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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Zu,n Monismus.

chemische Eigenart? Beruht sie auf deu Lagerungsverhältnissen der Moleküle,
so ist das einheitliche Erklärungsprinzip allerdings gewahrt, aber unter An¬
erkennung des mechanischen Ursprungs der Lebenserscheinungen. Beruht sie aus
einer ve-ente", der Materie, die uur unter gewissen Umständen in die Er¬
scheinung tritt, so kann ein vernünftiger Grund dieser Erscheinung, wenn sie aus
dem organischen Stoff ohne Hinzutreten eines fremden Organs erklärt werden
soll, doch wiederum uur in den Eigentümlichkeiten der Atombewegung liegen.
Wenn wir nicht einen Dualismus schlimmster Art in die Begriffe von Kraft
und Stoff legen wollen, so müssen wir in den Kräften eben den unsern Sinnen
gemäßen Ausdruck für die molekularen Eigentümlichkeiten des Stoffes sehen,
oder aber den Stoff als eine Erschleichung unsers Kansalitätsbedürfnisses, als
bequeme Substitution für eine transcendente, den Zusammenhang und die Richtung
der Kräfte bestimmende Ordnung ansehen.

Wo bleibt nun das Prinzip der monistischen Lebenskraft? Wo liegt der
zureichende Grund für das plötzliche Hervorbrechen dieser Kraft in dem Augen¬
blicke, in welchem anorganische Moleküle in den Kreislauf des Lebeus eintrete"?
Andern sich die Molekille in diesem Augenblicke selbst? Wo bleibt dann die
Kontinuität des Stoffes? Haben wir dann nicht zweierlei Materie oder min¬
destens zweierlei Formen der einen, bei denen es wieder unbegreiflich ist, wodurch
die einen in die andern übergehen? Und schließlich: monistische Lebenskraft
müßte doch unter allen Umständen einen einheitlichen Ursprung mit allen andern
Kräften der Materie haben. Hier liegt vielleicht der bedenklichste Irrtum des
Verfassers. Der Denker, dem die Welt wirklich eine Einheit nicht im Sinne
einer durchdringenden Idee, sondern in der Bedeutung eines lückenlosen Kausal¬
zusammenhanges sein soll, muß alle Verschiedenheit der sinnlichen Objekte, deren
Fähigkeit ans einander zu wirken gerade dnrch diese Verschiedenheit bedingt
ist, auf eine Quelle zurückführen, in so mannichfaltiger Richtung die Ströme
des Geschehens auch zu fließen scheinen. Findet er dieselbe in der Bewegung
der Atome, so enthält ihm die Verteilung der Atome im Raum im Augenblicke
des Eintrittes der ersten Bewegung, iniplioiw die ganze Entwicklungsgeschichte
der Welt. Mag man immerhin über die Ungereimtheit dieser ersten meta¬
physischen Voraussetzung mit ihm streiten, die Folgerichtigkeit seiner weiter" An¬
nahmen wird mau uicht bestreiten können.

Diesen Erwägungen widerspricht die Ansicht des Verfassers aufs entschie-
denste. Er "muß mit Nachdruck betonen (S. 5), daß die in neuerer Zeit von
vielen Naturforschern vertretene Ansicht, es gebe nur eine einzige Kraft, die sich
unter verschiednen Bedingungen in sämmtlichen Erscheinungen äußere, auf Irr¬
tum beruht." Hier giebt es uur einen Ausweg. Man muß, nur den Einheits¬
gedanken zu retten, die ganze Erscheinungswelt im Sinne des erkenntnistheore¬
tischen Idealismus für Manifestation eines Seins halten, das, von allen
Sinneserscheinnngen verschieden und deshalb unsinnlich, doch in unsrer Seele


Zu,n Monismus.

chemische Eigenart? Beruht sie auf deu Lagerungsverhältnissen der Moleküle,
so ist das einheitliche Erklärungsprinzip allerdings gewahrt, aber unter An¬
erkennung des mechanischen Ursprungs der Lebenserscheinungen. Beruht sie aus
einer ve-ente», der Materie, die uur unter gewissen Umständen in die Er¬
scheinung tritt, so kann ein vernünftiger Grund dieser Erscheinung, wenn sie aus
dem organischen Stoff ohne Hinzutreten eines fremden Organs erklärt werden
soll, doch wiederum uur in den Eigentümlichkeiten der Atombewegung liegen.
Wenn wir nicht einen Dualismus schlimmster Art in die Begriffe von Kraft
und Stoff legen wollen, so müssen wir in den Kräften eben den unsern Sinnen
gemäßen Ausdruck für die molekularen Eigentümlichkeiten des Stoffes sehen,
oder aber den Stoff als eine Erschleichung unsers Kansalitätsbedürfnisses, als
bequeme Substitution für eine transcendente, den Zusammenhang und die Richtung
der Kräfte bestimmende Ordnung ansehen.

