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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Gin nenprovenzalisches Epos.

graphie. Überall schaut er, als ein echter Schüler I. Grimms, die Sprache im
Zusammenhange mit dem Leben des Volkes in Glauben, Sitte und Recht. Er
giebt eine wirkliche Lebeiisgeschichte der Worte, deren innerste Seele er mit be-
wundernswerter Feinheit herausfühlt und auch dem Leser zur Empfindung zu
bringen versteht, und damit giebt er zugleich ein Stück der Geschichte unsrer
Nation. Und mehr noch! Indem er mit eindringendem Scharfsinn und liebe¬
voller Vertiefung die verborgensten Fäden der Bedentungswandlungen hervor¬
zieht und das stille Weben und Wirken der Volksseele belauscht, arbeitet er einer
Geschichte des deutschen Sprachbewußtseins vor, ja des Sprachbewußtseins über¬
haupt u. s. w."

Durch Burdachs Aufsatz, der n. a. mit scharfem Urteile auf die in ewigen
der letzterschienenen Hefte zu Tage tretende Methode und Behandlung eingeht
und besonders eine Prüfung der Lexerschen Leistung sich angelegen sein läßt,
wird, was wir über die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter und ihren Wert
nnr allgemein andeuten konnten, in gelehrtem Einzelnachweis wesentlich bestätigt,
manche unsrer Klagen und Wünsche finden in dem von ihm gesagten eine Stütze.
Daß Burdach sich früher oder später als Mitarbeiter für Grimms Wörterbuch
gewinnen lassen möchte, kann man nach den von ihm gegebenen Proben seines
Talentes, dnrch die er sich für jene Arbeit wie geschaffen zeigt, nur aufrichtigst
wünsche". An Großheit der Auffassung scheint es ihm ebensowenig zu fehlen
wie an Begabung und Neigung.")


--rl-


Sin nenprovenzalisches Epos.

ährend die deutsche Literatur an Erzeugnissen mundartlicher Dich¬
tung sust überreich zu nennen ist -- denn abgesehen von den
hervorragender!! Vertretern dieser Richtung, Reuter, Hebel, Holtei,
Klaus Groth, hat fast jedes mundartlich irgendwie begrenzte Ge¬
biet seine lokalen oder provinzialen Dichter --, ist es in Frankreich
uur ein einziges Gebiet, das ein literarisches Sonderleben von einiger Bedeutung
besitzt: die Provence. Freilich darf gerade diese auf eine liternrische Vergangen¬
heit zurückblicken von einem Reichtum und einer fortpflanzenden Kraft, dergleichen
im Gebiet der Liebeslyrik keine andre Sprache besessen hat; aber das bescheidne
Flüßchen, das jetzt noch rinnt, steht mit dem gewaltigen Strome früherer Zeiten



") Wir haben wohl nicht nötig, ausdrücklich zu erklären, das; der vorstehende Aufsatz
gänzlich ohne Wissen und Zuthun deS Herrn Professor R. Hildebrand in Leipzig verfaßt
D. Red. und veröffentlicht ist.
Gin nenprovenzalisches Epos.

graphie. Überall schaut er, als ein echter Schüler I. Grimms, die Sprache im
Zusammenhange mit dem Leben des Volkes in Glauben, Sitte und Recht. Er
giebt eine wirkliche Lebeiisgeschichte der Worte, deren innerste Seele er mit be-
wundernswerter Feinheit herausfühlt und auch dem Leser zur Empfindung zu
bringen versteht, und damit giebt er zugleich ein Stück der Geschichte unsrer
Nation. Und mehr noch! Indem er mit eindringendem Scharfsinn und liebe¬
voller Vertiefung die verborgensten Fäden der Bedentungswandlungen hervor¬
zieht und das stille Weben und Wirken der Volksseele belauscht, arbeitet er einer
Geschichte des deutschen Sprachbewußtseins vor, ja des Sprachbewußtseins über¬
haupt u. s. w."

Durch Burdachs Aufsatz, der n. a. mit scharfem Urteile auf die in ewigen
der letzterschienenen Hefte zu Tage tretende Methode und Behandlung eingeht
und besonders eine Prüfung der Lexerschen Leistung sich angelegen sein läßt,
wird, was wir über die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter und ihren Wert
nnr allgemein andeuten konnten, in gelehrtem Einzelnachweis wesentlich bestätigt,
manche unsrer Klagen und Wünsche finden in dem von ihm gesagten eine Stütze.
Daß Burdach sich früher oder später als Mitarbeiter für Grimms Wörterbuch
gewinnen lassen möchte, kann man nach den von ihm gegebenen Proben seines
Talentes, dnrch die er sich für jene Arbeit wie geschaffen zeigt, nur aufrichtigst
wünsche». An Großheit der Auffassung scheint es ihm ebensowenig zu fehlen
wie an Begabung und Neigung.")


