Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
politische Malerei.

cichenstift und Pinsel haben sich nicht selten der Tagespolitik zur
Verfügung gestellt, der erstere gewöhnlich als Satiriker, der letztere
als pathetischer Agitator. Auch daran, daß ein malender Partei¬
mann in seinem Übereifer die Sache lächerlich gemacht hat, für
welche er entflammen wollte, können wir uns erinnern. Mithin
>se der Pole Jan Matejko weder als Zeituugsartikelmnler noch als Satiriker
Wider Willen eine neue Erscheinung. Aber die Art seines Auftretens entbehrt
nicht der Originalität und ist außerdem von Umständen begleitet, die es zu
einem immerhin beachtenswerten Symptom machen.

Wir verstehen unter politischer Malerei selbstverständlich nicht die Dar¬
stellung von Vorgängen aus Gegenwart oder Vergangenheit, welche geeignet
sind, das Vaterlandsgefühl, den patriotischen Stolz zu erhöhen -- sonst müßte
1" alle nationale Kunst mit einbegriffen werden. Die politische Malerei hat
wie die selig entschlafene politische Poesie einen bestimmten Parteizweck vor
^niger, und diesem zuliebe müssen gelegentlich die Stoffe, woher sie auch ge¬
nommen werden mögen, sich zustutzen und färben lassen. Kaulbach und Lessing,
^art Hühner mit seinen Wilddiebs- und Weberbildern, auf der andern Seite
Nethel mit seinem gewaltigen Totentanz -- sie waren politische Maler. Matejko
selbst war immer ein patriotischer Künstler, er wählte stets bedeutsame, zum
Herzen seiner Lnndsleute sprechende Momente der polnischen Geschichte; erst
neuestens ist er in die Reihe der Teudenzmaler 8ÄQL xdrs.se eingetreten. Sein
"Polnischer Reichstag" (1867) ließ einen Mann vermuten, welcher die Ursachen
des Nationalunglückcs klar erkennt, die "Schlacht bei Tannenberg" (1879)
atmete bereits den Deutschenhaß, und sein neuestes Werk "Huldigungseid der
Preußen" läßt die Absicht so deutlich fühlen, daß nun nicht verstimmt, sondern
^heitert wird. In der richtigen Voraussetzung, kein Beschauer werde in dem
^nde alles das finden, was es nach des Malers Wunsch sagen sollte, hat er
^'res seinen Sekretär, einen Herrn Maryjan Gorzkvwsli, einen Text dazu
schreiben lassen, welcher in der That jeden Zweifel beseitigt.

Wie vor den meisten Gemälden Matejkos müssen wir uns erst durch das
lärmende Kolorit sozusagen durcharbeiten wie durch ein Gestrüpp, um zur Be-
trachtung der polnischen Charakterköpse, in denen ja seine eigentliche Force besteht,
gelangen. Diesmal überschreit alles ein ungeheurer roter Teppich, der über
ein Gerüst gebreitet ist. Ungefähr in der Mitte des Bildes beugt Herzog
Abrecht von Preußen das Knie vor Sigismund I. von Polen und leistet, indem
er das auf des Königs Knien liegende Evangelium berührt, den Huldigungseid.


politische Malerei.

cichenstift und Pinsel haben sich nicht selten der Tagespolitik zur
Verfügung gestellt, der erstere gewöhnlich als Satiriker, der letztere
als pathetischer Agitator. Auch daran, daß ein malender Partei¬
mann in seinem Übereifer die Sache lächerlich gemacht hat, für
welche er entflammen wollte, können wir uns erinnern. Mithin
>se der Pole Jan Matejko weder als Zeituugsartikelmnler noch als Satiriker
Wider Willen eine neue Erscheinung. Aber die Art seines Auftretens entbehrt
nicht der Originalität und ist außerdem von Umständen begleitet, die es zu
einem immerhin beachtenswerten Symptom machen.

