkommen,
das ihm reichliche Entschädigung nud eine Hegemonie über Norddeutschland ver¬
sprach, gewiß nicht sobald gerüttelt, und so hing alles davon ab, wie Frankreich
sich in die seiner Eroberungslust durch deu Vertrag gezognen Grenzen fand.

Tendenz der französischen Politik bei der Neugestaltung der deutschen Ver¬
hältnisse war es, Preußen und Osterreich soweit wie möglich von der franzö¬
sischen Grenze fernzuhalten. Bei den Verhandlungen über die erwähnten Ver¬
trüge hatte man von feiten Frankreichs vorausgesetzt, Preußen werde Münster
einst gegen Mecklenburg eintauschen, und wenn eine dcchinzielende Bestimmung
in den betreffenden Vertrag nicht aufgenommen wurde, weil sie dessen Abschluß
verzögert Hütte, so kam man uach demselben darauf zurück, und Caillard de-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194254"/>
          <fw type="header" place="top"> Preußen nach dein Basler Frieden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_997" prev="#ID_996"> bedrohten Neutralität zu verbunden. Sachsen lehnte ab, Kurköln zeigte sich mi߬<lb/>
trauisch, Hannover wurde nach einigem Widerstreben gewonnen, einige kleinere<lb/>
Staaten schlössen sich an, und Preußen zog bei Minden Truppen zusammen.<lb/>
Diese entschlossene Haltung Preußens verfehlte ihre Wirkung umsoweniger, als<lb/>
man in Paris von der Agitation für den Wiedereintritt Preußens in die Koa¬<lb/>
lition unterrichtet war und Caillard wiederholt empfohlen hatte, auf die preu¬<lb/>
ßischen Wünsche einzugehen. Die französische Regierung entschloß sich dazu,<lb/>
gedachte aber damit ein festeres Heranziehen Preußens an ihr eignes System<lb/>
zu verbinden: sie schlug zwei Verträge vor, deren erster die Anerkennung der<lb/>
Neutralität Norddeutschlands und deren zweiter die Abtretung des linken Rhein-<lb/>
ufers gegen Entschädigung sür Preußen festsetzen sollte. Der letztere begegnete<lb/>
in Berlin anfänglich lebhaftem Widerspruch, aber im Hinblick ans die Siege<lb/>
Frankreichs in Italien, wo Sardinien einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte<lb/>
und Österreich diesem Beispiele folgen konnte, und auf die Gefahr, daß der<lb/>
Kampf daun Norddentschlnnd allein ergreifen würde, kam man sich allmählich<lb/>
näher, und um 16. Juli 1796 wurden beide Verträge abgeschlossen. Frankreich<lb/>
erkannte die Neutralität Norddeutschlands an, Preuße« verzichtete auf alleu<lb/>
Widerstand gegen die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und<lb/>
empfing dafür das Versprechen, mit Münster und Recklinghanscn dafür entschädigt<lb/>
zu werden. Diese Verträge bezeichnen den höchsten Grad von Einverständnis,<lb/>
zu dem beide Staaten seit den Tagen vor dem siebenjährigen Kriege je gelangt<lb/>
sind. Preußen hatte, über den Basler Frieden hinausgehend, die Abtretung des<lb/>
linksrheinischen Deutschlands genehmigt, aber entschieden an der Unverletzlichkeit<lb/>
der Neutralität Norddeutschlands festgehalten, weil diese ein preußisches Interesse<lb/>
einschloß. Preußen, so schien es, blieb Preußen, auch wenn Deutschland links<lb/>
vom Rheine mit der französischen Republik vereinigt wurde, aber seine staatliche<lb/>
Existenz wurde in Frage gestellt, wenn die von seinem Gebiete umschlossenen<lb/>
deutscheu Staaten von den Franzosen besetzt oder auch uur seinem Einflüsse<lb/>
politisch entzogen wurden. Hielten beide Teile an den in den Verträgen vom<lb/>
Juli 1796 niedergelegten Anschauungen ehrlich fest, so war ein friedliches Neben¬<lb/>
einanderbestehen derselben uicht unmöglich. Preußen hätte an dem Abkommen,<lb/>
das ihm reichliche Entschädigung nud eine Hegemonie über Norddeutschland ver¬<lb/>
sprach, gewiß nicht sobald gerüttelt, und so hing alles davon ab, wie Frankreich<lb/>
sich in die seiner Eroberungslust durch deu Vertrag gezognen Grenzen fand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_998" next="#ID_999"> Tendenz der französischen Politik bei der Neugestaltung der deutschen Ver¬<lb/>
