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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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über die Bretter gingen, im übrigen eine jener bekannten Hauptnebenpersonen, wie
sie sich in allen Wagnerschen Opern finden, deren Wegbleiben oder Gegenwärtig¬
sein ganz gleichgiltig ist. Kundry, erst abschreckend häßlich, dann verlockend schön,
im letzten Akte, in dem sie ihre erste Gestalt wieder angenommen hat, nur ein
Wort sprechend, also zu völliger Schweigsamkeit verurteilt, erscheint als ein
rätselhaftes, unheimliches Zwitterding und höchst sonderbares, wenn sie nicht
reitet oder verführen will, jäh aufschreit oder wild auflacht, meist ans dein Bauche
liegendes und konvulsivische Bewegungen ausführendes Frauenzimmer. Sie ist
deswegen eine ganz neue Bühnengestalt, weil man bisher noch nie versuchte,
eine Epileptische aus das Theater zu bringen. Menschlich erquicklich ist allein
die Erscheinung des Sagenkundiger, ehrlichen Guruemanz.

Aus frühern Bemerkungen bleibt zu entnehmen, daß in einzelnen Motiven
des "Parsifal" wohl Melodieansütze, aber, mit Ausnahme vielleicht der ein¬
stimmigen Chorstrvphen der Gralsritter, in der ganzen Oper keine logisch ent¬
wickelte, in sich abschließende, innerlich zusammenhängende Melodie vorkommt.
Zieht man noch in Betracht, daß die Solisten in einem trostlos armen, unnatürlich
geschraubten, mehr einem blöden Lallen und Stöhnen und unfaßlichem Umher-
tasten gleichenden, in seinem mühsamen Ringen nach Charakteristik nur des Tvu-
setzers bemitleidenswerte Melodienarmut beweisenden Singsang, als in hergebracht
entwickelten, stimmgemäßen Weisen sich auszusprechen haben, so dürfte man alle
Genüsse aufgezählt haben, die in diesem seit Jahren durch die aufdringlichste
Reklame eingeführten und dann überschwenglich gelobten und gepriesenen Ton-
werke dem Hörer sich darbieten.

In der That erscheint Wagner nicht nur als die Personifikation unsrer
nach Genuß und Besitz in wilder Gier strebenden, innerlich sich zersetzende" und
jedwedes Gesetz höhnenden Zeitperiode, er ist auch die Geißel derselben. Pietätlos
fälscht und wendet er, um sie seinen Zwecken dienstbar zu macheu, eine der
schönsten und ehrwürdigsten Dichtungen der ältern deutschen Literatur, profanirt
die heiligen Gebräuche der Kirche, indem er sie willkürlich symbolisirt auf die
Bühne bringt, verwirrt durch Lehre und Beispiel den Geist der Jugend und die
Gedanken hysterischer alter Närrinnen, lenkt den Geschmack weitab von den
höchsten Offenbarungen der Kunst; wie ein Dämon tyrannisirt der von ma߬
loser Selbstüberschätzung befangene auch alle diejenigen, die ihm blindergeben
folgen. Den Götzendienst, den man mit ihm treibt, nimmt er als selbstverständ¬
lichen Tribut für seine ungeheuerlichen Leistungen gnädig entgegen. Nie hat ein
Tonsetzer den sich für ihn aufopfernden Gesangskünstlern sinnlosere, undankbarere,
bei fortdauernder Ausübung den sicher"? Ruin des Organs nach sich ziehende
Aufgaben zu lösen zugemutet, nie einer sie und diejenigen, die ihn zu schwin¬
delnder Höhe emporheben halfen, geringschätziger behandelt. Aber mit tiefster
Unterwürfigkeit krümmen sich eitle, verblendete Knnstgrößen zu seinen Füßen,
drängen sich sonst hoffärtigste Gesellen und empfindlichste Primadonnen zu


über die Bretter gingen, im übrigen eine jener bekannten Hauptnebenpersonen, wie
sie sich in allen Wagnerschen Opern finden, deren Wegbleiben oder Gegenwärtig¬
sein ganz gleichgiltig ist. Kundry, erst abschreckend häßlich, dann verlockend schön,
im letzten Akte, in dem sie ihre erste Gestalt wieder angenommen hat, nur ein
Wort sprechend, also zu völliger Schweigsamkeit verurteilt, erscheint als ein
rätselhaftes, unheimliches Zwitterding und höchst sonderbares, wenn sie nicht
reitet oder verführen will, jäh aufschreit oder wild auflacht, meist ans dein Bauche
liegendes und konvulsivische Bewegungen ausführendes Frauenzimmer. Sie ist
deswegen eine ganz neue Bühnengestalt, weil man bisher noch nie versuchte,
eine Epileptische aus das Theater zu bringen. Menschlich erquicklich ist allein
die Erscheinung des Sagenkundiger, ehrlichen Guruemanz.

Aus frühern Bemerkungen bleibt zu entnehmen, daß in einzelnen Motiven
des „Parsifal" wohl Melodieansütze, aber, mit Ausnahme vielleicht der ein¬
stimmigen Chorstrvphen der Gralsritter, in der ganzen Oper keine logisch ent¬
wickelte, in sich abschließende, innerlich zusammenhängende Melodie vorkommt.
Zieht man noch in Betracht, daß die Solisten in einem trostlos armen, unnatürlich
geschraubten, mehr einem blöden Lallen und Stöhnen und unfaßlichem Umher-
tasten gleichenden, in seinem mühsamen Ringen nach Charakteristik nur des Tvu-
setzers bemitleidenswerte Melodienarmut beweisenden Singsang, als in hergebracht
entwickelten, stimmgemäßen Weisen sich auszusprechen haben, so dürfte man alle
Genüsse aufgezählt haben, die in diesem seit Jahren durch die aufdringlichste
Reklame eingeführten und dann überschwenglich gelobten und gepriesenen Ton-
werke dem Hörer sich darbieten.

In der That erscheint Wagner nicht nur als die Personifikation unsrer
nach Genuß und Besitz in wilder Gier strebenden, innerlich sich zersetzende» und
jedwedes Gesetz höhnenden Zeitperiode, er ist auch die Geißel derselben. Pietätlos
fälscht und wendet er, um sie seinen Zwecken dienstbar zu macheu, eine der
schönsten und ehrwürdigsten Dichtungen der ältern deutschen Literatur, profanirt
die heiligen Gebräuche der Kirche, indem er sie willkürlich symbolisirt auf die
Bühne bringt, verwirrt durch Lehre und Beispiel den Geist der Jugend und die
Gedanken hysterischer alter Närrinnen, lenkt den Geschmack weitab von den
höchsten Offenbarungen der Kunst; wie ein Dämon tyrannisirt der von ma߬
loser Selbstüberschätzung befangene auch alle diejenigen, die ihm blindergeben
folgen. Den Götzendienst, den man mit ihm treibt, nimmt er als selbstverständ¬
lichen Tribut für seine ungeheuerlichen Leistungen gnädig entgegen. Nie hat ein
Tonsetzer den sich für ihn aufopfernden Gesangskünstlern sinnlosere, undankbarere,
bei fortdauernder Ausübung den sicher»? Ruin des Organs nach sich ziehende
Aufgaben zu lösen zugemutet, nie einer sie und diejenigen, die ihn zu schwin¬
delnder Höhe emporheben halfen, geringschätziger behandelt. Aber mit tiefster
Unterwürfigkeit krümmen sich eitle, verblendete Knnstgrößen zu seinen Füßen,
drängen sich sonst hoffärtigste Gesellen und empfindlichste Primadonnen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/240>, abgerufen am 29.06.2024.