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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Acme und Anno Fischer.

korrekte weitere Ausbildung der Kantischen Lehre, während Knut selbst sie für
ein gänzlich unhaltbares System erklärt hat.

Wir stellen um den Leser vor die Frage: Was ist von vornherein wahr¬
scheinlicher, daß K. Fischer in Kants Gebiet irrt oder daß Kant in seinen eignen
Grundlagen geirrt habe? Was ist wohl leichter zu glauben, wenn Kant betont,
die zweite Ausgabe seiner Kritik der reinen Vernunft weiche von der ersten
sachlich uicht ab, oder wenn Kuno Fischer behauptet, Kant irre sich darin über
sich selbst, weil er sich selbst widerspreche? Was ist wohl glaubwürdiger, wenn
Kant feierlich und öffentlich gegen Fichte, als einen, der nicht sein Schüler sei,
protestirt, oder wenn K. Fischer behauptet, Fichte sei der ächte Schüler Kants?
Wir bangen nicht, für wen die Geschichte entscheiden wird, für den Historiker
oder für den Philosophen.

Von vornherein ist zu vermuten, daß ein so beharrlicher Widerspruch zwischen
Kant und seinem Darsteller darauf beruhen müsse, daß der Historiker einen oder
mehrere der Kunstausdrücke des Kantischen Sprachgebrauchs uicht durchdrungen
und in der Folge mit einander verwechselt hat. Und so ist es in der That.
Die technischen Ausdrücke Ding, Ding an sich, transeendentales Objekt, transcen-
dentaler Gegenstand, Ding außer mir, braucht K. Fischer derartig proinisonk
und hält sie für so gänzlich gleich, dnsz es ihm sogar vorkommt, daß er ein
Kautisches Zitat, in welchem der Ausdruck transcendentaler Gegenstand gebraucht
ist, fortsetzt und kommentirt mit dem Ausdruck Ding an sich. Die Stelle lautet
(S. 570): "Auf die Frage -- sagt Kant --, wie in einem denkenden Subjekt
überhaupt äußere Nuschnuuug, nämlich die des Raumes, möglich sei, ist es keinem
Menschen möglich, eine Antwort zu finden, und kann man diese Lücke unsers
Wissens niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die äußern
Erscheinungen einem transcendentalen Gegenstande Umschreibt, welcher die Ursache
dieser Art Vorstellungen ist, deu wir aber garnicht keimen, noch jemals einen
Begriff vou ihm bekommen werden." "Ist aber -- so fährt Kuno Fischer
fort -- das Ding an sich der unerforschliche Grund unsrer Vernnuftbeschaffeu-
heit und damit aller Erscheinungen, so muß es auch als der unsrer Sinnes-
empfindungen gelten."

Nun hat der Kantische Satz mit dem toimünus toolrnicm" transcendentaler
Gegenstand Sinn, insofern dieser Ausdruck die Form der Gegenständlichkeit über¬
haupt in unsrer Vernunft bezeichnet; die Kuno Fischersche Fortsetzung des Satzes
aber mit Ding an sich hat keinen Sinn. Denn Dinge an sich sind nicht die
Ursache unsrer Sinnesempfindungen, auch nicht der Grund, daß wir Sinnes-
empfindungen Hai"', können, wohl aber sind der Grund Gegenstände, deren
Bedingung zur Mogunt'-'t der Erfahrung der trauseendentale Gegenstand heißt-
Daß diese beideu Austria ^"udamental verschieden sind, kann man ersehen aus
der Stelle: "Denn die wirklu^ Dinge der Vergangenheit siud in dem transcen-
dentalen Gegenstand der Erfahrung gegeben." K. Fischer wird selbst uicht


Acme und Anno Fischer.

korrekte weitere Ausbildung der Kantischen Lehre, während Knut selbst sie für
ein gänzlich unhaltbares System erklärt hat.

Wir stellen um den Leser vor die Frage: Was ist von vornherein wahr¬
scheinlicher, daß K. Fischer in Kants Gebiet irrt oder daß Kant in seinen eignen
Grundlagen geirrt habe? Was ist wohl leichter zu glauben, wenn Kant betont,
die zweite Ausgabe seiner Kritik der reinen Vernunft weiche von der ersten
sachlich uicht ab, oder wenn Kuno Fischer behauptet, Kant irre sich darin über
sich selbst, weil er sich selbst widerspreche? Was ist wohl glaubwürdiger, wenn
Kant feierlich und öffentlich gegen Fichte, als einen, der nicht sein Schüler sei,
protestirt, oder wenn K. Fischer behauptet, Fichte sei der ächte Schüler Kants?
Wir bangen nicht, für wen die Geschichte entscheiden wird, für den Historiker
oder für den Philosophen.

Von vornherein ist zu vermuten, daß ein so beharrlicher Widerspruch zwischen
Kant und seinem Darsteller darauf beruhen müsse, daß der Historiker einen oder
mehrere der Kunstausdrücke des Kantischen Sprachgebrauchs uicht durchdrungen
und in der Folge mit einander verwechselt hat. Und so ist es in der That.
Die technischen Ausdrücke Ding, Ding an sich, transeendentales Objekt, transcen-
dentaler Gegenstand, Ding außer mir, braucht K. Fischer derartig proinisonk
und hält sie für so gänzlich gleich, dnsz es ihm sogar vorkommt, daß er ein
Kautisches Zitat, in welchem der Ausdruck transcendentaler Gegenstand gebraucht
ist, fortsetzt und kommentirt mit dem Ausdruck Ding an sich. Die Stelle lautet
(S. 570): „Auf die Frage — sagt Kant —, wie in einem denkenden Subjekt
überhaupt äußere Nuschnuuug, nämlich die des Raumes, möglich sei, ist es keinem
Menschen möglich, eine Antwort zu finden, und kann man diese Lücke unsers
Wissens niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die äußern
Erscheinungen einem transcendentalen Gegenstande Umschreibt, welcher die Ursache
dieser Art Vorstellungen ist, deu wir aber garnicht keimen, noch jemals einen
Begriff vou ihm bekommen werden." „Ist aber — so fährt Kuno Fischer
fort — das Ding an sich der unerforschliche Grund unsrer Vernnuftbeschaffeu-
heit und damit aller Erscheinungen, so muß es auch als der unsrer Sinnes-
empfindungen gelten."

Nun hat der Kantische Satz mit dem toimünus toolrnicm« transcendentaler
Gegenstand Sinn, insofern dieser Ausdruck die Form der Gegenständlichkeit über¬
haupt in unsrer Vernunft bezeichnet; die Kuno Fischersche Fortsetzung des Satzes
aber mit Ding an sich hat keinen Sinn. Denn Dinge an sich sind nicht die
Ursache unsrer Sinnesempfindungen, auch nicht der Grund, daß wir Sinnes-
empfindungen Hai"', können, wohl aber sind der Grund Gegenstände, deren
Bedingung zur Mogunt'-'t der Erfahrung der trauseendentale Gegenstand heißt-
Daß diese beideu Austria ^»udamental verschieden sind, kann man ersehen aus
der Stelle: „Denn die wirklu^ Dinge der Vergangenheit siud in dem transcen-
dentalen Gegenstand der Erfahrung gegeben." K. Fischer wird selbst uicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/16>, abgerufen am 28.09.2024.