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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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psindung dieser Wirkungen eine Kenntnis der Eigenart der Instrumente ein Wort
mit; doch ist nicht zu leugnen, daß der Klang der tiefsten Flötentöne besonders
dumpf, der der höchsten Horntöne besonders hell ist.

So kommen wir denn schließlich dahin, anch ans dem Klavier oder im
Ensemble der Streichinstrumente von der Mitte des Gesammtnmfangs eine nach
beiden Seiten zu sich steigernde Charakteristik der Höhenlage, d. h. ein entschieden
koloristisches Element zu finden, und es darf uns nicht wundern, wenn wir in
der jüngsten Strömung der tondichterischen Thätigkeit einer besondern Vorliebe
für die Ausbeutung der höchsten und tiefsten Tonlage begegnen. Nicht als ob
das etwas absolut neues wäre; Beethoven, der so gern als der Stammvater
der charakteristischen Tendenzen herangezogen wird, hat gelegentlich hervorragende
Effekte erzielt dnrch das dumpfe Murmeln in den tiefsten Baßregivnen oder das
zarteste Weben im höchsten Diskant -- aber erfunden hat er's so wenig, als er
es etwa bereits zur Manier ausgebildet hat; es tritt bei ihm hervor als gelegent¬
liche Bethätigung des universellen Genies auch nach dieser Richtung. Dagegen
gehe man die Klavierwerkc Lißts durch und frage sich, wie enorm das koloristische
Element sich seit Beethoven fortentwickelt hat. Jetzt ist es Manier geworden,
und der ruhige Gesang, die kraftvolle thematische Gestaltung in mittlerer Ton¬
lage erscheint oft genng als Folie für die sichere Wirkung der Kontraste besonders
hoher und besonders tieser Tonlagen. Wer wollte dein Meister einen Vorwurf
machen, der es verstand, durch wiederholte bewußte Verwendung diese eigentüm¬
lichen Wirkuugsmittel ihrem Werte nach hervorzuheben? Für die koloristische
Jnstrumentation des großen Orchesters wurde besonders Berlioz bahnbrechend,
nachdem die bei Haydn und Beethoven bemerkbaren koloristischen Tendenzen bei
den Epigonen ins Stocken geraten waren und ein mehr oder minder schablonen¬
hafter Schematismus Platz gegriffen hatte; die Einführung neuer Instrumente,
die Ausnutzung des vollen Umfangs und aller Nüancen der Tvngebung der bisher
gebräuchlichen behufs Gewinnung einer möglichsten Fülle verschiedener Klcmg-
sarben wurde von ihm -- wohl zuerst -- zum Prinzip erhoben und systematisch
durchgeführt. Seit Berlioz und Lißt ist der Kolorismns Dogma, und Berlioz
sowohl wie Lißt waren es auch, welche das koloristische Virtuosentum schufen
und auf dem gefährlichen Wege vorangingen, auf eigentlich thematische Gestaltung
mehr oder minder Verzicht zu leisten, wo sie dnrch originelles Kolorit dem ge¬
nießenden Geiste Beschäftigung boten. Auf diesem Wege haben sich zahlreiche
Nachahmer gefunden; es ist nicht nur das Programm, was die von den ge¬
nannten ohne Zweifel genialen und schöpferischen Meistern inaugurirte Richtung
kennzeichnet; gar viele jedwedes Programms, wenigstens jedes übergeschriebenen
entbehrende Jnstrumentalwerke, besonders anch Kammermnsikwerke, gehören ebenso
unzweifelhaft der Berlioz-Lißtschen Richtung an, wie die symphonischen Dichtungen
uns Charakterstücke mit Titeln. Was sie als dieser Richtung angehörig kenn¬
zeichnet, ist eben jenes Ersetzen natürlicher thematischer Entwicklung, überhaupt


psindung dieser Wirkungen eine Kenntnis der Eigenart der Instrumente ein Wort
mit; doch ist nicht zu leugnen, daß der Klang der tiefsten Flötentöne besonders
dumpf, der der höchsten Horntöne besonders hell ist.

