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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Börse und Publikum.

Mau kann behaupte", daß in dieser allgemein herrschenden Anschauung,
unter welcher der soziale Zusammenhang immer mehr zerbröckelt, die Quelle
einer ungezählten Menge materieller Verluste liegt. Die unbegreifliche Neigung,
bei der Kapitalanlage über das Bekannte hinwegzugehen und nach dem Unbe¬
kannten zu greifen, ist für den Schwindel eine Handhabe, die nie abbrechen zu
wollen scheint. Hiervon leben die "Emissivnäre" fremder Anleihen -- ameri¬
kanischer Eisenbahnbonds, spanischer, türkischer, egyptischer und andrer ähnlicher --,
hiervon leben und machen Kapital die "Ratengeschäfte" und die Vermittler zum
Vörseuspiel, hiervon leben die "Rcmissiers" und halten ihre Equipagen, und
hieraus treiben ihren heillosen und in erster Linie sozialgefährlichen Schwindel
die sogenannten "Kreditgenossenschaften," durch welche das Mißtrauen im di¬
rekten Verkehr und der Spckulatiousschwindel geradezu gezüchtet wird.

Indeß ist es nicht allein diese düstere Seite, über welche die jüngsten "seriösen"
Finanzaffären Licht verbreitet haben. Die schon erwähnten Preßverhältnisse,
die Verauicknng der "seriösen" Finanzpressc mit dem Schwindel, die zum Teil
auch unbewußte Abhängigkeit der Tagespresse im allgemeinen von dem letztem,
die sowohl bei dein Fall Sachs als bei dem Fall Leveustein erscheint, ist
ebenso arg.

Die den Gebrüdern Sachs nachgewiesenen Besitzentfremdnngen erreichen
nahezu deu Betrag von 2 000 000 Mark. Bei Levenstein dürfte sich kaum we¬
niger Heransstellen. An der Börse vcrspekulirt hatten die Gebrüder innerhalb
der letzten zwei Jahre ihres Treibens nahezu 1 000 000 Mark (auch die nach-
gewiesenen Betrügereien fallen meist in die letzten zwei Jahre.) Indeß sind von
den zahlbaren Differenzen uur etwa die Hälfte wirklich gedeckt worden. Es
fehlt der Nachweis über den Verbleib eines Betrages von nahezu 1500 000
Mark. Hiervon ist ohne Zweifel ein sehr erheblicher Teil in den Händen der
Makler, die "Kredit" gewährten, hängen geblieben. Ein nicht minder erheblicher
Teil wurde aber sicher von den saubern Gebrüdern beiseite geschafft, als sie
gewarnt worden waren und zwar öffentlich durch die ebenso "berühmte" als
ehrenwerte "Frankfurter Zeitung," das Blatt des Reichstagsabgeordneten Sonne¬
mann !

Dieser Fall ist ebenso unglaublich als für die Verhältnisse der Finanzpresse
charakteristisch. Er erläutert aber auch in drastischer Weise die Ursachen der
an Stupidität grenzenden Urteilslosigkeit des Kapitalistenpublikums, welches seiue
geistige Nahrung und seiue materielle Belehrung aus derartigen Blättern
schöpft.

Als jener süddeutsche Privatmann, der in der That die Entlarvung herbei¬
führte, die Schuldscheine, um wieder zu seinem Gelde zu kommen, einem Frank¬
furter Advokaten einsandte, wodurch die Sache zuerst an der Börse ruchbar
wurde, brachte die "Frankfurter Zeitung" alsbald folgende merkwürdige War¬
nung :


Börse und Publikum.

Mau kann behaupte», daß in dieser allgemein herrschenden Anschauung,
unter welcher der soziale Zusammenhang immer mehr zerbröckelt, die Quelle
einer ungezählten Menge materieller Verluste liegt. Die unbegreifliche Neigung,
bei der Kapitalanlage über das Bekannte hinwegzugehen und nach dem Unbe¬
kannten zu greifen, ist für den Schwindel eine Handhabe, die nie abbrechen zu
wollen scheint. Hiervon leben die „Emissivnäre" fremder Anleihen — ameri¬
kanischer Eisenbahnbonds, spanischer, türkischer, egyptischer und andrer ähnlicher —,
hiervon leben und machen Kapital die „Ratengeschäfte" und die Vermittler zum
Vörseuspiel, hiervon leben die „Rcmissiers" und halten ihre Equipagen, und
hieraus treiben ihren heillosen und in erster Linie sozialgefährlichen Schwindel
die sogenannten „Kreditgenossenschaften," durch welche das Mißtrauen im di¬
rekten Verkehr und der Spckulatiousschwindel geradezu gezüchtet wird.

Indeß ist es nicht allein diese düstere Seite, über welche die jüngsten „seriösen"
Finanzaffären Licht verbreitet haben. Die schon erwähnten Preßverhältnisse,
die Verauicknng der „seriösen" Finanzpressc mit dem Schwindel, die zum Teil
auch unbewußte Abhängigkeit der Tagespresse im allgemeinen von dem letztem,
die sowohl bei dein Fall Sachs als bei dem Fall Leveustein erscheint, ist
ebenso arg.

