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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Wehrpflicht und Erziehung.

Wir gestehen, in der Ausführung dieser hier in den Hauptzügen wieder¬
gegebenen Anschauungen, die ja mehr das Schul- und Vildnngswesen an sich,
als sein Verhältnis zum Wehrdienste betreffen, so beherzigenswert sie uns in
mancher Hinsicht erscheinen, doch die anch für die Gegner überzeugende Kraft
des Nachweises zu vermissen. Am wenigsten lebensfähig erscheint uns derjenige
Vorschlag des Verfassers, dnrch welchen er, hauptsächlich um eine Besetzung von
Lehrerstellen durch zu junge und im Charakter noch nicht hinreichend gefestigte
Leute zu vermeiden, eine Verschmelzung des Unteroffizier- und Volksschullehrer¬
standes in der Weise herbeiführen will, daß die Unteroffiziere nach einer für
beide Berufsarten vorbereitenden Ausbildung erst den zwölfjährigen Dienst im
Heere zu leisten lind dann in den Volksschullehrerberuf überzutreten hätten.
So wünschenswert es erscheinen mag, die Bildungsstufe und damit das Stnndes-
bewußtseiu und Ehrgefühl des Untervffizierstandes zu steigern, und so förderlich
auch den Volksschnllehrern eine längere militärische Dienstzeit als die bisherige
sechswöchentliche sein würde, so ist es doch nnr zu gewiß, daß nach zwölfjäh¬
riger Unteroffiziersdienstzeit selten etwas weiteres übrig sein wird als eben der
Unteroffizier, und daß sich Neigung und Befähigung zu beiden Berufsarten
überhaupt weit seltener vereinigt finden wird, als hier vorausgesetzt wird. Es
wäre vou da kein großer Schritt mehr zu der weitern Maßregel, auch Lehr¬
stellen an höhern Schulen als eine Zivilversvrgnng für entlassene Offiziere zu
vergeben.

Das umfängliche Buch vou Honig über die Mannszucht führt uus in
das Heer selbst mit seinem Dieustbetriebe; die Frage der Borbildung zur Lei¬
stung der Wehrpflicht findet hier nur eine mehr untergeordnete Berücksichtigung
in dem Abschnitt über "die Bestimmung der Familie und Schule bis zur Ein¬
stellung des Mannes als Soldat," während sonst meist über die Ausbildung
des Mannes im Dienste gehandelt wird und über die Nachwirkung dieser seiner
"zweiten Erziehung" ans sein ganzes Denken und Handeln, somit über "die
ethische Vedentnng des modernen Heerwesens für die Zivilisation" (S. 270).
Denn der gestimmte sittliche Gehalt eines Heeres ist es, der hier in dein Worte
Mannszucht zusammen gefaßt wird. Bei der Ausbildung im Heere dürfe es sich
nicht -- dahin geht die Haupttendenz des Buches -- um gedankenlose "Ab-
richtung," um Ertötung jedes eignen Willens, nicht um eine durch Furcht und
Abschreckung erreichte Disziplin handeln, sondern die wichtigste Aufgabe dieser
Ausbildung sei es, Pflicht- und Ehrgefühl, Nationalbewußtsein und Vaterlands¬
liebe zu wecken und zu starken und so dein Wehrmann nicht nur die für seinen
kriegerischen Beruf unerläßlichsten Eigenschaften zu verleihen, sondern ihm auch
für sein ganzes Leben festen sittlichen Halt zu geben. Es ist wesentlich der
Offiziersstand, dem die Aufgabe zugewiesen wird, in diesem Sinne durch Lehre
und Beispiel zu wirken, und den:, gegenüber untergrabenden Tendenzen, wie der
jeden Mißgriff und Übergriff der militärischen Vorgesetzten für ihre Hetzereien


Wehrpflicht und Erziehung.

Wir gestehen, in der Ausführung dieser hier in den Hauptzügen wieder¬
gegebenen Anschauungen, die ja mehr das Schul- und Vildnngswesen an sich,
als sein Verhältnis zum Wehrdienste betreffen, so beherzigenswert sie uns in
mancher Hinsicht erscheinen, doch die anch für die Gegner überzeugende Kraft
des Nachweises zu vermissen. Am wenigsten lebensfähig erscheint uns derjenige
Vorschlag des Verfassers, dnrch welchen er, hauptsächlich um eine Besetzung von
Lehrerstellen durch zu junge und im Charakter noch nicht hinreichend gefestigte
Leute zu vermeiden, eine Verschmelzung des Unteroffizier- und Volksschullehrer¬
standes in der Weise herbeiführen will, daß die Unteroffiziere nach einer für
beide Berufsarten vorbereitenden Ausbildung erst den zwölfjährigen Dienst im
Heere zu leisten lind dann in den Volksschullehrerberuf überzutreten hätten.
So wünschenswert es erscheinen mag, die Bildungsstufe und damit das Stnndes-
bewußtseiu und Ehrgefühl des Untervffizierstandes zu steigern, und so förderlich
auch den Volksschnllehrern eine längere militärische Dienstzeit als die bisherige
sechswöchentliche sein würde, so ist es doch nnr zu gewiß, daß nach zwölfjäh¬
riger Unteroffiziersdienstzeit selten etwas weiteres übrig sein wird als eben der
Unteroffizier, und daß sich Neigung und Befähigung zu beiden Berufsarten
überhaupt weit seltener vereinigt finden wird, als hier vorausgesetzt wird. Es
wäre vou da kein großer Schritt mehr zu der weitern Maßregel, auch Lehr¬
stellen an höhern Schulen als eine Zivilversvrgnng für entlassene Offiziere zu
vergeben.

