Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Wagner hat an dieses Fragen angeknüpft und sich ans demselben ein ethisches
Motiv herausgeschält, dessen starke Auziehnugskrnft ihn überhaupt zuerst ver¬
anlaßt haben mag, die an und für sich sehr wenig zum Drama geeignete Fabel
vom Parzival für die Bühne zu bearbeiten.

Der Gral, mag sich Wagner gesagt haben, verlangt von dein Fremden die
Frage, weil der, welcher fragt, dadurch bezeugt, daß er von den Leiden des
Königs ergriffen und gerührt ist, daß er also ein teilnehmender Mensch mit
warmem Herze" ist, daß er Mitleid besitzt. Also uicht die Frage ist es, nach
Wagners Auffassung, was der Gral verlangt, sondern das, was sie veranlaßt,
das Mitleid. Diese Interpretation ist nicht unanfechtbar, aber sie ist sehr hübsch,
menschlich gewinnend. Sie bietet für ein Drama eine Grundidee, deren Wärme
ein ganzes Stück wohlthätig durchziehen kauu, und wir wisse" alle, daß in dein
klaren Hervortreten solcher einfachen ethische" Grundidee" el" großer Teil der
Macht beruht, welche die "leiste" der Wagnersche" Vnd"entladen"ge" auf die
Gemüter äußern.

Der Wagnersche Parsifal ist also der Held des Mitleids. Diese Tugend
tritt bei ihm auf in Verbindung mit einer großen Unerfahrenheit in weltliche"
Dinge", mit einer gewisse" täppische" Einfalt, die auf einem vollständig naiven
nud reinen Herze" beruht. Diesen Zug hat der Wagnersche Held mit dem des
Wolsramsche" Parzival gemein. Wagner glaubte dieser Thorheit zu liebe
-- nebenbei bemerkt -- die Görressche Schreibart "Parsifal," die übrigeus all¬
gemein verworfe" ist, wähle" zu sollen. Z" ihrer De"t""g ist das Persische
herangezogen; Wagner erklärt daraufhin:


Dich nemme' ich, thör'ger Reiner, "t^,I z^u-si",
Dich, reinen Thoren: "?n.rsif".I."

Die außerordentliche Fülle von Personen und Begebenheiten, welche uus
im Epos des Wolfram e"tgege"tritt, hat Wagiier auf das Notwendige reduzirt.
Einzelne Momente des mittelalterlichen Gedichtes sind von ihn? in freiester
Weise benutzt worden; hier hat er z"sann"e"gezoge", dort erweitert oder anders
gestellt. Am wichtigsten ist die Änderung, welche Wagner mit dem Wolsramschen
Klinschor vorgenommen hat. Dieser ist im Epos eine episodische Figur, bei
Wagner aber tritt er bedeutend in den Vordergrund. Sei" Za"berschloß bildet
die Gegenmacht zum Grill, es ist die Hochburg der sinnlichen, weltlichen Lust,
von welcher aus ein verschlagener, teuflischer Kampf gegen den Gral, als den
Hort des frommen, reinen Christentiims, geführt wird, el" Kampf, dessen Preis
der Besitz der Alleinherrschaft über Erde und Welt bildet. Klingsor ist bei Wagner
von einem glänzenden Hofstaat zauberhaft schöner Fraue" umgeben -- Blumen¬
mädchen genannt --, welche die Ritter des Grals i" ihre Netze locke" und dein
Gral für immer abwendig machen.

Durch diese Erweiterung, welche Wagner mit der Figur des Klingsor vor
nahm, gewann er dasjenige Element, welches für das Drama unentbehrlich ist:


Wagner hat an dieses Fragen angeknüpft und sich ans demselben ein ethisches
Motiv herausgeschält, dessen starke Auziehnugskrnft ihn überhaupt zuerst ver¬
anlaßt haben mag, die an und für sich sehr wenig zum Drama geeignete Fabel
vom Parzival für die Bühne zu bearbeiten.

Der Gral, mag sich Wagner gesagt haben, verlangt von dein Fremden die
Frage, weil der, welcher fragt, dadurch bezeugt, daß er von den Leiden des
Königs ergriffen und gerührt ist, daß er also ein teilnehmender Mensch mit
warmem Herze» ist, daß er Mitleid besitzt. Also uicht die Frage ist es, nach
Wagners Auffassung, was der Gral verlangt, sondern das, was sie veranlaßt,
das Mitleid. Diese Interpretation ist nicht unanfechtbar, aber sie ist sehr hübsch,
menschlich gewinnend. Sie bietet für ein Drama eine Grundidee, deren Wärme
ein ganzes Stück wohlthätig durchziehen kauu, und wir wisse» alle, daß in dein
klaren Hervortreten solcher einfachen ethische» Grundidee» el» großer Teil der
Macht beruht, welche die »leiste» der Wagnersche» Vnd»entladen»ge» auf die
Gemüter äußern.