Wo bleibt nun das Prinzip der monistischen Lebenskraft? Wo liegt der
zureichende Grund für das plötzliche Hervorbrechen dieser Kraft in dem Augen¬
blicke, in welchem anorganische Moleküle in den Kreislauf des Lebeus eintrete«?
Andern sich die Molekille in diesem Augenblicke selbst? Wo bleibt dann die
Kontinuität des Stoffes? Haben wir dann nicht zweierlei Materie oder min¬
destens zweierlei Formen der einen, bei denen es wieder unbegreiflich ist, wodurch
die einen in die andern übergehen? Und schließlich: monistische Lebenskraft
müßte doch unter allen Umständen einen einheitlichen Ursprung mit allen andern
Kräften der Materie haben. Hier liegt vielleicht der bedenklichste Irrtum des
Verfassers. Der Denker, dem die Welt wirklich eine Einheit nicht im Sinne
einer durchdringenden Idee, sondern in der Bedeutung eines lückenlosen Kausal¬
zusammenhanges sein soll, muß alle Verschiedenheit der sinnlichen Objekte, deren
Fähigkeit ans einander zu wirken gerade dnrch diese Verschiedenheit bedingt
ist, auf eine Quelle zurückführen, in so mannichfaltiger Richtung die Ströme
des Geschehens auch zu fließen scheinen. Findet er dieselbe in der Bewegung
der Atome, so enthält ihm die Verteilung der Atome im Raum im Augenblicke
des Eintrittes der ersten Bewegung, iniplioiw die ganze Entwicklungsgeschichte
der Welt. Mag man immerhin über die Ungereimtheit dieser ersten meta¬
physischen Voraussetzung mit ihm streiten, die Folgerichtigkeit seiner weiter» An¬
nahmen wird mau uicht bestreiten können.

Diesen Erwägungen widerspricht die Ansicht des Verfassers aufs entschie-
denste. Er „muß mit Nachdruck betonen (S. 5), daß die in neuerer Zeit von
vielen Naturforschern vertretene Ansicht, es gebe nur eine einzige Kraft, die sich
unter verschiednen Bedingungen in sämmtlichen Erscheinungen äußere, auf Irr¬
tum beruht." Hier giebt es uur einen Ausweg. Man muß, nur den Einheits¬
gedanken zu retten, die ganze Erscheinungswelt im Sinne des erkenntnistheore¬
tischen Idealismus für Manifestation eines Seins halten, das, von allen
Sinneserscheinnngen verschieden und deshalb unsinnlich, doch in unsrer Seele


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[0270] Zu,n Monismus. chemische Eigenart? Beruht sie auf deu Lagerungsverhältnissen der Moleküle, so ist das einheitliche Erklärungsprinzip allerdings gewahrt, aber unter An¬ erkennung des mechanischen Ursprungs der Lebenserscheinungen. Beruht sie aus einer ve-ente», der Materie, die uur unter gewissen Umständen in die Er¬ scheinung tritt, so kann ein vernünftiger Grund dieser Erscheinung, wenn sie aus dem organischen Stoff ohne Hinzutreten eines fremden Organs erklärt werden soll, doch wiederum uur in den Eigentümlichkeiten der Atombewegung liegen. Wenn wir nicht einen Dualismus schlimmster Art in die Begriffe von Kraft und Stoff legen wollen, so müssen wir in den Kräften eben den unsern Sinnen gemäßen Ausdruck für die molekularen Eigentümlichkeiten des Stoffes sehen, oder aber den Stoff als eine Erschleichung unsers Kansalitätsbedürfnisses, als bequeme Substitution für eine transcendente, den Zusammenhang und die Richtung der Kräfte bestimmende Ordnung ansehen. Wo bleibt nun das Prinzip der monistischen Lebenskraft? Wo liegt der zureichende Grund für das plötzliche Hervorbrechen dieser Kraft in dem Augen¬ blicke, in welchem anorganische Moleküle in den Kreislauf des Lebeus eintrete«? Andern sich die Molekille in diesem Augenblicke selbst? Wo bleibt dann die Kontinuität des Stoffes? Haben wir dann nicht zweierlei Materie oder min¬ destens zweierlei Formen der einen, bei denen es wieder unbegreiflich ist, wodurch die einen in die andern übergehen? Und schließlich: monistische Lebenskraft müßte doch unter allen Umständen einen einheitlichen Ursprung mit allen andern Kräften der Materie haben. Hier liegt vielleicht der bedenklichste Irrtum des Verfassers. Der Denker, dem die Welt wirklich eine Einheit nicht im Sinne einer durchdringenden Idee, sondern in der Bedeutung eines lückenlosen Kausal¬ zusammenhanges sein soll, muß alle Verschiedenheit der sinnlichen Objekte, deren Fähigkeit ans einander zu wirken gerade dnrch diese Verschiedenheit bedingt ist, auf eine Quelle zurückführen, in so mannichfaltiger Richtung die Ströme des Geschehens auch zu fließen scheinen. Findet er dieselbe in der Bewegung der Atome, so enthält ihm die Verteilung der Atome im Raum im Augenblicke des Eintrittes der ersten Bewegung, iniplioiw die ganze Entwicklungsgeschichte der Welt. Mag man immerhin über die Ungereimtheit dieser ersten meta¬ physischen Voraussetzung mit ihm streiten, die Folgerichtigkeit seiner weiter» An¬ nahmen wird mau uicht bestreiten können. Diesen Erwägungen widerspricht die Ansicht des Verfassers aufs entschie- denste. Er „muß mit Nachdruck betonen (S. 5), daß die in neuerer Zeit von vielen Naturforschern vertretene Ansicht, es gebe nur eine einzige Kraft, die sich unter verschiednen Bedingungen in sämmtlichen Erscheinungen äußere, auf Irr¬ tum beruht." Hier giebt es uur einen Ausweg. Man muß, nur den Einheits¬ gedanken zu retten, die ganze Erscheinungswelt im Sinne des erkenntnistheore¬ tischen Idealismus für Manifestation eines Seins halten, das, von allen Sinneserscheinnngen verschieden und deshalb unsinnlich, doch in unsrer Seele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/270>, abgerufen am 29.06.2024.