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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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eigentlicher Themen, durch ein Spielen mit Wechseln der Klangfarben, dessen
innere Berechtigung man oft genug anzuzweifeln Ursache hat. Neben dem
Wechsel hoher und tiefer Tonregivuen, finsterer und heiterer Klänge, ist es der
schroffe Wechsel der Dynamik und der Bewegungsart, was das Interesse be¬
schäftigt. Das Donnern und Brausen auf der einen, das Lispeln und Säuseln
auf der andern Seite sind nicht mit Unrecht sprichwörtlich als tarierende Ter¬
minologie für diese Art von Musik, die wohl vortreffliche Klangwirkungen, aber
keine eigentlichen Gedanken aufzuweisen hat. Man suche nicht dieses harte Urteil
-- dessen Schroffheit unerläßlich ist, wenn der Thatbestand einmal ernstlich
klar gemacht werden soll -- durch deu Einwurf zu entkräften, daß der Begriff des
Themas doch schließlich ein sehr vager sei, und daß Themen doch auf alle Fälle
sich aus höheren und tieferen Tönen zusammensetzen und daß der Wechsel der
Dynamik und der Bewegungsart intcgrirende Faktoren aller musikalischer Gestaltung
seien; dermaßen steckt die Erforschung der Gesetze der Melvdiebildung und des
Aufbaus musikalischer Gedanken nicht mehr in den Kinderschuhen, daß man ernstlich
hohles Pafsagenwerk und lärmende Arpeggien, zwischen denen wie Oasen winzige
Motive ohne Lebenskraft auftauchen, für Themen ausgeben dürfte, würdig ueben
die Grundsäulen der Werke unsrer Klassiker und Romantiker oder wohl gar über
dieselben gestellt zu werden. Es ist wahr, jene kurzen, senfzerartigen Motivchen,
welche die Stelle singender zweiter Themen vertreten sollen, bringen an ihrer
Stelle einen guten Effekt hervor, obgleich sie, aus dem Zusammenhange heraus¬
gerissen und neben ein Beethovensches oder Schumannsches Thema gestellt, nichtig
und unsäglich embryonal erscheinen -- Keime, aus denen etwas werden könnte,
die aber leider nicht zum Keimen kommen. Jener gute Effekt ist aber wie gesagt
der der Oase in der Wüste, des Hasens nach dem Sturm; unchdem man ge¬
nügend lange ruhelos hin- und hergeschleudert worden, dankt man dem Himmel
für den Moment der Ruhe -- eine Kontrastwirkung, weiter nichts. Diese Art
zu komponiren ist billig, sie setzt nur eine, uicht gerade ohne Übung, aber doch
ohne strenge Arbeit zu erwerbende Kenntnis der Effektmittel voraus, einige
Routine im Mischen der Farben auf der Palette; diese Scheinkünstler, welche
eine gestaltlose Phantasie als ein Kunstwerk hinstellen, das die Erzeugnisse einer
hohen Blüteperiode wahrer Kunst in Schatten stellen soll, vermögen vielleicht
nicht, ein schlichtes Lied mit einigem Geschick zu komponiren.

Vielleicht gehe ich zu weit -- desto besser! dann möge man es als meine
Absicht ansehen, durch Übertreibung die Gefahr des betretenen Weges desto ab¬
schreckender darzustellen. Ich gestehe aber, oft genug durchaus deu geschilderten
Eindruck empfangen zu haben durch Werke, welche von der Kritik (wer ist frei¬
lich die Kritik?) und von den Fanatikern der neudeutschen Richtung mit Be¬
geisterung aufgenommen wurden.

Das Kolorit ist ein höchst schätzbares, ein unentbehrliches Wirkungsmittel
der Kunst; aber es darf nicht Selbstzweck, nicht die glänzende Hülle des Nichts


eigentlicher Themen, durch ein Spielen mit Wechseln der Klangfarben, dessen
innere Berechtigung man oft genug anzuzweifeln Ursache hat. Neben dem
Wechsel hoher und tiefer Tonregivuen, finsterer und heiterer Klänge, ist es der
schroffe Wechsel der Dynamik und der Bewegungsart, was das Interesse be¬
schäftigt. Das Donnern und Brausen auf der einen, das Lispeln und Säuseln
auf der andern Seite sind nicht mit Unrecht sprichwörtlich als tarierende Ter¬
minologie für diese Art von Musik, die wohl vortreffliche Klangwirkungen, aber
keine eigentlichen Gedanken aufzuweisen hat. Man suche nicht dieses harte Urteil
— dessen Schroffheit unerläßlich ist, wenn der Thatbestand einmal ernstlich
klar gemacht werden soll — durch deu Einwurf zu entkräften, daß der Begriff des
Themas doch schließlich ein sehr vager sei, und daß Themen doch auf alle Fälle
sich aus höheren und tieferen Tönen zusammensetzen und daß der Wechsel der
Dynamik und der Bewegungsart intcgrirende Faktoren aller musikalischer Gestaltung
seien; dermaßen steckt die Erforschung der Gesetze der Melvdiebildung und des
Aufbaus musikalischer Gedanken nicht mehr in den Kinderschuhen, daß man ernstlich
hohles Pafsagenwerk und lärmende Arpeggien, zwischen denen wie Oasen winzige
Motive ohne Lebenskraft auftauchen, für Themen ausgeben dürfte, würdig ueben
die Grundsäulen der Werke unsrer Klassiker und Romantiker oder wohl gar über
dieselben gestellt zu werden. Es ist wahr, jene kurzen, senfzerartigen Motivchen,
welche die Stelle singender zweiter Themen vertreten sollen, bringen an ihrer
Stelle einen guten Effekt hervor, obgleich sie, aus dem Zusammenhange heraus¬
gerissen und neben ein Beethovensches oder Schumannsches Thema gestellt, nichtig
und unsäglich embryonal erscheinen — Keime, aus denen etwas werden könnte,
die aber leider nicht zum Keimen kommen. Jener gute Effekt ist aber wie gesagt
der der Oase in der Wüste, des Hasens nach dem Sturm; unchdem man ge¬
nügend lange ruhelos hin- und hergeschleudert worden, dankt man dem Himmel
für den Moment der Ruhe — eine Kontrastwirkung, weiter nichts. Diese Art
zu komponiren ist billig, sie setzt nur eine, uicht gerade ohne Übung, aber doch
ohne strenge Arbeit zu erwerbende Kenntnis der Effektmittel voraus, einige
Routine im Mischen der Farben auf der Palette; diese Scheinkünstler, welche
eine gestaltlose Phantasie als ein Kunstwerk hinstellen, das die Erzeugnisse einer
hohen Blüteperiode wahrer Kunst in Schatten stellen soll, vermögen vielleicht
nicht, ein schlichtes Lied mit einigem Geschick zu komponiren.

Vielleicht gehe ich zu weit — desto besser! dann möge man es als meine
Absicht ansehen, durch Übertreibung die Gefahr des betretenen Weges desto ab¬
schreckender darzustellen. Ich gestehe aber, oft genug durchaus deu geschilderten
Eindruck empfangen zu haben durch Werke, welche von der Kritik (wer ist frei¬
lich die Kritik?) und von den Fanatikern der neudeutschen Richtung mit Be¬
geisterung aufgenommen wurden.

Das Kolorit ist ein höchst schätzbares, ein unentbehrliches Wirkungsmittel
der Kunst; aber es darf nicht Selbstzweck, nicht die glänzende Hülle des Nichts


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/88>, abgerufen am 01.07.2024.