Der Wagnersche Parsifal ist also der Held des Mitleids. Diese Tugend
tritt bei ihm auf in Verbindung mit einer großen Unerfahrenheit in weltliche»
Dinge», mit einer gewisse» täppische» Einfalt, die auf einem vollständig naiven
nud reinen Herze» beruht. Diesen Zug hat der Wagnersche Held mit dem des
Wolsramsche» Parzival gemein. Wagner glaubte dieser Thorheit zu liebe
— nebenbei bemerkt — die Görressche Schreibart „Parsifal," die übrigeus all¬
gemein verworfe» ist, wähle» zu sollen. Z» ihrer De»t»»g ist das Persische
herangezogen; Wagner erklärt daraufhin:


Dich nemme' ich, thör'ger Reiner, „t^,I z^u-si",
Dich, reinen Thoren: „?n.rsif«.I."

Die außerordentliche Fülle von Personen und Begebenheiten, welche uus
im Epos des Wolfram e»tgege»tritt, hat Wagiier auf das Notwendige reduzirt.
Einzelne Momente des mittelalterlichen Gedichtes sind von ihn? in freiester
Weise benutzt worden; hier hat er z»sann»e»gezoge», dort erweitert oder anders
gestellt. Am wichtigsten ist die Änderung, welche Wagner mit dem Wolsramschen
Klinschor vorgenommen hat. Dieser ist im Epos eine episodische Figur, bei
Wagner aber tritt er bedeutend in den Vordergrund. Sei» Za»berschloß bildet
die Gegenmacht zum Grill, es ist die Hochburg der sinnlichen, weltlichen Lust,
von welcher aus ein verschlagener, teuflischer Kampf gegen den Gral, als den
Hort des frommen, reinen Christentiims, geführt wird, el» Kampf, dessen Preis
der Besitz der Alleinherrschaft über Erde und Welt bildet. Klingsor ist bei Wagner
von einem glänzenden Hofstaat zauberhaft schöner Fraue» umgeben — Blumen¬
mädchen genannt —, welche die Ritter des Grals i» ihre Netze locke» und dein
Gral für immer abwendig machen.

