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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Epilog zum parfifal.

Der zweite Akt hat namentlich viele Bewunderer gefunden. Er bietet, "ach
den trostlosen Langen des ersten, frische belebte Bilder, aber er berührt "ach
der vorausgegangenen fromm- und Heiligsemsollende" Handlung nnr umso un¬
angenehmer, besonders da man deutlich empfindet, daß der Komponist sich hier
wohlig in seinein eigentlichsten Elemente bewegt. Auch die Frnnenchöre an sich
schaffen angenehmen Wechsel; aber die Momente, in denen ihr Gesang sich in
harmonisch wohlklingenden Akkorden und in schmeichelnden Weisen bewegt, sind
zu flüchtig; es sind eben nur Momente. Ein Blick in den Klavierauszug ver¬
nichtet zudem jeden Kunsteindruck. Die anscheinend sehr komplizirte Fassung
der in drei gesonderte Chöre und mehrere Solostimmen geteilten Gesänge er¬
weist sich bei unserm Hinsehen als eitel Wind. Es hätte wirklich keiner so großen
Papiervergeudnng bedurft, und der Klavierauszug wäre auch billiger geworden,
um seitenlange Unisonogesänge anfzusHreibeu. Doch die Welt will genarrt und
betrogen sein, und da thun die unsaubersten Mittel und die frechsten Farben,
wenn es einmal darauf abgesehen ist, immer die besten Dienste.

Der dritte Akt beginnt sehr bezeichnend mit dem Odemotiv. Das Vorspiel ist
wirklich jammervoll. Nach den ersten Szenen, minder unerquicklich als manche
andern durch die Anwesenheit des alten, wackern Gurnemanz, tritt eine Art
Schornsteinfeger, ein schwarzer Ritter, auf. Unter dieser tristen Maske birgt
sich der "reine Thor." Die Fußwnschung stellt sich höchst unästhetisch dar. Es
wäre ja nicht undenkbar, daß einmal in einem Bühnenstück ein hübsches Mädchen
die Spitzen kleiner, feiner Füßchen in einen frischen Theaterqnell zu tauchen
Hütte, wenn auch der Fall in bisherigen Schauspielen kaum vorgekommen sein
dürfte; einem Manne jedoch vor aller Augen die Beine entblößen und sie waschen
und salben sehen, sehen, wie er dann das Hemd auseinander faltet, um seine
Blöße wieder zu bedecken, das ist doch kaum erträglich und gewiß noch nicht
dagewesen. Die letzte Szene des Werkes bildet eine Wiederholung der Grals¬
feier, und hier begegnet man denn auch endlich einem wirklich draumtischen
Momente. Die beiden Nitterchöre treten mit energischen Vorwürfen dem weh¬
leidigem König gegenüber und gelangen auf diese Weise zu einem wirksamen
Doppelchöre. Diese Schlußszene, uicht so weit ausgesponnen wie die des ersten
Aktes, entläßt den Hörer einigermaßen befriedigt und versöhnt. Man beklagt
es nach diesem Eindrucke doppelt, daß Wagner, der hier darthut, daß er Großes
effektvoll zu gestalten vermag, wenn er den Willen dazu hat, in unbegreiflicher
Verranntheit sich günstige Gelegenheiten, nachhaltige Wirkungen zu erzielen,
grundsätzlich entgehen läßt."

Mit Recht hat man Ausstattung, Arrangement und Kostüme im "Pnrsisal
gerühmt; jedoch können die ungekannten Flachsperrücken der Knappen und
Jünger, das flegelhafte Benehmen des dritten und vierten Knappen im ersten
Akte, die vielleicht für viele noch viel zu wenig Blöße enthüllende, cillzuschaM-'
hafte Bekleidung der schamlosen Blumenmädchen (deren hübsche Gruppirungett


Epilog zum parfifal.

Der zweite Akt hat namentlich viele Bewunderer gefunden. Er bietet, »ach
den trostlosen Langen des ersten, frische belebte Bilder, aber er berührt »ach
der vorausgegangenen fromm- und Heiligsemsollende» Handlung nnr umso un¬
angenehmer, besonders da man deutlich empfindet, daß der Komponist sich hier
wohlig in seinein eigentlichsten Elemente bewegt. Auch die Frnnenchöre an sich
schaffen angenehmen Wechsel; aber die Momente, in denen ihr Gesang sich in
harmonisch wohlklingenden Akkorden und in schmeichelnden Weisen bewegt, sind
zu flüchtig; es sind eben nur Momente. Ein Blick in den Klavierauszug ver¬
nichtet zudem jeden Kunsteindruck. Die anscheinend sehr komplizirte Fassung
der in drei gesonderte Chöre und mehrere Solostimmen geteilten Gesänge er¬
weist sich bei unserm Hinsehen als eitel Wind. Es hätte wirklich keiner so großen
Papiervergeudnng bedurft, und der Klavierauszug wäre auch billiger geworden,
um seitenlange Unisonogesänge anfzusHreibeu. Doch die Welt will genarrt und
betrogen sein, und da thun die unsaubersten Mittel und die frechsten Farben,
wenn es einmal darauf abgesehen ist, immer die besten Dienste.

