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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Austriaca.

die Art der Durchführung, oder wem: er mit ähnlichen Worten, aber konse¬
quenter in den Folgerungen als Herr v. Bennigsen, die "gebieterische Notwendig¬
keit für alle Staatsmänner" anerkennt, sich mit der sozialen Frage zu beschäf¬
tigen. Es ist für Denkende nichts neues, was er zur Begründung anführt,
aber wie wir sehen, wird es noch sehr oft wiederholt werden müssen, und der
Mund, aus welchen: die Worte kommen, giebt ihnen vielleicht für manchen einen
neuen Sinn. "Wie 1789 mit der französischen Revolution die Bourgeoisie ihre
Stellung errungen, so fordert ein Jahrhundert spater auch der vierte Stand
sein Recht; es wäre ein vergebliches Bemühen, sich gleichgiltig und taub gegen
die Rufe zu stellen, die bereits deutlich vernehmbar, in kürzerer oder längerer
Frist gewiß nicht mehr zu überhören sind. Der gewaltige Mann, der an der
Spitze des deutscheu Reiches steht, dessen weitausschauender Blick die Zukunft
errät, hat die Gefahren erkannt, die von dorther drohen, wenn es nicht vorher
gelingt, ihnen die Spitze abzubrechen und durch das, was der Staat bieten
kann, eine Veweguug zu beschwören, deren Konsequenzen im Fall einer gewalt¬
samen Lösung geradezu unberechenbar und unabsehbar sind. Nicht nnr der Ar¬
beiter tritt mit seineu Forderungen heran, auch über den Bauer und über den
kleinen Bürger ist durch die veränderten Verhältnisse und die gestiegenen Be¬
dürfnisse eine schwere Krise gekommen, und die Gerechtigkeit verlangt es zu sagen,
daß die Lage des schlecht gezählten niederen Beamten, der mit seinen: kleinen
Gehalt den Pflichten seines Standes genügen, seine Integrität erhalten und
doch deu Lebensunterhalt für seine Familie besorgen muß, des Beamte::, der
eine treue und feste Stütze des Staates, fast die precürste geworden ist. Wenn
auch nnr einem Teil dieser Ansprüche, die sich auf allen Seiten zeigen, genügt
werden soll, wenn man die Gefahren vermeiden will, die die Gesellschaft be¬
drohen, muß der Staat die Mittel besitze::, um wenigstens den unumgänglichsten
Forderungen zu entspreche::, um das ins Leben zu rufen, was die Privaten
vollenden können, um das durchzuführen, was die Kraft des Einzelnen über¬
steigt." Das scheint so einleuchtend, so handgreiflich zu sein, daß jede Diskussion
überflüssig sei:: müßte. Aber bis die Fanatiker des Manchester-Evangeliums
anch nur ein Titelchen ihrer Doktrin aufgeben, bis sie begreifen, daß sie gegen¬
über den Forderungen der Zeit, die sie doch unaufhörlich im Munde führe::,
so verstockt und verblendet sind, wie uur je ein Vertreter des ancien rkginluz,
bis dahin wird wohl noch viel Wasser in die Meere laufen müssen, welche
deutsche Flüsse aufnehmen. Wäre die Sache nicht so bitter ernst, man könnte
sich höchlich belustigen über die Herren "Nationalökonomen," welche so erhaben
über die ganz unwissenschaftlichen Experimente des Fürsten Vismarck aburteilen.

Die Gestalt, welche die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn an¬
genommen haben, gilt dem Verfasser von "Austriacci" für unantastbar. Aber
wenn er das Unwesen der tausend Parlamente, die sich in den Komitaten und
Munizipien etablirt haben, den Advokatenüberflnß, welcher sich verheerend über


Austriaca.

die Art der Durchführung, oder wem: er mit ähnlichen Worten, aber konse¬
quenter in den Folgerungen als Herr v. Bennigsen, die „gebieterische Notwendig¬
keit für alle Staatsmänner" anerkennt, sich mit der sozialen Frage zu beschäf¬
tigen. Es ist für Denkende nichts neues, was er zur Begründung anführt,
aber wie wir sehen, wird es noch sehr oft wiederholt werden müssen, und der
Mund, aus welchen: die Worte kommen, giebt ihnen vielleicht für manchen einen
neuen Sinn. „Wie 1789 mit der französischen Revolution die Bourgeoisie ihre
Stellung errungen, so fordert ein Jahrhundert spater auch der vierte Stand
sein Recht; es wäre ein vergebliches Bemühen, sich gleichgiltig und taub gegen
die Rufe zu stellen, die bereits deutlich vernehmbar, in kürzerer oder längerer
Frist gewiß nicht mehr zu überhören sind. Der gewaltige Mann, der an der
Spitze des deutscheu Reiches steht, dessen weitausschauender Blick die Zukunft
errät, hat die Gefahren erkannt, die von dorther drohen, wenn es nicht vorher
gelingt, ihnen die Spitze abzubrechen und durch das, was der Staat bieten
kann, eine Veweguug zu beschwören, deren Konsequenzen im Fall einer gewalt¬
samen Lösung geradezu unberechenbar und unabsehbar sind. Nicht nnr der Ar¬
beiter tritt mit seineu Forderungen heran, auch über den Bauer und über den
kleinen Bürger ist durch die veränderten Verhältnisse und die gestiegenen Be¬
dürfnisse eine schwere Krise gekommen, und die Gerechtigkeit verlangt es zu sagen,
daß die Lage des schlecht gezählten niederen Beamten, der mit seinen: kleinen
Gehalt den Pflichten seines Standes genügen, seine Integrität erhalten und
doch deu Lebensunterhalt für seine Familie besorgen muß, des Beamte::, der
eine treue und feste Stütze des Staates, fast die precürste geworden ist. Wenn
auch nnr einem Teil dieser Ansprüche, die sich auf allen Seiten zeigen, genügt
werden soll, wenn man die Gefahren vermeiden will, die die Gesellschaft be¬
drohen, muß der Staat die Mittel besitze::, um wenigstens den unumgänglichsten
Forderungen zu entspreche::, um das ins Leben zu rufen, was die Privaten
vollenden können, um das durchzuführen, was die Kraft des Einzelnen über¬
steigt." Das scheint so einleuchtend, so handgreiflich zu sein, daß jede Diskussion
überflüssig sei:: müßte. Aber bis die Fanatiker des Manchester-Evangeliums
anch nur ein Titelchen ihrer Doktrin aufgeben, bis sie begreifen, daß sie gegen¬
über den Forderungen der Zeit, die sie doch unaufhörlich im Munde führe::,
so verstockt und verblendet sind, wie uur je ein Vertreter des ancien rkginluz,
bis dahin wird wohl noch viel Wasser in die Meere laufen müssen, welche
deutsche Flüsse aufnehmen. Wäre die Sache nicht so bitter ernst, man könnte
sich höchlich belustigen über die Herren „Nationalökonomen," welche so erhaben
über die ganz unwissenschaftlichen Experimente des Fürsten Vismarck aburteilen.

