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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Progrmnminustk, Tonmalerei und inustkalischer Kolorismus.

Werk habe ich nur zur vorläufigen Erklärung des Begriffs erwähnt. Dn es
sich um eine Signatur unsrer Zeit handelt, um Hervorhebung einer herrschenden
Richtung, so wird unschwer jedermann erkennen, wo der Kolorismus auf ihn
wirkt, und wo die thematische Gestaltung. Denn das ist ja die Kehrseite der
Medaille, daß die Koloristen, die Meister oder Jünger und Lehrlinge, welche
dem Ideale origineller Farbengebung nachjagen, darüber die Hauptsache leicht
aus dem Auge verlieren, die Erfindung prägnanter Themen, die sichere Zeichnung
der Figuren, welche sie zu beleuchten haben.

Je nach dem in Bewegung gesetzten Apparat ist das Gebiet des Kolorismus
ein beschränkteres oder weiteres; am weitesten dehnt es sich natürlich da aus,
wo ein Ensemble vieler Instrumente zusammenwirkt, also in der Komposition
für Orchester oder für Singstimmen oder Soloinstrumente mit Orchester. Die
Kunst der Jnstrumentation im modernen Sinne ist nicht die des rechten Ge¬
brauchs der Instrumente in Hinsicht auf ihren Tonumfang und ihre Technik,
sondern die der rechten Ausnutzung ihrer eigenartigen Klangfarben, ja der ver¬
schiedenen Klangfarben ihrer einzelnen Register. Die Beschränkung auf ein oder
wenige Instrumente zieht die Grenzen eng und weist dem Kolorismus besonders
die Ausnutzung der Klangverschiedenheit der Register desselben Instrumentes zu.
Bei der Orgel bedeutet das noch immer sehr viel, denn sie ist thatsächlich eine
Kombination einer großen Anzahl von Vlasinstrumenten verschiedener Klang¬
farbe; die Kunst der Registriruug ist die Kunst des Kolorirens. Vom dumpfen
Ton der Hohlflöten oder dem ätherischen der Äoline bis zum fast schreienden
der Posauuenstimme -- welch ein Abstand! Dem Klavier ist durch die Ver¬
schiebung oder die allmählich veraltende Dämpfung, den Streichinstrumenten dnrch
Aufsetzen der Sortiren, den Hörnern dnrch Stopfen die Anwendung wirklich
verschiedener Klangfarben ermöglicht. Aber selbst ohne diese Veränderungen der
natürlichen Töne der Instrumente hat der Kolorismus noch ein weites Feld.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der einzelne Ton schon vermöge seiner Ton¬
höhe eine eigne ästhetische Qualität besitzt. Je höher oder je tiefer ein Ton ist,
desto intensiver wirkt er durch seiue absolute Tonhöhe; die geringste Charak¬
teristik haben die Töne mittlerer Lage. Daß solchergestalt die Tonhöhe selbst
als koloristisches Element wirkt, bewies uns bereits das Beispiel der Brahmsschen
Rhapsodie. Hoch ist hell, tief ist dunkel. Man muß Wohl die ästhetische Wirkung
der absoluten Tonhöhe zurückführen auf die Wirkung von Steigen und Fallen der
Tonhöhe: das hohe wirkt wie das gestiegene, das tiefe wie das gefallene, ähnlich,
wie wenn vou dem Niveau mittlerer Tonhöhe zum hohen erst emporgestiegen,
zum tiefen erst hinabgestiegen wäre. Das gilt wieder sür den besonderen Um¬
fang jedes Instrumentes. Die höchsten Töne des Horns fallen in die Mittel¬
lage des gesammten Tongebietes, wirken aber ästhetisch nicht als mittlere, sondern
als hohe- umgekehrt wirken die tiefsten Töne der Flöte, welche ebenfalls in die
Mittellage reichen, als entschiedene tiefe Töne. Vielleicht spricht zur vollen Em-


Progrmnminustk, Tonmalerei und inustkalischer Kolorismus.

