Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Name und Kuno Fischer.

meinen, daß dieselben in den Dingen um sich gegeben seien, welche ja überhaupt
nie gegeben werden können, nach ihrem eignen Begriff am allerwenigsten in der
Erfahrung,

Will man den Grundfehler K. Fischers an seiner Quelle entdecken, so findet
man ihn am deutlichsten in seiner Unterscheidung zwischen Erscheinung nud
Schein. Er sagt (S. 570): "Der Philosoph jKaut> unterscheidet die Sinnen¬
welt von der Scheinwelt, die Erscheinungen vom Schein dnrch ihren notwen¬
digen Zusammenhang, der ans einen Urgrund zurückweist. Ihr Zusammenhang
folgt aus deu notwendigen Vorstellungen unsrer Vernunft. Der Urgrund der¬
selben ist das Ding an sich. Daher gehört das Ding an sich zwar keineswegs
in die Erscheinung, wohl aber zum Charakter derselben, da durch Bejahung eines
solchen unbedingten Urgrundes die Erscheinungen vom Schein unterschieden und
fundirt werden, ohne diese Realität nur ein Traum wären, wenn anch ein zu¬
sammenhängender. Ding an sich und Erscheinung gehören dergestalt zusammen,
daß jenes nicht verneint werden kann, ohne diese mitznverneinen, d. h. in Schein
zu verwandeln."

Daß diese Lehre grundfalsch ist und im Widerspruch mit Kant steht, ist
nicht schwer zu beweisen. Zunächst ist der Satz: "Das Ding an sich gehört
zum Charakter der Erscheinung" falsch und nnkantisch, K. Fischer weiß, daß
das Ding an sich nicht hinter und nicht in der Erscheinung ist; dennoch glaubt
er, Allgemeiugiltigkeit und Notwendigkeit der Dinge als Erscheinungen stamme
von dem unbekannten Etwas, dem Ding an sich (S. 568). Darin irrt er voll¬
ständig. Die Notwendigkeit und Allgemciiigiltigkeit der Dinge als Erscheinung
stammt nach Kant von der Anwendung der Funktionen der Erkenntnis, welche
ihre Notwendigkeit und Allgemeiugiltigkeit von der Unveränderlichkeit der transcen¬
dentalen Apperzeption haben. Was soll es überhaupt heißen: Die Erscheinungen
tragen im Gegensatz zum Schein den Charakter des Dinges an sich? Ist dieser
Charakter ein wahrnehmbarer, so ist er Erscheinung, aber nicht Ding an sich,
^se er aber nicht wnhruehmbar, so kauu er auch nicht den Charakter eines
Wahrnehmbaren bilden. Ist das Ding an sich aber Grund oder Ursache der
Erscheinung, so bildet doch gewiß die Ursache einer Erscheinung niemals einen
Teil ihres Charakters. Oder ist der Charakter des Donners etwa im Blitz zu
finden? Da eine Wirkung aus mehreren verschiedenen Ursachen entspringen
kann, ist es logisch unmöglich nud fehlerhaft gedacht, daß das Dasein einer
Ursache der Wirkuug deu Charakter ihrer spezifischem Unterscheidung von andern
Wirkungen, welche auch ihre Ursache hatte", bestimmen könne.

Hier zeigt sich, daß K. Fischer die Entstehung des Scheines nicht kennt,
'">d sich einbildet, der Schein habe leine Ursache. Er meint, etwas Wahr¬
nehmbares mit dem Charakter des Dinges an sich sei Erscheinung, etwas Wahr¬
nehmbares ohne den Charakter des Dinges an sich sei Schein. Hütte er, anstatt
die Widerlegung des Idealismus zu korrigiren und zu tadeln, dieselbe ergründet


Name und Kuno Fischer.

meinen, daß dieselben in den Dingen um sich gegeben seien, welche ja überhaupt
nie gegeben werden können, nach ihrem eignen Begriff am allerwenigsten in der
Erfahrung,

