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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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L. v. Noordeus Luropäischc Geschichte im acht^ahnten Ialzrhuttdert.

den Übermut der andern züchtigen, ans daß der Mensch Mäßigung lerne"
(Weber, allgemeine Weltgeschichte). An dem Abbruch der Verhandlungen aber
trugen die Hauptschuld der kaiserliche Gesandte Sinzendorf nebst dem preußischen
und savoyischen Gesandten, welche sich "nicht einmal auf Ludwigs Anerbieten,
zur Vertreibung seines Enkels durch Subsidien zu helfen, einlassen wollten"
(Schlosser, achtzehntes Jahrhundert). So die hergebrachte Auffassung. Eines
andern belehrt uns die Novrdensche Forschung. Nicht die verblendete Sieges-
trunkeuheit der Verbündeten war es, die einen dein Abschluß nahen Vergleich
scheitern machte, sondern die Frage nach den Bürgschaften, die Ludwig für den
Verzicht des spanischen Enkels liefern werde. "Ans dem Papiere hatte der
Monarch den Haager Verbündeten das transpyrenäische Königreich abgetreten.
Aber mit überlegener Waffenmacht behauptete Philipp von Anjou den spanischen
Thron. Nur eine Handbreit spanischer Erde gehörte dem Österreicher. Wie
wollte Ludwig XIV. verpfändete Gutsage einlösen? Was würde von seiten
Frankreichs, was von seiten der Koalition zu beginnen sein, wenn der spanische
Bourbon, großväterlichen Befehle ungehorsam, nicht vom Flecke wich? Eine
Frist, das erkannten die Verbündeten an, mußte man Philipp zur Rciumnng
Spaniens, der französischen Krongewalt zum Drucke auf den Madrider Hof ge¬
währen. Inzwischen hatten die Waffen zu ruhen. Aber, hieß es nun, wird
die feindliche Staatsgewalt zu vermögen sein, während der Dauer dieses Interims,
bevor dem Waffenstillstand der Friede entspringt, die Auslieferung der nieder¬
ländischen, der deutschen, der piemontesischen Barriere zu vollstrecken? Welches
Unterpfand, knüpfte sich das ernstere und eutscheiduugsschwere Bedenken nu,
will der Gegner uns einhändigen, an dem wir uns schadlos halten, falls der
Herzog von Anjou die ihm gesetzte Frist überschreitet oder was der Großvater
^'gesichert, gänzlich verwirft? Von französischem Gesichtsfelde ans zutreffend
erläuterte Torey, wie sein König mit Anerkennung des hnbsbnrgischen Erzherzogs
c>is rechtskräftige" Besitzers vou Gesammtspanien dem österreichischen Erbschnfts-
w'Spruch volles Genüge leiste, zugleich bis zur äußersten Grenze des eignen
Könnens vorschreite. Selbstverständlich werde Ludwig XIV. mit Eintritt des
Waffenstillstandes seine Hilfstruppen vom spanischen Kriegstheater abbernfe",
soweit die Vorschrift des Familienhnuptes eine Kraft zu entfalten vermöge, den
gegenwärtigen Inhaber des spanischen Königreiches zur Annahme der Überein¬
kunft bestimmen. Doch damit sei das Thunliche erschöpft. Jedes weitere, was
zur Einsetzung eines habsburgischen Königs von Spanien noch etwa erforderlich,
sei Sache der Verbündeten. Dagegen erhoben Holländer, Engländer und Öster¬
reicher den, wie sie urteilten, ebenfalls wohlbegründeten Einwurf: so werde der
Koalition, nachdem sie mit seinem Gegner einig geworden, die beschwerliche Last
wies Kampfes um Spanien verbleiben, Frankreich unterdessen die Wohlthat des
Friedens genießen lind neue Kricgsmittel sammeln. Man stritt bis in die Nacht,
wan haderte während des ganzen folgenden Tages über das Maß der Ver-


