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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Richard Wagners Parsifal.

gegeben und liegt dafür nun um einer schmerzlichen Wunde darnieder, die ihm
den Dienst des Grals aufs äußerste erschwert. Die Ritterschaft und der Gral
kommen dadurch in Gefahr. Heilung und Erlösung, nebenbei aber auch der
Verlust des Thrones ist dem Amfortas verheißen, "wenn ein Fremder nach seinen
Leiden teilnehmend fragen wurde, ohne darauf hingewiesen zu sein."^) Die Frage
liegt dem Parzwal auf der Zunge, aber er erinnert sich, daß ihm Gnrnemanz, sein
ritterlicherLehrer, als eine der ersten Lebensregeln eingeprägt hat, so wenig als möglich
zu fragen. Er fragt also nicht, und diese Uiiterlassnngssünde trägt für ihn die
schlimmsten Folgen. Er geht seiner bisher errungenen Ehren verlustig, und es beginnt
für ihn ein Leben voll Schmach, Mühen und Anfechtungen, die ihn in Zweifel
an Gott und in die heftigsten innern Kämpfe stürzen. In Jahren überwindet er
diese Anfechtungen und wird ans einem abenteuernden Ritterjüngling ein fester
und frommer Mann. So erscheint denn am Schlüsse wieder die Gralsbotin,
welche den Pnrzival, als er seinerzeit die Frage unterlassen, verflucht hatte, und
verkündet ihm, daß er zum Gralskönig erwählt sei.

Das ist uach den Hauptpunkten eine kurze Skizze des Epos vom Parzival,
wie es Wolfram von Eschenbach darstellt. Es ist das Lebensbild eines jungen
Mannes von der Amtseid bis zum Eintritt der vollen Charakterreife. In der
Darstellung der innern Entwicklung des Helden liegt die Größe von Wolframs
Dichtung. Im äußerliche" Verlaufe gleicht die Geschichte des Parzival bei
Wolfram dem Gange andrer Ritterromane. Sie ist nach dein Geschmack des
dreizehnten Jahrhunderts zusammengewunden ans heroischen Abenteuern und
Wundern. In der Innigkeit, der Kühnheit und dem Reichtum der Phantasie,
mit welcher Wolfram dergleichen schildert und erzählt, unterscheidet er sich von
Dichtern niedern Ranges. Zu diesem modischen und zeitgemäßen Beiwerk ge
hört im "Parzival" halb und halb much die Heranziehung des "Gral." Den
eigentlichen Angelpunkt der Dichtung bildet er kaum mehr als der phantastische
Artushof, den Parzival ebenfalls wiederholt betritt, oder das Zauberschloß
(Schastelmarveil) des wunderlichen Ritters Klinschor, an welchem Parzivals
Freund Gawan die Hauptproben seines Heldentums ablegt.

Daß Parzival dafür so hart gestraft wird, weil er in der Gralsburg zu
fragen versäumt, ist unverständlich. Wenn man gesagt hat, es sei wohlverdient,
weil Parzival die Rücksichten der ritterlichen Etikette über die Gebote deS Herzens
gesetzt habe, so ist damit uoch nichts erklärt. Warum ein junger Mensch, der
aus Schüchternheit ein Versehen begeht, ans der Gesellschaft ausgestoßen und
i"s Unglück getrieben werden soll, vermag man nicht einzusehen. .Höchst wahr¬
scheinlich liegt in der vom Gral gestellten Forderung des Fragens ein märchen¬
haftes Motiv, dessen Herkunft und ursprüngliche Bedeutung bis heute uoch uicht
Neuügeud aufgeklärt ist.



*) Vgl. G. Bötticher, "Parsifal" n"d "Parzival." Preußische Jahrbuch,-,-, 1888. Juliheft.
Greuzbvteir 111. 1882. "8
Richard Wagners Parsifal.

gegeben und liegt dafür nun um einer schmerzlichen Wunde darnieder, die ihm
den Dienst des Grals aufs äußerste erschwert. Die Ritterschaft und der Gral
kommen dadurch in Gefahr. Heilung und Erlösung, nebenbei aber auch der
Verlust des Thrones ist dem Amfortas verheißen, „wenn ein Fremder nach seinen
Leiden teilnehmend fragen wurde, ohne darauf hingewiesen zu sein."^) Die Frage
liegt dem Parzwal auf der Zunge, aber er erinnert sich, daß ihm Gnrnemanz, sein
ritterlicherLehrer, als eine der ersten Lebensregeln eingeprägt hat, so wenig als möglich
zu fragen. Er fragt also nicht, und diese Uiiterlassnngssünde trägt für ihn die
schlimmsten Folgen. Er geht seiner bisher errungenen Ehren verlustig, und es beginnt
für ihn ein Leben voll Schmach, Mühen und Anfechtungen, die ihn in Zweifel
an Gott und in die heftigsten innern Kämpfe stürzen. In Jahren überwindet er
diese Anfechtungen und wird ans einem abenteuernden Ritterjüngling ein fester
und frommer Mann. So erscheint denn am Schlüsse wieder die Gralsbotin,
welche den Pnrzival, als er seinerzeit die Frage unterlassen, verflucht hatte, und
verkündet ihm, daß er zum Gralskönig erwählt sei.