Will man den Grundfehler K. Fischers an seiner Quelle entdecken, so findet
man ihn am deutlichsten in seiner Unterscheidung zwischen Erscheinung nud
Schein. Er sagt (S. 570): „Der Philosoph jKaut> unterscheidet die Sinnen¬
welt von der Scheinwelt, die Erscheinungen vom Schein dnrch ihren notwen¬
digen Zusammenhang, der ans einen Urgrund zurückweist. Ihr Zusammenhang
folgt aus deu notwendigen Vorstellungen unsrer Vernunft. Der Urgrund der¬
selben ist das Ding an sich. Daher gehört das Ding an sich zwar keineswegs
in die Erscheinung, wohl aber zum Charakter derselben, da durch Bejahung eines
solchen unbedingten Urgrundes die Erscheinungen vom Schein unterschieden und
fundirt werden, ohne diese Realität nur ein Traum wären, wenn anch ein zu¬
sammenhängender. Ding an sich und Erscheinung gehören dergestalt zusammen,
daß jenes nicht verneint werden kann, ohne diese mitznverneinen, d. h. in Schein
zu verwandeln."

Daß diese Lehre grundfalsch ist und im Widerspruch mit Kant steht, ist
nicht schwer zu beweisen. Zunächst ist der Satz: „Das Ding an sich gehört
zum Charakter der Erscheinung" falsch und nnkantisch, K. Fischer weiß, daß
das Ding an sich nicht hinter und nicht in der Erscheinung ist; dennoch glaubt
er, Allgemeiugiltigkeit und Notwendigkeit der Dinge als Erscheinungen stamme
von dem unbekannten Etwas, dem Ding an sich (S. 568). Darin irrt er voll¬
ständig. Die Notwendigkeit und Allgemciiigiltigkeit der Dinge als Erscheinung
stammt nach Kant von der Anwendung der Funktionen der Erkenntnis, welche
ihre Notwendigkeit und Allgemeiugiltigkeit von der Unveränderlichkeit der transcen¬
dentalen Apperzeption haben. Was soll es überhaupt heißen: Die Erscheinungen
tragen im Gegensatz zum Schein den Charakter des Dinges an sich? Ist dieser
Charakter ein wahrnehmbarer, so ist er Erscheinung, aber nicht Ding an sich,
^se er aber nicht wnhruehmbar, so kauu er auch nicht den Charakter eines
Wahrnehmbaren bilden. Ist das Ding an sich aber Grund oder Ursache der
Erscheinung, so bildet doch gewiß die Ursache einer Erscheinung niemals einen
Teil ihres Charakters. Oder ist der Charakter des Donners etwa im Blitz zu
finden? Da eine Wirkung aus mehreren verschiedenen Ursachen entspringen
kann, ist es logisch unmöglich nud fehlerhaft gedacht, daß das Dasein einer
Ursache der Wirkuug deu Charakter ihrer spezifischem Unterscheidung von andern
Wirkungen, welche auch ihre Ursache hatte», bestimmen könne.

Hier zeigt sich, daß K. Fischer die Entstehung des Scheines nicht kennt,
'">d sich einbildet, der Schein habe leine Ursache. Er meint, etwas Wahr¬
nehmbares mit dem Charakter des Dinges an sich sei Erscheinung, etwas Wahr¬
nehmbares ohne den Charakter des Dinges an sich sei Schein. Hütte er, anstatt
die Widerlegung des Idealismus zu korrigiren und zu tadeln, dieselbe ergründet


