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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Politische Briefe.

der Matrikularbeiträge verlangt worden, welche die von Herrn Richter geführte
Majorität bekämpfte. Die liberalen Redner machten dem Reichskanzler den
Vorwurf, daß er die Erhöhung der Matrikularbeiträge nicht durch eine Steuer
vermieden habe, und schoben diese Unterlassungssünde auf das Fehlen eines
Neichsfinanzministers.

In dem Verlangen einer Steuerreform lag eine Zweideutigkeit. Mau er¬
klärte nämlich, verweigern zu müssen, daß neue Steuern unorganisch auf die alten
geflickt würden. Man forderte also ein einheitlich entworfenes, ans die wirt¬
schaftlichen Kräfte organisch verteiltes Steuersystem. Aber mau redete zum Teil
so, als brauche man mit diesem System die Gesammteinnahme nicht zu erhöhen,
was für das Reich Stillstand oder Tod bedeuten würde. Man wollte über
den bisherige!? Gesammtbetrag hinausgehende Einnahmen nnr bewilligen auf
Grund des im einzelnen jedesmal nachgewiesenen neuen Bedürfnisses. Das ist
das genaue Gegenteil eiuer organischen Steuerreform; das heißt gerade einen
Lappen uach dem andern auf ein altes Kleid flicken. Wenn man eine organische
Steuerreform wollte, so wäre das erste unerläßliche Postulat für dieselbe ge¬
wesen, daß sie einen reichlichem Bestandteil natürlich wachsender Einnahmen ent¬
halte, um den ebenso natürlich wachsenden Bedürfnissen des Reiches und der
Staaten genugzuthun, ohne den Organismus des Systems immer wieder zu
zerstören. Schon dieses Postulat führte zur Vermehrung der indirekte" Steuern.
Herr Richter und seine Frennve aber wollten durch ihre sogenannte Steuerre¬
form dem Reiche die Lebensader,: fest unterbinden.

Den Ausgang des Verlangens nach organischer Steuerreform hat eine Re¬
solution des Volkswirtschaftlichen Kongresses gebildet, als derselbe im August
1867 zu Hamburg versammelt war. Der Kongreß sprach sich für die Über¬
lassung der Grundsteuer an die Gemeinden aus und gab diesem schon sonst an¬
geregten Gedanken zum erstenmal die Sanction einer freiwilligen Repräsentation
der öffentlichen Meinung. Die Ausführung desselben konnte allerdings nur
durch den Aufbau eines organischen Steuersystems gelingen. Es muß indessen
bemerkt werden, daß Herr Richter sich aufangs für diesen Gedanken nicht sehr
erwärmt hat. Er erkannte als unvermeidliche Folge die Vermehrung der in¬
direkten Steuern, um den Ausfall in den Staatsmitteln zu ersetzen, und erkannte,
daß dieser Ersatz den Staat stärken müsse.

Der Reichskanzler kündigte in der Reichstagssitzuug, von der wir sprechen,
am 10. Mürz 1877, die Steuerreform auf der Basis einer Ausbildung der in¬
direkten Steuern an, konstatirte die Notwendigkeit einer umfassenden Steuer¬
reform, aber koustatirte auch wiederholt, daß seinerseits dieser Reform wegen
ihrer Schwierigkeit so lange als möglich ans dem Wege gegangen worden sei,
daß er, nunmehr dazu entschlossen, sür das laufende Jahr lieber die Matriknlar-
beitrüge habe erhöhen wollen, als eine einzelne Steuer aus den unerläßlich ge¬
wordenen neuen Plan Herausnehmen und dnrch Anpassen ein das augenblickliche


Politische Briefe.

der Matrikularbeiträge verlangt worden, welche die von Herrn Richter geführte
Majorität bekämpfte. Die liberalen Redner machten dem Reichskanzler den
Vorwurf, daß er die Erhöhung der Matrikularbeiträge nicht durch eine Steuer
vermieden habe, und schoben diese Unterlassungssünde auf das Fehlen eines
Neichsfinanzministers.

In dem Verlangen einer Steuerreform lag eine Zweideutigkeit. Mau er¬
klärte nämlich, verweigern zu müssen, daß neue Steuern unorganisch auf die alten
geflickt würden. Man forderte also ein einheitlich entworfenes, ans die wirt¬
schaftlichen Kräfte organisch verteiltes Steuersystem. Aber mau redete zum Teil
so, als brauche man mit diesem System die Gesammteinnahme nicht zu erhöhen,
was für das Reich Stillstand oder Tod bedeuten würde. Man wollte über
den bisherige!? Gesammtbetrag hinausgehende Einnahmen nnr bewilligen auf
Grund des im einzelnen jedesmal nachgewiesenen neuen Bedürfnisses. Das ist
das genaue Gegenteil eiuer organischen Steuerreform; das heißt gerade einen
Lappen uach dem andern auf ein altes Kleid flicken. Wenn man eine organische
Steuerreform wollte, so wäre das erste unerläßliche Postulat für dieselbe ge¬
wesen, daß sie einen reichlichem Bestandteil natürlich wachsender Einnahmen ent¬
halte, um den ebenso natürlich wachsenden Bedürfnissen des Reiches und der
Staaten genugzuthun, ohne den Organismus des Systems immer wieder zu
zerstören. Schon dieses Postulat führte zur Vermehrung der indirekte» Steuern.
Herr Richter und seine Frennve aber wollten durch ihre sogenannte Steuerre¬
form dem Reiche die Lebensader,: fest unterbinden.