Werk habe ich nur zur vorläufigen Erklärung des Begriffs erwähnt. Dn es
sich um eine Signatur unsrer Zeit handelt, um Hervorhebung einer herrschenden
Richtung, so wird unschwer jedermann erkennen, wo der Kolorismus auf ihn
wirkt, und wo die thematische Gestaltung. Denn das ist ja die Kehrseite der
Medaille, daß die Koloristen, die Meister oder Jünger und Lehrlinge, welche
dem Ideale origineller Farbengebung nachjagen, darüber die Hauptsache leicht
aus dem Auge verlieren, die Erfindung prägnanter Themen, die sichere Zeichnung
der Figuren, welche sie zu beleuchten haben.

Je nach dem in Bewegung gesetzten Apparat ist das Gebiet des Kolorismus
ein beschränkteres oder weiteres; am weitesten dehnt es sich natürlich da aus,
wo ein Ensemble vieler Instrumente zusammenwirkt, also in der Komposition
für Orchester oder für Singstimmen oder Soloinstrumente mit Orchester. Die
Kunst der Jnstrumentation im modernen Sinne ist nicht die des rechten Ge¬
brauchs der Instrumente in Hinsicht auf ihren Tonumfang und ihre Technik,
sondern die der rechten Ausnutzung ihrer eigenartigen Klangfarben, ja der ver¬
schiedenen Klangfarben ihrer einzelnen Register. Die Beschränkung auf ein oder
wenige Instrumente zieht die Grenzen eng und weist dem Kolorismus besonders
die Ausnutzung der Klangverschiedenheit der Register desselben Instrumentes zu.
Bei der Orgel bedeutet das noch immer sehr viel, denn sie ist thatsächlich eine
Kombination einer großen Anzahl von Vlasinstrumenten verschiedener Klang¬
farbe; die Kunst der Registriruug ist die Kunst des Kolorirens. Vom dumpfen
Ton der Hohlflöten oder dem ätherischen der Äoline bis zum fast schreienden
der Posauuenstimme — welch ein Abstand! Dem Klavier ist durch die Ver¬
schiebung oder die allmählich veraltende Dämpfung, den Streichinstrumenten dnrch
Aufsetzen der Sortiren, den Hörnern dnrch Stopfen die Anwendung wirklich
verschiedener Klangfarben ermöglicht. Aber selbst ohne diese Veränderungen der
natürlichen Töne der Instrumente hat der Kolorismus noch ein weites Feld.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß der einzelne Ton schon vermöge seiner Ton¬
höhe eine eigne ästhetische Qualität besitzt. Je höher oder je tiefer ein Ton ist,
desto intensiver wirkt er durch seiue absolute Tonhöhe; die geringste Charak¬
teristik haben die Töne mittlerer Lage. Daß solchergestalt die Tonhöhe selbst
als koloristisches Element wirkt, bewies uns bereits das Beispiel der Brahmsschen
Rhapsodie. Hoch ist hell, tief ist dunkel. Man muß Wohl die ästhetische Wirkung
der absoluten Tonhöhe zurückführen auf die Wirkung von Steigen und Fallen der
Tonhöhe: das hohe wirkt wie das gestiegene, das tiefe wie das gefallene, ähnlich,
wie wenn vou dem Niveau mittlerer Tonhöhe zum hohen erst emporgestiegen,
zum tiefen erst hinabgestiegen wäre. Das gilt wieder sür den besonderen Um¬
fang jedes Instrumentes. Die höchsten Töne des Horns fallen in die Mittel¬
lage des gesammten Tongebietes, wirken aber ästhetisch nicht als mittlere, sondern
als hohe- umgekehrt wirken die tiefsten Töne der Flöte, welche ebenfalls in die
Mittellage reichen, als entschiedene tiefe Töne. Vielleicht spricht zur vollen Em-