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193995"/>
          <fw type="header" place="top"> Name und Kuno Fischer.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_51" prev="#ID_50"> meinen, daß dieselben in den Dingen um sich gegeben seien, welche ja überhaupt<lb/>
nie gegeben werden können, nach ihrem eignen Begriff am allerwenigsten in der<lb/>
Erfahrung,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_52"> Will man den Grundfehler K. Fischers an seiner Quelle entdecken, so findet<lb/>
man ihn am deutlichsten in seiner Unterscheidung zwischen Erscheinung nud<lb/>
Schein. Er sagt (S. 570): &#x201E;Der Philosoph jKaut&gt; unterscheidet die Sinnen¬<lb/>
welt von der Scheinwelt, die Erscheinungen vom Schein dnrch ihren notwen¬<lb/>
digen Zusammenhang, der ans einen Urgrund zurückweist. Ihr Zusammenhang<lb/>
folgt aus deu notwendigen Vorstellungen unsrer Vernunft. Der Urgrund der¬<lb/>
selben ist das Ding an sich. Daher gehört das Ding an sich zwar keineswegs<lb/>
in die Erscheinung, wohl aber zum Charakter derselben, da durch Bejahung eines<lb/>
solchen unbedingten Urgrundes die Erscheinungen vom Schein unterschieden und<lb/>
fundirt werden, ohne diese Realität nur ein Traum wären, wenn anch ein zu¬<lb/>
sammenhängender. Ding an sich und Erscheinung gehören dergestalt zusammen,<lb/>
daß jenes nicht verneint werden kann, ohne diese mitznverneinen, d. h. in Schein<lb/>
zu verwandeln."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_53"> Daß diese Lehre grundfalsch ist und im Widerspruch mit Kant steht, ist<lb/>
nicht schwer zu beweisen. Zunächst ist der Satz: &#x201E;Das Ding an sich gehört<lb/>
zum Charakter der Erscheinung" falsch und nnkantisch, K. Fischer weiß, daß<lb/>
das Ding an sich nicht hinter und nicht in der Erscheinung ist; dennoch glaubt<lb/>
er, Allgemeiugiltigkeit und Notwendigkeit der Dinge als Erscheinungen stamme<lb/>
von dem unbekannten Etwas, dem Ding an sich (S. 568). Darin irrt er voll¬<lb/>
ständig. Die Notwendigkeit und Allgemciiigiltigkeit der Dinge als Erscheinung<lb/>
stammt nach Kant von der Anwendung der Funktionen der Erkenntnis, welche<lb/>
ihre Notwendigkeit und Allgemeiugiltigkeit von der Unveränderlichkeit der transcen¬<lb/>
dentalen Apperzeption haben. Was soll es überhaupt heißen: Die Erscheinungen<lb/>
tragen im Gegensatz zum Schein den Charakter des Dinges an sich? Ist dieser<lb/>
Charakter ein wahrnehmbarer, so ist er Erscheinung, aber nicht Ding an sich,<lb/>
^se er aber nicht wnhruehmbar, so kauu er auch nicht den Charakter eines<lb/>
Wahrnehmbaren bilden. Ist das Ding an sich aber Grund oder Ursache der<lb/>
Erscheinung, so bildet doch gewiß die Ursache einer Erscheinung niemals einen<lb/>
Teil ihres Charakters. Oder ist der Charakter des Donners etwa im Blitz zu<lb/>
finden? Da eine Wirkung aus mehreren verschiedenen Ursachen entspringen<lb/>
kann, ist es logisch unmöglich nud fehlerhaft gedacht, daß das Dasein einer<lb/>
Ursache der Wirkuug deu Charakter ihrer spezifischem Unterscheidung von andern<lb/>
Wirkungen, welche auch ihre Ursache hatte», bestimmen könne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_54" next="#ID_55"> Hier zeigt sich, daß K. Fischer die Entstehung des Scheines nicht kennt,<lb/>
'"&gt;d sich einbildet, der Schein habe leine Ursache. Er meint, etwas Wahr¬<lb/>
nehmbares mit dem Charakter des Dinges an sich sei Erscheinung, etwas Wahr¬<lb/>
