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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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ZUIN Monismus.

Eine Erkenutnislehre physiologisch begründen, heißt nachweisen, nach welchen
Gesetzen und ans welchen Wegen der als Molekularbewegung zum Gehirn ge¬
langende Sinnesreiz zur Empfindung wird, ferner durch welche organischen Ver¬
anstaltungen innerhalb des Gehirns die einzelnen Empfindungen verglichen und
schließlich in logische Denkformen zusammengeorduet werden, heißt also gerade
die Kardinalfrage des Monismus lösen. Der Verfasser ist nicht so kühn ge¬
wesen, diese aussichtslose Arbeit auch nur zu versuchen. Warum aber dann
auf dem Titel Hoffnungen erwecken, die das Buch nicht erfüllen kann? Oder
sollen wir die Behauptung (S. 48), daß "sämmtliche Thätigkeiten, aus denen
sich die Erkenntnis zusammensetzt, von der dumpfen, einfachen Empfindung bis
zu den vollkommensten Sinneswahrnehmungen und dem komplizirtesten Denken,
als Leistungen organischer Gebilde zu betrachten sind," als physiologische Be¬
gründung der Erkenntnisthütigkeit ansehen? Die Leistung organischer Gebilde
schließt jede Mitwirkung einer in der organischen Materie nicht begründeten
Potenz aus. Da der Verfasser weiter auch jene Idee einer allgemeinen Be¬
seelung der Materie ignorirt, so muß er entweder annehmen, daß der organischen
Materie als solchen besondre Fähigkeiten innewohnen, die dem unorganischen
Stoff fremd sind, oder er muß jene organischen Leistungen auf Grund unsrer
Mechanischen Atvmlehre aus einer eigenartigen Anordnung und Bewegung der
Gehirnatome hervorgehen lassen. In diesem Falle ist er Materialist. Allein
er ist der Ansicht (S. 13), daß man "zur Erklärung der Lebenserscheinungen
unt deu physikalisch-chemischen Kräften nicht ausreicht." Er ist also uicht Ma¬
terialist, aber er muß uns nun die Frage beyntworteu, welche audern, nicht
chemisch-physikalischen Kräfte ihm dann zu Gebote stehen; Kräfte wohlverstanden,
die in der organischen Materie selbst ihren Ursprung haben. Da er (S- 7)
wlsspricht: "Aus nichts wird nichts, und etwas kann nie vernichtet werden," so
'se er offenbar damit einverstanden, daß der organische Körper nicht Stoffe fru
^eueris besitzt, sondern sich aus Elementen aufbaut, die früher einmal anorganisch
^purer. Alsdann würde also der anorganische Stoff in dem Moment, wo er
Wtegrirender Bestandteil eines Organs wird, mit gewissen eigentümlichen Fähig¬
sten begabt, die nicht in der mechanischen Anordnung seiner kleinsten Teilchen
ehren Grund haben und deren er beim Ausscheiden ans dem organischen Ver¬
band wieder verlustig geht. Die große Mehrzahl der Leser wird leider kaum
Phantasie genug besitzen, um diese geheimnisvolle organische Potenz anders als
Lebenskraft und die ganze Lehre mithin anders als ausgesprochenen Dualismus
on nennen. Dennoch nennt sich der Verfasser ausdrücklich Monist; dennoch weist
^ die Idee eiuer "Lebenskraft im dualistischen Sinne" (S. 16) mit Ent¬
schiedenheit zurück.

Prüfen wir also die Stichhaltigkeit eiuer Lebenskraft im monistische,:
Sinne. Denkbar wäre es, daß Hand in Hand mit der chemischen Eigenart
organischer Stosse eine dynamische Eigentümlichkeit ginge. Aber woher die


Greuzlwivu IV. lLW, i'>4
ZUIN Monismus.

Eine Erkenutnislehre physiologisch begründen, heißt nachweisen, nach welchen
Gesetzen und ans welchen Wegen der als Molekularbewegung zum Gehirn ge¬
langende Sinnesreiz zur Empfindung wird, ferner durch welche organischen Ver¬
anstaltungen innerhalb des Gehirns die einzelnen Empfindungen verglichen und
schließlich in logische Denkformen zusammengeorduet werden, heißt also gerade
die Kardinalfrage des Monismus lösen. Der Verfasser ist nicht so kühn ge¬
wesen, diese aussichtslose Arbeit auch nur zu versuchen. Warum aber dann
auf dem Titel Hoffnungen erwecken, die das Buch nicht erfüllen kann? Oder
sollen wir die Behauptung (S. 48), daß „sämmtliche Thätigkeiten, aus denen
sich die Erkenntnis zusammensetzt, von der dumpfen, einfachen Empfindung bis
zu den vollkommensten Sinneswahrnehmungen und dem komplizirtesten Denken,
als Leistungen organischer Gebilde zu betrachten sind," als physiologische Be¬
gründung der Erkenntnisthütigkeit ansehen? Die Leistung organischer Gebilde
schließt jede Mitwirkung einer in der organischen Materie nicht begründeten
Potenz aus. Da der Verfasser weiter auch jene Idee einer allgemeinen Be¬
seelung der Materie ignorirt, so muß er entweder annehmen, daß der organischen
Materie als solchen besondre Fähigkeiten innewohnen, die dem unorganischen
Stoff fremd sind, oder er muß jene organischen Leistungen auf Grund unsrer
Mechanischen Atvmlehre aus einer eigenartigen Anordnung und Bewegung der
Gehirnatome hervorgehen lassen. In diesem Falle ist er Materialist. Allein
er ist der Ansicht (S. 13), daß man „zur Erklärung der Lebenserscheinungen
unt deu physikalisch-chemischen Kräften nicht ausreicht." Er ist also uicht Ma¬
terialist, aber er muß uns nun die Frage beyntworteu, welche audern, nicht
chemisch-physikalischen Kräfte ihm dann zu Gebote stehen; Kräfte wohlverstanden,
die in der organischen Materie selbst ihren Ursprung haben. Da er (S- 7)
wlsspricht: „Aus nichts wird nichts, und etwas kann nie vernichtet werden," so
'se er offenbar damit einverstanden, daß der organische Körper nicht Stoffe fru
^eueris besitzt, sondern sich aus Elementen aufbaut, die früher einmal anorganisch
^purer. Alsdann würde also der anorganische Stoff in dem Moment, wo er
Wtegrirender Bestandteil eines Organs wird, mit gewissen eigentümlichen Fähig¬
sten begabt, die nicht in der mechanischen Anordnung seiner kleinsten Teilchen
ehren Grund haben und deren er beim Ausscheiden ans dem organischen Ver¬
band wieder verlustig geht. Die große Mehrzahl der Leser wird leider kaum
Phantasie genug besitzen, um diese geheimnisvolle organische Potenz anders als
Lebenskraft und die ganze Lehre mithin anders als ausgesprochenen Dualismus
on nennen. Dennoch nennt sich der Verfasser ausdrücklich Monist; dennoch weist
^ die Idee eiuer „Lebenskraft im dualistischen Sinne" (S. 16) mit Ent¬
schiedenheit zurück.

