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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Ein neuprovcnzalisches Gpos.

den neuentdeckten Homer hat etwas ergreifendes, wenn sie auch in einzelnen
Punkten nicht frei von einem komischen Anstrich ist, wie denn z. B. Lamartine
den Dichter, der seiner Selbstbiographie nach, welche in Übersetzung gleichfalls der
Dorieiixschen Übertragung vorgedruckt ist, erst nach vollständiger Beendigung
seiner juristischen Studien sich ans das väterliche Landgut zurückgezogen hatte,
einen jungen Landmann nennt.

Daß die Hoffnungen Lamnrtiues auf eine durchschlagende Wirkung des
Prvvenzalischen Epos sich nicht in vollem Umfange verwirklichten, liegt an
der UnVerständlichkeit der Mundart. Die andern Gedichte Mistrals und die
Schöpfungen seiner Strebeusgeuosseu haben noch weniger allgemeinere Kenntnis
und Verbreitung erlangt. Es liegt im Wesen der Sache, daß ein so glücklicher
Wurf, wie ihn Mistral mit seiner "Mireia" gethan, sich nicht wiederholt.
Ein Gedicht, das in so hervorragender Weise der Ausfluß des Landes ist, dem
es entstammt, das die dichterische Verklärung dieses Landes in der ganzen Fülle
seiner Erscheinungswelt giebt, läßt keine andre derartige Darstellung neben sieh
5"; der Stoff ist erschöpft, wenigstens für alle außerhalb dieses Laudes lebenden,
und andre Erzeugnisse ans diesem Gebiete setzen dann ein besondres Interesse für das¬
selbe voraus, woran es sogar in der Provence selbst bei der großen Mehrzahl zu
fehlen scheint. Was Herr Dorieux darüber sagt, ist sehr interessant. Er be¬
uchtet von dem Bunde der Felibres, dessen Haupt Ronmanille ist, der eine eigue
^uchhandlimg errichtet und diese ganz in den Dienst der provenzalischen Sache
gestellt hat. Das Ziel des Bundes greift freilich über die Provence hinaus,
^ geht auf die literarische Wiederbelebung uicht uur der südfranzösischen Mund¬
arten aus, sondern man gedenkt sogar eine Art südfranzösischer Schriftsprache
All schaffen, ein Wunsch, dein eine Verkennung des Wertes der Mundarten
und ein für die ganze Sache verhängnisvolles Streben nach Gleichförmigkeit zu
Grunde liegt. Mail denkt an die Errichtung einer Akademie für die Langnedoc-
schen Sprachen, man will mittels eines von dieser zu schaffenden Wörter¬
buchs und einer Grammatik an die "Säuberung" der einzelnen Mundarten
gehen und hofft so das Ziel einer gemeinschaftlichen südfrnnzösischen Schriftsprache
5" erreichen. Die Schöpfung einer solchen zweiten Schriftsprache neben der
rudern wäre natürlich, selbst wenn man ihre Möglichkeit annehmen wollte, etwas
durchaus verkehrtes, während die Pflege der Mundarten und ihre Verwendung
"u dichterische" Erzeugnissen in einem gewissen beschränkten Gebiete ein der leb¬
haftesten Unterstützung würdiges Ziel bildet. Jedenfalls ist es ein Verdienst
des Dvrieuxscheu Ehepaares, auf diese ganze neuprovenzalische Dichterschule nach¬
drücklich hingewiesen und deren schönstes Ergebnis auch uns Deutschen zugüng-
l'es gemacht zu haben.

Leider hat Frau Dorieux dieses Verdienst durch die Ausführung ihres
Plans erheblich geschmälert. Die Kräfte der Übersetzerin sind der selbstgestellten
Aufgabe bei weitem nicht gewachsen gewesen. Mit aller einer Dame schuldigen Ruck-


Ein neuprovcnzalisches Gpos.

den neuentdeckten Homer hat etwas ergreifendes, wenn sie auch in einzelnen
Punkten nicht frei von einem komischen Anstrich ist, wie denn z. B. Lamartine
den Dichter, der seiner Selbstbiographie nach, welche in Übersetzung gleichfalls der
Dorieiixschen Übertragung vorgedruckt ist, erst nach vollständiger Beendigung
seiner juristischen Studien sich ans das väterliche Landgut zurückgezogen hatte,
einen jungen Landmann nennt.