nehmbares ohne den Charakter des Dinges an sich sei Schein. Hütte er, anstatt<lb/>
die Widerlegung des Idealismus zu korrigiren und zu tadeln, dieselbe ergründet</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0017] Name und Kuno Fischer. meinen, daß dieselben in den Dingen um sich gegeben seien, welche ja überhaupt nie gegeben werden können, nach ihrem eignen Begriff am allerwenigsten in der Erfahrung, Will man den Grundfehler K. Fischers an seiner Quelle entdecken, so findet man ihn am deutlichsten in seiner Unterscheidung zwischen Erscheinung nud Schein. Er sagt (S. 570): „Der Philosoph jKaut> unterscheidet die Sinnen¬ welt von der Scheinwelt, die Erscheinungen vom Schein dnrch ihren notwen¬ digen Zusammenhang, der ans einen Urgrund zurückweist. Ihr Zusammenhang folgt aus deu notwendigen Vorstellungen unsrer Vernunft. Der Urgrund der¬ selben ist das Ding an sich. Daher gehört das Ding an sich zwar keineswegs in die Erscheinung, wohl aber zum Charakter derselben, da durch Bejahung eines solchen unbedingten Urgrundes die Erscheinungen vom Schein unterschieden und fundirt werden, ohne diese Realität nur ein Traum wären, wenn anch ein zu¬ sammenhängender. Ding an sich und Erscheinung gehören dergestalt zusammen, daß jenes nicht verneint werden kann, ohne diese mitznverneinen, d. h. in Schein zu verwandeln." Daß diese Lehre grundfalsch ist und im Widerspruch mit Kant steht, ist nicht schwer zu beweisen. Zunächst ist der Satz: „Das Ding an sich gehört zum Charakter der Erscheinung" falsch und nnkantisch, K. Fischer weiß, daß das Ding an sich nicht hinter und nicht in der Erscheinung ist; dennoch glaubt er, Allgemeiugiltigkeit und Notwendigkeit der Dinge als Erscheinungen stamme von dem unbekannten Etwas, dem Ding an sich (S. 568). Darin irrt er voll¬ ständig. Die Notwendigkeit und Allgemciiigiltigkeit der Dinge als Erscheinung stammt nach Kant von der Anwendung der Funktionen der Erkenntnis, welche ihre Notwendigkeit und Allgemeiugiltigkeit von der Unveränderlichkeit der transcen¬ dentalen Apperzeption haben. Was soll es überhaupt heißen: Die Erscheinungen tragen im Gegensatz zum Schein den Charakter des Dinges an sich? Ist dieser Charakter ein wahrnehmbarer, so ist er Erscheinung, aber nicht Ding an sich, ^se er aber nicht wnhruehmbar, so kauu er auch nicht den Charakter eines Wahrnehmbaren bilden. Ist das Ding an sich aber Grund oder Ursache der Erscheinung, so bildet doch gewiß die Ursache einer Erscheinung niemals einen Teil ihres Charakters. Oder ist der Charakter des Donners etwa im Blitz zu finden? Da eine Wirkung aus mehreren verschiedenen Ursachen entspringen kann, ist es logisch unmöglich nud fehlerhaft gedacht, daß das Dasein einer Ursache der Wirkuug deu Charakter ihrer spezifischem Unterscheidung von andern Wirkungen, welche auch ihre Ursache hatte», bestimmen könne. Hier zeigt sich, daß K. Fischer die Entstehung des Scheines nicht kennt, '">d sich einbildet, der Schein habe leine Ursache. Er meint, etwas Wahr¬ nehmbares mit dem Charakter des Dinges an sich sei Erscheinung, etwas Wahr¬ nehmbares ohne den Charakter des Dinges an sich sei Schein. Hütte er, anstatt die Widerlegung des Idealismus zu korrigiren und zu tadeln, dieselbe ergründet

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/17
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/17>, abgerufen am 29.06.2024.