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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Austriaca.

einmal den Exekutor zu würdigen weiß, von dem kann man unmöglich Ver¬
ständnis für die -- auch andern unbegreifliche -- Politik der Verfasfungspartei
erwarten.

Nun trifft es sich unbequem, daß in demselben Augenblick, wo die Herbst¬
zeitlosen so heftig gegen die Behauptung, es gebe noch außer ihnen Deutsche in
Österreich, Protestiren, von verschiedenen Seiten her vollwichtiges Zeugnis für
jene Behauptung abgelegt wird. Was sich auch gegen das Programm der neuen
"Volkspartei" erinnern lassen mag, das Deutschtum kann den Gründern nicht
abgestritten werden, und deutsch sind auch ihre Irrtümer. Und was wollen die
Herbstler vollends gegen den ungenannten Autor des kürzlich erschienenen Buches
"Austriaca" einwenden.

Das Buch verdient alle Beachtung in Ilium und außer Ilium. Ziemlich
weitschweifig, zum Teil in manierirten Stil geschrieben (der Verfasser hat z. B.
eine wahre Idiosynkrasie gegen Hilfszeitwörter), fesselt die Schrift doch durch
die wirklich patriotische Gestuuung und das ernste Bemühen, die Dinge zu sehen
und darzustellen, wie sie sind. Nicht durchweg ist es dem Verfasser gelungen,
sich von den Parteivorstellungen freizumachen. Aber daß unstreitig ein Mit¬
glied der Verfassuugspartei zu uus spricht, macht dies Zeugnis um so wert¬
voller. Hier ist ein gänzlich deutsch denkender, reichstreuer Österreicher, ein
entschiedener Gegner der föderalistischen und der klerikalen Bestrebungen und
ebenso entschiedener Verfechter der "freiheitlichen Institutionen," und dennoch
trennt ihn von Herbst und Konsorten eine Kluft, die weiter ist, als er selbst
sich eingestehen will. Solche Stimmen dringen so selten in die Öffentlichkeit,
daß die Existenz unabhängiger Elemente innerhalb der deutschen Bevölkerung keck
geleugnet werden kann. Die Verbreiteteil Zeitungen folgen abwechselnd dem
Losungswort der Parteiführer im Abgeordnetenhause oder geben ihnen das
Losungswort, und das gilt von der Rechten wie von der Linken. Eine Mittel¬
stellung nimmt eigentlich nur die Wiener "Presse" ein (zur Unterscheidung von
der "Neuen freien" die "alte" genannt); aber sie steht in dem Geruch der Offi-
ziosität, woran die Art, wie sie sich gelegentlich des Grafen Taaffe annimmt,
nicht ohne Schuld ist. Und alles verzeiht sich ein richtiger Liberaler eher, als
ein Regiernngsvrgcm zu lesen, wenn dasselbe mich seine innerste Herzensmeinung
aussprechen sollte. Die eine Folge dieses Verhaltens liegt ans der Hand. So¬
bald ein Blatt sich erlaubt, gegen die landläufigen Lehrmeinungen Einspruch zu
erheben, wird es als offiziös verdächtigt, daher allgemein geflohen und muß
entweder bald eingehen oder -- wirklich bei der Regierung Unterstützung suchen.
So übte vor Jcchreu ein bedeutender Schriftsteller, Ferdinand Kürnberger, seine
unabhängige Kritik an den verschiedenen Parteien, aber in einer fast angelesenen
Zeitschrift; die Aufsätze hat er nachher in einem Buche, "Siegelringe," geheult-



*) Austriaca. Betrachtungen und Streiflichter. Leipzig, Duncker 6- Humblot, 1882,
Austriaca.

einmal den Exekutor zu würdigen weiß, von dem kann man unmöglich Ver¬
ständnis für die — auch andern unbegreifliche — Politik der Verfasfungspartei
erwarten.

Nun trifft es sich unbequem, daß in demselben Augenblick, wo die Herbst¬
zeitlosen so heftig gegen die Behauptung, es gebe noch außer ihnen Deutsche in
Österreich, Protestiren, von verschiedenen Seiten her vollwichtiges Zeugnis für
jene Behauptung abgelegt wird. Was sich auch gegen das Programm der neuen
„Volkspartei" erinnern lassen mag, das Deutschtum kann den Gründern nicht
abgestritten werden, und deutsch sind auch ihre Irrtümer. Und was wollen die
Herbstler vollends gegen den ungenannten Autor des kürzlich erschienenen Buches
„Austriaca" einwenden.

