Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Acme und Kuiio Fischer.

in sich selbst -- das wäre für einen Hegelianer ja noch erlaubt, denn aus
Widersprüchen erwächst ihnen ja die Wahrheit --; nein, er beschuldigt ihn auch,
einen sachliche" Irrtum begnügen zu haben, indem er die Grundlagen seines
eignen Systems verleugnet und Lehren vorgetragen habe (in der zweiten Aus¬
gabe der Kritik der reinen Vernunft), welche ihm selbst schnurstracks zuwider¬
liefen. K. Fischers Worte lauten (S. 575): "Es ist unmöglich, die philo¬
sophische Differenz beider Ausgaben wegznreden"; und weiter (S. 576): "Was
Kant an gewissen Stellen, die wegbleiben konnten, buchstäblich behauptet hat,
widerstreitet den buchstäblichen Grundlehren, die nicht weggelassen werden durften
und nicht weggeblieben sind."

Jedem Verehrer Kants muß es hochwillkommeu sein, daß endlich der große
Meister der Geschichte der Philosophie sich mit dem Meister der Philosophie
zu messen beginnt in Rücksicht auf den eigentlichen Kern der Erkenntnisse.
Mancher wird aber doch überrascht darüber sein, daß K. Fischer der Nachwelt
zeigt, wie Kant geirrt habe nicht in Bezug auf Kleinigkeiten, sondern in Bezug
auf das Fuudcnueut seiner Lehre, nämlich die Frage, wie weit es dem Menschen
möglich sei, zwar nur seine Vorstellungen, aber doch auch die Dinge in der Welt
als wirkliche Dinge zu erkennen. Es war bis jetzt aus den Fischerscheu Dar¬
stellungen wohl möglich zu erkennen, was er an andern Darstellungen Kants
auszusetzen hatte, mich wohl, worin er Kant nicht recht gebe, aber er hatte noch
nicht seine eignen bessern Lehre" an die Stelle der irrtümlichen Kantischen gesetzt
und die Gründe entwickelt, welche ihm das Recht geben, Kant in seinem eignen
Territorium der Urkunde und des Irrtums zu zeihen. Mit Trauer scheu ja
längst die Verehrer Kants den liebevollsten Darsteller desselben auf den Wegen
eines Fichte und Schelling wandeln und behaupten, daß diese von Kant selbst
verworfenen lind durch die Geschichte der Wissenschaften, insonderheit durch die
Erkenntnisse der Naturwissenschaft widerlegten irrenden Verehrer (aber nicht
Schüler) Kants die korrekten Fvrtbildner des Königsberger Meisters seien; aber
^ ließ sich bisher noch nicht lui ovickos demonstriren, daß dies nur dadurch
Möglich wurde, daß K. Fischer den Knut in seiner Fuudamentallehre garnicht
verstanden hat.

Jetzt liegen die Beweise klar vor. Folgende Thatsachen sind zu registriren.

K. Fischer erklärt: 1. Kants Lehre in beiden Ausgaben der Kritik der reinen
Vernunft widerstreite sich selbst in der Fnndamentalfrage. 2. Kant habe geirrt
Sache" des Idealismus. Die Worte lauten (S. 575): "Kant widerlegt
Idealismus, indem er seine Beweisführung von den Grundsätzen des reinen
Verstandes umkehrt. . - . Wenn er jetzt zur Widerlegung des Idealismus be¬
hauptet, daß die Wahrnehmung der Materie nur durch ein Ding anßer mir
und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich sei, so
'se dieser Beweis falsch, denn er widerstreitet der eignen fundamentalen Lehre
Philosophen." 3. K. Fischer hält die Fichtesche Wissenschaftslehre für die


Acme und Kuiio Fischer.

in sich selbst — das wäre für einen Hegelianer ja noch erlaubt, denn aus
Widersprüchen erwächst ihnen ja die Wahrheit —; nein, er beschuldigt ihn auch,
einen sachliche» Irrtum begnügen zu haben, indem er die Grundlagen seines
eignen Systems verleugnet und Lehren vorgetragen habe (in der zweiten Aus¬
gabe der Kritik der reinen Vernunft), welche ihm selbst schnurstracks zuwider¬
liefen. K. Fischers Worte lauten (S. 575): „Es ist unmöglich, die philo¬
sophische Differenz beider Ausgaben wegznreden"; und weiter (S. 576): „Was
Kant an gewissen Stellen, die wegbleiben konnten, buchstäblich behauptet hat,
widerstreitet den buchstäblichen Grundlehren, die nicht weggelassen werden durften
und nicht weggeblieben sind."

