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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Börse und Publikum.

gewärtigen zu müssen. Von Entschädigung kann keine Rede sein; schon deshalb
nicht, weil der einzelne Aktionär vollkommen rechtlos ist. Nur dann, wenn es
gelingt, in der Generalversammlung eine Majorität gegen den Aufsichtsrat zu¬
sammenzubringen, könnte ein derartiger Versuch glücken. Allein nur in den
seltensten Fällen wird eine solche Majorität sich zusammenbringen lassen. Dies
erklärt sich leicht aus der oben erläuterten Art der meisten Beziehungen des
großen Publikums zur Börse und aus der daraus sich ergebenden Unmöglich¬
keit, bei einem Kurssturz der Aktien dieselben zu halten. Auf diese Weise wird
es den eingeweihten Faiseurs immer möglich, die teuer verkauften Aktien wieder
billig, meist sogar unter dem verbleibenden realen Werte, an sich zu bringen
und damit nicht nur neuen Gewinn zu machen, sondern anch die Majorität in
der Generalversammlung zu gewinnen. Dies dürfte sich auch bei dein neuesten
Krach, dem des "Preußischen Leihhauses" zu Berlin, zeigen. Hierdurch wird
natürlich jede Aktion gegen Aufsichtsrat und Direktion unmöglich gemacht. Die
Generalversammlung beschließt einfach, was jene wollen, denn die Minorität ist
machtlos; so geschah es im Frankfurter Falle, und so geschieht es in allen Fällen.
Von den Aufsichtsräten der "Deutschen Handelsgesellschaft" trat nnr ein ein¬
ziger gegen das Verfahren der Direktoren auf.

Es vergeht kein Jahr mehr, wo nicht derartige Vorgänge mehrfach sich
ereignen. Aber das Publikum scheint noch weit davon entfernt zu sein, ans
denselben praktische Folgerungen zu ziehen. Trotz der weitgehenden Entrüstung,
welche gegen den Börsenschwindel allgemein herrscht, bleibt die Handlungsweise
der Kapitalbesitzer nach wie vor dieselbe. Statt das eigne Kapital selbstthätig
M verwalten und eigne Unternehmungen vorsichtig zu entwickeln, oder statt jenes
Mf direktem Wege bei anständigem Zinsfuß zu verleihen, giebt man sich immer
und immer wieder dem "Kommissionär," "Bankier" und "Makler" preis, läßt
sich zum Schuldner machen, wo man thatsächlich Gläubiger ist, und gerät hier¬
durch in Spekulationen, denen man nie gewachsen sein und bei denen man
üumer im Verlust bleiben wird. Auf Vorspiegelungen, deren trügerischer Inhalt
durch die Erfahrung längst bewiesen ist, auf die unsichersten Zins- und Gewinn-
dersprechuugen läßt man sich ein und opfert ganze Vermögen, während doch zu
direkter sicherer Anlage, die freilich Anfmerksamkeit und Sorgsamkeit verlangt,
Gelegenheit im Überfluß vorhanden ist.

So lange unser Kapitalisteupubliknm in diesem unheilvollen Hange des
-öU'ischeugeschästcs der Börse und ihrer Gehilfenschaft steht und damit den Boden
der Selbstthütigkeit völlig aufgiebt, so lauge wird auch die Gefahr der Aufsaugung
des Wohlstandes nicht gemindert werden, und so lange wird das Vacuum der
sozialen Not auf der andern Seite rapid anwachsen. Alle Mittel, welche der
Staat gegen jene Aufsaugung ergreift, können nur schwach wirken. Gleichwohl
gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung alles, was auch nur zur teilweisen Ein¬
dämmung dienen könnte, zu ergreifen. Denn es handelt sich beim Börsen-


Börse und Publikum.

gewärtigen zu müssen. Von Entschädigung kann keine Rede sein; schon deshalb
nicht, weil der einzelne Aktionär vollkommen rechtlos ist. Nur dann, wenn es
gelingt, in der Generalversammlung eine Majorität gegen den Aufsichtsrat zu¬
sammenzubringen, könnte ein derartiger Versuch glücken. Allein nur in den
seltensten Fällen wird eine solche Majorität sich zusammenbringen lassen. Dies
erklärt sich leicht aus der oben erläuterten Art der meisten Beziehungen des
großen Publikums zur Börse und aus der daraus sich ergebenden Unmöglich¬
keit, bei einem Kurssturz der Aktien dieselben zu halten. Auf diese Weise wird
es den eingeweihten Faiseurs immer möglich, die teuer verkauften Aktien wieder
billig, meist sogar unter dem verbleibenden realen Werte, an sich zu bringen
und damit nicht nur neuen Gewinn zu machen, sondern anch die Majorität in
der Generalversammlung zu gewinnen. Dies dürfte sich auch bei dein neuesten
Krach, dem des „Preußischen Leihhauses" zu Berlin, zeigen. Hierdurch wird
natürlich jede Aktion gegen Aufsichtsrat und Direktion unmöglich gemacht. Die
Generalversammlung beschließt einfach, was jene wollen, denn die Minorität ist
machtlos; so geschah es im Frankfurter Falle, und so geschieht es in allen Fällen.
Von den Aufsichtsräten der „Deutschen Handelsgesellschaft" trat nnr ein ein¬
ziger gegen das Verfahren der Direktoren auf.

