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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Austriaca.

nett, welches nntiirlich von der liberalen Presse totgeschwiegen worden ist, dem
Geschichtschreiber der neuesten Zeit in Österreich aber unentbehrlich sein wird.
Auch die Abhandlungen, welche den Inhalt des vorliegenden Buches bilden,
würden schwerlich in irgend ein publizistisches Organ Aufnahme gefunden haben.

Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der auswärtigen Politik Österreichs,
und mit diesem haben sich wieder die Zeitungen gleich nach dem Erscheinen der
"Austriaca" vorwiegend beschäftigt, in Deutschland, weil das Thema für Deutsch¬
land das interessanteste ist, in Österreich, weil mit dessen Behandlung auch der
österreichische Liberalismus im allgemeinen einverstanden sein kann, welcher der
Besprechung der andern Kapitel ans guten Gründen ausweicht. Überall ist be¬
reits hervorgehoben worden, daß der Verfasser nachdrücklich für das deutsch¬
österreichische Bündnis eintritt, nicht aus blauer Schwärmerei, sondern in rich¬
tiger Erwägung der Weltlage und der eigensten Interessen des dualistischen
Reiches. Übrigens entfernt sich der Verfasser auch schou in diesem Teil ganz
entschieden von der liberalen Schablone, wenn er vor dem Irrtum warnt, die
Einführung einer Konstitution als das Heilmittel für die Krankheit Rußlands
zu betrachten, und vor der "Naivetät, zu glauben, daß das nihilistische Pro¬
gramm selbst dnrch die liberalste Verfassung auch uur teilweise Befriedigung
finden könne," vielmehr in der Stärkung der Macht des Zaren die einzige
Rettung erkennt; wenn er ferner das Wehgeschrei der Wiener Presse über die
Vergewaltigung des bulgarischen Kvnstitntivnnlismns ganz besonders deshalb
tadelt, weil ja die Herren Zankoff und Konsorten die erbittertsten Feinde Öster¬
reichs sind. Solche Haltung der Journalistik ist allerdings nicht neu. Sie
entspringt nicht aus bösem Willen, sondern aus Gedankenlosigkeit. Die Herren,
welche täglich dem Publikum Politik vortragen, sind auf ihre Art gute Öster¬
reicher, aber wenn irgendwo der Parlamentarismus angetastet wird, "Volks-
rechte" in Gefahr sind, so geht der Glaube an die Solidarität der "liberalen
Interessen" mit der gesunden Vernunft dnrch. Würde doch jüngst erst mit dem
toten Garibaldi eine Abgötterei getrieben, die man mindestens lächerlich nennen
muß.

Mit großem Mißvergnügen werden die Journalisten und deren gläubiger
Anhang, beziehungsweise die Eigentümer und Protektoren der Zeitungen, auch
davon Kenntnis genommen haben, daß der Verfasser "das Heranziehen des be¬
weglichen Vermögens, das fast steuerfrei in Österreich ist, für die sich fortwäh¬
rend steigernden Bedürfnisse des Staates naturgemäß" findet, da "der immobile
Besitz und die Arbeit sehr schwere Lasten tragen." Dergleichen darf jn nicht ge¬
dacht, geschweige gedruckt werden! Bei dem Worte Börsensteuer gerät die libe¬
rale Publizistik in eine Aufregung, als ob wenigstens die Zensur wieder ein-
geführt werden sollte. Und nicht minder stößt der Verfasser die tonangebenden
Fabrikanten öffentlicher Meinung vor den Kopf, wenn er nicht die Thatsache
der Okkupation Bosniens und der Herzegowina als Fehler bezeichnet, sondern


Austriaca.

nett, welches nntiirlich von der liberalen Presse totgeschwiegen worden ist, dem
Geschichtschreiber der neuesten Zeit in Österreich aber unentbehrlich sein wird.
Auch die Abhandlungen, welche den Inhalt des vorliegenden Buches bilden,
würden schwerlich in irgend ein publizistisches Organ Aufnahme gefunden haben.

Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit der auswärtigen Politik Österreichs,
und mit diesem haben sich wieder die Zeitungen gleich nach dem Erscheinen der
„Austriaca" vorwiegend beschäftigt, in Deutschland, weil das Thema für Deutsch¬
land das interessanteste ist, in Österreich, weil mit dessen Behandlung auch der
österreichische Liberalismus im allgemeinen einverstanden sein kann, welcher der
Besprechung der andern Kapitel ans guten Gründen ausweicht. Überall ist be¬
reits hervorgehoben worden, daß der Verfasser nachdrücklich für das deutsch¬
österreichische Bündnis eintritt, nicht aus blauer Schwärmerei, sondern in rich¬
tiger Erwägung der Weltlage und der eigensten Interessen des dualistischen
Reiches. Übrigens entfernt sich der Verfasser auch schou in diesem Teil ganz
entschieden von der liberalen Schablone, wenn er vor dem Irrtum warnt, die
Einführung einer Konstitution als das Heilmittel für die Krankheit Rußlands
zu betrachten, und vor der „Naivetät, zu glauben, daß das nihilistische Pro¬
gramm selbst dnrch die liberalste Verfassung auch uur teilweise Befriedigung
finden könne," vielmehr in der Stärkung der Macht des Zaren die einzige
Rettung erkennt; wenn er ferner das Wehgeschrei der Wiener Presse über die
Vergewaltigung des bulgarischen Kvnstitntivnnlismns ganz besonders deshalb
tadelt, weil ja die Herren Zankoff und Konsorten die erbittertsten Feinde Öster¬
reichs sind. Solche Haltung der Journalistik ist allerdings nicht neu. Sie
entspringt nicht aus bösem Willen, sondern aus Gedankenlosigkeit. Die Herren,
welche täglich dem Publikum Politik vortragen, sind auf ihre Art gute Öster¬
reicher, aber wenn irgendwo der Parlamentarismus angetastet wird, „Volks-
rechte" in Gefahr sind, so geht der Glaube an die Solidarität der „liberalen
Interessen" mit der gesunden Vernunft dnrch. Würde doch jüngst erst mit dem
toten Garibaldi eine Abgötterei getrieben, die man mindestens lächerlich nennen
muß.

Mit großem Mißvergnügen werden die Journalisten und deren gläubiger
Anhang, beziehungsweise die Eigentümer und Protektoren der Zeitungen, auch
davon Kenntnis genommen haben, daß der Verfasser „das Heranziehen des be¬
weglichen Vermögens, das fast steuerfrei in Österreich ist, für die sich fortwäh¬
rend steigernden Bedürfnisse des Staates naturgemäß" findet, da „der immobile
Besitz und die Arbeit sehr schwere Lasten tragen." Dergleichen darf jn nicht ge¬
dacht, geschweige gedruckt werden! Bei dem Worte Börsensteuer gerät die libe¬
rale Publizistik in eine Aufregung, als ob wenigstens die Zensur wieder ein-
geführt werden sollte. Und nicht minder stößt der Verfasser die tonangebenden
Fabrikanten öffentlicher Meinung vor den Kopf, wenn er nicht die Thatsache
der Okkupation Bosniens und der Herzegowina als Fehler bezeichnet, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/67>, abgerufen am 24.07.2024.