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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Lxilog zum Parsifal.

Balletmeister Fricke aus Dessau sehr geschmackvoll arrangirt hatte), die vorüber¬
fliegende Waudeldekoratioii (die Wandelnden bleiben stehen, Wald und Felsen,
Berge und Thäler bewegen sich mit Eilzugsgeschwindigkeit), der Zaubergärten
mit seinen riesigen Klatschrosen, die bedenkliche Szene am Quell und der affektirte,
geradezu komisch wirkende, unwillkürlich an die Echternacher Springerprozession
erinnernde Aufzug der Gralsritter und Konsorten im letzten Akte gewiß nicht
als mustergiltige Einrichtungen bezeichnet werden. "Parsifal" ist im Grunde
doch nur eine Zauberoper. Wo man sie zukünftig geben wird (und sie wird
gewiß hie und da aufgeführt werden), wird man auch bemüht sein, die Vayreuther
Ausstattung zu überbieten und das Großartige und Überraschende derselben noch
großartiger und überraschender zu gestalten.

Die Leistungen der Solisten müssen fast ausnahmslos als vorzüglich
bezeichnet werden. Über alles Lob erhaben waren die des aus einem Keller-
raum gedampft und mystisch herauftönenden Orchesters, Es trägt keine Schuld
daran, wenn nie ein Heller, frischer, froher Klang das weite Haus erquickend
durchzog, wenn Glanz und Pracht seinen Tönen versagt blieben.

Was die Hauptpersonen der Oper anlangt, so führt Wagner, außer dem
alten, geschwätzigen Gurnemanz, wieder nur Schemen und Marionetten, Stelzen¬
gänger ohne dramatische Glaubwürdigkeit vor, die tiefere Teilnahme auch keinen
Moment zu erregen vermögen, deren Thun und Geschick den Hörer völlig gleichgiltig
lassen. Der lebendigen Wehklage, des unausgesetzt vou heillosen Seiteuschmerzen
geplagten, jammerseligen Amfortas, wird man recht bald überdrüssig. Man fragt
sich: Ein Fehltritt -- war er solcher Büßung wert? Der greise Titurel, so vor¬
trefflich er seiue undankbare Partie auch meisterte, vermochte uns nicht hinters
Licht zu führen, da er in den Zwischenakten immer kreuzfidel vor dem Theater
spazierte und konversirte. Parsifal, der "reine Thor," der nichts weiß, nicht einmal
seinen Namen, erscheint erst als ein flotter, lebensfroher und derber Naturbursche.
Nachdem er aber das ungeheure Verbrechen begangen, einen ans der Suche uach
seinem Weibchen befindlichen Schwan zu schießen, zerbricht er "in wachsender
Ergriffenheit" Bogen und Pfeile, und dann wird ihm zum erstenmale schwach.
Mit der vielgerühmten Schneidigkeit scheint es bei dem Muttersöhnchen wirklich
uicht weit her zu sein. Darauf, nachdem er nur sehr wenig an der allgemeinen
Unterhaltung sich beteiligt, was bei seiner geringen Bildung uicht überrascht,
steht man ihn, dem Publikum den Rücken kehrend, während der ganzen langen
Gralsfeier, allein im Vordergründe unbeweglich auf einem Flecke stehen, wobei man
Gelegenheit findet, über seine schönere Hälfte Betrachtungen anzustellen und seine
strammen Waden zu bewundern. Zuletzt wirft Gurnemanz den über das Geschaute
ganz verblüfften Günser mit kurzen, dürren Worten zum Tempel hinaus. Im zweiten
Akte ist er ein blöder, im dritten ein verrückter Thor. Aber in keiner dieser Formen
vermag der Held des Werkes irgendwelches Interesse hervorzurufen. Klingsor
'se ein galliger, mißgünstiger Hexenmeister, wie alle seinesgleichen, die vor ihm


Lxilog zum Parsifal.

Balletmeister Fricke aus Dessau sehr geschmackvoll arrangirt hatte), die vorüber¬
fliegende Waudeldekoratioii (die Wandelnden bleiben stehen, Wald und Felsen,
Berge und Thäler bewegen sich mit Eilzugsgeschwindigkeit), der Zaubergärten
mit seinen riesigen Klatschrosen, die bedenkliche Szene am Quell und der affektirte,
geradezu komisch wirkende, unwillkürlich an die Echternacher Springerprozession
erinnernde Aufzug der Gralsritter und Konsorten im letzten Akte gewiß nicht
als mustergiltige Einrichtungen bezeichnet werden. „Parsifal" ist im Grunde
doch nur eine Zauberoper. Wo man sie zukünftig geben wird (und sie wird
gewiß hie und da aufgeführt werden), wird man auch bemüht sein, die Vayreuther
Ausstattung zu überbieten und das Großartige und Überraschende derselben noch
großartiger und überraschender zu gestalten.

Die Leistungen der Solisten müssen fast ausnahmslos als vorzüglich
bezeichnet werden. Über alles Lob erhaben waren die des aus einem Keller-
raum gedampft und mystisch herauftönenden Orchesters, Es trägt keine Schuld
daran, wenn nie ein Heller, frischer, froher Klang das weite Haus erquickend
durchzog, wenn Glanz und Pracht seinen Tönen versagt blieben.