Das ist uach den Hauptpunkten eine kurze Skizze des Epos vom Parzival,
wie es Wolfram von Eschenbach darstellt. Es ist das Lebensbild eines jungen
Mannes von der Amtseid bis zum Eintritt der vollen Charakterreife. In der
Darstellung der innern Entwicklung des Helden liegt die Größe von Wolframs
Dichtung. Im äußerliche» Verlaufe gleicht die Geschichte des Parzival bei
Wolfram dem Gange andrer Ritterromane. Sie ist nach dein Geschmack des
dreizehnten Jahrhunderts zusammengewunden ans heroischen Abenteuern und
Wundern. In der Innigkeit, der Kühnheit und dem Reichtum der Phantasie,
mit welcher Wolfram dergleichen schildert und erzählt, unterscheidet er sich von
Dichtern niedern Ranges. Zu diesem modischen und zeitgemäßen Beiwerk ge
hört im „Parzival" halb und halb much die Heranziehung des „Gral." Den
eigentlichen Angelpunkt der Dichtung bildet er kaum mehr als der phantastische
Artushof, den Parzival ebenfalls wiederholt betritt, oder das Zauberschloß
(Schastelmarveil) des wunderlichen Ritters Klinschor, an welchem Parzivals
Freund Gawan die Hauptproben seines Heldentums ablegt.

Daß Parzival dafür so hart gestraft wird, weil er in der Gralsburg zu
fragen versäumt, ist unverständlich. Wenn man gesagt hat, es sei wohlverdient,
weil Parzival die Rücksichten der ritterlichen Etikette über die Gebote deS Herzens
gesetzt habe, so ist damit uoch nichts erklärt. Warum ein junger Mensch, der
aus Schüchternheit ein Versehen begeht, ans der Gesellschaft ausgestoßen und
i»s Unglück getrieben werden soll, vermag man nicht einzusehen. .Höchst wahr¬
scheinlich liegt in der vom Gral gestellten Forderung des Fragens ein märchen¬
haftes Motiv, dessen Herkunft und ursprüngliche Bedeutung bis heute uoch uicht
Neuügeud aufgeklärt ist.



*) Vgl. G. Bötticher, „Parsifal" n»d „Parzival." Preußische Jahrbuch,-,-, 1888. Juliheft.
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[0497] Richard Wagners Parsifal. gegeben und liegt dafür nun um einer schmerzlichen Wunde darnieder, die ihm den Dienst des Grals aufs äußerste erschwert. Die Ritterschaft und der Gral kommen dadurch in Gefahr. Heilung und Erlösung, nebenbei aber auch der Verlust des Thrones ist dem Amfortas verheißen, „wenn ein Fremder nach seinen Leiden teilnehmend fragen wurde, ohne darauf hingewiesen zu sein."^) Die Frage liegt dem Parzwal auf der Zunge, aber er erinnert sich, daß ihm Gnrnemanz, sein ritterlicherLehrer, als eine der ersten Lebensregeln eingeprägt hat, so wenig als möglich zu fragen. Er fragt also nicht, und diese Uiiterlassnngssünde trägt für ihn die schlimmsten Folgen. Er geht seiner bisher errungenen Ehren verlustig, und es beginnt für ihn ein Leben voll Schmach, Mühen und Anfechtungen, die ihn in Zweifel an Gott und in die heftigsten innern Kämpfe stürzen. In Jahren überwindet er diese Anfechtungen und wird ans einem abenteuernden Ritterjüngling ein fester und frommer Mann. So erscheint denn am Schlüsse wieder die Gralsbotin, welche den Pnrzival, als er seinerzeit die Frage unterlassen, verflucht hatte, und verkündet ihm, daß er zum Gralskönig erwählt sei. Das ist uach den Hauptpunkten eine kurze Skizze des Epos vom Parzival, wie es Wolfram von Eschenbach darstellt. Es ist das Lebensbild eines jungen Mannes von der Amtseid bis zum Eintritt der vollen Charakterreife. In der Darstellung der innern Entwicklung des Helden liegt die Größe von Wolframs Dichtung. Im äußerliche» Verlaufe gleicht die Geschichte des Parzival bei Wolfram dem Gange andrer Ritterromane. Sie ist nach dein Geschmack des dreizehnten Jahrhunderts zusammengewunden ans heroischen Abenteuern und Wundern. In der Innigkeit, der Kühnheit und dem Reichtum der Phantasie, mit welcher Wolfram dergleichen schildert und erzählt, unterscheidet er sich von Dichtern niedern Ranges. Zu diesem modischen und zeitgemäßen Beiwerk ge hört im „Parzival" halb und halb much die Heranziehung des „Gral." Den eigentlichen Angelpunkt der Dichtung bildet er kaum mehr als der phantastische Artushof, den Parzival ebenfalls wiederholt betritt, oder das Zauberschloß (Schastelmarveil) des wunderlichen Ritters Klinschor, an welchem Parzivals Freund Gawan die Hauptproben seines Heldentums ablegt. Daß Parzival dafür so hart gestraft wird, weil er in der Gralsburg zu fragen versäumt, ist unverständlich. Wenn man gesagt hat, es sei wohlverdient, weil Parzival die Rücksichten der ritterlichen Etikette über die Gebote deS Herzens gesetzt habe, so ist damit uoch nichts erklärt. Warum ein junger Mensch, der aus Schüchternheit ein Versehen begeht, ans der Gesellschaft ausgestoßen und i»s Unglück getrieben werden soll, vermag man nicht einzusehen. .Höchst wahr¬ scheinlich liegt in der vom Gral gestellten Forderung des Fragens ein märchen¬ haftes Motiv, dessen Herkunft und ursprüngliche Bedeutung bis heute uoch uicht Neuügeud aufgeklärt ist. *) Vgl. G. Bötticher, „Parsifal" n»d „Parzival." Preußische Jahrbuch,-,-, 1888. Juliheft. Greuzbvteir 111. 1882. «8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/497>, abgerufen am 22.07.2024.