Es vergeht kein Jahr mehr, wo nicht derartige Vorgänge mehrfach sich
ereignen. Aber das Publikum scheint noch weit davon entfernt zu sein, ans
denselben praktische Folgerungen zu ziehen. Trotz der weitgehenden Entrüstung,
welche gegen den Börsenschwindel allgemein herrscht, bleibt die Handlungsweise
der Kapitalbesitzer nach wie vor dieselbe. Statt das eigne Kapital selbstthätig
M verwalten und eigne Unternehmungen vorsichtig zu entwickeln, oder statt jenes
Mf direktem Wege bei anständigem Zinsfuß zu verleihen, giebt man sich immer
und immer wieder dem „Kommissionär," „Bankier" und „Makler" preis, läßt
sich zum Schuldner machen, wo man thatsächlich Gläubiger ist, und gerät hier¬
durch in Spekulationen, denen man nie gewachsen sein und bei denen man
üumer im Verlust bleiben wird. Auf Vorspiegelungen, deren trügerischer Inhalt
durch die Erfahrung längst bewiesen ist, auf die unsichersten Zins- und Gewinn-
dersprechuugen läßt man sich ein und opfert ganze Vermögen, während doch zu
direkter sicherer Anlage, die freilich Anfmerksamkeit und Sorgsamkeit verlangt,
Gelegenheit im Überfluß vorhanden ist.

So lange unser Kapitalisteupubliknm in diesem unheilvollen Hange des
-öU'ischeugeschästcs der Börse und ihrer Gehilfenschaft steht und damit den Boden
der Selbstthütigkeit völlig aufgiebt, so lauge wird auch die Gefahr der Aufsaugung
des Wohlstandes nicht gemindert werden, und so lange wird das Vacuum der
sozialen Not auf der andern Seite rapid anwachsen. Alle Mittel, welche der
Staat gegen jene Aufsaugung ergreift, können nur schwach wirken. Gleichwohl
gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung alles, was auch nur zur teilweisen Ein¬
dämmung dienen könnte, zu ergreifen. Denn es handelt sich beim Börsen-


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[0597] Börse und Publikum. gewärtigen zu müssen. Von Entschädigung kann keine Rede sein; schon deshalb nicht, weil der einzelne Aktionär vollkommen rechtlos ist. Nur dann, wenn es gelingt, in der Generalversammlung eine Majorität gegen den Aufsichtsrat zu¬ sammenzubringen, könnte ein derartiger Versuch glücken. Allein nur in den seltensten Fällen wird eine solche Majorität sich zusammenbringen lassen. Dies erklärt sich leicht aus der oben erläuterten Art der meisten Beziehungen des großen Publikums zur Börse und aus der daraus sich ergebenden Unmöglich¬ keit, bei einem Kurssturz der Aktien dieselben zu halten. Auf diese Weise wird es den eingeweihten Faiseurs immer möglich, die teuer verkauften Aktien wieder billig, meist sogar unter dem verbleibenden realen Werte, an sich zu bringen und damit nicht nur neuen Gewinn zu machen, sondern anch die Majorität in der Generalversammlung zu gewinnen. Dies dürfte sich auch bei dein neuesten Krach, dem des „Preußischen Leihhauses" zu Berlin, zeigen. Hierdurch wird natürlich jede Aktion gegen Aufsichtsrat und Direktion unmöglich gemacht. Die Generalversammlung beschließt einfach, was jene wollen, denn die Minorität ist machtlos; so geschah es im Frankfurter Falle, und so geschieht es in allen Fällen. Von den Aufsichtsräten der „Deutschen Handelsgesellschaft" trat nnr ein ein¬ ziger gegen das Verfahren der Direktoren auf. Es vergeht kein Jahr mehr, wo nicht derartige Vorgänge mehrfach sich ereignen. Aber das Publikum scheint noch weit davon entfernt zu sein, ans denselben praktische Folgerungen zu ziehen. Trotz der weitgehenden Entrüstung, welche gegen den Börsenschwindel allgemein herrscht, bleibt die Handlungsweise der Kapitalbesitzer nach wie vor dieselbe. Statt das eigne Kapital selbstthätig M verwalten und eigne Unternehmungen vorsichtig zu entwickeln, oder statt jenes Mf direktem Wege bei anständigem Zinsfuß zu verleihen, giebt man sich immer und immer wieder dem „Kommissionär," „Bankier" und „Makler" preis, läßt sich zum Schuldner machen, wo man thatsächlich Gläubiger ist, und gerät hier¬ durch in Spekulationen, denen man nie gewachsen sein und bei denen man üumer im Verlust bleiben wird. Auf Vorspiegelungen, deren trügerischer Inhalt durch die Erfahrung längst bewiesen ist, auf die unsichersten Zins- und Gewinn- dersprechuugen läßt man sich ein und opfert ganze Vermögen, während doch zu direkter sicherer Anlage, die freilich Anfmerksamkeit und Sorgsamkeit verlangt, Gelegenheit im Überfluß vorhanden ist. So lange unser Kapitalisteupubliknm in diesem unheilvollen Hange des -öU'ischeugeschästcs der Börse und ihrer Gehilfenschaft steht und damit den Boden der Selbstthütigkeit völlig aufgiebt, so lauge wird auch die Gefahr der Aufsaugung des Wohlstandes nicht gemindert werden, und so lange wird das Vacuum der sozialen Not auf der andern Seite rapid anwachsen. Alle Mittel, welche der Staat gegen jene Aufsaugung ergreift, können nur schwach wirken. Gleichwohl gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung alles, was auch nur zur teilweisen Ein¬ dämmung dienen könnte, zu ergreifen. Denn es handelt sich beim Börsen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/597>, abgerufen am 25.08.2024.