Die den Gebrüdern Sachs nachgewiesenen Besitzentfremdnngen erreichen
nahezu deu Betrag von 2 000 000 Mark. Bei Levenstein dürfte sich kaum we¬
niger Heransstellen. An der Börse vcrspekulirt hatten die Gebrüder innerhalb
der letzten zwei Jahre ihres Treibens nahezu 1 000 000 Mark (auch die nach-
gewiesenen Betrügereien fallen meist in die letzten zwei Jahre.) Indeß sind von
den zahlbaren Differenzen uur etwa die Hälfte wirklich gedeckt worden. Es
fehlt der Nachweis über den Verbleib eines Betrages von nahezu 1500 000
Mark. Hiervon ist ohne Zweifel ein sehr erheblicher Teil in den Händen der
Makler, die „Kredit" gewährten, hängen geblieben. Ein nicht minder erheblicher
Teil wurde aber sicher von den saubern Gebrüdern beiseite geschafft, als sie
gewarnt worden waren und zwar öffentlich durch die ebenso „berühmte" als
ehrenwerte „Frankfurter Zeitung," das Blatt des Reichstagsabgeordneten Sonne¬
mann !

Dieser Fall ist ebenso unglaublich als für die Verhältnisse der Finanzpresse
charakteristisch. Er erläutert aber auch in drastischer Weise die Ursachen der
an Stupidität grenzenden Urteilslosigkeit des Kapitalistenpublikums, welches seiue
geistige Nahrung und seiue materielle Belehrung aus derartigen Blättern
schöpft.

Als jener süddeutsche Privatmann, der in der That die Entlarvung herbei¬
führte, die Schuldscheine, um wieder zu seinem Gelde zu kommen, einem Frank¬
furter Advokaten einsandte, wodurch die Sache zuerst an der Börse ruchbar
wurde, brachte die „Frankfurter Zeitung" alsbald folgende merkwürdige War¬
nung :


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[0549] Börse und Publikum. Mau kann behaupte», daß in dieser allgemein herrschenden Anschauung, unter welcher der soziale Zusammenhang immer mehr zerbröckelt, die Quelle einer ungezählten Menge materieller Verluste liegt. Die unbegreifliche Neigung, bei der Kapitalanlage über das Bekannte hinwegzugehen und nach dem Unbe¬ kannten zu greifen, ist für den Schwindel eine Handhabe, die nie abbrechen zu wollen scheint. Hiervon leben die „Emissivnäre" fremder Anleihen — ameri¬ kanischer Eisenbahnbonds, spanischer, türkischer, egyptischer und andrer ähnlicher —, hiervon leben und machen Kapital die „Ratengeschäfte" und die Vermittler zum Vörseuspiel, hiervon leben die „Rcmissiers" und halten ihre Equipagen, und hieraus treiben ihren heillosen und in erster Linie sozialgefährlichen Schwindel die sogenannten „Kreditgenossenschaften," durch welche das Mißtrauen im di¬ rekten Verkehr und der Spckulatiousschwindel geradezu gezüchtet wird. Indeß ist es nicht allein diese düstere Seite, über welche die jüngsten „seriösen" Finanzaffären Licht verbreitet haben. Die schon erwähnten Preßverhältnisse, die Verauicknng der „seriösen" Finanzpressc mit dem Schwindel, die zum Teil auch unbewußte Abhängigkeit der Tagespresse im allgemeinen von dem letztem, die sowohl bei dein Fall Sachs als bei dem Fall Leveustein erscheint, ist ebenso arg. Die den Gebrüdern Sachs nachgewiesenen Besitzentfremdnngen erreichen nahezu deu Betrag von 2 000 000 Mark. Bei Levenstein dürfte sich kaum we¬ niger Heransstellen. An der Börse vcrspekulirt hatten die Gebrüder innerhalb der letzten zwei Jahre ihres Treibens nahezu 1 000 000 Mark (auch die nach- gewiesenen Betrügereien fallen meist in die letzten zwei Jahre.) Indeß sind von den zahlbaren Differenzen uur etwa die Hälfte wirklich gedeckt worden. Es fehlt der Nachweis über den Verbleib eines Betrages von nahezu 1500 000 Mark. Hiervon ist ohne Zweifel ein sehr erheblicher Teil in den Händen der Makler, die „Kredit" gewährten, hängen geblieben. Ein nicht minder erheblicher Teil wurde aber sicher von den saubern Gebrüdern beiseite geschafft, als sie gewarnt worden waren und zwar öffentlich durch die ebenso „berühmte" als ehrenwerte „Frankfurter Zeitung," das Blatt des Reichstagsabgeordneten Sonne¬ mann ! Dieser Fall ist ebenso unglaublich als für die Verhältnisse der Finanzpresse charakteristisch. Er erläutert aber auch in drastischer Weise die Ursachen der an Stupidität grenzenden Urteilslosigkeit des Kapitalistenpublikums, welches seiue geistige Nahrung und seiue materielle Belehrung aus derartigen Blättern schöpft. Als jener süddeutsche Privatmann, der in der That die Entlarvung herbei¬ führte, die Schuldscheine, um wieder zu seinem Gelde zu kommen, einem Frank¬ furter Advokaten einsandte, wodurch die Sache zuerst an der Börse ruchbar wurde, brachte die „Frankfurter Zeitung" alsbald folgende merkwürdige War¬ nung :

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/549>, abgerufen am 23.07.2024.