hältnisse war es, Preußen und Osterreich soweit wie möglich von der franzö¬<lb/>
sischen Grenze fernzuhalten. Bei den Verhandlungen über die erwähnten Ver¬<lb/>
trüge hatte man von feiten Frankreichs vorausgesetzt, Preußen werde Münster<lb/>
einst gegen Mecklenburg eintauschen, und wenn eine dcchinzielende Bestimmung<lb/>
in den betreffenden Vertrag nicht aufgenommen wurde, weil sie dessen Abschluß<lb/>
verzögert Hütte, so kam man uach demselben darauf zurück, und Caillard de-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Preußen nach dein Basler Frieden. bedrohten Neutralität zu verbunden. Sachsen lehnte ab, Kurköln zeigte sich mi߬ trauisch, Hannover wurde nach einigem Widerstreben gewonnen, einige kleinere Staaten schlössen sich an, und Preußen zog bei Minden Truppen zusammen. Diese entschlossene Haltung Preußens verfehlte ihre Wirkung umsoweniger, als man in Paris von der Agitation für den Wiedereintritt Preußens in die Koa¬ lition unterrichtet war und Caillard wiederholt empfohlen hatte, auf die preu¬ ßischen Wünsche einzugehen. Die französische Regierung entschloß sich dazu, gedachte aber damit ein festeres Heranziehen Preußens an ihr eignes System zu verbinden: sie schlug zwei Verträge vor, deren erster die Anerkennung der Neutralität Norddeutschlands und deren zweiter die Abtretung des linken Rhein- ufers gegen Entschädigung sür Preußen festsetzen sollte. Der letztere begegnete in Berlin anfänglich lebhaftem Widerspruch, aber im Hinblick ans die Siege Frankreichs in Italien, wo Sardinien einen Waffenstillstand abgeschlossen hatte und Österreich diesem Beispiele folgen konnte, und auf die Gefahr, daß der Kampf daun Norddentschlnnd allein ergreifen würde, kam man sich allmählich näher, und um 16. Juli 1796 wurden beide Verträge abgeschlossen. Frankreich erkannte die Neutralität Norddeutschlands an, Preuße« verzichtete auf alleu Widerstand gegen die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und empfing dafür das Versprechen, mit Münster und Recklinghanscn dafür entschädigt zu werden. Diese Verträge bezeichnen den höchsten Grad von Einverständnis, zu dem beide Staaten seit den Tagen vor dem siebenjährigen Kriege je gelangt sind. Preußen hatte, über den Basler Frieden hinausgehend, die Abtretung des linksrheinischen Deutschlands genehmigt, aber entschieden an der Unverletzlichkeit der Neutralität Norddeutschlands festgehalten, weil diese ein preußisches Interesse einschloß. Preußen, so schien es, blieb Preußen, auch wenn Deutschland links vom Rheine mit der französischen Republik vereinigt wurde, aber seine staatliche Existenz wurde in Frage gestellt, wenn die von seinem Gebiete umschlossenen deutscheu Staaten von den Franzosen besetzt oder auch uur seinem Einflüsse politisch entzogen wurden. Hielten beide Teile an den in den Verträgen vom Juli 1796 niedergelegten Anschauungen ehrlich fest, so war ein friedliches Neben¬ einanderbestehen derselben uicht unmöglich. Preußen hätte an dem Abkommen, das ihm reichliche Entschädigung nud eine Hegemonie über Norddeutschland ver¬ sprach, gewiß nicht sobald gerüttelt, und so hing alles davon ab, wie Frankreich sich in die seiner Eroberungslust durch deu Vertrag gezognen Grenzen fand. Tendenz der französischen Politik bei der Neugestaltung der deutschen Ver¬ hältnisse war es, Preußen und Osterreich soweit wie möglich von der franzö¬ sischen Grenze fernzuhalten. Bei den Verhandlungen über die erwähnten Ver¬ trüge hatte man von feiten Frankreichs vorausgesetzt, Preußen werde Münster einst gegen Mecklenburg eintauschen, und wenn eine dcchinzielende Bestimmung in den betreffenden Vertrag nicht aufgenommen wurde, weil sie dessen Abschluß verzögert Hütte, so kam man uach demselben darauf zurück, und Caillard de-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/276>, abgerufen am 28.09.2024.