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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Neutralität erkennen zu lassen, sondern anch über die Stelle, an der die Ge¬
danken entsprangen, welche zur Umbildung Deutschlands den Anstoß gegeben
haben, befriedigendes historisches Verständnis verbreite", so gewährte ihm dazu
das französische Ministerium des Auswärtigen dnrch Erlaubnis zum Einblick in
seine Akten bereitwillig die Mittel. In diesen Schriftstücken, namentlich in den
Denkschriften Tallehrands und seinem Briefwechsel mit Sieyes, dem französischen
Gesandten in Berlin, erkennt man deutlich die Keime, aus deuen der Krieg von
1806 hervorgegangen ist.

Der Basler Friede hatte im wesentlichen den Zustand Preußens vor dem
Kriege wiederhergestellt und weder hier noch in Frankreich Empfindungen übrig
gelassen, die einer Rückkehr zu der alten Freundschaft der beiden Staaten im
Wege gestanden hätten. Sogar ein Bündnis war für die Zukunft nicht un¬
denkbar, ja es schien den Überlieferungen und den augenblicklichen Interessen
beider zu entsprechen. Feindseligkeit gegen die großen Mächte, gutes Einver¬
nehmen mit deu kleinern war der Grundgedanke, welcher die französische Politik
im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert in der Regel beherrschte, und etwas
ähnliches läßt sich von der preußischen unter Friedrich dem Großen sagen, die
dessen Nachfolger durch die Teilnahme am Kriege von 1792 aufgegeben hatte.
Das preußische Staatsinteresse rechtfertigte dies nicht, und die Ereignisse von
1793 und 1794 ließen es für Preußen unmöglich erscheinen, im Osten gegen
Österreich zu agiren und im Westen zu gleicher Zeit für dessen Zwecke die Waffen
zu führen; denn hier galt der Kampf noch nicht der Rheingrenze, sondern der
Beherrschung Belgiens und Italiens dnrch Österreich oder Frankreich.

Wenn nun Preußen und Frankreich mit dem Basler Frieden die Bahn
betraten, die ihnen ihre Traditionen und Interessen vorzeichneten, so hing das
Zusammengehen auf derselben zunächst von der in diesem Frieden nnr ange¬
regten, nicht entschiedenen Frage über die Rheingrenze ab. Ein Reichsfriede
sollte über das linke Rheinufer entscheiden, und dn es damals in Frankreich
noch eine angesehene Partei gab, die keine Eroberung ans Kosten Deutschlands
wollte, so war uoch Aussicht auf eine die Entwicklung freundschaftlicher Be¬
ziehungen fördernde Entscheidung vorhanden. Größere Festigkeit Preußens in
Basel hätte auch die Hindeutung auf Abtretungen deutschen Gebietes links vom
Rheine vom Friedeusvertrnge ferngehalten. Was versäumt worden, konnte bei
den Verhandlungen über den Reichsfrieden nachgeholt werden, sobald der preu¬
ßische Staat wieder zu Kräfte" gekommen war. Preußen mußte durch recht¬
zeitiges entschiedenes Auftreten gegen französische Annexionen auf dem linken
Rheinufer verhindern, daß ein Streitpunkt zwischen den beiden Nationen für
die Zukunft geschaffen wurde. Im übrigen gingen die Interessen beider soweit
zusammen, daß eine Allianz der richtige Ausdruck dieses Verhältnisses war, und
dies wurde von deu preußischen wie von den französischen Staatsmännern
anerkannt, es handelte sich also nur darum, ob die Preußen bei den Ver-


Neutralität erkennen zu lassen, sondern anch über die Stelle, an der die Ge¬
danken entsprangen, welche zur Umbildung Deutschlands den Anstoß gegeben
haben, befriedigendes historisches Verständnis verbreite», so gewährte ihm dazu
das französische Ministerium des Auswärtigen dnrch Erlaubnis zum Einblick in
seine Akten bereitwillig die Mittel. In diesen Schriftstücken, namentlich in den
Denkschriften Tallehrands und seinem Briefwechsel mit Sieyes, dem französischen
Gesandten in Berlin, erkennt man deutlich die Keime, aus deuen der Krieg von
1806 hervorgegangen ist.

Der Basler Friede hatte im wesentlichen den Zustand Preußens vor dem
Kriege wiederhergestellt und weder hier noch in Frankreich Empfindungen übrig
gelassen, die einer Rückkehr zu der alten Freundschaft der beiden Staaten im
Wege gestanden hätten. Sogar ein Bündnis war für die Zukunft nicht un¬
denkbar, ja es schien den Überlieferungen und den augenblicklichen Interessen
beider zu entsprechen. Feindseligkeit gegen die großen Mächte, gutes Einver¬
nehmen mit deu kleinern war der Grundgedanke, welcher die französische Politik
im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert in der Regel beherrschte, und etwas
ähnliches läßt sich von der preußischen unter Friedrich dem Großen sagen, die
dessen Nachfolger durch die Teilnahme am Kriege von 1792 aufgegeben hatte.
Das preußische Staatsinteresse rechtfertigte dies nicht, und die Ereignisse von
1793 und 1794 ließen es für Preußen unmöglich erscheinen, im Osten gegen
Österreich zu agiren und im Westen zu gleicher Zeit für dessen Zwecke die Waffen
zu führen; denn hier galt der Kampf noch nicht der Rheingrenze, sondern der
Beherrschung Belgiens und Italiens dnrch Österreich oder Frankreich.