Was die Hauptpersonen der Oper anlangt, so führt Wagner, außer dem
alten, geschwätzigen Gurnemanz, wieder nur Schemen und Marionetten, Stelzen¬
gänger ohne dramatische Glaubwürdigkeit vor, die tiefere Teilnahme auch keinen
Moment zu erregen vermögen, deren Thun und Geschick den Hörer völlig gleichgiltig
lassen. Der lebendigen Wehklage, des unausgesetzt vou heillosen Seiteuschmerzen
geplagten, jammerseligen Amfortas, wird man recht bald überdrüssig. Man fragt
sich: Ein Fehltritt — war er solcher Büßung wert? Der greise Titurel, so vor¬
trefflich er seiue undankbare Partie auch meisterte, vermochte uns nicht hinters
Licht zu führen, da er in den Zwischenakten immer kreuzfidel vor dem Theater
spazierte und konversirte. Parsifal, der „reine Thor," der nichts weiß, nicht einmal
seinen Namen, erscheint erst als ein flotter, lebensfroher und derber Naturbursche.
Nachdem er aber das ungeheure Verbrechen begangen, einen ans der Suche uach
seinem Weibchen befindlichen Schwan zu schießen, zerbricht er „in wachsender
Ergriffenheit" Bogen und Pfeile, und dann wird ihm zum erstenmale schwach.
Mit der vielgerühmten Schneidigkeit scheint es bei dem Muttersöhnchen wirklich
uicht weit her zu sein. Darauf, nachdem er nur sehr wenig an der allgemeinen
Unterhaltung sich beteiligt, was bei seiner geringen Bildung uicht überrascht,
steht man ihn, dem Publikum den Rücken kehrend, während der ganzen langen
Gralsfeier, allein im Vordergründe unbeweglich auf einem Flecke stehen, wobei man
Gelegenheit findet, über seine schönere Hälfte Betrachtungen anzustellen und seine
strammen Waden zu bewundern. Zuletzt wirft Gurnemanz den über das Geschaute
ganz verblüfften Günser mit kurzen, dürren Worten zum Tempel hinaus. Im zweiten
Akte ist er ein blöder, im dritten ein verrückter Thor. Aber in keiner dieser Formen
vermag der Held des Werkes irgendwelches Interesse hervorzurufen. Klingsor
'se ein galliger, mißgünstiger Hexenmeister, wie alle seinesgleichen, die vor ihm


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[0239] Lxilog zum Parsifal. Balletmeister Fricke aus Dessau sehr geschmackvoll arrangirt hatte), die vorüber¬ fliegende Waudeldekoratioii (die Wandelnden bleiben stehen, Wald und Felsen, Berge und Thäler bewegen sich mit Eilzugsgeschwindigkeit), der Zaubergärten mit seinen riesigen Klatschrosen, die bedenkliche Szene am Quell und der affektirte, geradezu komisch wirkende, unwillkürlich an die Echternacher Springerprozession erinnernde Aufzug der Gralsritter und Konsorten im letzten Akte gewiß nicht als mustergiltige Einrichtungen bezeichnet werden. „Parsifal" ist im Grunde doch nur eine Zauberoper. Wo man sie zukünftig geben wird (und sie wird gewiß hie und da aufgeführt werden), wird man auch bemüht sein, die Vayreuther Ausstattung zu überbieten und das Großartige und Überraschende derselben noch großartiger und überraschender zu gestalten. Die Leistungen der Solisten müssen fast ausnahmslos als vorzüglich bezeichnet werden. Über alles Lob erhaben waren die des aus einem Keller- raum gedampft und mystisch herauftönenden Orchesters, Es trägt keine Schuld daran, wenn nie ein Heller, frischer, froher Klang das weite Haus erquickend durchzog, wenn Glanz und Pracht seinen Tönen versagt blieben. Was die Hauptpersonen der Oper anlangt, so führt Wagner, außer dem alten, geschwätzigen Gurnemanz, wieder nur Schemen und Marionetten, Stelzen¬ gänger ohne dramatische Glaubwürdigkeit vor, die tiefere Teilnahme auch keinen Moment zu erregen vermögen, deren Thun und Geschick den Hörer völlig gleichgiltig lassen. Der lebendigen Wehklage, des unausgesetzt vou heillosen Seiteuschmerzen geplagten, jammerseligen Amfortas, wird man recht bald überdrüssig. Man fragt sich: Ein Fehltritt — war er solcher Büßung wert? Der greise Titurel, so vor¬ trefflich er seiue undankbare Partie auch meisterte, vermochte uns nicht hinters Licht zu führen, da er in den Zwischenakten immer kreuzfidel vor dem Theater spazierte und konversirte. Parsifal, der „reine Thor," der nichts weiß, nicht einmal seinen Namen, erscheint erst als ein flotter, lebensfroher und derber Naturbursche. Nachdem er aber das ungeheure Verbrechen begangen, einen ans der Suche uach seinem Weibchen befindlichen Schwan zu schießen, zerbricht er „in wachsender Ergriffenheit" Bogen und Pfeile, und dann wird ihm zum erstenmale schwach. Mit der vielgerühmten Schneidigkeit scheint es bei dem Muttersöhnchen wirklich uicht weit her zu sein. Darauf, nachdem er nur sehr wenig an der allgemeinen Unterhaltung sich beteiligt, was bei seiner geringen Bildung uicht überrascht, steht man ihn, dem Publikum den Rücken kehrend, während der ganzen langen Gralsfeier, allein im Vordergründe unbeweglich auf einem Flecke stehen, wobei man Gelegenheit findet, über seine schönere Hälfte Betrachtungen anzustellen und seine strammen Waden zu bewundern. Zuletzt wirft Gurnemanz den über das Geschaute ganz verblüfften Günser mit kurzen, dürren Worten zum Tempel hinaus. Im zweiten Akte ist er ein blöder, im dritten ein verrückter Thor. Aber in keiner dieser Formen vermag der Held des Werkes irgendwelches Interesse hervorzurufen. Klingsor 'se ein galliger, mißgünstiger Hexenmeister, wie alle seinesgleichen, die vor ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/239>, abgerufen am 29.06.2024.