Das umfängliche Buch vou Honig über die Mannszucht führt uus in
das Heer selbst mit seinem Dieustbetriebe; die Frage der Borbildung zur Lei¬
stung der Wehrpflicht findet hier nur eine mehr untergeordnete Berücksichtigung
in dem Abschnitt über „die Bestimmung der Familie und Schule bis zur Ein¬
stellung des Mannes als Soldat," während sonst meist über die Ausbildung
des Mannes im Dienste gehandelt wird und über die Nachwirkung dieser seiner
„zweiten Erziehung" ans sein ganzes Denken und Handeln, somit über „die
ethische Vedentnng des modernen Heerwesens für die Zivilisation" (S. 270).
Denn der gestimmte sittliche Gehalt eines Heeres ist es, der hier in dein Worte
Mannszucht zusammen gefaßt wird. Bei der Ausbildung im Heere dürfe es sich
nicht — dahin geht die Haupttendenz des Buches — um gedankenlose „Ab-
richtung," um Ertötung jedes eignen Willens, nicht um eine durch Furcht und
Abschreckung erreichte Disziplin handeln, sondern die wichtigste Aufgabe dieser
Ausbildung sei es, Pflicht- und Ehrgefühl, Nationalbewußtsein und Vaterlands¬
liebe zu wecken und zu starken und so dein Wehrmann nicht nur die für seinen
kriegerischen Beruf unerläßlichsten Eigenschaften zu verleihen, sondern ihm auch
für sein ganzes Leben festen sittlichen Halt zu geben. Es ist wesentlich der
Offiziersstand, dem die Aufgabe zugewiesen wird, in diesem Sinne durch Lehre
und Beispiel zu wirken, und den:, gegenüber untergrabenden Tendenzen, wie der
jeden Mißgriff und Übergriff der militärischen Vorgesetzten für ihre Hetzereien


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[0217] Wehrpflicht und Erziehung. Wir gestehen, in der Ausführung dieser hier in den Hauptzügen wieder¬ gegebenen Anschauungen, die ja mehr das Schul- und Vildnngswesen an sich, als sein Verhältnis zum Wehrdienste betreffen, so beherzigenswert sie uns in mancher Hinsicht erscheinen, doch die anch für die Gegner überzeugende Kraft des Nachweises zu vermissen. Am wenigsten lebensfähig erscheint uns derjenige Vorschlag des Verfassers, dnrch welchen er, hauptsächlich um eine Besetzung von Lehrerstellen durch zu junge und im Charakter noch nicht hinreichend gefestigte Leute zu vermeiden, eine Verschmelzung des Unteroffizier- und Volksschullehrer¬ standes in der Weise herbeiführen will, daß die Unteroffiziere nach einer für beide Berufsarten vorbereitenden Ausbildung erst den zwölfjährigen Dienst im Heere zu leisten lind dann in den Volksschullehrerberuf überzutreten hätten. So wünschenswert es erscheinen mag, die Bildungsstufe und damit das Stnndes- bewußtseiu und Ehrgefühl des Untervffizierstandes zu steigern, und so förderlich auch den Volksschnllehrern eine längere militärische Dienstzeit als die bisherige sechswöchentliche sein würde, so ist es doch nnr zu gewiß, daß nach zwölfjäh¬ riger Unteroffiziersdienstzeit selten etwas weiteres übrig sein wird als eben der Unteroffizier, und daß sich Neigung und Befähigung zu beiden Berufsarten überhaupt weit seltener vereinigt finden wird, als hier vorausgesetzt wird. Es wäre vou da kein großer Schritt mehr zu der weitern Maßregel, auch Lehr¬ stellen an höhern Schulen als eine Zivilversvrgnng für entlassene Offiziere zu vergeben. Das umfängliche Buch vou Honig über die Mannszucht führt uus in das Heer selbst mit seinem Dieustbetriebe; die Frage der Borbildung zur Lei¬ stung der Wehrpflicht findet hier nur eine mehr untergeordnete Berücksichtigung in dem Abschnitt über „die Bestimmung der Familie und Schule bis zur Ein¬ stellung des Mannes als Soldat," während sonst meist über die Ausbildung des Mannes im Dienste gehandelt wird und über die Nachwirkung dieser seiner „zweiten Erziehung" ans sein ganzes Denken und Handeln, somit über „die ethische Vedentnng des modernen Heerwesens für die Zivilisation" (S. 270). Denn der gestimmte sittliche Gehalt eines Heeres ist es, der hier in dein Worte Mannszucht zusammen gefaßt wird. Bei der Ausbildung im Heere dürfe es sich nicht — dahin geht die Haupttendenz des Buches — um gedankenlose „Ab- richtung," um Ertötung jedes eignen Willens, nicht um eine durch Furcht und Abschreckung erreichte Disziplin handeln, sondern die wichtigste Aufgabe dieser Ausbildung sei es, Pflicht- und Ehrgefühl, Nationalbewußtsein und Vaterlands¬ liebe zu wecken und zu starken und so dein Wehrmann nicht nur die für seinen kriegerischen Beruf unerläßlichsten Eigenschaften zu verleihen, sondern ihm auch für sein ganzes Leben festen sittlichen Halt zu geben. Es ist wesentlich der Offiziersstand, dem die Aufgabe zugewiesen wird, in diesem Sinne durch Lehre und Beispiel zu wirken, und den:, gegenüber untergrabenden Tendenzen, wie der jeden Mißgriff und Übergriff der militärischen Vorgesetzten für ihre Hetzereien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/217>, abgerufen am 29.06.2024.