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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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j)rof. Hildebrand und das Grimmsche Wörterbuch.

beabsichtigt (oder gar in diesem Augenblicke schon vollzogen hat?), erbitten möchten,
ist gesagt. Nur eines scheint uns nach Pflicht. Wenn die herrliche Kraft
Hildebrands, von drängender Arbeitslast befreit, seinem Berufe als Lehrer
der akademischen Jugend in Zukunft noch mehr zu statte" käme, das wäre ein
Ereignis, welches in den betreffenden Kreisen sicher mit Jubel begrüßt werden
würde. Daß der Gelehrte die Muße der Ferien, deren größern Teil er bisher
ohne Zweifel dem Wörterbuche geopfert hat, mit Freuden benutzen würde, seine
geschädigte Gesundheit aufzubessern und sich körperlich zu verjüngen, und was
ihn, daun an Schaffenskraft verblieben, wohl gar dazu verwenden würde, in
einem oder dem andern schönen Werke sich der Gesammtheit über wichtige Fragen
unsrer geistigen Kultur vernehmen zu lassen, das könnte einen am Ende über
den Verlust trösten, der dem deutschen Wörterbuche zugefügt würde. Aber wie,
fragen wir uns, wird der Mann, der das bedeutende Werk in dem besten Geiste,
den es atmet, sein Werk nennen darf, von einer mehr als dreißigjährigen Thätig¬
keit scheiden? Nicht mit dem schmerzlich bittern Gefühle, daß ihm schwere Herzens-
krnnknng widerfahren sei, daß er ein Werk -- zum Teil wenigstens -- verwaist
scheu müsse, dem er sicherlich treue Liebe bis zum Grabe gelobt hatte? Hier
dünkt es uns Sache der Nation, nicht bloß der wenigen, die das Schicksal des
Wörterbuchs in den Händen zu haben scheinen, sich vernehmen zu lassei?, ob sie
dulden will, daß mit schnöder Unbill dein Mann gedankt werde, der seine Arbeit
w so aufopfernder Treue in deu Dienst der Nation gestellt hat, dessen Auge
steh mit Thränen füllen würde, wenn er sich wirklich aus so liebevoll gepflegtem
Lebenswerke weggedrängt sähe, dem Werke, zu dessen Hüter ihn Jacob Grimm
bestellt hat. Freilich, was gilt manchem heute Jacob Grimm!

Wir wollen hoffen, daß die Fama eine Kunde ausgestreut hat, der bald
bündigste Widerlegung oder -- falls die einfache Thatsache von Hildebrands
Ausscheiden sich bestätigen sollte -- eine befriedigende und beruhigende Auf¬
klärung über die Beweggründe -- am liebsten von dem verehrten Manne selber --
folgen möge.

Nachtrag.

Vorstehendes war bereits in den Händen der Druckerei, als
uns ein Aufsatz von Dr. K. Burdach zu Gesicht kam, den dieser vielversprechende
junge Gelehrte vor kurzem in der Zeitschrift für die österreichischen Gym¬
nasien (1382, VIII. und IX. Heft) über das Grimmsche Wörterbuch veröffentlicht
hat. Da derselbe Hildebrands Arbeit aufs treffendste charakterisirt, sei es uns
gestattet, nachträglich noch seine Worte hier anzuführen. "Hildebrand, der seit
'Uehr als dreißig Jahren dem Wörterbuch seine Kräfte geliehen, hat durch seine
Fortsetzung, die den Buchstaben K und G bis Geist umfaßt, das Werk, welches
schon vorher weder in Deutschland noch sonst seinesgleichen hatte, auf eine bis
dahin kaum geahnte Höhe gehoben. Staunenswerte Belesenheit und ein unver¬
gleichlich tiefer und feiner Sprnchsinn machen ihn zu dem Meister der Lexiko-


j)rof. Hildebrand und das Grimmsche Wörterbuch.

beabsichtigt (oder gar in diesem Augenblicke schon vollzogen hat?), erbitten möchten,
ist gesagt. Nur eines scheint uns nach Pflicht. Wenn die herrliche Kraft
Hildebrands, von drängender Arbeitslast befreit, seinem Berufe als Lehrer
der akademischen Jugend in Zukunft noch mehr zu statte» käme, das wäre ein
Ereignis, welches in den betreffenden Kreisen sicher mit Jubel begrüßt werden
würde. Daß der Gelehrte die Muße der Ferien, deren größern Teil er bisher
ohne Zweifel dem Wörterbuche geopfert hat, mit Freuden benutzen würde, seine
geschädigte Gesundheit aufzubessern und sich körperlich zu verjüngen, und was
ihn, daun an Schaffenskraft verblieben, wohl gar dazu verwenden würde, in
einem oder dem andern schönen Werke sich der Gesammtheit über wichtige Fragen
unsrer geistigen Kultur vernehmen zu lassen, das könnte einen am Ende über
den Verlust trösten, der dem deutschen Wörterbuche zugefügt würde. Aber wie,
fragen wir uns, wird der Mann, der das bedeutende Werk in dem besten Geiste,
den es atmet, sein Werk nennen darf, von einer mehr als dreißigjährigen Thätig¬
keit scheiden? Nicht mit dem schmerzlich bittern Gefühle, daß ihm schwere Herzens-
krnnknng widerfahren sei, daß er ein Werk — zum Teil wenigstens — verwaist
scheu müsse, dem er sicherlich treue Liebe bis zum Grabe gelobt hatte? Hier
dünkt es uns Sache der Nation, nicht bloß der wenigen, die das Schicksal des
Wörterbuchs in den Händen zu haben scheinen, sich vernehmen zu lassei?, ob sie
dulden will, daß mit schnöder Unbill dein Mann gedankt werde, der seine Arbeit
w so aufopfernder Treue in deu Dienst der Nation gestellt hat, dessen Auge
steh mit Thränen füllen würde, wenn er sich wirklich aus so liebevoll gepflegtem
Lebenswerke weggedrängt sähe, dem Werke, zu dessen Hüter ihn Jacob Grimm
bestellt hat. Freilich, was gilt manchem heute Jacob Grimm!

Wir wollen hoffen, daß die Fama eine Kunde ausgestreut hat, der bald
bündigste Widerlegung oder — falls die einfache Thatsache von Hildebrands
Ausscheiden sich bestätigen sollte — eine befriedigende und beruhigende Auf¬
klärung über die Beweggründe — am liebsten von dem verehrten Manne selber —
folgen möge.

Nachtrag.

Vorstehendes war bereits in den Händen der Druckerei, als
uns ein Aufsatz von Dr. K. Burdach zu Gesicht kam, den dieser vielversprechende
junge Gelehrte vor kurzem in der Zeitschrift für die österreichischen Gym¬
nasien (1382, VIII. und IX. Heft) über das Grimmsche Wörterbuch veröffentlicht
hat. Da derselbe Hildebrands Arbeit aufs treffendste charakterisirt, sei es uns
gestattet, nachträglich noch seine Worte hier anzuführen. „Hildebrand, der seit
'Uehr als dreißig Jahren dem Wörterbuch seine Kräfte geliehen, hat durch seine
Fortsetzung, die den Buchstaben K und G bis Geist umfaßt, das Werk, welches
schon vorher weder in Deutschland noch sonst seinesgleichen hatte, auf eine bis
dahin kaum geahnte Höhe gehoben. Staunenswerte Belesenheit und ein unver¬
gleichlich tiefer und feiner Sprnchsinn machen ihn zu dem Meister der Lexiko-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/227>, abgerufen am 29.06.2024.