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[0086] Progrmnminustk, Tonmalerei und inustkalischer Kolorismus. Werk habe ich nur zur vorläufigen Erklärung des Begriffs erwähnt. Dn es sich um eine Signatur unsrer Zeit handelt, um Hervorhebung einer herrschenden Richtung, so wird unschwer jedermann erkennen, wo der Kolorismus auf ihn wirkt, und wo die thematische Gestaltung. Denn das ist ja die Kehrseite der Medaille, daß die Koloristen, die Meister oder Jünger und Lehrlinge, welche dem Ideale origineller Farbengebung nachjagen, darüber die Hauptsache leicht aus dem Auge verlieren, die Erfindung prägnanter Themen, die sichere Zeichnung der Figuren, welche sie zu beleuchten haben. Je nach dem in Bewegung gesetzten Apparat ist das Gebiet des Kolorismus ein beschränkteres oder weiteres; am weitesten dehnt es sich natürlich da aus, wo ein Ensemble vieler Instrumente zusammenwirkt, also in der Komposition für Orchester oder für Singstimmen oder Soloinstrumente mit Orchester. Die Kunst der Jnstrumentation im modernen Sinne ist nicht die des rechten Ge¬ brauchs der Instrumente in Hinsicht auf ihren Tonumfang und ihre Technik, sondern die der rechten Ausnutzung ihrer eigenartigen Klangfarben, ja der ver¬ schiedenen Klangfarben ihrer einzelnen Register. Die Beschränkung auf ein oder wenige Instrumente zieht die Grenzen eng und weist dem Kolorismus besonders die Ausnutzung der Klangverschiedenheit der Register desselben Instrumentes zu. Bei der Orgel bedeutet das noch immer sehr viel, denn sie ist thatsächlich eine Kombination einer großen Anzahl von Vlasinstrumenten verschiedener Klang¬ farbe; die Kunst der Registriruug ist die Kunst des Kolorirens. Vom dumpfen Ton der Hohlflöten oder dem ätherischen der Äoline bis zum fast schreienden der Posauuenstimme — welch ein Abstand! Dem Klavier ist durch die Ver¬ schiebung oder die allmählich veraltende Dämpfung, den Streichinstrumenten dnrch Aufsetzen der Sortiren, den Hörnern dnrch Stopfen die Anwendung wirklich verschiedener Klangfarben ermöglicht. Aber selbst ohne diese Veränderungen der natürlichen Töne der Instrumente hat der Kolorismus noch ein weites Feld. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der einzelne Ton schon vermöge seiner Ton¬ höhe eine eigne ästhetische Qualität besitzt. Je höher oder je tiefer ein Ton ist, desto intensiver wirkt er durch seiue absolute Tonhöhe; die geringste Charak¬ teristik haben die Töne mittlerer Lage. Daß solchergestalt die Tonhöhe selbst als koloristisches Element wirkt, bewies uns bereits das Beispiel der Brahmsschen Rhapsodie. Hoch ist hell, tief ist dunkel. Man muß Wohl die ästhetische Wirkung der absoluten Tonhöhe zurückführen auf die Wirkung von Steigen und Fallen der Tonhöhe: das hohe wirkt wie das gestiegene, das tiefe wie das gefallene, ähnlich, wie wenn vou dem Niveau mittlerer Tonhöhe zum hohen erst emporgestiegen, zum tiefen erst hinabgestiegen wäre. Das gilt wieder sür den besonderen Um¬ fang jedes Instrumentes. Die höchsten Töne des Horns fallen in die Mittel¬ lage des gesammten Tongebietes, wirken aber ästhetisch nicht als mittlere, sondern als hohe- umgekehrt wirken die tiefsten Töne der Flöte, welche ebenfalls in die Mittellage reichen, als entschiedene tiefe Töne. Vielleicht spricht zur vollen Em-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/86>, abgerufen am 22.07.2024.