—rl-


Sin nenprovenzalisches Epos.

ährend die deutsche Literatur an Erzeugnissen mundartlicher Dich¬
tung sust überreich zu nennen ist — denn abgesehen von den
hervorragender!! Vertretern dieser Richtung, Reuter, Hebel, Holtei,
Klaus Groth, hat fast jedes mundartlich irgendwie begrenzte Ge¬
biet seine lokalen oder provinzialen Dichter —, ist es in Frankreich
uur ein einziges Gebiet, das ein literarisches Sonderleben von einiger Bedeutung
besitzt: die Provence. Freilich darf gerade diese auf eine liternrische Vergangen¬
heit zurückblicken von einem Reichtum und einer fortpflanzenden Kraft, dergleichen
im Gebiet der Liebeslyrik keine andre Sprache besessen hat; aber das bescheidne
Flüßchen, das jetzt noch rinnt, steht mit dem gewaltigen Strome früherer Zeiten



") Wir haben wohl nicht nötig, ausdrücklich zu erklären, das; der vorstehende Aufsatz
gänzlich ohne Wissen und Zuthun deS Herrn Professor R. Hildebrand in Leipzig verfaßt
D. Red. und veröffentlicht ist.
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[0228] Gin nenprovenzalisches Epos. graphie. Überall schaut er, als ein echter Schüler I. Grimms, die Sprache im Zusammenhange mit dem Leben des Volkes in Glauben, Sitte und Recht. Er giebt eine wirkliche Lebeiisgeschichte der Worte, deren innerste Seele er mit be- wundernswerter Feinheit herausfühlt und auch dem Leser zur Empfindung zu bringen versteht, und damit giebt er zugleich ein Stück der Geschichte unsrer Nation. Und mehr noch! Indem er mit eindringendem Scharfsinn und liebe¬ voller Vertiefung die verborgensten Fäden der Bedentungswandlungen hervor¬ zieht und das stille Weben und Wirken der Volksseele belauscht, arbeitet er einer Geschichte des deutschen Sprachbewußtseins vor, ja des Sprachbewußtseins über¬ haupt u. s. w." Durch Burdachs Aufsatz, der n. a. mit scharfem Urteile auf die in ewigen der letzterschienenen Hefte zu Tage tretende Methode und Behandlung eingeht und besonders eine Prüfung der Lexerschen Leistung sich angelegen sein läßt, wird, was wir über die Leistungen der einzelnen Mitarbeiter und ihren Wert nnr allgemein andeuten konnten, in gelehrtem Einzelnachweis wesentlich bestätigt, manche unsrer Klagen und Wünsche finden in dem von ihm gesagten eine Stütze. Daß Burdach sich früher oder später als Mitarbeiter für Grimms Wörterbuch gewinnen lassen möchte, kann man nach den von ihm gegebenen Proben seines Talentes, dnrch die er sich für jene Arbeit wie geschaffen zeigt, nur aufrichtigst wünsche». An Großheit der Auffassung scheint es ihm ebensowenig zu fehlen wie an Begabung und Neigung.") —rl- Sin nenprovenzalisches Epos. ährend die deutsche Literatur an Erzeugnissen mundartlicher Dich¬ tung sust überreich zu nennen ist — denn abgesehen von den hervorragender!! Vertretern dieser Richtung, Reuter, Hebel, Holtei, Klaus Groth, hat fast jedes mundartlich irgendwie begrenzte Ge¬ biet seine lokalen oder provinzialen Dichter —, ist es in Frankreich uur ein einziges Gebiet, das ein literarisches Sonderleben von einiger Bedeutung besitzt: die Provence. Freilich darf gerade diese auf eine liternrische Vergangen¬ heit zurückblicken von einem Reichtum und einer fortpflanzenden Kraft, dergleichen im Gebiet der Liebeslyrik keine andre Sprache besessen hat; aber das bescheidne Flüßchen, das jetzt noch rinnt, steht mit dem gewaltigen Strome früherer Zeiten ") Wir haben wohl nicht nötig, ausdrücklich zu erklären, das; der vorstehende Aufsatz gänzlich ohne Wissen und Zuthun deS Herrn Professor R. Hildebrand in Leipzig verfaßt D. Red. und veröffentlicht ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/228>, abgerufen am 29.06.2024.