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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Der Aonffikt in Norwegen,

denn obwohl er mich der Verfassung der oberste Befehlshaber der bewaffneten
Macht des Landes war, konnte er die Truppen nicht außerhalb desselben ver¬
wenden, wie er dieselbe" auch nicht vermehren durste. 1851 gestattete el" Gesetz,
das von der Regierung vorgeschlagen und von der Volksvertretung gutgeheißen
wurde, den Juden die Niederlassung in Norwegen, und die Religionsfreiheit
wurde überhaupt erweitert. 1854 erließ das Storthing eine sehr loyale und
warm gehaltene Adresse an den König und gewährte ihm einen Kredit zur Auf¬
rechterhaltung der Neutralität während des Krimkriegs, wo Rußland die skan¬
dinavischen Länder ans seine Seite zu ziehen bemüht war, um den Engländern
die Ostsee verschließen zu können. Daneben gab das Storthing verschiedene
nützliche Gesetze über die Aushebung, die allgemeine Wehrpflicht und eine Ver¬
besserung des Unterrichtswesens, auch gründete es eine höhere Schule für Land¬
wirtschaft. Sonst hatte es sich bei dem Überwiegen des bäuerlichen Elements
über das höher gebildete städtische in seiner Mitte nicht selten knauserig ver¬
halten und überhaupt für höhere Dinge nicht viel Verständnis und Interesse
gezeigt. Trotz des demokratischen Charakters der Verfassung bildete sich im Laufe
der Zeit eine größere Geltung der Einflüsse vom Lande heraus, und um die
Stelle des Adels, den man hier beseitigt hatte, und der in Schweden noch einige
Zeit die erste Rolle spielte, entstand eine Art Bnnernaristvkratie, bei der auf
dem System der Regierung eine gewisse Beschränktheit lastete, welche einen
höheren Ausschwung in vielen Richtungen wenigstens auf Zeit hinderte.

Im Mai 1856 kam der Kronprinz Karl als Bizeköuig nach Christiana.
Er wußte sich beliebt zu macheu und Vertrauen zu erwecken. Indeß irrte man
in Stockholm, als man auf Grund dessen meinte, die Umstände seien günstig
genug geworden, die nie ganz aufgegebenen, immer nnr vertagten Pläne für
eine engere Union der beiden Reiche wieder hervorzusuchen und zur Ausführung
zu bringen. 1857 hatten sich drei Komitees deS Stvrthings mit solchen Fragen
zu beschäftigen. Die Regierung wünschte zunächst die Beiträge Norwegens zu
einer gemeinschaftlichen Verteidigung mit Schweden im Verhältnis der Kräfte
des einen der beiden Länder zum andern bestimmt zu sehen. Sie machte Vor¬
schläge in Bezug auf den wechselseitigen Handel und die Schifffahrt derselben.
Sie wünschte endlich Ausarbeitung eiues Gesetzes, unes welchem die in dem einen
der beiden Reiche gefällten Richtersprüche anch für das andere giltig und aus¬
führbar werden sollten. Die Bauern im Storthing wollten aber von alledem
nichts wissen. Die zuerst genannte Angelegenheit gelangte nicht einmal zur
Abstimmung im Plenum, und die beiden andern wurden von diesem verworfen.

Unter dem neuen Könige Karl XV. gestaltete sich das Verhältnis Schwedens
zu Norwegen für einige Zeit wieder ungünstiger, indem das Storthing mit der
ungeheuren Mehrheit von 110 Stimmen gegen 2 das dem Könige zustehende
Recht, einen Schweden zum Statthalter im westlichen Nachbarreiche zu ernennen,
für aufgehoben erklärte. Dieser Beschluß erregte in Stockholm eine so starke


Der Aonffikt in Norwegen,

denn obwohl er mich der Verfassung der oberste Befehlshaber der bewaffneten
Macht des Landes war, konnte er die Truppen nicht außerhalb desselben ver¬
wenden, wie er dieselbe» auch nicht vermehren durste. 1851 gestattete el» Gesetz,
das von der Regierung vorgeschlagen und von der Volksvertretung gutgeheißen
wurde, den Juden die Niederlassung in Norwegen, und die Religionsfreiheit
wurde überhaupt erweitert. 1854 erließ das Storthing eine sehr loyale und
warm gehaltene Adresse an den König und gewährte ihm einen Kredit zur Auf¬
rechterhaltung der Neutralität während des Krimkriegs, wo Rußland die skan¬
dinavischen Länder ans seine Seite zu ziehen bemüht war, um den Engländern
die Ostsee verschließen zu können. Daneben gab das Storthing verschiedene
nützliche Gesetze über die Aushebung, die allgemeine Wehrpflicht und eine Ver¬
besserung des Unterrichtswesens, auch gründete es eine höhere Schule für Land¬
wirtschaft. Sonst hatte es sich bei dem Überwiegen des bäuerlichen Elements
über das höher gebildete städtische in seiner Mitte nicht selten knauserig ver¬
halten und überhaupt für höhere Dinge nicht viel Verständnis und Interesse
gezeigt. Trotz des demokratischen Charakters der Verfassung bildete sich im Laufe
der Zeit eine größere Geltung der Einflüsse vom Lande heraus, und um die
Stelle des Adels, den man hier beseitigt hatte, und der in Schweden noch einige
Zeit die erste Rolle spielte, entstand eine Art Bnnernaristvkratie, bei der auf
dem System der Regierung eine gewisse Beschränktheit lastete, welche einen
höheren Ausschwung in vielen Richtungen wenigstens auf Zeit hinderte.

Im Mai 1856 kam der Kronprinz Karl als Bizeköuig nach Christiana.
Er wußte sich beliebt zu macheu und Vertrauen zu erwecken. Indeß irrte man
in Stockholm, als man auf Grund dessen meinte, die Umstände seien günstig
genug geworden, die nie ganz aufgegebenen, immer nnr vertagten Pläne für
eine engere Union der beiden Reiche wieder hervorzusuchen und zur Ausführung
zu bringen. 1857 hatten sich drei Komitees deS Stvrthings mit solchen Fragen
zu beschäftigen. Die Regierung wünschte zunächst die Beiträge Norwegens zu
einer gemeinschaftlichen Verteidigung mit Schweden im Verhältnis der Kräfte
des einen der beiden Länder zum andern bestimmt zu sehen. Sie machte Vor¬
schläge in Bezug auf den wechselseitigen Handel und die Schifffahrt derselben.
Sie wünschte endlich Ausarbeitung eiues Gesetzes, unes welchem die in dem einen
der beiden Reiche gefällten Richtersprüche anch für das andere giltig und aus¬
führbar werden sollten. Die Bauern im Storthing wollten aber von alledem
nichts wissen. Die zuerst genannte Angelegenheit gelangte nicht einmal zur
Abstimmung im Plenum, und die beiden andern wurden von diesem verworfen.

Unter dem neuen Könige Karl XV. gestaltete sich das Verhältnis Schwedens
zu Norwegen für einige Zeit wieder ungünstiger, indem das Storthing mit der
ungeheuren Mehrheit von 110 Stimmen gegen 2 das dem Könige zustehende
Recht, einen Schweden zum Statthalter im westlichen Nachbarreiche zu ernennen,
für aufgehoben erklärte. Dieser Beschluß erregte in Stockholm eine so starke


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/60>, abgerufen am 03.07.2024.