L. v. Noordeus Luropäischc Geschichte im acht^ahnten Ialzrhuttdert.

den Übermut der andern züchtigen, ans daß der Mensch Mäßigung lerne"
(Weber, allgemeine Weltgeschichte). An dem Abbruch der Verhandlungen aber
trugen die Hauptschuld der kaiserliche Gesandte Sinzendorf nebst dem preußischen
und savoyischen Gesandten, welche sich „nicht einmal auf Ludwigs Anerbieten,
zur Vertreibung seines Enkels durch Subsidien zu helfen, einlassen wollten"
(Schlosser, achtzehntes Jahrhundert). So die hergebrachte Auffassung. Eines
andern belehrt uns die Novrdensche Forschung. Nicht die verblendete Sieges-
trunkeuheit der Verbündeten war es, die einen dein Abschluß nahen Vergleich
scheitern machte, sondern die Frage nach den Bürgschaften, die Ludwig für den
Verzicht des spanischen Enkels liefern werde. „Ans dem Papiere hatte der
Monarch den Haager Verbündeten das transpyrenäische Königreich abgetreten.
Aber mit überlegener Waffenmacht behauptete Philipp von Anjou den spanischen
Thron. Nur eine Handbreit spanischer Erde gehörte dem Österreicher. Wie
wollte Ludwig XIV. verpfändete Gutsage einlösen? Was würde von seiten
Frankreichs, was von seiten der Koalition zu beginnen sein, wenn der spanische
Bourbon, großväterlichen Befehle ungehorsam, nicht vom Flecke wich? Eine
Frist, das erkannten die Verbündeten an, mußte man Philipp zur Rciumnng
Spaniens, der französischen Krongewalt zum Drucke auf den Madrider Hof ge¬
währen. Inzwischen hatten die Waffen zu ruhen. Aber, hieß es nun, wird
die feindliche Staatsgewalt zu vermögen sein, während der Dauer dieses Interims,
bevor dem Waffenstillstand der Friede entspringt, die Auslieferung der nieder¬
ländischen, der deutschen, der piemontesischen Barriere zu vollstrecken? Welches
Unterpfand, knüpfte sich das ernstere und eutscheiduugsschwere Bedenken nu,
will der Gegner uns einhändigen, an dem wir uns schadlos halten, falls der
Herzog von Anjou die ihm gesetzte Frist überschreitet oder was der Großvater
^'gesichert, gänzlich verwirft? Von französischem Gesichtsfelde ans zutreffend
erläuterte Torey, wie sein König mit Anerkennung des hnbsbnrgischen Erzherzogs
c>is rechtskräftige» Besitzers vou Gesammtspanien dem österreichischen Erbschnfts-
w'Spruch volles Genüge leiste, zugleich bis zur äußersten Grenze des eignen
Könnens vorschreite. Selbstverständlich werde Ludwig XIV. mit Eintritt des
Waffenstillstandes seine Hilfstruppen vom spanischen Kriegstheater abbernfe»,
soweit die Vorschrift des Familienhnuptes eine Kraft zu entfalten vermöge, den
gegenwärtigen Inhaber des spanischen Königreiches zur Annahme der Überein¬
kunft bestimmen. Doch damit sei das Thunliche erschöpft. Jedes weitere, was
zur Einsetzung eines habsburgischen Königs von Spanien noch etwa erforderlich,
sei Sache der Verbündeten. Dagegen erhoben Holländer, Engländer und Öster¬
reicher den, wie sie urteilten, ebenfalls wohlbegründeten Einwurf: so werde der
Koalition, nachdem sie mit seinem Gegner einig geworden, die beschwerliche Last
wies Kampfes um Spanien verbleiben, Frankreich unterdessen die Wohlthat des
Friedens genießen lind neue Kricgsmittel sammeln. Man stritt bis in die Nacht,
wan haderte während des ganzen folgenden Tages über das Maß der Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/555>, abgerufen am 22.07.2024.