Prüfen wir also die Stichhaltigkeit eiuer Lebenskraft im monistische,:
Sinne. Denkbar wäre es, daß Hand in Hand mit der chemischen Eigenart
organischer Stosse eine dynamische Eigentümlichkeit ginge. Aber woher die


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[0269] ZUIN Monismus. Eine Erkenutnislehre physiologisch begründen, heißt nachweisen, nach welchen Gesetzen und ans welchen Wegen der als Molekularbewegung zum Gehirn ge¬ langende Sinnesreiz zur Empfindung wird, ferner durch welche organischen Ver¬ anstaltungen innerhalb des Gehirns die einzelnen Empfindungen verglichen und schließlich in logische Denkformen zusammengeorduet werden, heißt also gerade die Kardinalfrage des Monismus lösen. Der Verfasser ist nicht so kühn ge¬ wesen, diese aussichtslose Arbeit auch nur zu versuchen. Warum aber dann auf dem Titel Hoffnungen erwecken, die das Buch nicht erfüllen kann? Oder sollen wir die Behauptung (S. 48), daß „sämmtliche Thätigkeiten, aus denen sich die Erkenntnis zusammensetzt, von der dumpfen, einfachen Empfindung bis zu den vollkommensten Sinneswahrnehmungen und dem komplizirtesten Denken, als Leistungen organischer Gebilde zu betrachten sind," als physiologische Be¬ gründung der Erkenntnisthütigkeit ansehen? Die Leistung organischer Gebilde schließt jede Mitwirkung einer in der organischen Materie nicht begründeten Potenz aus. Da der Verfasser weiter auch jene Idee einer allgemeinen Be¬ seelung der Materie ignorirt, so muß er entweder annehmen, daß der organischen Materie als solchen besondre Fähigkeiten innewohnen, die dem unorganischen Stoff fremd sind, oder er muß jene organischen Leistungen auf Grund unsrer Mechanischen Atvmlehre aus einer eigenartigen Anordnung und Bewegung der Gehirnatome hervorgehen lassen. In diesem Falle ist er Materialist. Allein er ist der Ansicht (S. 13), daß man „zur Erklärung der Lebenserscheinungen unt deu physikalisch-chemischen Kräften nicht ausreicht." Er ist also uicht Ma¬ terialist, aber er muß uns nun die Frage beyntworteu, welche audern, nicht chemisch-physikalischen Kräfte ihm dann zu Gebote stehen; Kräfte wohlverstanden, die in der organischen Materie selbst ihren Ursprung haben. Da er (S- 7) wlsspricht: „Aus nichts wird nichts, und etwas kann nie vernichtet werden," so 'se er offenbar damit einverstanden, daß der organische Körper nicht Stoffe fru ^eueris besitzt, sondern sich aus Elementen aufbaut, die früher einmal anorganisch ^purer. Alsdann würde also der anorganische Stoff in dem Moment, wo er Wtegrirender Bestandteil eines Organs wird, mit gewissen eigentümlichen Fähig¬ sten begabt, die nicht in der mechanischen Anordnung seiner kleinsten Teilchen ehren Grund haben und deren er beim Ausscheiden ans dem organischen Ver¬ band wieder verlustig geht. Die große Mehrzahl der Leser wird leider kaum Phantasie genug besitzen, um diese geheimnisvolle organische Potenz anders als Lebenskraft und die ganze Lehre mithin anders als ausgesprochenen Dualismus on nennen. Dennoch nennt sich der Verfasser ausdrücklich Monist; dennoch weist ^ die Idee eiuer „Lebenskraft im dualistischen Sinne" (S. 16) mit Ent¬ schiedenheit zurück. Prüfen wir also die Stichhaltigkeit eiuer Lebenskraft im monistische,: Sinne. Denkbar wäre es, daß Hand in Hand mit der chemischen Eigenart organischer Stosse eine dynamische Eigentümlichkeit ginge. Aber woher die Greuzlwivu IV. lLW, i'>4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/269>, abgerufen am 28.09.2024.