Jedem Verehrer Kants muß es hochwillkommeu sein, daß endlich der große
Meister der Geschichte der Philosophie sich mit dem Meister der Philosophie
zu messen beginnt in Rücksicht auf den eigentlichen Kern der Erkenntnisse.
Mancher wird aber doch überrascht darüber sein, daß K. Fischer der Nachwelt
zeigt, wie Kant geirrt habe nicht in Bezug auf Kleinigkeiten, sondern in Bezug
auf das Fuudcnueut seiner Lehre, nämlich die Frage, wie weit es dem Menschen
möglich sei, zwar nur seine Vorstellungen, aber doch auch die Dinge in der Welt
als wirkliche Dinge zu erkennen. Es war bis jetzt aus den Fischerscheu Dar¬
stellungen wohl möglich zu erkennen, was er an andern Darstellungen Kants
auszusetzen hatte, mich wohl, worin er Kant nicht recht gebe, aber er hatte noch
nicht seine eignen bessern Lehre» an die Stelle der irrtümlichen Kantischen gesetzt
und die Gründe entwickelt, welche ihm das Recht geben, Kant in seinem eignen
Territorium der Urkunde und des Irrtums zu zeihen. Mit Trauer scheu ja
längst die Verehrer Kants den liebevollsten Darsteller desselben auf den Wegen
eines Fichte und Schelling wandeln und behaupten, daß diese von Kant selbst
verworfenen lind durch die Geschichte der Wissenschaften, insonderheit durch die
Erkenntnisse der Naturwissenschaft widerlegten irrenden Verehrer (aber nicht
Schüler) Kants die korrekten Fvrtbildner des Königsberger Meisters seien; aber
^ ließ sich bisher noch nicht lui ovickos demonstriren, daß dies nur dadurch
Möglich wurde, daß K. Fischer den Knut in seiner Fuudamentallehre garnicht
verstanden hat.

Jetzt liegen die Beweise klar vor. Folgende Thatsachen sind zu registriren.

