Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Wehrpflicht und Erziehung.

ausnutzende" Sozialdemokrntie, hierin eine doppelt schwere Verantwortlichkeit
zufällt. Der Verfasser bespricht die einschlagenden Verhältnisse, wenn auch nicht
ganz frei von der Neigung, nllzuschwarz zu sehen und seine Anschauungen nicht
für im Prinzip allgemein anerkannte zu halten, so doch mit offenem geschicht¬
lichen Blick und mit einer in diesen Dingen weil seltenen, um so anerkennens-
wertereil Offenheit und Rücksichtslosigkeit, und bekämpft mit Fug und Recht
manche weit eingerissenen Mißbräuche, wie das mechanische, nur auf die "Vvr-
iuftruktion" berechnete Einpaukeu in den Jnstruktionsstunden und die wohl all¬
gemein gewordene Gewohnheit, die wichtige Ausbildung der Rekruten unter die
Aufsicht gerade der jüngsten, unerfahrensten Offiziere zu stellen. Auch manches
in den vom eigentlichen Zweck des Buches etwas abliegenden Abschnitten "Das
Garnisonlebe"" und "Die Militärliteratnr" muß als beherzigenswert bezeichnet
werden.

Als einen Versuch, auf Grund dieser Anschauungen das Heerwesen mit der
Jugenderziehung in engern Zusammenhang zu setzen, haben wir das Handbuch
für den Turm- und Waffenunterricht der Jugend von Scheibert und Honig
zu betrachten. Das auch getrennt ausgegebene Vorwort (nnter dein Titel: Das
militärische Turnen der Jugend. Einige Worte an die Staatsmänner und
Lehrer Deutschlands) geht von dem Grundsatze aus, daß von der Schule mehr
geschehen müsse sowohl für die Erziehung und Charakterbildung der Jngend,
wie sür ihre leibliche Ausbildung und Kräftigung, und führt aus, wie in beiden
Richtungen das nötige erreicht werden könne durch Zusammentreten der Schule
zu einer uuter Aufsicht und Leitung der Lehrer in gewissen Grenzen sich selbst ver¬
waltenden Gemeinde zum Zwecke von Exerzier- und Waffenübungen, Turn¬
spielen und gelegentlichen Festlichkeiten. Das Vues selbst enthält also nach
Fingerzeigen für die Organisation einer derartigen Vereinigung als erste"
Hauptteil eine ans Grundlage teils des Infanterie-, teils des Kavallerie-Exerzier-
Reglemeuts (letzteres für die kleineren, meist trabenden Knaben!) ausgearbeitete
Exerzierschnle und eine Reihe von Turm- und "Excrzierspielen." Als zweiter
größerer Teil aber folgt darauf noch eine gegen hundert Seiten lange Dar¬
stellung des deutschen Wehrwesens zu Land und zu Wasser; diese verbreitet
sich über Wesen und Bestimmung des Heeres, giebt die Grundzüge der Wehr¬
ordnung und des Ersatzwesens, den Umfang und die Einteilungen von Heer
und Marine und schildert die Pflichten und Tugenden des Soldaten- und
Offizierstandes und dergleichen mehr. Dieser Teil soll als Grundlage dienen
für eine Art von theoretischem Wehrunterricht, der neben jenen Uhr"gen herzu¬
gehen hätte.

So bestimmt gestalteten Vorschlägen gegenüber ist es leicht, feste Stellung
zu nehmen. Wir erkennen an, daß mit zwei wöchentlichen Turnstunden die
Schuld an die leibliche Ausbildung und Tummeluug der Jugend nicht abge-
getragen, das nötige Gegengewicht gegen die geistige Anspannung, wie sie ins-


Wehrpflicht und Erziehung.

ausnutzende« Sozialdemokrntie, hierin eine doppelt schwere Verantwortlichkeit
zufällt. Der Verfasser bespricht die einschlagenden Verhältnisse, wenn auch nicht
ganz frei von der Neigung, nllzuschwarz zu sehen und seine Anschauungen nicht
für im Prinzip allgemein anerkannte zu halten, so doch mit offenem geschicht¬
lichen Blick und mit einer in diesen Dingen weil seltenen, um so anerkennens-
wertereil Offenheit und Rücksichtslosigkeit, und bekämpft mit Fug und Recht
manche weit eingerissenen Mißbräuche, wie das mechanische, nur auf die „Vvr-
iuftruktion" berechnete Einpaukeu in den Jnstruktionsstunden und die wohl all¬
gemein gewordene Gewohnheit, die wichtige Ausbildung der Rekruten unter die
Aufsicht gerade der jüngsten, unerfahrensten Offiziere zu stellen. Auch manches
in den vom eigentlichen Zweck des Buches etwas abliegenden Abschnitten „Das
Garnisonlebe»" und „Die Militärliteratnr" muß als beherzigenswert bezeichnet
werden.