Daß die Hoffnungen Lamnrtiues auf eine durchschlagende Wirkung des
Prvvenzalischen Epos sich nicht in vollem Umfange verwirklichten, liegt an
der UnVerständlichkeit der Mundart. Die andern Gedichte Mistrals und die
Schöpfungen seiner Strebeusgeuosseu haben noch weniger allgemeinere Kenntnis
und Verbreitung erlangt. Es liegt im Wesen der Sache, daß ein so glücklicher
Wurf, wie ihn Mistral mit seiner „Mireia" gethan, sich nicht wiederholt.
Ein Gedicht, das in so hervorragender Weise der Ausfluß des Landes ist, dem
es entstammt, das die dichterische Verklärung dieses Landes in der ganzen Fülle
seiner Erscheinungswelt giebt, läßt keine andre derartige Darstellung neben sieh
5»; der Stoff ist erschöpft, wenigstens für alle außerhalb dieses Laudes lebenden,
und andre Erzeugnisse ans diesem Gebiete setzen dann ein besondres Interesse für das¬
selbe voraus, woran es sogar in der Provence selbst bei der großen Mehrzahl zu
fehlen scheint. Was Herr Dorieux darüber sagt, ist sehr interessant. Er be¬
uchtet von dem Bunde der Felibres, dessen Haupt Ronmanille ist, der eine eigue
^uchhandlimg errichtet und diese ganz in den Dienst der provenzalischen Sache
gestellt hat. Das Ziel des Bundes greift freilich über die Provence hinaus,
^ geht auf die literarische Wiederbelebung uicht uur der südfranzösischen Mund¬
arten aus, sondern man gedenkt sogar eine Art südfranzösischer Schriftsprache
All schaffen, ein Wunsch, dein eine Verkennung des Wertes der Mundarten
und ein für die ganze Sache verhängnisvolles Streben nach Gleichförmigkeit zu
Grunde liegt. Mail denkt an die Errichtung einer Akademie für die Langnedoc-
schen Sprachen, man will mittels eines von dieser zu schaffenden Wörter¬
buchs und einer Grammatik an die „Säuberung" der einzelnen Mundarten
gehen und hofft so das Ziel einer gemeinschaftlichen südfrnnzösischen Schriftsprache
5» erreichen. Die Schöpfung einer solchen zweiten Schriftsprache neben der
rudern wäre natürlich, selbst wenn man ihre Möglichkeit annehmen wollte, etwas
durchaus verkehrtes, während die Pflege der Mundarten und ihre Verwendung
»u dichterische» Erzeugnissen in einem gewissen beschränkten Gebiete ein der leb¬
haftesten Unterstützung würdiges Ziel bildet. Jedenfalls ist es ein Verdienst
des Dvrieuxscheu Ehepaares, auf diese ganze neuprovenzalische Dichterschule nach¬
drücklich hingewiesen und deren schönstes Ergebnis auch uns Deutschen zugüng-
l'es gemacht zu haben.

Leider hat Frau Dorieux dieses Verdienst durch die Ausführung ihres
Plans erheblich geschmälert. Die Kräfte der Übersetzerin sind der selbstgestellten
Aufgabe bei weitem nicht gewachsen gewesen. Mit aller einer Dame schuldigen Ruck-


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[0231] Ein neuprovcnzalisches Gpos. den neuentdeckten Homer hat etwas ergreifendes, wenn sie auch in einzelnen Punkten nicht frei von einem komischen Anstrich ist, wie denn z. B. Lamartine den Dichter, der seiner Selbstbiographie nach, welche in Übersetzung gleichfalls der Dorieiixschen Übertragung vorgedruckt ist, erst nach vollständiger Beendigung seiner juristischen Studien sich ans das väterliche Landgut zurückgezogen hatte, einen jungen Landmann nennt. Daß die Hoffnungen Lamnrtiues auf eine durchschlagende Wirkung des Prvvenzalischen Epos sich nicht in vollem Umfange verwirklichten, liegt an der UnVerständlichkeit der Mundart. Die andern Gedichte Mistrals und die Schöpfungen seiner Strebeusgeuosseu haben noch weniger allgemeinere Kenntnis und Verbreitung erlangt. Es liegt im Wesen der Sache, daß ein so glücklicher Wurf, wie ihn Mistral mit seiner „Mireia" gethan, sich nicht wiederholt. Ein Gedicht, das in so hervorragender Weise der Ausfluß des Landes ist, dem es entstammt, das die dichterische Verklärung dieses Landes in der ganzen Fülle seiner Erscheinungswelt giebt, läßt keine andre derartige Darstellung neben sieh 5»; der Stoff ist erschöpft, wenigstens für alle außerhalb dieses Laudes lebenden, und andre Erzeugnisse ans diesem Gebiete setzen dann ein besondres Interesse für das¬ selbe voraus, woran es sogar in der Provence selbst bei der großen Mehrzahl zu fehlen scheint. Was Herr Dorieux darüber sagt, ist sehr interessant. Er be¬ uchtet von dem Bunde der Felibres, dessen Haupt Ronmanille ist, der eine eigue ^uchhandlimg errichtet und diese ganz in den Dienst der provenzalischen Sache gestellt hat. Das Ziel des Bundes greift freilich über die Provence hinaus, ^ geht auf die literarische Wiederbelebung uicht uur der südfranzösischen Mund¬ arten aus, sondern man gedenkt sogar eine Art südfranzösischer Schriftsprache All schaffen, ein Wunsch, dein eine Verkennung des Wertes der Mundarten und ein für die ganze Sache verhängnisvolles Streben nach Gleichförmigkeit zu Grunde liegt. Mail denkt an die Errichtung einer Akademie für die Langnedoc- schen Sprachen, man will mittels eines von dieser zu schaffenden Wörter¬ buchs und einer Grammatik an die „Säuberung" der einzelnen Mundarten gehen und hofft so das Ziel einer gemeinschaftlichen südfrnnzösischen Schriftsprache 5» erreichen. Die Schöpfung einer solchen zweiten Schriftsprache neben der rudern wäre natürlich, selbst wenn man ihre Möglichkeit annehmen wollte, etwas durchaus verkehrtes, während die Pflege der Mundarten und ihre Verwendung »u dichterische» Erzeugnissen in einem gewissen beschränkten Gebiete ein der leb¬ haftesten Unterstützung würdiges Ziel bildet. Jedenfalls ist es ein Verdienst des Dvrieuxscheu Ehepaares, auf diese ganze neuprovenzalische Dichterschule nach¬ drücklich hingewiesen und deren schönstes Ergebnis auch uns Deutschen zugüng- l'es gemacht zu haben. Leider hat Frau Dorieux dieses Verdienst durch die Ausführung ihres Plans erheblich geschmälert. Die Kräfte der Übersetzerin sind der selbstgestellten Aufgabe bei weitem nicht gewachsen gewesen. Mit aller einer Dame schuldigen Ruck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/231>, abgerufen am 28.09.2024.