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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Aus dem englischen Parlamente.

der Debatte soll und kaun erfolgen, wenn bei weniger als vierzig ablehnenden
Stimmen mehr als hundert und bei mehr als vierzig verneinenden Voden
wenigstens zweihundert Abgeordnete sich dafür erklärt haben, und der Sprecher
oder, wenn das Hans sich in einen Ausschuß verwandelt hat, der Vorsitzende
des letztern soll dies einleiten und ausführen.

Glndstone scheint ans denn Eingehen des Unterhauses auf diesen Antrag
keine Lebensfrage für das Ministerium machen zu wollen. "Wir werden, sagte
er, unsre Vorschläge mit allen Beweisen, die sich uns darbieten, empfehlen, aber
das Ansehen und die Verantwortlichkeit des Hauses achten, und anerkennen, daß
die Ehre und der Ruf desselben bei dieser Angelegenheit sogar mehr beteiligt
sind als die Verantwortlichkeit und die Ehre der Negierung." Zu gleicher Zeit
verhehlte er allerdings nicht, daß die letztere "an der ersten Resolution (dem
soeben zitirtcn Satze) in ihren hauptsächlichen Vorschlägen festzuhalten gedenke."
Dies läßt sich in zwiefacher Weise deuten. Es kann heißen, daß Gladstone
entschlossen ist, die französische "lüturs rein lind einfach einzuführen, wenn Zeit
und Umstände es gestatten, und es kann ebenso wohl bedeuten, daß die liberale
Partei nicht gezwungen werden soll, in einer Sache, die dem Geiste des Libe¬
ralismus zu widersprechen scheint, gegen ihr Gewissen zu stimmen. So verstand
es Northcote, der Führer der Opposition, und Glndstvue, der bei dessen Inter¬
pretation zugegen war, widersprach derselben wenigstens nicht ausdrücklich.

Der Artikel der Gladstvneschen Anträge, welcher die (zlötnro enthält, leidet
zunächst, wie bemerkt, an dem Mangel der Undeutlichkeit. Er müßte anf alle
Fülle in eine-bessere Form gebracht werden. Dann aber lassen sich gegen den
Inhalt sehr beachtenswerte Bedenken erheben. Die Majorität würde, wenn der
Vorschlag durchginge, mit unbeschränkter Macht bekleidet werden, die Debatte
zu ersticken, so oft und so schnell es ihr beliebte. Das Unterhaus würde auf¬
hören, eine freie Versammlung im bisherigen Sinne zu sein. Gladstone meint,
die Ehre und der Charakter des Hauses hingen vom Ausgange dieser Sache
ab, aber seine Gegner behaupten dasselbe, nur mit dem Unterschiede, daß sie
glauben, die Ehre und der Charakter der englischen zweiten Kanuner würden
gefährdet sein, wenn das Recht, den Parteien im Parlamente den Mund zu
schließen, einem einzelnen zur Verfügung gestellt würde. Die Idee, dem Sprecher
des Unterhauses und zugleich dein jeweiligen Vorsitzenden der als Komitee be¬
ratenden Versammlung die czlöturo in die Hand zu geben, wird Gladstone schwer¬
lich verwirklichen können, und auch sonst wird er Zugeständnisse machen müssen.
Andrerseits wird Northcote mit seinem Vorschlage, den ersten Artikel der Reso¬
lutionen einfach abzulehnen, sicherlich nicht durchdringen; denn derselbe entspricht
um Prinzip einem dringenden Bedürfnisse. Mehr Aussicht anf Anunhme hat
das Amendement, welches Lubbvck gestellt hat, und welches ans Ersetzung des
unklaren Rechenexempels des Gladstvneschen Antrags durch einfache "zwei Drittel
der Anwesenden" hinausläuft. Auch der ähnliche Gibsonsche Verbesserungsvor-


Aus dem englischen Parlamente.

der Debatte soll und kaun erfolgen, wenn bei weniger als vierzig ablehnenden
Stimmen mehr als hundert und bei mehr als vierzig verneinenden Voden
wenigstens zweihundert Abgeordnete sich dafür erklärt haben, und der Sprecher
oder, wenn das Hans sich in einen Ausschuß verwandelt hat, der Vorsitzende
des letztern soll dies einleiten und ausführen.

Glndstone scheint ans denn Eingehen des Unterhauses auf diesen Antrag
keine Lebensfrage für das Ministerium machen zu wollen. „Wir werden, sagte
er, unsre Vorschläge mit allen Beweisen, die sich uns darbieten, empfehlen, aber
das Ansehen und die Verantwortlichkeit des Hauses achten, und anerkennen, daß
die Ehre und der Ruf desselben bei dieser Angelegenheit sogar mehr beteiligt
sind als die Verantwortlichkeit und die Ehre der Negierung." Zu gleicher Zeit
verhehlte er allerdings nicht, daß die letztere „an der ersten Resolution (dem
soeben zitirtcn Satze) in ihren hauptsächlichen Vorschlägen festzuhalten gedenke."
Dies läßt sich in zwiefacher Weise deuten. Es kann heißen, daß Gladstone
entschlossen ist, die französische «lüturs rein lind einfach einzuführen, wenn Zeit
und Umstände es gestatten, und es kann ebenso wohl bedeuten, daß die liberale
Partei nicht gezwungen werden soll, in einer Sache, die dem Geiste des Libe¬
ralismus zu widersprechen scheint, gegen ihr Gewissen zu stimmen. So verstand
es Northcote, der Führer der Opposition, und Glndstvue, der bei dessen Inter¬
pretation zugegen war, widersprach derselben wenigstens nicht ausdrücklich.

