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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Börse und Publikum.

hältnismäßig kleine Betrüge, ließ man sich verlocken, jenen ganz unbekannten
Leuten, von denen man nur wußte, was sie selbst in der Zeitung von sich zu
sagen für gut fanden, oft sein ganzes Vermögen anzuvertrauen. Dann ließ
man sich von diesen Leuten jahrelang Hinhalten, nahm die vagsten Versicherungen
statt Geld oder statt der "besorgten" Werttitel und schlug dann, als die Kata¬
strophe eintrat, die Hände über dem Kopfe zusammen.

Ebensowenig fiel es dem Herrn Levenstein und fällt es den Genossen, die
das gleiche Geschäft treiben, ein, vom Publikum Geld für sich borgen zu wollen.
Auch sie bieten ihre Dienste und "Erfahrungen" an -- ihre Erfahrungen ans dem
Vörsengebiet, die sie in uneigennützigster Weise dem großen Publikum zur Ver¬
fügung stellen! Sie bieten sich an als Führer auf dem Gebiete der Speku¬
lation und überwinden, wenn das Publikum sich bedenklich zeigt, diese Bedenk¬
lichkeit durch das Anerbieten von Spekulationsgeschäften mit "beschränktem"
Risiko.

Dies "beschränkte" Risiko in Spekulationsgeschäften ist aber ebenso wie die "un¬
entgeltliche" Besorgung, wie leicht einzusehen ist, ein bloßer Köder. Ist nur
erst einmal der gläubige Börsenlaic in ein derartiges Spekulntionsgeschäft mit
"beschränktem" Risiko verwickelt, so wird es dem "befreundeten Bankier" nicht
schwer, seinem Klienten das unbeschränkteste Risiko aufzuladen und ihn womöglich
mit seinem ganzen Vermögen festzureiten. Das Publikum freilich bildet sich ein,
der zuvorkommende Geschäftsmann werde einen Teil des Risikos der Speku¬
lationen, in die es sich von ihm führen läßt, auf seiue Schultern nehmen; ebenso
wie es geglaubt hatte, der andre werde ihm seine Geschäfte unentgeltlich besorgen.

In allen derartigen Füllen zeigt sich nun immer, daß der allgemeine oder
der geschäftliche Bildungsgrad des Publikums auf sein Verhalten solchen Mani¬
pulationen gegenüber völlig einflußlos ist. Leute aus allen Bildungs- und Ge¬
sellschaftskreisen fallen der "unentgeltlichen" Besorgung von Finanzgeschüften und
dem "beschränkten" Risiko bei Spekulationen zum Opfer. So war es im Falle
der Gebrüder Sachs und so findet es sich auch bei Herrn Levenstein. Und wie
die Gerichtsverhandlungen im Prozeß Sachs zeigten, daß, nachdem einmal die
Opfer in das Garn der "unentgeltlichen" Besorgung gegangen sind, sie nicht
mehr aus demselben entkommen können, ebenso wird es hinsichtlich des "be¬
schränkten" Risikos sich zeigen, wenn dies einmal zu einem Straffall führt. Die
Leute, welche eimual ihrer Unüberlegtheit -- wie man im besten Falle sagen
kann -- zum Opfev gefallen sind, lassen sich von den "Bankiers" das erstaun¬
lichste bieten. Im Prozeß Sachs wurde festgestellt, daß einmal ein Geprellter,
der sein Geld unbedingt wiedersahen wollte, beschwichtigt wurde durch die Per¬
spektive, demnächst als Teilnehmer in die Firma eintreten zu können! Diesen
"Bankiers" scheint das Publikum eben alles zu glauben!

Ein Pfarrer im Thiiringischen -- die Gebrüder Sachs streckten ihre Fänge
bis zur russischen Grenze aus -- war durch die Zeitungsanzeigen in das


Börse und Publikum.

hältnismäßig kleine Betrüge, ließ man sich verlocken, jenen ganz unbekannten
Leuten, von denen man nur wußte, was sie selbst in der Zeitung von sich zu
sagen für gut fanden, oft sein ganzes Vermögen anzuvertrauen. Dann ließ
man sich von diesen Leuten jahrelang Hinhalten, nahm die vagsten Versicherungen
statt Geld oder statt der „besorgten" Werttitel und schlug dann, als die Kata¬
strophe eintrat, die Hände über dem Kopfe zusammen.

Ebensowenig fiel es dem Herrn Levenstein und fällt es den Genossen, die
das gleiche Geschäft treiben, ein, vom Publikum Geld für sich borgen zu wollen.
Auch sie bieten ihre Dienste und „Erfahrungen" an — ihre Erfahrungen ans dem
Vörsengebiet, die sie in uneigennützigster Weise dem großen Publikum zur Ver¬
fügung stellen! Sie bieten sich an als Führer auf dem Gebiete der Speku¬
lation und überwinden, wenn das Publikum sich bedenklich zeigt, diese Bedenk¬
lichkeit durch das Anerbieten von Spekulationsgeschäften mit „beschränktem"
Risiko.

Dies „beschränkte" Risiko in Spekulationsgeschäften ist aber ebenso wie die „un¬
entgeltliche" Besorgung, wie leicht einzusehen ist, ein bloßer Köder. Ist nur
erst einmal der gläubige Börsenlaic in ein derartiges Spekulntionsgeschäft mit
„beschränktem" Risiko verwickelt, so wird es dem „befreundeten Bankier" nicht
schwer, seinem Klienten das unbeschränkteste Risiko aufzuladen und ihn womöglich
mit seinem ganzen Vermögen festzureiten. Das Publikum freilich bildet sich ein,
der zuvorkommende Geschäftsmann werde einen Teil des Risikos der Speku¬
lationen, in die es sich von ihm führen läßt, auf seiue Schultern nehmen; ebenso
wie es geglaubt hatte, der andre werde ihm seine Geschäfte unentgeltlich besorgen.

In allen derartigen Füllen zeigt sich nun immer, daß der allgemeine oder
der geschäftliche Bildungsgrad des Publikums auf sein Verhalten solchen Mani¬
pulationen gegenüber völlig einflußlos ist. Leute aus allen Bildungs- und Ge¬
sellschaftskreisen fallen der „unentgeltlichen" Besorgung von Finanzgeschüften und
dem „beschränkten" Risiko bei Spekulationen zum Opfer. So war es im Falle
der Gebrüder Sachs und so findet es sich auch bei Herrn Levenstein. Und wie
die Gerichtsverhandlungen im Prozeß Sachs zeigten, daß, nachdem einmal die
Opfer in das Garn der „unentgeltlichen" Besorgung gegangen sind, sie nicht
mehr aus demselben entkommen können, ebenso wird es hinsichtlich des „be¬
schränkten" Risikos sich zeigen, wenn dies einmal zu einem Straffall führt. Die
Leute, welche eimual ihrer Unüberlegtheit — wie man im besten Falle sagen
kann — zum Opfev gefallen sind, lassen sich von den „Bankiers" das erstaun¬
lichste bieten. Im Prozeß Sachs wurde festgestellt, daß einmal ein Geprellter,
der sein Geld unbedingt wiedersahen wollte, beschwichtigt wurde durch die Per¬
spektive, demnächst als Teilnehmer in die Firma eintreten zu können! Diesen
„Bankiers" scheint das Publikum eben alles zu glauben!

Ein Pfarrer im Thiiringischen — die Gebrüder Sachs streckten ihre Fänge
bis zur russischen Grenze aus — war durch die Zeitungsanzeigen in das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/546>, abgerufen am 02.10.2024.