Die Gestalt, welche die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn an¬
genommen haben, gilt dem Verfasser von „Austriacci" für unantastbar. Aber
wenn er das Unwesen der tausend Parlamente, die sich in den Komitaten und
Munizipien etablirt haben, den Advokatenüberflnß, welcher sich verheerend über


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[0068] Austriaca. die Art der Durchführung, oder wem: er mit ähnlichen Worten, aber konse¬ quenter in den Folgerungen als Herr v. Bennigsen, die „gebieterische Notwendig¬ keit für alle Staatsmänner" anerkennt, sich mit der sozialen Frage zu beschäf¬ tigen. Es ist für Denkende nichts neues, was er zur Begründung anführt, aber wie wir sehen, wird es noch sehr oft wiederholt werden müssen, und der Mund, aus welchen: die Worte kommen, giebt ihnen vielleicht für manchen einen neuen Sinn. „Wie 1789 mit der französischen Revolution die Bourgeoisie ihre Stellung errungen, so fordert ein Jahrhundert spater auch der vierte Stand sein Recht; es wäre ein vergebliches Bemühen, sich gleichgiltig und taub gegen die Rufe zu stellen, die bereits deutlich vernehmbar, in kürzerer oder längerer Frist gewiß nicht mehr zu überhören sind. Der gewaltige Mann, der an der Spitze des deutscheu Reiches steht, dessen weitausschauender Blick die Zukunft errät, hat die Gefahren erkannt, die von dorther drohen, wenn es nicht vorher gelingt, ihnen die Spitze abzubrechen und durch das, was der Staat bieten kann, eine Veweguug zu beschwören, deren Konsequenzen im Fall einer gewalt¬ samen Lösung geradezu unberechenbar und unabsehbar sind. Nicht nnr der Ar¬ beiter tritt mit seineu Forderungen heran, auch über den Bauer und über den kleinen Bürger ist durch die veränderten Verhältnisse und die gestiegenen Be¬ dürfnisse eine schwere Krise gekommen, und die Gerechtigkeit verlangt es zu sagen, daß die Lage des schlecht gezählten niederen Beamten, der mit seinen: kleinen Gehalt den Pflichten seines Standes genügen, seine Integrität erhalten und doch deu Lebensunterhalt für seine Familie besorgen muß, des Beamte::, der eine treue und feste Stütze des Staates, fast die precürste geworden ist. Wenn auch nnr einem Teil dieser Ansprüche, die sich auf allen Seiten zeigen, genügt werden soll, wenn man die Gefahren vermeiden will, die die Gesellschaft be¬ drohen, muß der Staat die Mittel besitze::, um wenigstens den unumgänglichsten Forderungen zu entspreche::, um das ins Leben zu rufen, was die Privaten vollenden können, um das durchzuführen, was die Kraft des Einzelnen über¬ steigt." Das scheint so einleuchtend, so handgreiflich zu sein, daß jede Diskussion überflüssig sei:: müßte. Aber bis die Fanatiker des Manchester-Evangeliums anch nur ein Titelchen ihrer Doktrin aufgeben, bis sie begreifen, daß sie gegen¬ über den Forderungen der Zeit, die sie doch unaufhörlich im Munde führe::, so verstockt und verblendet sind, wie uur je ein Vertreter des ancien rkginluz, bis dahin wird wohl noch viel Wasser in die Meere laufen müssen, welche deutsche Flüsse aufnehmen. Wäre die Sache nicht so bitter ernst, man könnte sich höchlich belustigen über die Herren „Nationalökonomen," welche so erhaben über die ganz unwissenschaftlichen Experimente des Fürsten Vismarck aburteilen. Die Gestalt, welche die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn an¬ genommen haben, gilt dem Verfasser von „Austriacci" für unantastbar. Aber wenn er das Unwesen der tausend Parlamente, die sich in den Komitaten und Munizipien etablirt haben, den Advokatenüberflnß, welcher sich verheerend über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/68>, abgerufen am 24.07.2024.