So kommen wir denn schließlich dahin, anch ans dem Klavier oder im
Ensemble der Streichinstrumente von der Mitte des Gesammtnmfangs eine nach
beiden Seiten zu sich steigernde Charakteristik der Höhenlage, d. h. ein entschieden
koloristisches Element zu finden, und es darf uns nicht wundern, wenn wir in
der jüngsten Strömung der tondichterischen Thätigkeit einer besondern Vorliebe
für die Ausbeutung der höchsten und tiefsten Tonlage begegnen. Nicht als ob
das etwas absolut neues wäre; Beethoven, der so gern als der Stammvater
der charakteristischen Tendenzen herangezogen wird, hat gelegentlich hervorragende
Effekte erzielt dnrch das dumpfe Murmeln in den tiefsten Baßregivnen oder das
zarteste Weben im höchsten Diskant — aber erfunden hat er's so wenig, als er
es etwa bereits zur Manier ausgebildet hat; es tritt bei ihm hervor als gelegent¬
liche Bethätigung des universellen Genies auch nach dieser Richtung. Dagegen
gehe man die Klavierwerkc Lißts durch und frage sich, wie enorm das koloristische
Element sich seit Beethoven fortentwickelt hat. Jetzt ist es Manier geworden,
und der ruhige Gesang, die kraftvolle thematische Gestaltung in mittlerer Ton¬
lage erscheint oft genng als Folie für die sichere Wirkung der Kontraste besonders
hoher und besonders tieser Tonlagen. Wer wollte dein Meister einen Vorwurf
machen, der es verstand, durch wiederholte bewußte Verwendung diese eigentüm¬
lichen Wirkuugsmittel ihrem Werte nach hervorzuheben? Für die koloristische
Jnstrumentation des großen Orchesters wurde besonders Berlioz bahnbrechend,
nachdem die bei Haydn und Beethoven bemerkbaren koloristischen Tendenzen bei
den Epigonen ins Stocken geraten waren und ein mehr oder minder schablonen¬
hafter Schematismus Platz gegriffen hatte; die Einführung neuer Instrumente,
die Ausnutzung des vollen Umfangs und aller Nüancen der Tvngebung der bisher
gebräuchlichen behufs Gewinnung einer möglichsten Fülle verschiedener Klcmg-
sarben wurde von ihm — wohl zuerst — zum Prinzip erhoben und systematisch
durchgeführt. Seit Berlioz und Lißt ist der Kolorismns Dogma, und Berlioz
sowohl wie Lißt waren es auch, welche das koloristische Virtuosentum schufen
und auf dem gefährlichen Wege vorangingen, auf eigentlich thematische Gestaltung
mehr oder minder Verzicht zu leisten, wo sie dnrch originelles Kolorit dem ge¬
nießenden Geiste Beschäftigung boten. Auf diesem Wege haben sich zahlreiche
Nachahmer gefunden; es ist nicht nur das Programm, was die von den ge¬
nannten ohne Zweifel genialen und schöpferischen Meistern inaugurirte Richtung
kennzeichnet; gar viele jedwedes Programms, wenigstens jedes übergeschriebenen
entbehrende Jnstrumentalwerke, besonders anch Kammermnsikwerke, gehören ebenso
unzweifelhaft der Berlioz-Lißtschen Richtung an, wie die symphonischen Dichtungen
uns Charakterstücke mit Titeln. Was sie als dieser Richtung angehörig kenn¬
zeichnet, ist eben jenes Ersetzen natürlicher thematischer Entwicklung, überhaupt


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[0087] psindung dieser Wirkungen eine Kenntnis der Eigenart der Instrumente ein Wort mit; doch ist nicht zu leugnen, daß der Klang der tiefsten Flötentöne besonders dumpf, der der höchsten Horntöne besonders hell ist. So kommen wir denn schließlich dahin, anch ans dem Klavier oder im Ensemble der Streichinstrumente von der Mitte des Gesammtnmfangs eine nach beiden Seiten zu sich steigernde Charakteristik der Höhenlage, d. h. ein entschieden koloristisches Element zu finden, und es darf uns nicht wundern, wenn wir in der jüngsten Strömung der tondichterischen Thätigkeit einer besondern Vorliebe für die Ausbeutung der höchsten und tiefsten Tonlage begegnen. Nicht als ob das etwas absolut neues wäre; Beethoven, der so gern als der Stammvater der charakteristischen Tendenzen herangezogen wird, hat gelegentlich hervorragende Effekte erzielt dnrch das dumpfe Murmeln in den tiefsten Baßregivnen oder das zarteste Weben im höchsten Diskant — aber erfunden hat er's so wenig, als er es etwa bereits zur Manier ausgebildet hat; es tritt bei ihm hervor als gelegent¬ liche Bethätigung des universellen Genies auch nach dieser Richtung. Dagegen gehe man die Klavierwerkc Lißts durch und frage sich, wie enorm das koloristische Element sich seit Beethoven fortentwickelt hat. Jetzt ist es Manier geworden, und der ruhige Gesang, die kraftvolle thematische Gestaltung in mittlerer Ton¬ lage erscheint oft genng als Folie für die sichere Wirkung der Kontraste besonders hoher und besonders tieser Tonlagen. Wer wollte dein Meister einen Vorwurf machen, der es verstand, durch wiederholte bewußte Verwendung diese eigentüm¬ lichen Wirkuugsmittel ihrem Werte nach hervorzuheben? Für die koloristische Jnstrumentation des großen Orchesters wurde besonders Berlioz bahnbrechend, nachdem die bei Haydn und Beethoven bemerkbaren koloristischen Tendenzen bei den Epigonen ins Stocken geraten waren und ein mehr oder minder schablonen¬ hafter Schematismus Platz gegriffen hatte; die Einführung neuer Instrumente, die Ausnutzung des vollen Umfangs und aller Nüancen der Tvngebung der bisher gebräuchlichen behufs Gewinnung einer möglichsten Fülle verschiedener Klcmg- sarben wurde von ihm — wohl zuerst — zum Prinzip erhoben und systematisch durchgeführt. Seit Berlioz und Lißt ist der Kolorismns Dogma, und Berlioz sowohl wie Lißt waren es auch, welche das koloristische Virtuosentum schufen und auf dem gefährlichen Wege vorangingen, auf eigentlich thematische Gestaltung mehr oder minder Verzicht zu leisten, wo sie dnrch originelles Kolorit dem ge¬ nießenden Geiste Beschäftigung boten. Auf diesem Wege haben sich zahlreiche Nachahmer gefunden; es ist nicht nur das Programm, was die von den ge¬ nannten ohne Zweifel genialen und schöpferischen Meistern inaugurirte Richtung kennzeichnet; gar viele jedwedes Programms, wenigstens jedes übergeschriebenen entbehrende Jnstrumentalwerke, besonders anch Kammermnsikwerke, gehören ebenso unzweifelhaft der Berlioz-Lißtschen Richtung an, wie die symphonischen Dichtungen uns Charakterstücke mit Titeln. Was sie als dieser Richtung angehörig kenn¬ zeichnet, ist eben jenes Ersetzen natürlicher thematischer Entwicklung, überhaupt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/87>, abgerufen am 01.10.2024.