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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Epilog zum Parsifal.

fast unmöglich geworden, dem Publikum gegenüber uoch eine andre als ver¬
himmelnde Anschauung der Wagnerschen Thätigkeit zur Äußerung zu bringen.
Man sucht die Leserwelt vou allen Seiten zu täuschen und zu belügen und
ihr mit einer Ausdauer, die selbst die Reklamen von Jtzig, Cohn und Comp.
beschämt, im voraus die irrigsten Meinungen beizubringen, ihr Urteil zu be¬
einflussen, ihren Blick zu trüben. Zu diesen trügerischen Vorspiegelungen zählt
auch die unausgesetzt wiederholte Behauptung, daß der "Parsifal" das Erlesenste
sei, was auf dem Gebiete dramatischer Komposition je geleistet worden. Man
nimmt eben hier das Äußerliche, die Effekte, die gleichzeitig höchste Inanspruch¬
nahme aller mitwirkenden Faktoren für den Inhalt und das Wesen der Sache.
Ob es uicht Bühuendarstellungeu giebt, die den "Parsifal" an überraschenden
Effekten und drastischen Wirkungen, an Großartigkeit und Pracht der Ausstattung
weit überragen, sei hier nicht weiter untersucht; aber gewiß giebt und gab es
derartige Spiele. Daß jedoch diese neueste Hervorbringung des Meisters durch
sehr zahlreiche Werke früherer Zeit, was dramatische Kraft, charakteristischen
Allsdruck, Frische der Erfindung, Schönheit der Form, Klarheit der Durchführung,
beseligenden Inhalt, Überfülle der Gedanken und künstlerische Gestaltungskraft
anlangt, Weltalls überholt wird, braucht gar nicht besprochen und verteidigt zu
werde".

Der allerwärts im Reiche der Töne als Herrscher und Fürst anerkannte
arme Musikant Mozart (von Beethoven gar nicht zu reden) mußte sich glücklich
schätzen, wenn irgend ein dem Bankerott naher Theaterdirektor ihm den Auf¬
trag gab, eine Oper zu schreiben. Besagter Mozart, dessen heißestes Verlangen
es war, für die Bühne arbeiten zu dürfen, war über solche ihm gestellte Auf¬
gaben stets hocherfreut. Und bei seinen Tönen und Weisen vergaß das Pu¬
blikum die elendesten Texte und die armseligste Ausstattung (wie selbst heute
noch die Aufführung seiner Opern auf unsern bestsituirten Hoftheatern vielfach
beweist). Hätte er Bedingungen wie Herr Wagner geltend gemacht und dessen
ganzen Apparat beansprucht (die Parsifalaufführungen sollen 700 000 Mark ge¬
kostet haben), man hätte ihn einfach in ein Narrenhaus gesteckt. Weder eine
fürstliche Existenz, noch ein Extratheaterbau, weder ein unterirdisches, durch
höhern Befehl in diesen Raum gezwungenes Orchester, uoch die erlesensten Kräfte
der deutschen Bühne, weder Sammelbüchsen durchs ganze Land hin, noch außer¬
ordentliche Anleihen durften ihm in den Sinn kommen. Wohl aber drängte
und trieb es in seinem Kopfe, rührte und wogte es in seinem Herzen; die darin
zum Lichte strebende Melvdienfülle suchte sich Bahn zu brechen, und ohne die
Honorare zu berechnen, die ihm seine Arbeit tragen würde, und mit Verlegern
und Direktoren im voraus zu feilschen, sang er, weil er, ein gottbegnadeter
Sänger, ein Segen für die Welt, ein Heilquell seliger Genüsse und unverge߬
licher Eindrücke, singen mußte, und ohne darauf auszugehen, sein sündhaftes
Leben komödiantenhaft mit einem Gebete abzuschließen, entströmten seinen er-


Epilog zum Parsifal.

fast unmöglich geworden, dem Publikum gegenüber uoch eine andre als ver¬
himmelnde Anschauung der Wagnerschen Thätigkeit zur Äußerung zu bringen.
Man sucht die Leserwelt vou allen Seiten zu täuschen und zu belügen und
ihr mit einer Ausdauer, die selbst die Reklamen von Jtzig, Cohn und Comp.
beschämt, im voraus die irrigsten Meinungen beizubringen, ihr Urteil zu be¬
einflussen, ihren Blick zu trüben. Zu diesen trügerischen Vorspiegelungen zählt
auch die unausgesetzt wiederholte Behauptung, daß der „Parsifal" das Erlesenste
sei, was auf dem Gebiete dramatischer Komposition je geleistet worden. Man
nimmt eben hier das Äußerliche, die Effekte, die gleichzeitig höchste Inanspruch¬
nahme aller mitwirkenden Faktoren für den Inhalt und das Wesen der Sache.
Ob es uicht Bühuendarstellungeu giebt, die den „Parsifal" an überraschenden
Effekten und drastischen Wirkungen, an Großartigkeit und Pracht der Ausstattung
weit überragen, sei hier nicht weiter untersucht; aber gewiß giebt und gab es
derartige Spiele. Daß jedoch diese neueste Hervorbringung des Meisters durch
sehr zahlreiche Werke früherer Zeit, was dramatische Kraft, charakteristischen
Allsdruck, Frische der Erfindung, Schönheit der Form, Klarheit der Durchführung,
beseligenden Inhalt, Überfülle der Gedanken und künstlerische Gestaltungskraft
anlangt, Weltalls überholt wird, braucht gar nicht besprochen und verteidigt zu
werde».

Der allerwärts im Reiche der Töne als Herrscher und Fürst anerkannte
arme Musikant Mozart (von Beethoven gar nicht zu reden) mußte sich glücklich
schätzen, wenn irgend ein dem Bankerott naher Theaterdirektor ihm den Auf¬
trag gab, eine Oper zu schreiben. Besagter Mozart, dessen heißestes Verlangen
es war, für die Bühne arbeiten zu dürfen, war über solche ihm gestellte Auf¬
gaben stets hocherfreut. Und bei seinen Tönen und Weisen vergaß das Pu¬
blikum die elendesten Texte und die armseligste Ausstattung (wie selbst heute
noch die Aufführung seiner Opern auf unsern bestsituirten Hoftheatern vielfach
beweist). Hätte er Bedingungen wie Herr Wagner geltend gemacht und dessen
ganzen Apparat beansprucht (die Parsifalaufführungen sollen 700 000 Mark ge¬
kostet haben), man hätte ihn einfach in ein Narrenhaus gesteckt. Weder eine
fürstliche Existenz, noch ein Extratheaterbau, weder ein unterirdisches, durch
höhern Befehl in diesen Raum gezwungenes Orchester, uoch die erlesensten Kräfte
der deutschen Bühne, weder Sammelbüchsen durchs ganze Land hin, noch außer¬
ordentliche Anleihen durften ihm in den Sinn kommen. Wohl aber drängte
und trieb es in seinem Kopfe, rührte und wogte es in seinem Herzen; die darin
zum Lichte strebende Melvdienfülle suchte sich Bahn zu brechen, und ohne die
Honorare zu berechnen, die ihm seine Arbeit tragen würde, und mit Verlegern
und Direktoren im voraus zu feilschen, sang er, weil er, ein gottbegnadeter
Sänger, ein Segen für die Welt, ein Heilquell seliger Genüsse und unverge߬
licher Eindrücke, singen mußte, und ohne darauf auszugehen, sein sündhaftes
Leben komödiantenhaft mit einem Gebete abzuschließen, entströmten seinen er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/242>, abgerufen am 29.06.2024.