Der dritte Akt beginnt sehr bezeichnend mit dem Odemotiv. Das Vorspiel ist
wirklich jammervoll. Nach den ersten Szenen, minder unerquicklich als manche
andern durch die Anwesenheit des alten, wackern Gurnemanz, tritt eine Art
Schornsteinfeger, ein schwarzer Ritter, auf. Unter dieser tristen Maske birgt
sich der „reine Thor." Die Fußwnschung stellt sich höchst unästhetisch dar. Es
wäre ja nicht undenkbar, daß einmal in einem Bühnenstück ein hübsches Mädchen
die Spitzen kleiner, feiner Füßchen in einen frischen Theaterqnell zu tauchen
Hütte, wenn auch der Fall in bisherigen Schauspielen kaum vorgekommen sein
dürfte; einem Manne jedoch vor aller Augen die Beine entblößen und sie waschen
und salben sehen, sehen, wie er dann das Hemd auseinander faltet, um seine
Blöße wieder zu bedecken, das ist doch kaum erträglich und gewiß noch nicht
dagewesen. Die letzte Szene des Werkes bildet eine Wiederholung der Grals¬
feier, und hier begegnet man denn auch endlich einem wirklich draumtischen
Momente. Die beiden Nitterchöre treten mit energischen Vorwürfen dem weh¬
leidigem König gegenüber und gelangen auf diese Weise zu einem wirksamen
Doppelchöre. Diese Schlußszene, uicht so weit ausgesponnen wie die des ersten
Aktes, entläßt den Hörer einigermaßen befriedigt und versöhnt. Man beklagt
es nach diesem Eindrucke doppelt, daß Wagner, der hier darthut, daß er Großes
effektvoll zu gestalten vermag, wenn er den Willen dazu hat, in unbegreiflicher
Verranntheit sich günstige Gelegenheiten, nachhaltige Wirkungen zu erzielen,
grundsätzlich entgehen läßt."

Mit Recht hat man Ausstattung, Arrangement und Kostüme im „Pnrsisal
gerühmt; jedoch können die ungekannten Flachsperrücken der Knappen und
Jünger, das flegelhafte Benehmen des dritten und vierten Knappen im ersten
Akte, die vielleicht für viele noch viel zu wenig Blöße enthüllende, cillzuschaM-'
hafte Bekleidung der schamlosen Blumenmädchen (deren hübsche Gruppirungett


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[0238] Epilog zum parfifal. Der zweite Akt hat namentlich viele Bewunderer gefunden. Er bietet, »ach den trostlosen Langen des ersten, frische belebte Bilder, aber er berührt »ach der vorausgegangenen fromm- und Heiligsemsollende» Handlung nnr umso un¬ angenehmer, besonders da man deutlich empfindet, daß der Komponist sich hier wohlig in seinein eigentlichsten Elemente bewegt. Auch die Frnnenchöre an sich schaffen angenehmen Wechsel; aber die Momente, in denen ihr Gesang sich in harmonisch wohlklingenden Akkorden und in schmeichelnden Weisen bewegt, sind zu flüchtig; es sind eben nur Momente. Ein Blick in den Klavierauszug ver¬ nichtet zudem jeden Kunsteindruck. Die anscheinend sehr komplizirte Fassung der in drei gesonderte Chöre und mehrere Solostimmen geteilten Gesänge er¬ weist sich bei unserm Hinsehen als eitel Wind. Es hätte wirklich keiner so großen Papiervergeudnng bedurft, und der Klavierauszug wäre auch billiger geworden, um seitenlange Unisonogesänge anfzusHreibeu. Doch die Welt will genarrt und betrogen sein, und da thun die unsaubersten Mittel und die frechsten Farben, wenn es einmal darauf abgesehen ist, immer die besten Dienste. Der dritte Akt beginnt sehr bezeichnend mit dem Odemotiv. Das Vorspiel ist wirklich jammervoll. Nach den ersten Szenen, minder unerquicklich als manche andern durch die Anwesenheit des alten, wackern Gurnemanz, tritt eine Art Schornsteinfeger, ein schwarzer Ritter, auf. Unter dieser tristen Maske birgt sich der „reine Thor." Die Fußwnschung stellt sich höchst unästhetisch dar. Es wäre ja nicht undenkbar, daß einmal in einem Bühnenstück ein hübsches Mädchen die Spitzen kleiner, feiner Füßchen in einen frischen Theaterqnell zu tauchen Hütte, wenn auch der Fall in bisherigen Schauspielen kaum vorgekommen sein dürfte; einem Manne jedoch vor aller Augen die Beine entblößen und sie waschen und salben sehen, sehen, wie er dann das Hemd auseinander faltet, um seine Blöße wieder zu bedecken, das ist doch kaum erträglich und gewiß noch nicht dagewesen. Die letzte Szene des Werkes bildet eine Wiederholung der Grals¬ feier, und hier begegnet man denn auch endlich einem wirklich draumtischen Momente. Die beiden Nitterchöre treten mit energischen Vorwürfen dem weh¬ leidigem König gegenüber und gelangen auf diese Weise zu einem wirksamen Doppelchöre. Diese Schlußszene, uicht so weit ausgesponnen wie die des ersten Aktes, entläßt den Hörer einigermaßen befriedigt und versöhnt. Man beklagt es nach diesem Eindrucke doppelt, daß Wagner, der hier darthut, daß er Großes effektvoll zu gestalten vermag, wenn er den Willen dazu hat, in unbegreiflicher Verranntheit sich günstige Gelegenheiten, nachhaltige Wirkungen zu erzielen, grundsätzlich entgehen läßt." Mit Recht hat man Ausstattung, Arrangement und Kostüme im „Pnrsisal gerühmt; jedoch können die ungekannten Flachsperrücken der Knappen und Jünger, das flegelhafte Benehmen des dritten und vierten Knappen im ersten Akte, die vielleicht für viele noch viel zu wenig Blöße enthüllende, cillzuschaM-' hafte Bekleidung der schamlosen Blumenmädchen (deren hübsche Gruppirungett

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/238>, abgerufen am 28.09.2024.