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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Preußen nach dein Basler Frieden.

Händler eine Note, in der er unter Hinweis auf das Reichskonklusum die guten
Dienste Preußens für einen Frieden mit dem deutschen Reiche anbot und deu
Abschluß eines Waffenstillstandes beantragte. Das erstere wurde für die Zeit
angenommen, wo das Reich wirklich Unterhandlungen angeknüpft habe, der
Waffenstillstand dagegen wurde mit dem Bemerken abgelehnt, ein solcher werde
den Friedensschluß nur verzögern. Hardenberg begriff jetzt, daß es allein von
Österreich abhing, ob und wann Preußen seine guten Dienste werde irgendwo
anbringen könne"?, und so bat er Haugwitz inständig, sich durch eine Zusammen¬
kunft mit Thugut in Wien zu verständigem; gleichzeitig aber suchte er die preu¬
ßische Vermittlung für Hessen-Kassel, Baden und andre Reichsstände zur Geltung
zu bringen, was Österreich empfindlich verletzen mußte. In Berlin aber faßte
man die Lage der Dinge diesmal richtiger ans und kam endlich zu dem Ent¬
schlüsse, auf die preußische Verwendung für das Reich oder für einzelne Stände
desselben zu verzichten und der Sache ihren Lauf zu lassen.

Indem Haugwitz hiermit das Ziel aufgab, das ihm bei Abschluß des Basler
Friedens vorgeschwebt hatte, wurde auch dieser Friede selbst, dessen Sicherheit
die Demarkationslinie verbürgen sollte, durch Verletzungen der letzteren, die im
September von seiten der Franzosen unter Jourdan wie von selten der Öster¬
reicher uuter Clerfait vorkamen, ernstlich gefährdet. Hohenlohe, der Befehls¬
haber der am Mittel- und Niederrhein stehenden preußischen Truppen, bemühte
sich vergeblich, bei Jourdan und Clerfait Anerkennung der Linie zu erwirken.
Hardenberg war der Meinung, daß nur durch nachdrückliches Auftreten und eine
"ferne Sprache" das Ansehen Preußens bei den deutschen Ständen und bei
Frankreich aufrecht erhalten werden könne. In Berlin aber dachte man nicht
so, sondern hielt im Hinblick auf die polnischen Verhältnisse ein neues Zurück¬
weichen im Westen für notwendig. Demzufolge erteilte der König Hohenlohe
den Besehl, die Gegend von Frankfurt zu räumen und sich ans Ansbach zurück¬
zuziehen, und Hardenberg mußte Vnrthelemy erklären, Preußen werde fortan
nnr noch an der zum Schutze Westfalens gezogenen Demarkationslinie festhalten.

Preußen war also mit dem Versuche, deutsche Reichspolitik zu treiben, teils
an Verhältnissen, die nicht im Machtbereich seiner Politik lagen, teils und noch
mehr an der Schwäche des Grafen Haugwitz gescheitert. Es hatte in Basel
Frieden mit Frankreich geschlossen, nicht um sich vom Reiche zu trennen, sondern
in dem Wunsche, demselben Anstoß und Möglichkeit zu einem baldigen Frieden
zu schaffen. Aber die Dinge hatten sich anders entwickelt. Österreich, zur Zeit
der Einleitung der preußischen Unterhandlungen selbst dem Frieden nicht ab¬
geneigt, hatte sich mit England und Nußland zur Fortsetzung des Krieges ver¬
bunden. Das deutsche Reich hatte sich, obwohl es eingestandnermaßen Frieden
bedürfte, von neuem in die kriegerischen Strömungen der österreichischen Politik
hineinziehen lasse". Frankreich endlich, das einer maßvollen Politik gewonnen
schien, war seit dem 5. Oktober wieder der Herrschaft erobernder Tendenzen ver-


Preußen nach dein Basler Frieden.

Händler eine Note, in der er unter Hinweis auf das Reichskonklusum die guten
Dienste Preußens für einen Frieden mit dem deutschen Reiche anbot und deu
Abschluß eines Waffenstillstandes beantragte. Das erstere wurde für die Zeit
angenommen, wo das Reich wirklich Unterhandlungen angeknüpft habe, der
Waffenstillstand dagegen wurde mit dem Bemerken abgelehnt, ein solcher werde
den Friedensschluß nur verzögern. Hardenberg begriff jetzt, daß es allein von
Österreich abhing, ob und wann Preußen seine guten Dienste werde irgendwo
anbringen könne»?, und so bat er Haugwitz inständig, sich durch eine Zusammen¬
kunft mit Thugut in Wien zu verständigem; gleichzeitig aber suchte er die preu¬
ßische Vermittlung für Hessen-Kassel, Baden und andre Reichsstände zur Geltung
zu bringen, was Österreich empfindlich verletzen mußte. In Berlin aber faßte
man die Lage der Dinge diesmal richtiger ans und kam endlich zu dem Ent¬
schlüsse, auf die preußische Verwendung für das Reich oder für einzelne Stände
desselben zu verzichten und der Sache ihren Lauf zu lassen.

Indem Haugwitz hiermit das Ziel aufgab, das ihm bei Abschluß des Basler
Friedens vorgeschwebt hatte, wurde auch dieser Friede selbst, dessen Sicherheit
die Demarkationslinie verbürgen sollte, durch Verletzungen der letzteren, die im
September von seiten der Franzosen unter Jourdan wie von selten der Öster¬
reicher uuter Clerfait vorkamen, ernstlich gefährdet. Hohenlohe, der Befehls¬
haber der am Mittel- und Niederrhein stehenden preußischen Truppen, bemühte
sich vergeblich, bei Jourdan und Clerfait Anerkennung der Linie zu erwirken.
Hardenberg war der Meinung, daß nur durch nachdrückliches Auftreten und eine
„ferne Sprache" das Ansehen Preußens bei den deutschen Ständen und bei
Frankreich aufrecht erhalten werden könne. In Berlin aber dachte man nicht
so, sondern hielt im Hinblick auf die polnischen Verhältnisse ein neues Zurück¬
weichen im Westen für notwendig. Demzufolge erteilte der König Hohenlohe
den Besehl, die Gegend von Frankfurt zu räumen und sich ans Ansbach zurück¬
zuziehen, und Hardenberg mußte Vnrthelemy erklären, Preußen werde fortan
nnr noch an der zum Schutze Westfalens gezogenen Demarkationslinie festhalten.

Preußen war also mit dem Versuche, deutsche Reichspolitik zu treiben, teils
an Verhältnissen, die nicht im Machtbereich seiner Politik lagen, teils und noch
mehr an der Schwäche des Grafen Haugwitz gescheitert. Es hatte in Basel
Frieden mit Frankreich geschlossen, nicht um sich vom Reiche zu trennen, sondern
in dem Wunsche, demselben Anstoß und Möglichkeit zu einem baldigen Frieden
zu schaffen. Aber die Dinge hatten sich anders entwickelt. Österreich, zur Zeit
der Einleitung der preußischen Unterhandlungen selbst dem Frieden nicht ab¬
geneigt, hatte sich mit England und Nußland zur Fortsetzung des Krieges ver¬
bunden. Das deutsche Reich hatte sich, obwohl es eingestandnermaßen Frieden
bedürfte, von neuem in die kriegerischen Strömungen der österreichischen Politik
hineinziehen lasse». Frankreich endlich, das einer maßvollen Politik gewonnen
schien, war seit dem 5. Oktober wieder der Herrschaft erobernder Tendenzen ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/274>, abgerufen am 29.06.2024.