K. Fischer erklärt: 1. Kants Lehre in beiden Ausgaben der Kritik der reinen
Vernunft widerstreite sich selbst in der Fnndamentalfrage. 2. Kant habe geirrt
Sache» des Idealismus. Die Worte lauten (S. 575): „Kant widerlegt
Idealismus, indem er seine Beweisführung von den Grundsätzen des reinen
Verstandes umkehrt. . - . Wenn er jetzt zur Widerlegung des Idealismus be¬
hauptet, daß die Wahrnehmung der Materie nur durch ein Ding anßer mir
und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich sei, so
'se dieser Beweis falsch, denn er widerstreitet der eignen fundamentalen Lehre
Philosophen." 3. K. Fischer hält die Fichtesche Wissenschaftslehre für die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193993"/>
          <fw type="header" place="top"> Acme und Kuiio Fischer.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_43" prev="#ID_42"> in sich selbst &#x2014; das wäre für einen Hegelianer ja noch erlaubt, denn aus<lb/>
Widersprüchen erwächst ihnen ja die Wahrheit &#x2014;; nein, er beschuldigt ihn auch,<lb/>
einen sachliche» Irrtum begnügen zu haben, indem er die Grundlagen seines<lb/>
eignen Systems verleugnet und Lehren vorgetragen habe (in der zweiten Aus¬<lb/>
gabe der Kritik der reinen Vernunft), welche ihm selbst schnurstracks zuwider¬<lb/>
liefen. K. Fischers Worte lauten (S. 575): &#x201E;Es ist unmöglich, die philo¬<lb/>
sophische Differenz beider Ausgaben wegznreden"; und weiter (S. 576): &#x201E;Was<lb/>
Kant an gewissen Stellen, die wegbleiben konnten, buchstäblich behauptet hat,<lb/>
widerstreitet den buchstäblichen Grundlehren, die nicht weggelassen werden durften<lb/>
und nicht weggeblieben sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_44"> Jedem Verehrer Kants muß es hochwillkommeu sein, daß endlich der große<lb/>
Meister der Geschichte der Philosophie sich mit dem Meister der Philosophie<lb/>
zu messen beginnt in Rücksicht auf den eigentlichen Kern der Erkenntnisse.<lb/>
Mancher wird aber doch überrascht darüber sein, daß K. Fischer der Nachwelt<lb/>
zeigt, wie Kant geirrt habe nicht in Bezug auf Kleinigkeiten, sondern in Bezug<lb/>
auf das Fuudcnueut seiner Lehre, nämlich die Frage, wie weit es dem Menschen<lb/>
möglich sei, zwar nur seine Vorstellungen, aber doch auch die Dinge in der Welt<lb/>
als wirkliche Dinge zu erkennen. Es war bis jetzt aus den Fischerscheu Dar¬<lb/>
stellungen wohl möglich zu erkennen, was er an andern Darstellungen Kants<lb/>
auszusetzen hatte, mich wohl, worin er Kant nicht recht gebe, aber er hatte noch<lb/>
nicht seine eignen bessern Lehre» an die Stelle der irrtümlichen Kantischen gesetzt<lb/>
und die Gründe entwickelt, welche ihm das Recht geben, Kant in seinem eignen<lb/>
Territorium der Urkunde und des Irrtums zu zeihen. Mit Trauer scheu ja<lb/>
längst die Verehrer Kants den liebevollsten Darsteller desselben auf den Wegen<lb/>
eines Fichte und Schelling wandeln und behaupten, daß diese von Kant selbst<lb/>
verworfenen lind durch die Geschichte der Wissenschaften, insonderheit durch die<lb/>
Erkenntnisse der Naturwissenschaft widerlegten irrenden Verehrer (aber nicht<lb/>
Schüler) Kants die korrekten Fvrtbildner des Königsberger Meisters seien; aber<lb/>
^ ließ sich bisher noch nicht lui ovickos demonstriren, daß dies nur dadurch<lb/>
Möglich wurde, daß K. Fischer den Knut in seiner Fuudamentallehre garnicht<lb/>
verstanden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_45"> Jetzt liegen die Beweise klar vor. Folgende Thatsachen sind zu registriren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_46" next="#ID_47"> K. Fischer erklärt: 1. Kants Lehre in beiden Ausgaben der Kritik der reinen<lb/>
Vernunft widerstreite sich selbst in der Fnndamentalfrage. 2. Kant habe geirrt<lb/>
Sache» des Idealismus. Die Worte lauten (S. 575): &#x201E;Kant widerlegt<lb/>
Idealismus, indem er seine Beweisführung von den Grundsätzen des reinen<lb/>
Verstandes umkehrt. . - . Wenn er jetzt zur Widerlegung des Idealismus be¬<lb/>
hauptet, daß die Wahrnehmung der Materie nur durch ein Ding anßer mir<lb/>
und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich sei, so<lb/>
'se dieser Beweis falsch, denn er widerstreitet der eignen fundamentalen Lehre<lb/>
Philosophen."  3. K. Fischer hält die Fichtesche Wissenschaftslehre für die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0015] Acme und Kuiio Fischer. in sich selbst — das wäre für einen Hegelianer ja noch erlaubt, denn aus Widersprüchen erwächst ihnen ja die Wahrheit —; nein, er beschuldigt ihn auch, einen sachliche» Irrtum begnügen zu haben, indem er die Grundlagen seines eignen Systems verleugnet und Lehren vorgetragen habe (in der zweiten Aus¬ gabe der Kritik der reinen Vernunft), welche ihm selbst schnurstracks zuwider¬ liefen. K. Fischers Worte lauten (S. 575): „Es ist unmöglich, die philo¬ sophische Differenz beider Ausgaben wegznreden"; und weiter (S. 576): „Was Kant an gewissen Stellen, die wegbleiben konnten, buchstäblich behauptet hat, widerstreitet den buchstäblichen Grundlehren, die nicht weggelassen werden durften und nicht weggeblieben sind." Jedem Verehrer Kants muß es hochwillkommeu sein, daß endlich der große Meister der Geschichte der Philosophie sich mit dem Meister der Philosophie zu messen beginnt in Rücksicht auf den eigentlichen Kern der Erkenntnisse. Mancher wird aber doch überrascht darüber sein, daß K. Fischer der Nachwelt zeigt, wie Kant geirrt habe nicht in Bezug auf Kleinigkeiten, sondern in Bezug auf das Fuudcnueut seiner Lehre, nämlich die Frage, wie weit es dem Menschen möglich sei, zwar nur seine Vorstellungen, aber doch auch die Dinge in der Welt als wirkliche Dinge zu erkennen. Es war bis jetzt aus den Fischerscheu Dar¬ stellungen wohl möglich zu erkennen, was er an andern Darstellungen Kants auszusetzen hatte, mich wohl, worin er Kant nicht recht gebe, aber er hatte noch nicht seine eignen bessern Lehre» an die Stelle der irrtümlichen Kantischen gesetzt und die Gründe entwickelt, welche ihm das Recht geben, Kant in seinem eignen Territorium der Urkunde und des Irrtums zu zeihen. Mit Trauer scheu ja längst die Verehrer Kants den liebevollsten Darsteller desselben auf den Wegen eines Fichte und Schelling wandeln und behaupten, daß diese von Kant selbst verworfenen lind durch die Geschichte der Wissenschaften, insonderheit durch die Erkenntnisse der Naturwissenschaft widerlegten irrenden Verehrer (aber nicht Schüler) Kants die korrekten Fvrtbildner des Königsberger Meisters seien; aber ^ ließ sich bisher noch nicht lui ovickos demonstriren, daß dies nur dadurch Möglich wurde, daß K. Fischer den Knut in seiner Fuudamentallehre garnicht verstanden hat. Jetzt liegen die Beweise klar vor. Folgende Thatsachen sind zu registriren. K. Fischer erklärt: 1. Kants Lehre in beiden Ausgaben der Kritik der reinen Vernunft widerstreite sich selbst in der Fnndamentalfrage. 2. Kant habe geirrt Sache» des Idealismus. Die Worte lauten (S. 575): „Kant widerlegt Idealismus, indem er seine Beweisführung von den Grundsätzen des reinen Verstandes umkehrt. . - . Wenn er jetzt zur Widerlegung des Idealismus be¬ hauptet, daß die Wahrnehmung der Materie nur durch ein Ding anßer mir und nicht durch die bloße Vorstellung eines Dinges außer mir möglich sei, so 'se dieser Beweis falsch, denn er widerstreitet der eignen fundamentalen Lehre Philosophen." 3. K. Fischer hält die Fichtesche Wissenschaftslehre für die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/15
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/15>, abgerufen am 26.06.2024.