Wenn nun Preußen und Frankreich mit dem Basler Frieden die Bahn
betraten, die ihnen ihre Traditionen und Interessen vorzeichneten, so hing das
Zusammengehen auf derselben zunächst von der in diesem Frieden nnr ange¬
regten, nicht entschiedenen Frage über die Rheingrenze ab. Ein Reichsfriede
sollte über das linke Rheinufer entscheiden, und dn es damals in Frankreich
noch eine angesehene Partei gab, die keine Eroberung ans Kosten Deutschlands
wollte, so war uoch Aussicht auf eine die Entwicklung freundschaftlicher Be¬
ziehungen fördernde Entscheidung vorhanden. Größere Festigkeit Preußens in
Basel hätte auch die Hindeutung auf Abtretungen deutschen Gebietes links vom
Rheine vom Friedeusvertrnge ferngehalten. Was versäumt worden, konnte bei
den Verhandlungen über den Reichsfrieden nachgeholt werden, sobald der preu¬
ßische Staat wieder zu Kräfte» gekommen war. Preußen mußte durch recht¬
zeitiges entschiedenes Auftreten gegen französische Annexionen auf dem linken
Rheinufer verhindern, daß ein Streitpunkt zwischen den beiden Nationen für
die Zukunft geschaffen wurde. Im übrigen gingen die Interessen beider soweit
zusammen, daß eine Allianz der richtige Ausdruck dieses Verhältnisses war, und
dies wurde von deu preußischen wie von den französischen Staatsmännern
anerkannt, es handelte sich also nur darum, ob die Preußen bei den Ver-


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[0272] Neutralität erkennen zu lassen, sondern anch über die Stelle, an der die Ge¬ danken entsprangen, welche zur Umbildung Deutschlands den Anstoß gegeben haben, befriedigendes historisches Verständnis verbreite», so gewährte ihm dazu das französische Ministerium des Auswärtigen dnrch Erlaubnis zum Einblick in seine Akten bereitwillig die Mittel. In diesen Schriftstücken, namentlich in den Denkschriften Tallehrands und seinem Briefwechsel mit Sieyes, dem französischen Gesandten in Berlin, erkennt man deutlich die Keime, aus deuen der Krieg von 1806 hervorgegangen ist. Der Basler Friede hatte im wesentlichen den Zustand Preußens vor dem Kriege wiederhergestellt und weder hier noch in Frankreich Empfindungen übrig gelassen, die einer Rückkehr zu der alten Freundschaft der beiden Staaten im Wege gestanden hätten. Sogar ein Bündnis war für die Zukunft nicht un¬ denkbar, ja es schien den Überlieferungen und den augenblicklichen Interessen beider zu entsprechen. Feindseligkeit gegen die großen Mächte, gutes Einver¬ nehmen mit deu kleinern war der Grundgedanke, welcher die französische Politik im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert in der Regel beherrschte, und etwas ähnliches läßt sich von der preußischen unter Friedrich dem Großen sagen, die dessen Nachfolger durch die Teilnahme am Kriege von 1792 aufgegeben hatte. Das preußische Staatsinteresse rechtfertigte dies nicht, und die Ereignisse von 1793 und 1794 ließen es für Preußen unmöglich erscheinen, im Osten gegen Österreich zu agiren und im Westen zu gleicher Zeit für dessen Zwecke die Waffen zu führen; denn hier galt der Kampf noch nicht der Rheingrenze, sondern der Beherrschung Belgiens und Italiens dnrch Österreich oder Frankreich. Wenn nun Preußen und Frankreich mit dem Basler Frieden die Bahn betraten, die ihnen ihre Traditionen und Interessen vorzeichneten, so hing das Zusammengehen auf derselben zunächst von der in diesem Frieden nnr ange¬ regten, nicht entschiedenen Frage über die Rheingrenze ab. Ein Reichsfriede sollte über das linke Rheinufer entscheiden, und dn es damals in Frankreich noch eine angesehene Partei gab, die keine Eroberung ans Kosten Deutschlands wollte, so war uoch Aussicht auf eine die Entwicklung freundschaftlicher Be¬ ziehungen fördernde Entscheidung vorhanden. Größere Festigkeit Preußens in Basel hätte auch die Hindeutung auf Abtretungen deutschen Gebietes links vom Rheine vom Friedeusvertrnge ferngehalten. Was versäumt worden, konnte bei den Verhandlungen über den Reichsfrieden nachgeholt werden, sobald der preu¬ ßische Staat wieder zu Kräfte» gekommen war. Preußen mußte durch recht¬ zeitiges entschiedenes Auftreten gegen französische Annexionen auf dem linken Rheinufer verhindern, daß ein Streitpunkt zwischen den beiden Nationen für die Zukunft geschaffen wurde. Im übrigen gingen die Interessen beider soweit zusammen, daß eine Allianz der richtige Ausdruck dieses Verhältnisses war, und dies wurde von deu preußischen wie von den französischen Staatsmännern anerkannt, es handelte sich also nur darum, ob die Preußen bei den Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/272>, abgerufen am 28.09.2024.