Wir verstehen unter politischer Malerei selbstverständlich nicht die Dar¬
stellung von Vorgängen aus Gegenwart oder Vergangenheit, welche geeignet
sind, das Vaterlandsgefühl, den patriotischen Stolz zu erhöhen — sonst müßte
1" alle nationale Kunst mit einbegriffen werden. Die politische Malerei hat
wie die selig entschlafene politische Poesie einen bestimmten Parteizweck vor
^niger, und diesem zuliebe müssen gelegentlich die Stoffe, woher sie auch ge¬
nommen werden mögen, sich zustutzen und färben lassen. Kaulbach und Lessing,
^art Hühner mit seinen Wilddiebs- und Weberbildern, auf der andern Seite
Nethel mit seinem gewaltigen Totentanz — sie waren politische Maler. Matejko
selbst war immer ein patriotischer Künstler, er wählte stets bedeutsame, zum
Herzen seiner Lnndsleute sprechende Momente der polnischen Geschichte; erst
neuestens ist er in die Reihe der Teudenzmaler 8ÄQL xdrs.se eingetreten. Sein
"Polnischer Reichstag" (1867) ließ einen Mann vermuten, welcher die Ursachen
des Nationalunglückcs klar erkennt, die „Schlacht bei Tannenberg" (1879)
atmete bereits den Deutschenhaß, und sein neuestes Werk „Huldigungseid der
Preußen" läßt die Absicht so deutlich fühlen, daß nun nicht verstimmt, sondern
^heitert wird. In der richtigen Voraussetzung, kein Beschauer werde in dem
^nde alles das finden, was es nach des Malers Wunsch sagen sollte, hat er
^'res seinen Sekretär, einen Herrn Maryjan Gorzkvwsli, einen Text dazu
schreiben lassen, welcher in der That jeden Zweifel beseitigt.