Durch diese Erweiterung, welche Wagner mit der Figur des Klingsor vor
nahm, gewann er dasjenige Element, welches für das Drama unentbehrlich ist:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0498" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193839"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1681"> Wagner hat an dieses Fragen angeknüpft und sich ans demselben ein ethisches<lb/>
Motiv herausgeschält, dessen starke Auziehnugskrnft ihn überhaupt zuerst ver¬<lb/>
anlaßt haben mag, die an und für sich sehr wenig zum Drama geeignete Fabel<lb/>
vom Parzival für die Bühne zu bearbeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1682"> Der Gral, mag sich Wagner gesagt haben, verlangt von dein Fremden die<lb/>
Frage, weil der, welcher fragt, dadurch bezeugt, daß er von den Leiden des<lb/>
Königs ergriffen und gerührt ist, daß er also ein teilnehmender Mensch mit<lb/>
warmem Herze» ist, daß er Mitleid besitzt. Also uicht die Frage ist es, nach<lb/>
Wagners Auffassung, was der Gral verlangt, sondern das, was sie veranlaßt,<lb/>
das Mitleid. Diese Interpretation ist nicht unanfechtbar, aber sie ist sehr hübsch,<lb/>
menschlich gewinnend. Sie bietet für ein Drama eine Grundidee, deren Wärme<lb/>
ein ganzes Stück wohlthätig durchziehen kauu, und wir wisse» alle, daß in dein<lb/>
klaren Hervortreten solcher einfachen ethische» Grundidee» el» großer Teil der<lb/>
Macht beruht, welche die »leiste» der Wagnersche» Vnd»entladen»ge» auf die<lb/>
Gemüter äußern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1683"> Der Wagnersche Parsifal ist also der Held des Mitleids. Diese Tugend<lb/>
tritt bei ihm auf in Verbindung mit einer großen Unerfahrenheit in weltliche»<lb/>
Dinge», mit einer gewisse» täppische» Einfalt, die auf einem vollständig naiven<lb/>
nud reinen Herze» beruht. Diesen Zug hat der Wagnersche Held mit dem des<lb/>
Wolsramsche» Parzival gemein. Wagner glaubte dieser Thorheit zu liebe<lb/>
&#x2014; nebenbei bemerkt &#x2014; die Görressche Schreibart &#x201E;Parsifal," die übrigeus all¬<lb/>
gemein verworfe» ist, wähle» zu sollen. Z» ihrer De»t»»g ist das Persische<lb/>
herangezogen; Wagner erklärt daraufhin:</p><lb/>
          <quote> Dich nemme' ich, thör'ger Reiner, &#x201E;t^,I z^u-si",<lb/>
Dich, reinen Thoren: &#x201E;?n.rsif«.I."</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1684"> Die außerordentliche Fülle von Personen und Begebenheiten, welche uus<lb/>
im Epos des Wolfram e»tgege»tritt, hat Wagiier auf das Notwendige reduzirt.<lb/>
Einzelne Momente des mittelalterlichen Gedichtes sind von ihn? in freiester<lb/>
Weise benutzt worden; hier hat er z»sann»e»gezoge», dort erweitert oder anders<lb/>
gestellt. Am wichtigsten ist die Änderung, welche Wagner mit dem Wolsramschen<lb/>
Klinschor vorgenommen hat. Dieser ist im Epos eine episodische Figur, bei<lb/>
Wagner aber tritt er bedeutend in den Vordergrund. Sei» Za»berschloß bildet<lb/>
die Gegenmacht zum Grill, es ist die Hochburg der sinnlichen, weltlichen Lust,<lb/>
von welcher aus ein verschlagener, teuflischer Kampf gegen den Gral, als den<lb/>
Hort des frommen, reinen Christentiims, geführt wird, el» Kampf, dessen Preis<lb/>
der Besitz der Alleinherrschaft über Erde und Welt bildet. Klingsor ist bei Wagner<lb/>
von einem glänzenden Hofstaat zauberhaft schöner Fraue» umgeben &#x2014; Blumen¬<lb/>
mädchen genannt &#x2014;, welche die Ritter des Grals i» ihre Netze locke» und dein<lb/>
Gral für immer abwendig machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1685" next="#ID_1686"> Durch diese Erweiterung, welche Wagner mit der Figur des Klingsor vor<lb/>
nahm, gewann er dasjenige Element, welches für das Drama unentbehrlich ist:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0498] Wagner hat an dieses Fragen angeknüpft und sich ans demselben ein ethisches Motiv herausgeschält, dessen starke Auziehnugskrnft ihn überhaupt zuerst ver¬ anlaßt haben mag, die an und für sich sehr wenig zum Drama geeignete Fabel vom Parzival für die Bühne zu bearbeiten. Der Gral, mag sich Wagner gesagt haben, verlangt von dein Fremden die Frage, weil der, welcher fragt, dadurch bezeugt, daß er von den Leiden des Königs ergriffen und gerührt ist, daß er also ein teilnehmender Mensch mit warmem Herze» ist, daß er Mitleid besitzt. Also uicht die Frage ist es, nach Wagners Auffassung, was der Gral verlangt, sondern das, was sie veranlaßt, das Mitleid. Diese Interpretation ist nicht unanfechtbar, aber sie ist sehr hübsch, menschlich gewinnend. Sie bietet für ein Drama eine Grundidee, deren Wärme ein ganzes Stück wohlthätig durchziehen kauu, und wir wisse» alle, daß in dein klaren Hervortreten solcher einfachen ethische» Grundidee» el» großer Teil der Macht beruht, welche die »leiste» der Wagnersche» Vnd»entladen»ge» auf die Gemüter äußern. Der Wagnersche Parsifal ist also der Held des Mitleids. Diese Tugend tritt bei ihm auf in Verbindung mit einer großen Unerfahrenheit in weltliche» Dinge», mit einer gewisse» täppische» Einfalt, die auf einem vollständig naiven nud reinen Herze» beruht. Diesen Zug hat der Wagnersche Held mit dem des Wolsramsche» Parzival gemein. Wagner glaubte dieser Thorheit zu liebe — nebenbei bemerkt — die Görressche Schreibart „Parsifal," die übrigeus all¬ gemein verworfe» ist, wähle» zu sollen. Z» ihrer De»t»»g ist das Persische herangezogen; Wagner erklärt daraufhin: Dich nemme' ich, thör'ger Reiner, „t^,I z^u-si", Dich, reinen Thoren: „?n.rsif«.I." Die außerordentliche Fülle von Personen und Begebenheiten, welche uus im Epos des Wolfram e»tgege»tritt, hat Wagiier auf das Notwendige reduzirt. Einzelne Momente des mittelalterlichen Gedichtes sind von ihn? in freiester Weise benutzt worden; hier hat er z»sann»e»gezoge», dort erweitert oder anders gestellt. Am wichtigsten ist die Änderung, welche Wagner mit dem Wolsramschen Klinschor vorgenommen hat. Dieser ist im Epos eine episodische Figur, bei Wagner aber tritt er bedeutend in den Vordergrund. Sei» Za»berschloß bildet die Gegenmacht zum Grill, es ist die Hochburg der sinnlichen, weltlichen Lust, von welcher aus ein verschlagener, teuflischer Kampf gegen den Gral, als den Hort des frommen, reinen Christentiims, geführt wird, el» Kampf, dessen Preis der Besitz der Alleinherrschaft über Erde und Welt bildet. Klingsor ist bei Wagner von einem glänzenden Hofstaat zauberhaft schöner Fraue» umgeben — Blumen¬ mädchen genannt —, welche die Ritter des Grals i» ihre Netze locke» und dein Gral für immer abwendig machen. Durch diese Erweiterung, welche Wagner mit der Figur des Klingsor vor nahm, gewann er dasjenige Element, welches für das Drama unentbehrlich ist:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/498
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/498>, abgerufen am 22.07.2024.