Das Buch verdient alle Beachtung in Ilium und außer Ilium. Ziemlich
weitschweifig, zum Teil in manierirten Stil geschrieben (der Verfasser hat z. B.
eine wahre Idiosynkrasie gegen Hilfszeitwörter), fesselt die Schrift doch durch
die wirklich patriotische Gestuuung und das ernste Bemühen, die Dinge zu sehen
und darzustellen, wie sie sind. Nicht durchweg ist es dem Verfasser gelungen,
sich von den Parteivorstellungen freizumachen. Aber daß unstreitig ein Mit¬
glied der Verfassuugspartei zu uus spricht, macht dies Zeugnis um so wert¬
voller. Hier ist ein gänzlich deutsch denkender, reichstreuer Österreicher, ein
entschiedener Gegner der föderalistischen und der klerikalen Bestrebungen und
ebenso entschiedener Verfechter der „freiheitlichen Institutionen," und dennoch
trennt ihn von Herbst und Konsorten eine Kluft, die weiter ist, als er selbst
sich eingestehen will. Solche Stimmen dringen so selten in die Öffentlichkeit,
daß die Existenz unabhängiger Elemente innerhalb der deutschen Bevölkerung keck
geleugnet werden kann. Die Verbreiteteil Zeitungen folgen abwechselnd dem
Losungswort der Parteiführer im Abgeordnetenhause oder geben ihnen das
Losungswort, und das gilt von der Rechten wie von der Linken. Eine Mittel¬
stellung nimmt eigentlich nur die Wiener „Presse" ein (zur Unterscheidung von
der „Neuen freien" die „alte" genannt); aber sie steht in dem Geruch der Offi-
ziosität, woran die Art, wie sie sich gelegentlich des Grafen Taaffe annimmt,
nicht ohne Schuld ist. Und alles verzeiht sich ein richtiger Liberaler eher, als
ein Regiernngsvrgcm zu lesen, wenn dasselbe mich seine innerste Herzensmeinung
aussprechen sollte. Die eine Folge dieses Verhaltens liegt ans der Hand. So¬
bald ein Blatt sich erlaubt, gegen die landläufigen Lehrmeinungen Einspruch zu
erheben, wird es als offiziös verdächtigt, daher allgemein geflohen und muß
entweder bald eingehen oder — wirklich bei der Regierung Unterstützung suchen.
So übte vor Jcchreu ein bedeutender Schriftsteller, Ferdinand Kürnberger, seine
unabhängige Kritik an den verschiedenen Parteien, aber in einer fast angelesenen
Zeitschrift; die Aufsätze hat er nachher in einem Buche, „Siegelringe," geheult-



*) Austriaca. Betrachtungen und Streiflichter. Leipzig, Duncker 6- Humblot, 1882,
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[0066] Austriaca. einmal den Exekutor zu würdigen weiß, von dem kann man unmöglich Ver¬ ständnis für die — auch andern unbegreifliche — Politik der Verfasfungspartei erwarten. Nun trifft es sich unbequem, daß in demselben Augenblick, wo die Herbst¬ zeitlosen so heftig gegen die Behauptung, es gebe noch außer ihnen Deutsche in Österreich, Protestiren, von verschiedenen Seiten her vollwichtiges Zeugnis für jene Behauptung abgelegt wird. Was sich auch gegen das Programm der neuen „Volkspartei" erinnern lassen mag, das Deutschtum kann den Gründern nicht abgestritten werden, und deutsch sind auch ihre Irrtümer. Und was wollen die Herbstler vollends gegen den ungenannten Autor des kürzlich erschienenen Buches „Austriaca" einwenden. Das Buch verdient alle Beachtung in Ilium und außer Ilium. Ziemlich weitschweifig, zum Teil in manierirten Stil geschrieben (der Verfasser hat z. B. eine wahre Idiosynkrasie gegen Hilfszeitwörter), fesselt die Schrift doch durch die wirklich patriotische Gestuuung und das ernste Bemühen, die Dinge zu sehen und darzustellen, wie sie sind. Nicht durchweg ist es dem Verfasser gelungen, sich von den Parteivorstellungen freizumachen. Aber daß unstreitig ein Mit¬ glied der Verfassuugspartei zu uus spricht, macht dies Zeugnis um so wert¬ voller. Hier ist ein gänzlich deutsch denkender, reichstreuer Österreicher, ein entschiedener Gegner der föderalistischen und der klerikalen Bestrebungen und ebenso entschiedener Verfechter der „freiheitlichen Institutionen," und dennoch trennt ihn von Herbst und Konsorten eine Kluft, die weiter ist, als er selbst sich eingestehen will. Solche Stimmen dringen so selten in die Öffentlichkeit, daß die Existenz unabhängiger Elemente innerhalb der deutschen Bevölkerung keck geleugnet werden kann. Die Verbreiteteil Zeitungen folgen abwechselnd dem Losungswort der Parteiführer im Abgeordnetenhause oder geben ihnen das Losungswort, und das gilt von der Rechten wie von der Linken. Eine Mittel¬ stellung nimmt eigentlich nur die Wiener „Presse" ein (zur Unterscheidung von der „Neuen freien" die „alte" genannt); aber sie steht in dem Geruch der Offi- ziosität, woran die Art, wie sie sich gelegentlich des Grafen Taaffe annimmt, nicht ohne Schuld ist. Und alles verzeiht sich ein richtiger Liberaler eher, als ein Regiernngsvrgcm zu lesen, wenn dasselbe mich seine innerste Herzensmeinung aussprechen sollte. Die eine Folge dieses Verhaltens liegt ans der Hand. So¬ bald ein Blatt sich erlaubt, gegen die landläufigen Lehrmeinungen Einspruch zu erheben, wird es als offiziös verdächtigt, daher allgemein geflohen und muß entweder bald eingehen oder — wirklich bei der Regierung Unterstützung suchen. So übte vor Jcchreu ein bedeutender Schriftsteller, Ferdinand Kürnberger, seine unabhängige Kritik an den verschiedenen Parteien, aber in einer fast angelesenen Zeitschrift; die Aufsätze hat er nachher in einem Buche, „Siegelringe," geheult- *) Austriaca. Betrachtungen und Streiflichter. Leipzig, Duncker 6- Humblot, 1882,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/66>, abgerufen am 04.07.2024.