Als einen Versuch, auf Grund dieser Anschauungen das Heerwesen mit der
Jugenderziehung in engern Zusammenhang zu setzen, haben wir das Handbuch
für den Turm- und Waffenunterricht der Jugend von Scheibert und Honig
zu betrachten. Das auch getrennt ausgegebene Vorwort (nnter dein Titel: Das
militärische Turnen der Jugend. Einige Worte an die Staatsmänner und
Lehrer Deutschlands) geht von dem Grundsatze aus, daß von der Schule mehr
geschehen müsse sowohl für die Erziehung und Charakterbildung der Jngend,
wie sür ihre leibliche Ausbildung und Kräftigung, und führt aus, wie in beiden
Richtungen das nötige erreicht werden könne durch Zusammentreten der Schule
zu einer uuter Aufsicht und Leitung der Lehrer in gewissen Grenzen sich selbst ver¬
waltenden Gemeinde zum Zwecke von Exerzier- und Waffenübungen, Turn¬
spielen und gelegentlichen Festlichkeiten. Das Vues selbst enthält also nach
Fingerzeigen für die Organisation einer derartigen Vereinigung als erste«
Hauptteil eine ans Grundlage teils des Infanterie-, teils des Kavallerie-Exerzier-
Reglemeuts (letzteres für die kleineren, meist trabenden Knaben!) ausgearbeitete
Exerzierschnle und eine Reihe von Turm- und „Excrzierspielen." Als zweiter
größerer Teil aber folgt darauf noch eine gegen hundert Seiten lange Dar¬
stellung des deutschen Wehrwesens zu Land und zu Wasser; diese verbreitet
sich über Wesen und Bestimmung des Heeres, giebt die Grundzüge der Wehr¬
ordnung und des Ersatzwesens, den Umfang und die Einteilungen von Heer
und Marine und schildert die Pflichten und Tugenden des Soldaten- und
Offizierstandes und dergleichen mehr. Dieser Teil soll als Grundlage dienen
für eine Art von theoretischem Wehrunterricht, der neben jenen Uhr»gen herzu¬
gehen hätte.