Wie vor den meisten Gemälden Matejkos müssen wir uns erst durch das
lärmende Kolorit sozusagen durcharbeiten wie durch ein Gestrüpp, um zur Be-
trachtung der polnischen Charakterköpse, in denen ja seine eigentliche Force besteht,
gelangen. Diesmal überschreit alles ein ungeheurer roter Teppich, der über
ein Gerüst gebreitet ist. Ungefähr in der Mitte des Bildes beugt Herzog
Abrecht von Preußen das Knie vor Sigismund I. von Polen und leistet, indem
er das auf des Königs Knien liegende Evangelium berührt, den Huldigungseid.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0233" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194211"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Malerei.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_803"> cichenstift und Pinsel haben sich nicht selten der Tagespolitik zur<lb/>
Verfügung gestellt, der erstere gewöhnlich als Satiriker, der letztere<lb/>
als pathetischer Agitator. Auch daran, daß ein malender Partei¬<lb/>
mann in seinem Übereifer die Sache lächerlich gemacht hat, für<lb/>
welche er entflammen wollte, können wir uns erinnern. Mithin<lb/>
&gt;se der Pole Jan Matejko weder als Zeituugsartikelmnler noch als Satiriker<lb/>
Wider Willen eine neue Erscheinung. Aber die Art seines Auftretens entbehrt<lb/>
nicht der Originalität und ist außerdem von Umständen begleitet, die es zu<lb/>
einem immerhin beachtenswerten Symptom machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Wir verstehen unter politischer Malerei selbstverständlich nicht die Dar¬<lb/>
stellung von Vorgängen aus Gegenwart oder Vergangenheit, welche geeignet<lb/>
sind, das Vaterlandsgefühl, den patriotischen Stolz zu erhöhen &#x2014; sonst müßte<lb/>
1" alle nationale Kunst mit einbegriffen werden. Die politische Malerei hat<lb/>
wie die selig entschlafene politische Poesie einen bestimmten Parteizweck vor<lb/>
^niger, und diesem zuliebe müssen gelegentlich die Stoffe, woher sie auch ge¬<lb/>
nommen werden mögen, sich zustutzen und färben lassen. Kaulbach und Lessing,<lb/>
^art Hühner mit seinen Wilddiebs- und Weberbildern, auf der andern Seite<lb/>
Nethel mit seinem gewaltigen Totentanz &#x2014; sie waren politische Maler. Matejko<lb/>
selbst war immer ein patriotischer Künstler, er wählte stets bedeutsame, zum<lb/>
Herzen seiner Lnndsleute sprechende Momente der polnischen Geschichte; erst<lb/>
neuestens ist er in die Reihe der Teudenzmaler 8ÄQL xdrs.se eingetreten. Sein<lb/>
"Polnischer Reichstag" (1867) ließ einen Mann vermuten, welcher die Ursachen<lb/>
des Nationalunglückcs klar erkennt, die &#x201E;Schlacht bei Tannenberg" (1879)<lb/>
atmete bereits den Deutschenhaß, und sein neuestes Werk &#x201E;Huldigungseid der<lb/>
Preußen" läßt die Absicht so deutlich fühlen, daß nun nicht verstimmt, sondern<lb/>
^heitert wird. In der richtigen Voraussetzung, kein Beschauer werde in dem<lb/>
^nde alles das finden, was es nach des Malers Wunsch sagen sollte, hat er<lb/>
^'res seinen Sekretär, einen Herrn Maryjan Gorzkvwsli, einen Text dazu<lb/>
schreiben lassen, welcher in der That jeden Zweifel beseitigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805" next="#ID_806"> Wie vor den meisten Gemälden Matejkos müssen wir uns erst durch das<lb/>
lärmende Kolorit sozusagen durcharbeiten wie durch ein Gestrüpp, um zur Be-<lb/>
trachtung der polnischen Charakterköpse, in denen ja seine eigentliche Force besteht,<lb/>
gelangen. Diesmal überschreit alles ein ungeheurer roter Teppich, der über<lb/>
ein Gerüst gebreitet ist. Ungefähr in der Mitte des Bildes beugt Herzog<lb/>
Abrecht von Preußen das Knie vor Sigismund I. von Polen und leistet, indem<lb/>
er das auf des Königs Knien liegende Evangelium berührt, den Huldigungseid.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0233] politische Malerei. cichenstift und Pinsel haben sich nicht selten der Tagespolitik zur Verfügung gestellt, der erstere gewöhnlich als Satiriker, der letztere als pathetischer Agitator. Auch daran, daß ein malender Partei¬ mann in seinem Übereifer die Sache lächerlich gemacht hat, für welche er entflammen wollte, können wir uns erinnern. Mithin >se der Pole Jan Matejko weder als Zeituugsartikelmnler noch als Satiriker Wider Willen eine neue Erscheinung. Aber die Art seines Auftretens entbehrt nicht der Originalität und ist außerdem von Umständen begleitet, die es zu einem immerhin beachtenswerten Symptom machen. Wir verstehen unter politischer Malerei selbstverständlich nicht die Dar¬ stellung von Vorgängen aus Gegenwart oder Vergangenheit, welche geeignet sind, das Vaterlandsgefühl, den patriotischen Stolz zu erhöhen — sonst müßte 1" alle nationale Kunst mit einbegriffen werden. Die politische Malerei hat wie die selig entschlafene politische Poesie einen bestimmten Parteizweck vor ^niger, und diesem zuliebe müssen gelegentlich die Stoffe, woher sie auch ge¬ nommen werden mögen, sich zustutzen und färben lassen. Kaulbach und Lessing, ^art Hühner mit seinen Wilddiebs- und Weberbildern, auf der andern Seite Nethel mit seinem gewaltigen Totentanz — sie waren politische Maler. Matejko selbst war immer ein patriotischer Künstler, er wählte stets bedeutsame, zum Herzen seiner Lnndsleute sprechende Momente der polnischen Geschichte; erst neuestens ist er in die Reihe der Teudenzmaler 8ÄQL xdrs.se eingetreten. Sein "Polnischer Reichstag" (1867) ließ einen Mann vermuten, welcher die Ursachen des Nationalunglückcs klar erkennt, die „Schlacht bei Tannenberg" (1879) atmete bereits den Deutschenhaß, und sein neuestes Werk „Huldigungseid der Preußen" läßt die Absicht so deutlich fühlen, daß nun nicht verstimmt, sondern ^heitert wird. In der richtigen Voraussetzung, kein Beschauer werde in dem ^nde alles das finden, was es nach des Malers Wunsch sagen sollte, hat er ^'res seinen Sekretär, einen Herrn Maryjan Gorzkvwsli, einen Text dazu schreiben lassen, welcher in der That jeden Zweifel beseitigt. Wie vor den meisten Gemälden Matejkos müssen wir uns erst durch das lärmende Kolorit sozusagen durcharbeiten wie durch ein Gestrüpp, um zur Be- trachtung der polnischen Charakterköpse, in denen ja seine eigentliche Force besteht, gelangen. Diesmal überschreit alles ein ungeheurer roter Teppich, der über ein Gerüst gebreitet ist. Ungefähr in der Mitte des Bildes beugt Herzog Abrecht von Preußen das Knie vor Sigismund I. von Polen und leistet, indem er das auf des Königs Knien liegende Evangelium berührt, den Huldigungseid.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/233
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/233>, abgerufen am 29.06.2024.