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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Politische Briefe.

zu können glaubt. Der Fürst sagte nämlich, das; der bestehende Zolltarif zu
viele und zu viele nicht einträgliche Finanzzölle enthalte; das Reich solle sich
zurückziehen auf ein reines Finanzzollsystem und alle diejenigen Artikel über
Bord werfen, die uicht wirkliche Finanzartikel sind, d. h. nicht hinreichenden
Ertrag geben; man solle die zehn oder fünfzehn Artikel, die die größte Ein¬
nahme gewähren, soviel abgeben lassen, wie man überhaupt ans deu Zollqnellen
für die Finanzen nehmen wolle.

Diese Gedanken sind die Axiome für jedes Finanzzollsystem und heute so
unanfechtbar wie vor sieben Jahren. Noch mehr: der Zolltarif von 1879 hat
sie zur Geltung gebracht, soweit er Finanzzölle enthält. Aber dieser Tarif sollte
eben kein reiner Finanzzvlltarif mehr sein. Darin hatte der Fürst seine frühere
Meinung ergänzt, aber nicht über Bord geworfen, daß er nunmehr nach deu
Erfahrungen der letzten vier bis fünf Jahre neben dem Finanzzolltarif einen
Schntzzvlltarif für nötig hielt. Das ist der sogenannte Widerspruch zwischen
den Kanzlerreden von 1875 und 1879. Diese Reden weisen in der Methode,
deu Einnahinebedarf zu decken durch Finanzzölle und indirekte innere Steuern,
die vollkommenste Übereinstimmung ans.

Die Entwürfe zur Erhöhung der Brausteuer und zur Einführung eines
Stempels ans Börsengeschäfte und Wertpapiere lehnte der Reichstag am 17. De¬
zember 1876 ab, weil, wie es in einer fortschrittlichen Flugschrift heißt, "die
Majorität nachwies, daß eine Vermehrung der Steuern zur Herstellung des
Gleichgewichts im Reichshaushalt garnicht notwendig sei; zu einer Vermehrung
der Steuerlast habe aber der Reichstag keine Veranlassung, wenn nicht eine
Entlastung in den Einzelstaaten verbürgt sei."

Diese liberalen Herren glaubten und glauben es uoch heute, daß eine
Staatsverfassung lebenskräftig und dauerhaft sei, wenn sie nur die parlamen¬
tarischen Organe besitzt und dieselben mit der gehörigen Macht ausgerüstet hat.
Daß die Lebensfähigkeit von der Steuerverfassung abhängt, daß das alte Reich
zu Grunde gegangen, weil es wohl einen ansehnlichen Reichstag, aber keine
Steuerverfassung hatte, davon fehlt ihnen jede Ahnung.

Dem Reichstag von 1876 wurde nochmals ein Entwurf zur Erhöhung
der Brausteuer vorgelegt und in jeuer Sitzung vom ö. Dezember beraten, welche
durch die erste orientalische Rede des Fürsten Bismarck berühmt geworden ist.
Am 7. Dezember wurde die Vorlage abgelehnt.

Am 10. Mürz 1877 hielt der Fürst die zweite große Rede zur Steuer¬
reform. Er sprach gegen den Abgeordneten Richter, welcher den Jnvaliden-
sonds hatte entlasten wollen. Die Absicht dieses Abgeordneten ist seit dein
Bestehen des Reiches darauf hingegangen, die Neichsregierung dnrch Anfbrnuchung
aller Finauzbestäude vor ein Defizit, dessen Deckung von der Gnade des Reichs¬
tages abhängt, und damit vor die Unterwerfung unter den letzteren, d. h. die
parlamentarische Regierung, zu stellen. Im Reichshaushalt war eine Erhöhung


Politische Briefe.

zu können glaubt. Der Fürst sagte nämlich, das; der bestehende Zolltarif zu
viele und zu viele nicht einträgliche Finanzzölle enthalte; das Reich solle sich
zurückziehen auf ein reines Finanzzollsystem und alle diejenigen Artikel über
Bord werfen, die uicht wirkliche Finanzartikel sind, d. h. nicht hinreichenden
Ertrag geben; man solle die zehn oder fünfzehn Artikel, die die größte Ein¬
nahme gewähren, soviel abgeben lassen, wie man überhaupt ans deu Zollqnellen
für die Finanzen nehmen wolle.

Diese Gedanken sind die Axiome für jedes Finanzzollsystem und heute so
unanfechtbar wie vor sieben Jahren. Noch mehr: der Zolltarif von 1879 hat
sie zur Geltung gebracht, soweit er Finanzzölle enthält. Aber dieser Tarif sollte
eben kein reiner Finanzzvlltarif mehr sein. Darin hatte der Fürst seine frühere
Meinung ergänzt, aber nicht über Bord geworfen, daß er nunmehr nach deu
Erfahrungen der letzten vier bis fünf Jahre neben dem Finanzzolltarif einen
Schntzzvlltarif für nötig hielt. Das ist der sogenannte Widerspruch zwischen
den Kanzlerreden von 1875 und 1879. Diese Reden weisen in der Methode,
deu Einnahinebedarf zu decken durch Finanzzölle und indirekte innere Steuern,
die vollkommenste Übereinstimmung ans.

Die Entwürfe zur Erhöhung der Brausteuer und zur Einführung eines
Stempels ans Börsengeschäfte und Wertpapiere lehnte der Reichstag am 17. De¬
zember 1876 ab, weil, wie es in einer fortschrittlichen Flugschrift heißt, „die
Majorität nachwies, daß eine Vermehrung der Steuern zur Herstellung des
Gleichgewichts im Reichshaushalt garnicht notwendig sei; zu einer Vermehrung
der Steuerlast habe aber der Reichstag keine Veranlassung, wenn nicht eine
Entlastung in den Einzelstaaten verbürgt sei."

Diese liberalen Herren glaubten und glauben es uoch heute, daß eine
Staatsverfassung lebenskräftig und dauerhaft sei, wenn sie nur die parlamen¬
tarischen Organe besitzt und dieselben mit der gehörigen Macht ausgerüstet hat.
Daß die Lebensfähigkeit von der Steuerverfassung abhängt, daß das alte Reich
zu Grunde gegangen, weil es wohl einen ansehnlichen Reichstag, aber keine
Steuerverfassung hatte, davon fehlt ihnen jede Ahnung.

Dem Reichstag von 1876 wurde nochmals ein Entwurf zur Erhöhung
der Brausteuer vorgelegt und in jeuer Sitzung vom ö. Dezember beraten, welche
durch die erste orientalische Rede des Fürsten Bismarck berühmt geworden ist.
Am 7. Dezember wurde die Vorlage abgelehnt.

Am 10. Mürz 1877 hielt der Fürst die zweite große Rede zur Steuer¬
reform. Er sprach gegen den Abgeordneten Richter, welcher den Jnvaliden-
sonds hatte entlasten wollen. Die Absicht dieses Abgeordneten ist seit dein
Bestehen des Reiches darauf hingegangen, die Neichsregierung dnrch Anfbrnuchung
aller Finauzbestäude vor ein Defizit, dessen Deckung von der Gnade des Reichs¬
tages abhängt, und damit vor die Unterwerfung unter den letzteren, d. h. die
parlamentarische Regierung, zu stellen. Im Reichshaushalt war eine Erhöhung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/622>, abgerufen am 22.07.2024.