Der Artikel der Gladstvneschen Anträge, welcher die (zlötnro enthält, leidet
zunächst, wie bemerkt, an dem Mangel der Undeutlichkeit. Er müßte anf alle
Fülle in eine-bessere Form gebracht werden. Dann aber lassen sich gegen den
Inhalt sehr beachtenswerte Bedenken erheben. Die Majorität würde, wenn der
Vorschlag durchginge, mit unbeschränkter Macht bekleidet werden, die Debatte
zu ersticken, so oft und so schnell es ihr beliebte. Das Unterhaus würde auf¬
hören, eine freie Versammlung im bisherigen Sinne zu sein. Gladstone meint,
die Ehre und der Charakter des Hauses hingen vom Ausgange dieser Sache
ab, aber seine Gegner behaupten dasselbe, nur mit dem Unterschiede, daß sie
glauben, die Ehre und der Charakter der englischen zweiten Kanuner würden
gefährdet sein, wenn das Recht, den Parteien im Parlamente den Mund zu
schließen, einem einzelnen zur Verfügung gestellt würde. Die Idee, dem Sprecher
des Unterhauses und zugleich dein jeweiligen Vorsitzenden der als Komitee be¬
ratenden Versammlung die czlöturo in die Hand zu geben, wird Gladstone schwer¬
lich verwirklichen können, und auch sonst wird er Zugeständnisse machen müssen.
Andrerseits wird Northcote mit seinem Vorschlage, den ersten Artikel der Reso¬
lutionen einfach abzulehnen, sicherlich nicht durchdringen; denn derselbe entspricht
um Prinzip einem dringenden Bedürfnisse. Mehr Aussicht anf Anunhme hat
das Amendement, welches Lubbvck gestellt hat, und welches ans Ersetzung des
unklaren Rechenexempels des Gladstvneschen Antrags durch einfache „zwei Drittel
der Anwesenden" hinausläuft. Auch der ähnliche Gibsonsche Verbesserungsvor-


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[0265] Aus dem englischen Parlamente. der Debatte soll und kaun erfolgen, wenn bei weniger als vierzig ablehnenden Stimmen mehr als hundert und bei mehr als vierzig verneinenden Voden wenigstens zweihundert Abgeordnete sich dafür erklärt haben, und der Sprecher oder, wenn das Hans sich in einen Ausschuß verwandelt hat, der Vorsitzende des letztern soll dies einleiten und ausführen. Glndstone scheint ans denn Eingehen des Unterhauses auf diesen Antrag keine Lebensfrage für das Ministerium machen zu wollen. „Wir werden, sagte er, unsre Vorschläge mit allen Beweisen, die sich uns darbieten, empfehlen, aber das Ansehen und die Verantwortlichkeit des Hauses achten, und anerkennen, daß die Ehre und der Ruf desselben bei dieser Angelegenheit sogar mehr beteiligt sind als die Verantwortlichkeit und die Ehre der Negierung." Zu gleicher Zeit verhehlte er allerdings nicht, daß die letztere „an der ersten Resolution (dem soeben zitirtcn Satze) in ihren hauptsächlichen Vorschlägen festzuhalten gedenke." Dies läßt sich in zwiefacher Weise deuten. Es kann heißen, daß Gladstone entschlossen ist, die französische «lüturs rein lind einfach einzuführen, wenn Zeit und Umstände es gestatten, und es kann ebenso wohl bedeuten, daß die liberale Partei nicht gezwungen werden soll, in einer Sache, die dem Geiste des Libe¬ ralismus zu widersprechen scheint, gegen ihr Gewissen zu stimmen. So verstand es Northcote, der Führer der Opposition, und Glndstvue, der bei dessen Inter¬ pretation zugegen war, widersprach derselben wenigstens nicht ausdrücklich. Der Artikel der Gladstvneschen Anträge, welcher die (zlötnro enthält, leidet zunächst, wie bemerkt, an dem Mangel der Undeutlichkeit. Er müßte anf alle Fülle in eine-bessere Form gebracht werden. Dann aber lassen sich gegen den Inhalt sehr beachtenswerte Bedenken erheben. Die Majorität würde, wenn der Vorschlag durchginge, mit unbeschränkter Macht bekleidet werden, die Debatte zu ersticken, so oft und so schnell es ihr beliebte. Das Unterhaus würde auf¬ hören, eine freie Versammlung im bisherigen Sinne zu sein. Gladstone meint, die Ehre und der Charakter des Hauses hingen vom Ausgange dieser Sache ab, aber seine Gegner behaupten dasselbe, nur mit dem Unterschiede, daß sie glauben, die Ehre und der Charakter der englischen zweiten Kanuner würden gefährdet sein, wenn das Recht, den Parteien im Parlamente den Mund zu schließen, einem einzelnen zur Verfügung gestellt würde. Die Idee, dem Sprecher des Unterhauses und zugleich dein jeweiligen Vorsitzenden der als Komitee be¬ ratenden Versammlung die czlöturo in die Hand zu geben, wird Gladstone schwer¬ lich verwirklichen können, und auch sonst wird er Zugeständnisse machen müssen. Andrerseits wird Northcote mit seinem Vorschlage, den ersten Artikel der Reso¬ lutionen einfach abzulehnen, sicherlich nicht durchdringen; denn derselbe entspricht um Prinzip einem dringenden Bedürfnisse. Mehr Aussicht anf Anunhme hat das Amendement, welches Lubbvck gestellt hat, und welches ans Ersetzung des unklaren Rechenexempels des Gladstvneschen Antrags durch einfache „zwei Drittel der Anwesenden" hinausläuft. Auch der ähnliche Gibsonsche Verbesserungsvor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/265>, abgerufen am 29.06.2024.