Den Ausgang des Verlangens nach organischer Steuerreform hat eine Re¬
solution des Volkswirtschaftlichen Kongresses gebildet, als derselbe im August
1867 zu Hamburg versammelt war. Der Kongreß sprach sich für die Über¬
lassung der Grundsteuer an die Gemeinden aus und gab diesem schon sonst an¬
geregten Gedanken zum erstenmal die Sanction einer freiwilligen Repräsentation
der öffentlichen Meinung. Die Ausführung desselben konnte allerdings nur
durch den Aufbau eines organischen Steuersystems gelingen. Es muß indessen
bemerkt werden, daß Herr Richter sich aufangs für diesen Gedanken nicht sehr
erwärmt hat. Er erkannte als unvermeidliche Folge die Vermehrung der in¬
direkten Steuern, um den Ausfall in den Staatsmitteln zu ersetzen, und erkannte,
daß dieser Ersatz den Staat stärken müsse.

Der Reichskanzler kündigte in der Reichstagssitzuug, von der wir sprechen,
am 10. Mürz 1877, die Steuerreform auf der Basis einer Ausbildung der in¬
direkten Steuern an, konstatirte die Notwendigkeit einer umfassenden Steuer¬
reform, aber koustatirte auch wiederholt, daß seinerseits dieser Reform wegen
ihrer Schwierigkeit so lange als möglich ans dem Wege gegangen worden sei,
daß er, nunmehr dazu entschlossen, sür das laufende Jahr lieber die Matriknlar-
beitrüge habe erhöhen wollen, als eine einzelne Steuer aus den unerläßlich ge¬
wordenen neuen Plan Herausnehmen und dnrch Anpassen ein das augenblickliche


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[0623] Politische Briefe. der Matrikularbeiträge verlangt worden, welche die von Herrn Richter geführte Majorität bekämpfte. Die liberalen Redner machten dem Reichskanzler den Vorwurf, daß er die Erhöhung der Matrikularbeiträge nicht durch eine Steuer vermieden habe, und schoben diese Unterlassungssünde auf das Fehlen eines Neichsfinanzministers. In dem Verlangen einer Steuerreform lag eine Zweideutigkeit. Mau er¬ klärte nämlich, verweigern zu müssen, daß neue Steuern unorganisch auf die alten geflickt würden. Man forderte also ein einheitlich entworfenes, ans die wirt¬ schaftlichen Kräfte organisch verteiltes Steuersystem. Aber mau redete zum Teil so, als brauche man mit diesem System die Gesammteinnahme nicht zu erhöhen, was für das Reich Stillstand oder Tod bedeuten würde. Man wollte über den bisherige!? Gesammtbetrag hinausgehende Einnahmen nnr bewilligen auf Grund des im einzelnen jedesmal nachgewiesenen neuen Bedürfnisses. Das ist das genaue Gegenteil eiuer organischen Steuerreform; das heißt gerade einen Lappen uach dem andern auf ein altes Kleid flicken. Wenn man eine organische Steuerreform wollte, so wäre das erste unerläßliche Postulat für dieselbe ge¬ wesen, daß sie einen reichlichem Bestandteil natürlich wachsender Einnahmen ent¬ halte, um den ebenso natürlich wachsenden Bedürfnissen des Reiches und der Staaten genugzuthun, ohne den Organismus des Systems immer wieder zu zerstören. Schon dieses Postulat führte zur Vermehrung der indirekte» Steuern. Herr Richter und seine Frennve aber wollten durch ihre sogenannte Steuerre¬ form dem Reiche die Lebensader,: fest unterbinden. Den Ausgang des Verlangens nach organischer Steuerreform hat eine Re¬ solution des Volkswirtschaftlichen Kongresses gebildet, als derselbe im August 1867 zu Hamburg versammelt war. Der Kongreß sprach sich für die Über¬ lassung der Grundsteuer an die Gemeinden aus und gab diesem schon sonst an¬ geregten Gedanken zum erstenmal die Sanction einer freiwilligen Repräsentation der öffentlichen Meinung. Die Ausführung desselben konnte allerdings nur durch den Aufbau eines organischen Steuersystems gelingen. Es muß indessen bemerkt werden, daß Herr Richter sich aufangs für diesen Gedanken nicht sehr erwärmt hat. Er erkannte als unvermeidliche Folge die Vermehrung der in¬ direkten Steuern, um den Ausfall in den Staatsmitteln zu ersetzen, und erkannte, daß dieser Ersatz den Staat stärken müsse. Der Reichskanzler kündigte in der Reichstagssitzuug, von der wir sprechen, am 10. Mürz 1877, die Steuerreform auf der Basis einer Ausbildung der in¬ direkten Steuern an, konstatirte die Notwendigkeit einer umfassenden Steuer¬ reform, aber koustatirte auch wiederholt, daß seinerseits dieser Reform wegen ihrer Schwierigkeit so lange als möglich ans dem Wege gegangen worden sei, daß er, nunmehr dazu entschlossen, sür das laufende Jahr lieber die Matriknlar- beitrüge habe erhöhen wollen, als eine einzelne Steuer aus den unerläßlich ge¬ wordenen neuen Plan Herausnehmen und dnrch Anpassen ein das augenblickliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/623>, abgerufen am 22.07.2024.