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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Epilog zum Parsifal.

zusammenwirkend einander entgegentrete", in wirksamerer Verwendung, wenn
auch nicht in so raffinirtem Aufbau, schon oft gehört Die "keuschen," aber
rauhen und ungebildeten Knabenstimmen mußten in Bayreuth durch eine Anzahl
Chvristiuueu gemildert und in der Höhe gehalten werden; von einer eigenartigen
Wirkung derselben konnte also kaum die Rede sein. Wenn manche Besucher
äußerten, daß sie nie im Leben einen ähnlich religiös-feierlichen Eindruck em¬
pfangen hatten wie im "Parsifal," so zeugt das nur dafür, daß sie nie mit
religiösem Sinne eine Kirche betreten, mit Andacht einer gottesdienstlichen
Handlung beigewohnt, Erhebung und Erbauung in der Gemeinschaft der Gläu¬
bigen gesucht haben. Es giebt ja leider unzählige Meuscheu, die immer einer
ganz besondern Stimulation bedürfen, um aus völliger Blasirtheit und reli¬
giöser Indolenz aufgerüttelt zu werdeu. Für solche fromme Gemüter ist dann
die Komödie gerade das rechte und ausreichende Mittel, um ihnen Thränen
heiliger Rührung zu entlocken. Wenn ferner verschiedne Kritiker von Pale-
strinaschen Klängen sprechen, so ist es sehr zweifelhaft, ob sie je einen der reinen,
entweltlichten, frommverklärten Tonsätze dieses edeln Meisters gehört haben, und
sie begehen dasselbe Unrecht, den Namen Wagners mit dem Palestrinas zu ver¬
dicken, das gewisse Kunsthistoriker begehen, wenn sie in heuchlerischer Schöu-
Unierei ihn fortgesetzt mit dem Mozarts und Beethovens in Verbindung bringen.

Der zweite Akt thut nach dem ersten eine geradezu widerwärtige und ver¬
letzende Wirkung. Erst das rohe Geplärr, imstande Steine zu erweichen, Menschen
^seiio zu machen, in welchem Klingsor lind Knndry ihre von den ohrverletzendsten
Wehelauten erfüllten Klagen ausströmen, und das gräßliche Schreien und eut-
schliche Lachen, das der Unholdin vorgeschrieben ist; dann aufdringlich lüsternes
Weibsvolk, das, von unreiner Brunst erfüllt, sich um eiuen jungen, strammen
Burschen streitet, und zuletzt eine fluchbelastete, in der Verführungskuust be¬
wanderte, unheimliche Gesellin, die sich selbst nicht schellt, das Andenken an eine
^le, unglückliche Mutter zu mißbrauchen, um ihn zu verführen und zu verderben.

Die Chorgesällge der Blumenmüdcheu, deren Motive herzlich unbedeutend
sind und sich in zahllosen modernen Salonpieecn längst abgenutzt finden, bilden ein
^'n Ohre unentwirrbares Dnrcheinanderkreischen, ein wüstes, in die höchsten
Tonlagen hinaufgeschraubtes Wimmern und Johlen, ähnlich dein der Walküren.
V">n realistischen Standpunkte aus mag diese ganze Szene, die so viele der
Anwesenden in Entzücken versetzte, möglicherweise zu rechtfertigen sein, schön und
kuustgemäß ist sie gewiß nicht; übrigens hat diese Szene im dritten Akt von
"Robert dem Teufel" ein viel dezenteres und graziöseres Pendant. Die nach¬
sagende Verführuugsszenc, gelegentlich der der Held verschieduemale ohnmächtig
wird ^r leidet an solchen Schwächezllstäuden), läßt, obgleich ein halbnacktes,
wie sinnverwirrenden Reizen ausgerüstetes Weib darin agirt, völlig kalt und
Kleichgiltig.


Grnizbvten IV. 1882.
Epilog zum Parsifal.

zusammenwirkend einander entgegentrete», in wirksamerer Verwendung, wenn
auch nicht in so raffinirtem Aufbau, schon oft gehört Die „keuschen," aber
rauhen und ungebildeten Knabenstimmen mußten in Bayreuth durch eine Anzahl
Chvristiuueu gemildert und in der Höhe gehalten werden; von einer eigenartigen
Wirkung derselben konnte also kaum die Rede sein. Wenn manche Besucher
äußerten, daß sie nie im Leben einen ähnlich religiös-feierlichen Eindruck em¬
pfangen hatten wie im „Parsifal," so zeugt das nur dafür, daß sie nie mit
religiösem Sinne eine Kirche betreten, mit Andacht einer gottesdienstlichen
Handlung beigewohnt, Erhebung und Erbauung in der Gemeinschaft der Gläu¬
bigen gesucht haben. Es giebt ja leider unzählige Meuscheu, die immer einer
ganz besondern Stimulation bedürfen, um aus völliger Blasirtheit und reli¬
giöser Indolenz aufgerüttelt zu werdeu. Für solche fromme Gemüter ist dann
die Komödie gerade das rechte und ausreichende Mittel, um ihnen Thränen
heiliger Rührung zu entlocken. Wenn ferner verschiedne Kritiker von Pale-
strinaschen Klängen sprechen, so ist es sehr zweifelhaft, ob sie je einen der reinen,
entweltlichten, frommverklärten Tonsätze dieses edeln Meisters gehört haben, und
sie begehen dasselbe Unrecht, den Namen Wagners mit dem Palestrinas zu ver¬
dicken, das gewisse Kunsthistoriker begehen, wenn sie in heuchlerischer Schöu-
Unierei ihn fortgesetzt mit dem Mozarts und Beethovens in Verbindung bringen.