So bestimmt gestalteten Vorschlägen gegenüber ist es leicht, feste Stellung
zu nehmen. Wir erkennen an, daß mit zwei wöchentlichen Turnstunden die
Schuld an die leibliche Ausbildung und Tummeluug der Jugend nicht abge-
getragen, das nötige Gegengewicht gegen die geistige Anspannung, wie sie ins-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0218" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194196"/>
          <fw type="header" place="top"> Wehrpflicht und Erziehung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_763" prev="#ID_762"> ausnutzende« Sozialdemokrntie, hierin eine doppelt schwere Verantwortlichkeit<lb/>
zufällt. Der Verfasser bespricht die einschlagenden Verhältnisse, wenn auch nicht<lb/>
ganz frei von der Neigung, nllzuschwarz zu sehen und seine Anschauungen nicht<lb/>
für im Prinzip allgemein anerkannte zu halten, so doch mit offenem geschicht¬<lb/>
lichen Blick und mit einer in diesen Dingen weil seltenen, um so anerkennens-<lb/>
wertereil Offenheit und Rücksichtslosigkeit, und bekämpft mit Fug und Recht<lb/>
manche weit eingerissenen Mißbräuche, wie das mechanische, nur auf die &#x201E;Vvr-<lb/>
iuftruktion" berechnete Einpaukeu in den Jnstruktionsstunden und die wohl all¬<lb/>
gemein gewordene Gewohnheit, die wichtige Ausbildung der Rekruten unter die<lb/>
Aufsicht gerade der jüngsten, unerfahrensten Offiziere zu stellen. Auch manches<lb/>
in den vom eigentlichen Zweck des Buches etwas abliegenden Abschnitten &#x201E;Das<lb/>
Garnisonlebe»" und &#x201E;Die Militärliteratnr" muß als beherzigenswert bezeichnet<lb/>
werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_764"> Als einen Versuch, auf Grund dieser Anschauungen das Heerwesen mit der<lb/>
Jugenderziehung in engern Zusammenhang zu setzen, haben wir das Handbuch<lb/>
für den Turm- und Waffenunterricht der Jugend von Scheibert und Honig<lb/>
zu betrachten. Das auch getrennt ausgegebene Vorwort (nnter dein Titel: Das<lb/>
militärische Turnen der Jugend. Einige Worte an die Staatsmänner und<lb/>
Lehrer Deutschlands) geht von dem Grundsatze aus, daß von der Schule mehr<lb/>
geschehen müsse sowohl für die Erziehung und Charakterbildung der Jngend,<lb/>
wie sür ihre leibliche Ausbildung und Kräftigung, und führt aus, wie in beiden<lb/>
Richtungen das nötige erreicht werden könne durch Zusammentreten der Schule<lb/>
zu einer uuter Aufsicht und Leitung der Lehrer in gewissen Grenzen sich selbst ver¬<lb/>
waltenden Gemeinde zum Zwecke von Exerzier- und Waffenübungen, Turn¬<lb/>
spielen und gelegentlichen Festlichkeiten. Das Vues selbst enthält also nach<lb/>
Fingerzeigen für die Organisation einer derartigen Vereinigung als erste«<lb/>
Hauptteil eine ans Grundlage teils des Infanterie-, teils des Kavallerie-Exerzier-<lb/>
Reglemeuts (letzteres für die kleineren, meist trabenden Knaben!) ausgearbeitete<lb/>
Exerzierschnle und eine Reihe von Turm- und &#x201E;Excrzierspielen." Als zweiter<lb/>
größerer Teil aber folgt darauf noch eine gegen hundert Seiten lange Dar¬<lb/>
stellung des deutschen Wehrwesens zu Land und zu Wasser; diese verbreitet<lb/>
sich über Wesen und Bestimmung des Heeres, giebt die Grundzüge der Wehr¬<lb/>
ordnung und des Ersatzwesens, den Umfang und die Einteilungen von Heer<lb/>
und Marine und schildert die Pflichten und Tugenden des Soldaten- und<lb/>
Offizierstandes und dergleichen mehr. Dieser Teil soll als Grundlage dienen<lb/>
für eine Art von theoretischem Wehrunterricht, der neben jenen Uhr»gen herzu¬<lb/>
gehen hätte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765" next="#ID_766"> So bestimmt gestalteten Vorschlägen gegenüber ist es leicht, feste Stellung<lb/>
zu nehmen. Wir erkennen an, daß mit zwei wöchentlichen Turnstunden die<lb/>
Schuld an die leibliche Ausbildung und Tummeluug der Jugend nicht abge-<lb/>
getragen, das nötige Gegengewicht gegen die geistige Anspannung, wie sie ins-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0218] Wehrpflicht und Erziehung. ausnutzende« Sozialdemokrntie, hierin eine doppelt schwere Verantwortlichkeit zufällt. Der Verfasser bespricht die einschlagenden Verhältnisse, wenn auch nicht ganz frei von der Neigung, nllzuschwarz zu sehen und seine Anschauungen nicht für im Prinzip allgemein anerkannte zu halten, so doch mit offenem geschicht¬ lichen Blick und mit einer in diesen Dingen weil seltenen, um so anerkennens- wertereil Offenheit und Rücksichtslosigkeit, und bekämpft mit Fug und Recht manche weit eingerissenen Mißbräuche, wie das mechanische, nur auf die „Vvr- iuftruktion" berechnete Einpaukeu in den Jnstruktionsstunden und die wohl all¬ gemein gewordene Gewohnheit, die wichtige Ausbildung der Rekruten unter die Aufsicht gerade der jüngsten, unerfahrensten Offiziere zu stellen. Auch manches in den vom eigentlichen Zweck des Buches etwas abliegenden Abschnitten „Das Garnisonlebe»" und „Die Militärliteratnr" muß als beherzigenswert bezeichnet werden. Als einen Versuch, auf Grund dieser Anschauungen das Heerwesen mit der Jugenderziehung in engern Zusammenhang zu setzen, haben wir das Handbuch für den Turm- und Waffenunterricht der Jugend von Scheibert und Honig zu betrachten. Das auch getrennt ausgegebene Vorwort (nnter dein Titel: Das militärische Turnen der Jugend. Einige Worte an die Staatsmänner und Lehrer Deutschlands) geht von dem Grundsatze aus, daß von der Schule mehr geschehen müsse sowohl für die Erziehung und Charakterbildung der Jngend, wie sür ihre leibliche Ausbildung und Kräftigung, und führt aus, wie in beiden Richtungen das nötige erreicht werden könne durch Zusammentreten der Schule zu einer uuter Aufsicht und Leitung der Lehrer in gewissen Grenzen sich selbst ver¬ waltenden Gemeinde zum Zwecke von Exerzier- und Waffenübungen, Turn¬ spielen und gelegentlichen Festlichkeiten. Das Vues selbst enthält also nach Fingerzeigen für die Organisation einer derartigen Vereinigung als erste« Hauptteil eine ans Grundlage teils des Infanterie-, teils des Kavallerie-Exerzier- Reglemeuts (letzteres für die kleineren, meist trabenden Knaben!) ausgearbeitete Exerzierschnle und eine Reihe von Turm- und „Excrzierspielen." Als zweiter größerer Teil aber folgt darauf noch eine gegen hundert Seiten lange Dar¬ stellung des deutschen Wehrwesens zu Land und zu Wasser; diese verbreitet sich über Wesen und Bestimmung des Heeres, giebt die Grundzüge der Wehr¬ ordnung und des Ersatzwesens, den Umfang und die Einteilungen von Heer und Marine und schildert die Pflichten und Tugenden des Soldaten- und Offizierstandes und dergleichen mehr. Dieser Teil soll als Grundlage dienen für eine Art von theoretischem Wehrunterricht, der neben jenen Uhr»gen herzu¬ gehen hätte. So bestimmt gestalteten Vorschlägen gegenüber ist es leicht, feste Stellung zu nehmen. Wir erkennen an, daß mit zwei wöchentlichen Turnstunden die Schuld an die leibliche Ausbildung und Tummeluug der Jugend nicht abge- getragen, das nötige Gegengewicht gegen die geistige Anspannung, wie sie ins-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/218
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/218>, abgerufen am 29.06.2024.