Der zweite Akt thut nach dem ersten eine geradezu widerwärtige und ver¬
letzende Wirkung. Erst das rohe Geplärr, imstande Steine zu erweichen, Menschen
^seiio zu machen, in welchem Klingsor lind Knndry ihre von den ohrverletzendsten
Wehelauten erfüllten Klagen ausströmen, und das gräßliche Schreien und eut-
schliche Lachen, das der Unholdin vorgeschrieben ist; dann aufdringlich lüsternes
Weibsvolk, das, von unreiner Brunst erfüllt, sich um eiuen jungen, strammen
Burschen streitet, und zuletzt eine fluchbelastete, in der Verführungskuust be¬
wanderte, unheimliche Gesellin, die sich selbst nicht schellt, das Andenken an eine
^le, unglückliche Mutter zu mißbrauchen, um ihn zu verführen und zu verderben.

Die Chorgesällge der Blumenmüdcheu, deren Motive herzlich unbedeutend
sind und sich in zahllosen modernen Salonpieecn längst abgenutzt finden, bilden ein
^'n Ohre unentwirrbares Dnrcheinanderkreischen, ein wüstes, in die höchsten
Tonlagen hinaufgeschraubtes Wimmern und Johlen, ähnlich dein der Walküren.
V">n realistischen Standpunkte aus mag diese ganze Szene, die so viele der
Anwesenden in Entzücken versetzte, möglicherweise zu rechtfertigen sein, schön und
kuustgemäß ist sie gewiß nicht; übrigens hat diese Szene im dritten Akt von
"Robert dem Teufel" ein viel dezenteres und graziöseres Pendant. Die nach¬
sagende Verführuugsszenc, gelegentlich der der Held verschieduemale ohnmächtig
wird ^r leidet an solchen Schwächezllstäuden), läßt, obgleich ein halbnacktes,
wie sinnverwirrenden Reizen ausgerüstetes Weib darin agirt, völlig kalt und
Kleichgiltig.


Grnizbvten IV. 1882.
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[0237] Epilog zum Parsifal. zusammenwirkend einander entgegentrete», in wirksamerer Verwendung, wenn auch nicht in so raffinirtem Aufbau, schon oft gehört Die „keuschen," aber rauhen und ungebildeten Knabenstimmen mußten in Bayreuth durch eine Anzahl Chvristiuueu gemildert und in der Höhe gehalten werden; von einer eigenartigen Wirkung derselben konnte also kaum die Rede sein. Wenn manche Besucher äußerten, daß sie nie im Leben einen ähnlich religiös-feierlichen Eindruck em¬ pfangen hatten wie im „Parsifal," so zeugt das nur dafür, daß sie nie mit religiösem Sinne eine Kirche betreten, mit Andacht einer gottesdienstlichen Handlung beigewohnt, Erhebung und Erbauung in der Gemeinschaft der Gläu¬ bigen gesucht haben. Es giebt ja leider unzählige Meuscheu, die immer einer ganz besondern Stimulation bedürfen, um aus völliger Blasirtheit und reli¬ giöser Indolenz aufgerüttelt zu werdeu. Für solche fromme Gemüter ist dann die Komödie gerade das rechte und ausreichende Mittel, um ihnen Thränen heiliger Rührung zu entlocken. Wenn ferner verschiedne Kritiker von Pale- strinaschen Klängen sprechen, so ist es sehr zweifelhaft, ob sie je einen der reinen, entweltlichten, frommverklärten Tonsätze dieses edeln Meisters gehört haben, und sie begehen dasselbe Unrecht, den Namen Wagners mit dem Palestrinas zu ver¬ dicken, das gewisse Kunsthistoriker begehen, wenn sie in heuchlerischer Schöu- Unierei ihn fortgesetzt mit dem Mozarts und Beethovens in Verbindung bringen. Der zweite Akt thut nach dem ersten eine geradezu widerwärtige und ver¬ letzende Wirkung. Erst das rohe Geplärr, imstande Steine zu erweichen, Menschen ^seiio zu machen, in welchem Klingsor lind Knndry ihre von den ohrverletzendsten Wehelauten erfüllten Klagen ausströmen, und das gräßliche Schreien und eut- schliche Lachen, das der Unholdin vorgeschrieben ist; dann aufdringlich lüsternes Weibsvolk, das, von unreiner Brunst erfüllt, sich um eiuen jungen, strammen Burschen streitet, und zuletzt eine fluchbelastete, in der Verführungskuust be¬ wanderte, unheimliche Gesellin, die sich selbst nicht schellt, das Andenken an eine ^le, unglückliche Mutter zu mißbrauchen, um ihn zu verführen und zu verderben. Die Chorgesällge der Blumenmüdcheu, deren Motive herzlich unbedeutend sind und sich in zahllosen modernen Salonpieecn längst abgenutzt finden, bilden ein ^'n Ohre unentwirrbares Dnrcheinanderkreischen, ein wüstes, in die höchsten Tonlagen hinaufgeschraubtes Wimmern und Johlen, ähnlich dein der Walküren. V">n realistischen Standpunkte aus mag diese ganze Szene, die so viele der Anwesenden in Entzücken versetzte, möglicherweise zu rechtfertigen sein, schön und kuustgemäß ist sie gewiß nicht; übrigens hat diese Szene im dritten Akt von "Robert dem Teufel" ein viel dezenteres und graziöseres Pendant. Die nach¬ sagende Verführuugsszenc, gelegentlich der der Held verschieduemale ohnmächtig wird ^r leidet an solchen Schwächezllstäuden), läßt, obgleich ein halbnacktes, wie sinnverwirrenden Reizen ausgerüstetes Weib darin agirt, völlig kalt und Kleichgiltig. Grnizbvten IV. 1882.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/237>, abgerufen am 29.06.2024.